Spessart-Winter. Nach Bad Orb und Aschaffenburg
In den Spessart geht es diesmal – wir haben es gar nicht weit. Von Süden kommend hinein in den großen Wald, ein Wald der Superlative sogar, ist er doch der größte zusammenhängende Laubmischwald Deutschlands. Seit der Kindheit kennen wir ihn. Unweit von hier, in Hanau, wurden die Brüder Grimm geboren, die Märchensammler – und wie sie haben wir in all den Jahren Erinnerungen gesammelt: Der Spessart, dieser Naturraum zwischen Odenwald, Rhön und Vogelsberg, ist für die Menschen des Rhein-Main-Gebietes bis in den Würzburger Raum immer der Ort kleiner Fluchten gewesen – ein Blättermeer, ein Naturpark mit lieblichen Tälern, Bächen und Flüssen. Saale, Main, Kinzig und Sinn. Wie geht er noch, der alte Reim? Kinzig, Sinn und Main schließen rings den Spessart ein: das Mainviereck.
Zwischen den Jahren steuern wir nun Bad Orb an, im hessischen, nördlichen Spessart. Im Winter in den Spessart, früher bedeutete das: Skifahren, sogar alpin, zumindest Langlauf. Loipen gibt es immer noch einige, etwa in Frammersbach, um die Bayerische Schanz bei Ruppertshütten und die Frankenlandloipe bei Waldzell.
Ein ausgedehntes und hochwertiges Wanderwegenetz lädt ein
In den ersten Tagen des Jahres 2025 empfängt uns der Hochspessart mit seinen nicht ganz 600 Metern Höhe mit Raureif und später auch Schnee. Ein ausgedehntes und hochwertiges Wanderwegenetz lädt ein – gepflegt und gehegt vom Spessartbund. Doch noch aus einem anderen Grund haben wir Bad Orb gewählt – man fährt der Wellness wegen, der Entspannung wegen hierher. Als Lektüre haben wie Hauffs „Wirtshaus im Spessart“ dabei, geschrieben vor fast 200 Jahren. Die Räubernovelle wurde 1958 verfilmt – ein bisschen Räuber-Grusel gehört hier dazu!
Bad Orb ist ein Städtchen mit etwa 10.000 Einwohnern im hessischen Main-Kinzig-Kreis. Es liegt behaglich zwischen den Spessart-Höhen. Wir blicken vom Molkenberg mit seinem Wartturm hinüber zum Wintersberg und hinab auf die Stadt. Und entdecken darin: viel Fachwerk. Im Mittelalter wurde der Ort durch die Salzgewinnung wohlhabend. Der „Eselsweg“ führte hier vorbei, die alte Handels- und Salzstraße. Das in Orb gewonnene Salz wurde auf dem Main verschifft. Später kam die Stadt zum Fürstentum Aschaffenburg, 1814 zum Königreich Bayern, dann zum Königreich Preußen. Heute ist sie also hessisch, wenngleich nah der bayerischen Grenze. Ein Heimatmuseum im Palas der ehemaligen Burg Bad Orb erzählt die Geschichte der Stadt. Leider ist es derzeit im Winterschlaf.
1837 wurde eine erste Solbadeanstalt gegründet.
Bis zu 2.000 Tonnen Salz wurden im 17. und 18. Jahrhundert in Orb gewonnen – und das Salz hat noch heute eine Bedeutung hier, nämlich in seiner medizinischen Nutzung. 1837 wurde eine erste Solbadeanstalt gegründet. Seit 1909 ist Bad Orb Heilbad. Zu dieser Zeit wurde auch der Kurpark angelegt – im Stil eines englischen Landschaftsgartens. Der Gartenbauarchitekt Heinrich Siesmayer, der auch den Palmengarten in Frankfurt erdachte, hat hier ein wunderbares Natur-Ensemble erschaffen, durchzogen von dem gefassten Orbbach. Zum Teil historische Kurbauten wie etwa das Kopfhaus des Gradierwerks, die Mid-Century-Lesehalle mit Café oder auch die unter Denkmalschutz stehende Konzerthalle von 1958 geben dem Ort ein besonderes Flair.
Das im Sommer betriebene Gradierwerk wurde 1806 erbaut und ist Teil der ehemaligen Saline. Es ist das größte noch bestehende Gradierwerk in Hessen und kann kostenfrei genutzt werden – das Einatmen der salzhaltigen Luft ist eine Wohltat für Atemwege und Lunge, hilft bei Asthma und Allergien. Im Winter übernimmt ein kleines Indoor-Gradierwerk im Rundbau der Alten Trink- und Wandelhalle diese Funktion.
Gleich nach unserer Ankunft geht es in die 2010 eröffnete Toskana-Therme.
Heute sind Kurbetrieb und die Gesundheit ein echter Standortfaktor in Bad Orb. Drei Heilquellen sprudeln hier, die Philippsquelle, die Ludwigsquelle und die Martinusquelle – und jüngst wurde noch eine vierte entdeckt und auf den Namen Leopoldsquelle getauft; das neue Quellenhaus wird gerade gebaut. Gleich nach unserer Ankunft geht es in die 2010 eröffnete Toskana-Therme. Der Bau ist architektonisch ein Leckerbissen: Nach Plänen des Fuldaer Architekten Andreas Ollertz als eine freitragende Holzkonstruktion errichtet, bietet die Therme sechs Wasserbecken, die zum Teil mit 32 Grad warmer Sole gespeist werden, eine große Saunalandschaft, 800 Quadratmeter Wasserfläche, Unterwassermassageliegen, einen Strömungskanal, Ayurveda-Behandlungen, Massagen, einen „Liquid-Sound-Tempel“, Unterwasserscheinwerfer und Lichteffekte – es ist gerade bei Dunkelheit schön, den Bau von außen zu betrachten und von innen zu erleben. Die Therme ist überschaubar groß und gerade das gefällt uns ausgesprochen gut.
Die Altstadt hat Substanz – aber es gibt leider auch Leerstand und marode Altbauten. Derzeit wird der Marktplatz neu gestaltet. Viele Projekte sind konzipiert und sollen die Stadt in den nächsten Jahren verändern. Es gibt viel zu tun in Bad Orb. Der Mann, dem man viel zutraut (überall redet man über ihn, im Kurpark oder auch in den Altstadtkneipen, der zünftigen Sudpfanne, der coolen Orbbar, im behaglichen Café am Marktplatz oder im schicken Kowalskis im Park) ist Henning Strauss, Chef des ganz in der Nähe angesiedelten, weltweit operierenden Arbeitsbekleidungs-Unternehmens Engelbert Strauss.
Die Stadt, sie will sich neu als Medizinstandort positionieren.
Inzwischen ist der Unternehmer Ehrenbürger der Stadt. Seine „Alea“-Projekte sind in aller Munde. Ein „Alea-Park“, eine Kneipp- und eine Minigolf-Anlage sowie das Lehrcafé „Botanica“ sind bereits entstanden. Das „Alea Resort“ am Rande des Kurparks bietet exklusive Hotelsuiten, Restaurant, Spa- und Gesundheitsangebote. Sportanlagen im oberen Kurpark wurden aufgewertet. Auch soll ein neuer Schul-Campus an der Parkstraße gebaut werden – und auch der Bau des medizinischen Badehauses „Balnova“ soll bald vollendet sein. Viele Millionen wurden investiert unter dem Motto: Medical Spa in Bad Orb. Die Stadt, sie will sich neu als Medizinstandort positionieren.
Unterdessen hat Strauss auch die Golfanlage im Jossgrund gekauft – die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war. Auch einen Kur- und Heilwald will der Kur-Visionär aus dem Spessart erschaffen. Bad Orbs Bürgermeister Tobias Weisbecker ist begeistert und spricht schon von einem regelrechten Bad-Orb-Boom. Und Steffen Kempa, Geschäftsführer der Bad Orb Kur GmbH sagte in einem Interview: „Bad Orb erlebt gerade seine Renaissance, ein kraftvolles Erwachen, das uns die einmalige Chance bietet, uns als Spitzenreiter unter den deutschen Heilbädern zu etablieren.“ Man darf also gespannt sein, wie sich das Kur-Städtchen in den nächsten Jahren entwickeln wird.
Und so geht ein Winterurlaub in Bad Orb: Entspannung in der Toskana-Therme wechselt hier mit ausgedehnten Winterwanderungen rund um das Städtchen in den Spessart hinein, der den Ort idyllisch rahmt. Der Wald, er beginnt direkt an den Ortsrändern. Der Gasthof Jagdhaus Haselruhe im idyllischen Haseltal ist ein wunderbar stiller Ort – leider geschlossen in den Wintermonaten.
Premium-Wanderweg „Spessartbogen“
Nach einer Wanderung auf dem Premium-Wanderweg „Spessartbogen“ oder den vier bis zwölf Kilometer langen „Spessartspuren“ hat man schon wieder Lust auf mehrere Saunagänge in der Therme. Doch vorher noch ein Ortsrundgang durch die Altstadt mit der zum Teil noch gut erhaltenen Stadtbefestigung: Fränkisches Fachwerk strahlt in der Dämmerung wohlige Gemütlichkeit aus, besonders in der stimmungsvollen Kirchgasse, wo das schmalste Fachwerkhaus Hessen steht, oder in der Hauptstraße mit seinen prächtigen, reich dekorierten Patrizierhäusern, die noch in die Gotik zurückreichen.
Zwischen Würzburg und Frankfurt etabliert sich das beschauliche Aschaffenburg am Main immer mehr als Stadt der Kunst.
Am nächsten Tag geht es dann in die Spessartmetropole Aschaffenburg, kaum mehr als eine halbe Stunde von Bad Orb mit dem Auto entfernt, schon auf bayerischer Gemarkung. Zwischen Würzburg und Frankfurt etabliert sich das beschauliche Aschaffenburg am Main immer mehr als Stadt der Kunst. Gleich mehrere Ausstellungshäuser laden hier fußläufig zu hochkarätigen Ausstellungen ein – in markanter Ausstellungsarchitektur von Barock und Klassizismus bis in die Gegenwart.
Verschiedene Ausstellungshäuser zeigen derzeit Sonderausstellungen, so wie die Kunsthalle Jesuitenkirche. Die Kunsthalle ist der Klassiker in Aschaffenburg: Die klassische Moderne hat hier ihren großen Auftritt, dazu Populäres aus der Gegenwartskunst – präsentiert in der Jesuitenkirche Heiligste Dreifaltigkeit aus dem 17. Jahrhundert. Seit 1990 dient die profanierte Kirche als Ausstellungshaus und ist seit 2006 Teil des Verbundes der Museen der Stadt Aschaffenburg.
Das Christian Schad Museum – direkter Nachbar der Jesuitenkirche – wurde erst 2022 eröffnet. Alle Schaffensperioden dieses Meisters der neuen Sachlichkeit, der viele Jahre in Aschaffenburg lebte und wirkte, werden hier gezeigt. Schads Werk kann in seiner Vielgestalt erlebt werden – im umgebauten, denkmalgeschützten Bauensemble des ehemaligen Jesuitenkollegs. Hier wird die Geschichte des Künstlers, aber auch die Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts erzählt. Schads Flucht im Ersten Weltkrieg in die Schweiz, die Entstehung von Dada in Zürich, die Entwicklung der ersten Schadographien, seine Zeit in Rom und Berlin, die Hinwendung zum Nationalsozialismus schließlich.
Noch bekannter ist Ernst Ludwig Kirchner, der am 6. Mai 1880 in Aschaffenburg zur Welt kam. Vor einigen Jahren wurde sein Geburtshaus, das klassizistische Kirchnerhaus in der Ludwigstraße, saniert. Seit 2014 ist es Museum. Die Werke hier decken alle Phasen seines Schaffens ab: die Zeit der Künstlergruppe Brücke in Dresden genauso wie die Berliner Jahre. Und noch mehr städtische Häuser der Kunst gibt es in Aschaffenburg: Derzeit sind es acht Museen, die sich unter der Dachmarke „Museen der Stadt Aschaffenburg“ präsentieren – in einer Stadt mit nur 70.000 Einwohnern!
Im KunstLANDing, dem Neuen Kunstverein Aschaffenburg, ist die avancierte Gegenwartskunst zu Hause. Kunststadt Aschaffenburg! Seit Kurzem ist Aschaffenburg übrigens auch Mitglied der Städtekooperation „Wege zu Cranach“. Der Cranach-Magdalenenaltar aus dem Jahr 1525 ist das eindrucksvollste Objekt im Stiftsmuseum. So ein Kulturtag ist anstrengend – und so freuen wir uns auf einen Abend in der Therme in Bad Orb. Wellness und Kultur liegen hier im Spessart ganz nah beisammen!
Marc Peschke
www.geschichtsverein-bad-orb.de
https://www.wege-zu-cranach.de/orte/index.html?detID=7