Der Body-Horrorfilm „The Substance“ ist seit seiner Weltpremiere bei den 2024er Filmfestspielen in Cannes, wo die Regisseurin Coralie Fargea den Preis fürs beste Drehbuch bekam, in aller Munde. Nun hat Demi Moore für ihre Rolle den Golden Globe als beste Hauptdarstellerin gewonnen – den ersten ihrer Karriere – und wird als Oscar-Kandidatin gehandelt. Worum geht`s?
Die Protagonistin Elisabeth Sparkle (Demi Moore), einst ein gefeierter, Oscar-prämierter Hollywood-Star und nun Aushängeschild einer beliebten Aerobic-Show, wird an ihrem 50. Geburtstag von ihrem Boss Harvey (Dennis Quaid) aufgrund ihres Alters gefeuert. Kurz vor ihrer Menopause ist sie für ihn nicht mehr von Wert und soll durch eine Jüngere ersetzt werden. Die gedemütigte Elisabeth gerät auf dem Weg nach Hause in einen Unfall, infolgedessen sie von einer geheimnisvollen Droge, genannt „The Substance“ erfährt, mit der sich eine bessere, jüngere Version ihrer selbst erschaffen lässt. Elisabeth kann nicht widerstehen, nimmt die Substanz, woraufhin Sue (Margaret Qualley), eine jüngere, heißere Version von Elisabeth durch ihr Rückenmark geboren wird. Doch die beiden Frauen sind abhängig voneinander: abwechselnd sieben Tage am Stück lebt jede ihr Leben, während die andere sich in einem komaähnlichen Zustand befindet und von der wachen mit einer Nährlösung versorgt werden muss. Sue ergattert, wie könnte es anders sein, die Rolle von Elisabeth in der Aerobic-Show. Sie startet voll durch und hält sich schon bald nicht mehr an die Regeln: sie stiehlt Elisabeth ihre Lebenszeit, so dass Elisabeths Körper grotesk zu altern beginnt.
Body-Horror ist ein Subgenre des Horrorfilms, als Altmeister gilt David Cronenberg mit „Die Fliege“ oder „Videodrome“. Stets geht es um eine bizarre, monströse Dekonstruktion des menschlichen Körpers, nicht nur um des Ekeleffekts willen, sondern auch um spezifische psychologische oder gesellschaftliche Themen zu beleuchten. So haben sich in den letzten Jahren vermehrt weibliche Filmemacher, wie z.B. Titane-Regisseurin Julia Ducournau des Genres angenommen, exploriert werden weibliche Begierde oder auch „female rage“: groteske patriarchat-zerstörende Gewaltorgien. So auch im Erstlingsfilm von Coralie Fargeat „Revenge“ (2017), in dem die vergewaltigte Protagonistin in einem blutigen Rachefeldzug ihre Peiniger zerstört.
Ein feministisches Meisterwerk?
The Substance ist ein visuell überragender Film mit großartigen Schauspielern, ein bitterböses, originelles und stylisches Spektakel mit Bildern, die den Film zu einem instant classic machen. Zu Halloween waren Elisabeths gelber Mantel, das große Spritzenbesteck sowie die deformierte Alt-Elisabeth-Maske in den USA oft gesichtete Kostümierungen. Zahlreiche Referenzen auf Klassiker des Horrorfilms machen The Substance zu einem Augenschmaus, vom Flur des Fernsehstudios, der an das Hotel von „The Shining“ erinnert, bis hin zur ausschweifenden Blutdusche am Ende, die selbst die bei „Carrie“ übertrifft. Von vielen Kritikern wird The Substance zudem als feministisches Meisterwerk empfohlen. Die Frage stellt sich: ist es das tatsächlich?
Zunächst ist zu bestätigen, dass der Film ein wichtiges Thema behandelt, nämlich die grausame Fratze des Jugendwahns. Und dieser Jugendwahn ist – dies betrachtet der Film als selbstverständlich – in der Herrschaft des Patriarchats begründet. Der Film spielt in einem neon-grellen, geradezu künstlich wirkenden L.A., und auch Harvey, Elisabeths Boss, der in diesem Film das Patriachat verkörpert, wirkt anachronistisch: ein alter weißer Mann, lüstern, grabschend, schmatzend, hochgradig misogyn, der Frauen nach der Straffheit ihrer Körper beurteilt. Der Name „Harvey“ ist nicht zufällig gewählt und bezieht sich auf Harvey Weinstein. Doch was ist aus dem geworden? Ein strafrechtlich verurteilter, bemitleidenswerter Greis, der im Rollstuhl vor Gericht gefahren wird. Haben Männer wie Harvey Weinstein in Hollywood viele Jahre nach „me-too“ noch eine Plattform?
Ältere Schauspielerinnen werden in Hollywood nicht mehr aussortiert
Ebenso aus der Zeit gefallen wirkt die Grundprämisse des Films: Frauen werden in Hollywood aussortiert, sobald sie ein bestimmtes Alter erreichen. Demi Moore spielt eine Fünfzigjährige, ist im realen Leben tatsächlich schon sechzig, wobei Schönheits-OPs sicher nicht unschuldig an ihrer fantastischen Optik sind, sie gilt als Stilikone, hat Millionen Follower auf Instagram, hochbezahlte Werbedeals und gehört zu den Top-Verdienerinnen der Branche, auch wenn interessante Rollen in den letzten Jahren rar waren. Gerne betont sie in Talkshows, dass sie sich heute endlich wohl in ihrer Haut fühlt und ihr Leben in vollen Zügen genießt, die Zeiten, in denen sie ihren Körper für Rollen wie G.I. Jane malträtierte, liegen hinter ihr. Sie ist keine Ausnahme, die höchstbezahlten weiblichen Hollywood-Stars sind heute über fünfzig Jahre alt: Nicole Kidman, Jennifer Aniston, Charlize Theron oder Sandra Bullock. Offenbar interessieren sich Menschen in einer alternden Gesellschaft auch für ältere Stars. Die Kernaussage des Films ist: für alternde Frauen ist kein Platz in der Gesellschaft. Die Realität in Hollywood scheint etwas anderes zu sagen.
Der Film will weibliche Schönheitsideale dekonstruieren, die uns das Patriachat auferlegt, aber geht es nicht vielmehr um das Altern an sich? Nicht nur Elisabeth greift zur Substanz, auch der attraktive junge Arzt, der sie ihr andient, ist in Wirklichkeit ein Opfer der Substanz, sein altes, ebenfalls langsam zerfallendes Ich trifft Elisabeth zufällig in einem Restaurant. Das eigentliche Thema des Films ist die Angst vor dem Altern. Ein ewiges Thema, letztlich geschlechtsunspezifisch (auch Brad Pitt hat sich kürzlich einem Facelift unterzogen): das unvermeidliche, körperliche Verblassen und die Verachtung der Protagonistin selbst gegenüber ihrem altenden Ich. Gerne verweist man als Begründung für diese Verachtung auf internalisierte Strukturen des Patriachats, doch ganz ehrlich: Würden wir in einem Matriarchat unser Altern goutieren? Der Selbsthass der alternden Protagonistin wird grandios in Szene gesetzt: Elisabeth gebiert Sue, eine Männerfantasie auf langen Beinen, die schon bald die Lust verliert, ihre alte Version, Elisabeth, wie notwendig zu versorgen. Sue verachtet die alte Elisabeth, genauso wie Elisabeth ihren alternden Körper verachtete. Das Gleichgewicht gerät aus den Fugen: Elisabeth ergeht sich in Fressorgien, der Bodyhorror eskaliert. Interessanterweise schafft es der Film, die Sympathien des Publikums ganz auf Seiten von Elisabeth zu belassen: ihr alternder Körper ruft Mitgefühl hervor, während die Großaufnahmen von Sues perfekten, schwitzenden Rundungen kalt und abstoßend wirken. Die Idee, dass Elisabeth ihre jüngere Version aus dem Rückenmark gebiert, ist genial: eine Perpetuierung toxischer Fokussierung auf Jugend und Optik, ein System, dass sich permanent reproduziert, indem sich die jüngere Version direkt wieder den herrschenden Strukturen unterwirft.
Ist dieser Film ein Beispiel für „female rage“? Eine unbändige, weibliche Wut, die das Patriachat zerstört will wie bei „Revenge“ oder „Kill Bill“? Die Wut der Frau in The Substance richtet sich vor allem gegen sich selbst. Dieser Film ist eine viszerale, ekelerregende Erfahrung und gerade deswegen sehr zu empfehlen. Die Protagonistin Elisabeth erfährt keinerlei Katharsis, es gibt keine Erlösung, stattdessen lässt Coralie Fargeat das Ganze in einem grotesken Finale eskalieren. Die monströs deformierte Elisabeth/Sue betritt die Bühne der Silvestershow, geradezu wohl scheint sie sich zu fühlen, kokettiert mit dem Publikum. Vielleicht eine letzte Metapher auf übertriebene Schönheits-OPs? Das entstellte, weibliche Objekt mit doppelt dicken Lippen und puffy face setzt neue Standards, Erfolgsformel der boulevardesken Attention Economy, zieht ins Dschungelcamp oder eine Reality Show? Als entstelltes Objekt lebt es sich im Scheinwerferlicht ganz ungeniert.
The Substance ist ein grandioser Body-Horrorfilm, der kein Erbarmen mit uns kennt. Das eigentliche Grauen ist unser Altern, das wir nicht akzeptieren wollen und mit allen Mitteln zu vermeiden suchen. Letztlich hat der Film eine klare Botschaft. Es ist eine warnende Geschichte und die Moral von der Geschichte mag in Zeiten von Schönheits-OPs und Longevity-Wahn bitter klingen, doch sie ist ganz einfach: Verachte niemals dein alterndes Ich – es wird dir nicht bekommen!
Der Film läuft auf Apple TV und Prime Video.
Anne Hashagen ist promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin und in ihrer Freizeit Autorin. Ihr jüngstes Buch ist die Influencer-Satire „Fucking Famous. Wie ich zu einer Million Followern kam und dabei unendlichen Spaß hatte.“ Die Filmrechte zum Roman wurden direkt nach Veröffentlichung vergeben. (Solibro-Verlag, ISBN 978-3-96079-112-6)