Auch das Redaktionsnetzwerk Deutschland reiht sich in die Karawane derjenigen ein, die X verlassen. Warum eigentlich?
Auch RND zieht sich von der Plattform X zurück. Das ist ja gerade in Mode. Solche Abschiede bekommen Beifall von Leuten, die meinen, Twitter hätte sich unter Leitung von Elon Musk in das blutrünstige Urzeitmonster X verwandelt, das sich von „Hass und Hetze™️“, „Russen-Bots“, irgendwas mit „rechts“ und „Desinformation“ ernährt. RND (Redaktionsnetzwerk Deutschland) hatte uns auf X „Exklusive News, interessante Hintergründe und fundierte Meinungen“ versprochen. Darauf müssen X-User also in Zukunft verzichten. Schade! Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels waren die Inhalte von RND aber noch abrufbar. Puh. Das war knapp.
Dann schauen wir doch beispielhaft nach, was auf dem RND-Kanal so alles los war und warum die Betreiber jetzt davon sprechen, die Plattform habe ihren „Charakter als Forum für sachliche, konstruktive Debatten aufgegeben“.
Beim schnellen Scrollen durch die Tweets des Dezembers fällt auf, dass die meisten Beiträge des RND es nicht schaffen, mehr als 10 Reaktionen zu bekommen. Sei es als Kommentar oder Zustimmung in Form eines Likes. Es wird also auch wenig diskutiert. Einen „Charakter als Forum für sachliche, konstruktive Debatten“ hatte der Kanal des RND jedenfalls sehr selten. Nicht auf Grund von „Hass und Hetze™️“, sondern wegen mangelnden Interesses. Dabei wurde rein quantitativ eine Menge getwittert beim RND. Um die zehn Tweets sind es pro Tag.
Auf meine Nachfrage, ob es vielleicht am mangenden Erfolg auf der Plattform liegen könne, dass RND sich zurückzieht, antwortete eine Sprecherin: „Seit der Übernahme von Elon Musk haben wir weniger Kapazitäten für den X-Account des RND aufgebracht, sodass entsprechend weniger gepostet wurde.“
Tod auf dem Zahnarztstuhl
Es gibt ein paar Ausreißer nach oben, was das Interesse der Nutzer angeht. Die schauen wir uns jetzt mal an.
„Tod auf dem Zahnarztstuhl. Warum starb Ute Z.?“ bekam nur zwei Likes. Immerhin elf Likes gab es für: „Dubai-Schokolade: Thomas Gottschalk versteht „den ganzen Hype nicht mit diesem Pistazienzeug“. Aber Robert Habeck zieht offenbar auf der Plattform X. Für „Robert Habeck will an TV-Duell mit Alice Weidel nicht teilnehmen“ gab es 744 Likes und 544 Kommentare. Vielleicht lag es auch am Namen Alice Weidel?
Machen wir uns unter diesem Eintrag auf die Suche nach unsachlichen und unkonstruktiven Kommentaren, die der Grund für die Entscheidung des RND sein könnten. „Weil er ein Lulu ist.“ Das schreibt Andreas Helmut Anton. Beate Berbuir meint: „Finde ich gut. So bleibt uns sein Gestotter erspart.“ „Weil er ein Feigling ist!“, schreibt Hopsgenommen. „Deutschlandhassende Memme!!“, kommentiert Dee Gee. Tut mir leid, aber unsachlichere Kommentare habe ich, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit, nicht gefunden. Alles andere könnte man rein inhaltlich auch in der Tagesschau bringen.
Habeck ist ein Quotenhit!
Versuchen wir es mit einem anderen Eintrag, der ausnahmsweise für Aufsehen gesorgt hat: „Innenministerium: Baerbock und Habeck Opfer gezielter Falschmeldungen.“ Huch! Schon wieder Habeck. Der Mann schient bei X nach Art des RND ein Quotenhit zu sein. Morlock Nr.2 schreibt darunter: „Wahrheitsministerium: Bürger Opfer gezielter Falschmeldungen. #GEZabschaffen“. Ist das schon Hass? Oder unsachlich? S.ChlumpfD6 weist Morlock jedenfalls in die Schranken und antwortet: „So nebenbei. GEZ gibts gar nicht. Und der Rundfunkbeitrag ist verfassungsgerichtlich abgesichert.“ Ja, so könnte RND natürlich auch auf X agieren. Einfach antworten. Sachlich.
Ok. Dritte Stichprobe. Unter „Der Ausbau der Stromnetze kostet 650 Milliarden Euro – oder noch mehr“ gibt es immerhin 27 Kommentare. Quader kommentiert: „Und unsere andere Infrastruktur verrottet inklusive Schulen und Krankenhäuser, weil eine kleine, grüne Minderheit meint, AKWs wären ja so tödlich.“ „HabeckKannEsNicht“, schreibt Quaser. Ansonsten geht es geradezu akribisch sachlich zu.
Vielleicht sind es auch andere Kanäle und X-Schlachtfelder, die der RND meint, wenn von Unsachlichkeit die Rede ist. Da gibt es viele unappetitliche Schauplätze. Zum Beispiel, wenn von Israel und Gaza die Rede ist. Aber wäre es für ein Medium nicht gerade dann wichtig, einen Raum für sachliche Debatten zu bieten? Für die Leute, die keine Lust auf Schlammschlachten haben?
„Wir können leider keine Belege vorlegen“
Auf meine Nachfrage, ob es konkrete Beispiele für den Eindruck gebe, dass eine sachliche Diskussion nicht mehr möglich sei, antwortete die RND-Sprecherin: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir im täglichen Community-Management keine Screenshots gemacht haben, die wir Ihnen nun als Belege vorlegen können.“
Ok. Vielleicht geht es den Leuten und Institutionen, die sich gerade mit großer Geste von X zurückziehen, um ganz etwas anderes. Sie hatten meistens auf X nicht viel zu gewinnen. Der ewige Widerspruch auf X kann schon auf die Nerven gehen. In Diskussionen mischt man sich so gut wie nie ein. Man nimmt also lieber den Schlussbeifall mit, als sich noch länger mit den Widrigkeiten eines streitbaren Netzwerkes herumzuschlagen. Außerdem gehört es ja in einigen Kreisen inzwischen zum guten Ton, sich möglichst fern von Elon Musk zu halten.
Vielleicht sollten alle noch mal „Twitter-Files“ googeln. Denn bevor Musk Twitter gekauft hat, haben Regierungen weltweit und jahrelang beeinflusst, welche Informationen wir dort zu sehen bekommen haben und welche nicht. Musk hatte sich immerhin vorgenommen, diese staatliche Beeinflussung zu stoppen. Doch in Deutschland interessiert sich bis heute kaum jemand für die „Twitter Files“. Ach ja. Und dann wäre da noch die Grundregel des Social Media. Jeder Nutzer ist selbst dafür verantwortlich, wem oder was er folgt. My Stream, my Verantwortung. Bis jetzt sind die plumpen Beeinflussungsversuche und Möchtegern-Propangandisten jedenfalls noch sehr gut identifizierbar.
Der Post, mit dem sich das Redaktionsnetzwerk Deutschland von X verabschiedet hat, gehört mit mehr als 1700 Kommentaren und 1000 Likes übrigens deutlich zu seinen populäreren Einträgen. Populismus siegt!
Frank Schmiechen ist Journalist und Musiker. Er startete als Reporter bei der Bergedorfer Zeitung, war später unter anderem Stellv. Chefredakteur der WELT und Chefredakteur des Online-Mediums Gründerszene. Seit einigen Jahren arbeitet er freiberuflich als Kommunikationsberater. In den 70er Jahren begann er seine Musiker-Karriere als Songschreiber, Bassist, Gitarrist und Pianist. Sein Herz schlägt auch für guten Wein und den HSV. Frank Schmiechen lebt in Berlin und hat vier Töchter.
Foto: KI / Canva
Vielen Dank für die Recherche und vor allem für die Einschätzung der Motive für die Rückzugswelle bei X. Der Hinweis auf die „Twitter-Files“ ist goldwert. Welches Exil werden all die Abgewanderten wählen? Schaut man sich das Nutzerwachstum bei X an, müssten die Exilanten eigentlich erkennen, dass sie mit dem Rückzug von der Plattform deutlich an Relevanz verlieren.
Gibt es da nicht diese Regel – „Lieber schlechte Werbung als gar keine Werbung?“
Bestes Beispiel aus jüngster Vergangenheit ist die Jaguar-Kampagne, mit der man nahezu das gesamte Klientel dazu gebracht hat, sich von der Marke abzuwenden UND sich viele, denen die Marke bis dahin egal war, nun bemüßigt fühlen, etwas dazu zu meinen. Jaguar gehört einem indischen Konzern, der es sich leisten kann, die Marke zu zerstören. Rache an der ehemaligen Kolonialmacht?
Vielen Dank für den aufgrund der lakonischen Nennung der Alias-Namen von Kommentatoren durchaus meinen Humor treffenden Bericht über den Abgang des RND von Twitter/X. Dass diese Konto-Kündigung nicht ohne ‚mutiges‘ (narzisstisches) Feiern der eigenen Gratis-Moralität erfolgte, ist ja dem Markenkern des letztlich überflüssigen Haltungsjournalismus geschuldet. Traurig. Lustiger hingegen wie gesagt die Alias-Namen der Kommentatoren „hopsgenommen“, „SchlumpfD6“ etc. Fehlt noch ‚schnuckelchen69’ oder so. Beste Grüße