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10.000 km ostwärts – eine Reise durch das beginnende 1989 (28), auf der Rückreise

WARSCHAU – GÖRLITZ – BRESLAU, 20. und 21. März 1989

(Hier der Link zu allen Tagesberichten.)

Es ist diesmal kein Liegewagen in dem ich fahre, sondern ein normales 2.Klasse-Abteil der Deutschen Reichsbahn der Deutschen Demokratischen Republik.

Mit den Mitreisenden komme ich schnell ins Gespräch. Das junge Ehepaar, er Pole, sie DDR-Bürgerin fährt aus dem Urlaub in Polen wieder nach Thüringen auf die Arbeit. Sie haben ihre kleine Tochter dabei und deren polnische Großeltern.

Man kann sowieso nicht schlafen in dieser Enge. Auf daß wenigstens die Frauen sich hinlegen
können, stehen wir auf dem Gang und erzählen. Daß ich in der DDR geboren bin und lange nicht dort war, habe ich ihm schon erzählt, auch daß ungewiß ist, ob ich heute hinein darf. Aber vielleicht geht es ja. Immerhin ist es der kürzeste Transitweg. Deshalb, so berichte ich, wird Mutter in Leipzig auch auf mich am Bahnsteig warten.

14.000 polnische Gastarbeiter gibt es in der DDR. Der junge Mann neben mir hat jedenfalls den Bauch voller Aggressionen gegen diesen Landstrich: „Alles ist so kaputt, weißt Du und als ich zur
Betriebsparteileitung ging und mich darüber beschwerte, daß man immer noch kein Notdach für die Lagerung der Gerüstteile gebaut hat und als ich sagte, daß die Rohre alle verrosten und daß ich irgendwann nicht mehr riskieren will, auf solch ein Gerüst zu steigen, als ich das alles vorbrachte, weißt Du was die zu mir sagten ? >Wenn Du soviel Ahnung vom Arbeiten hast, Polacke dann geh doch wieder nach Warschau und bringe den Streikkomitees Deine Weisheiten bei!< Ach, alles Scheiße !“

Er drückt ärgerlich die Zigarette aus und meint: „Nichts hat Sinn. So mußt Du halt sitzen
und warten, bis alles zusammenfällt.“ – „Warum zieht Ihr nicht nach Polen ?“ frage ich. „Polen ist schon jetzt ein freies Land.“ –

„Ein bisschen zu frei.“ meint er. „Dort droht die Anarchie. Da Überleben nur starke Ellenbogen. Wenn ich Geld hätte, wäre es vielleicht möglich, eine Firma dort zu gründen und meiner Frau ein
gutes Leben zu schaffen, aber auch nur vielleicht, sicher wäre das nicht. Wahrscheinlich werden wir irgendwann in die Bundesrepublik gehen. Ich werde es mir erst einmal anschauen, mein Bruder lebt dort.“

Am Morgen, 4:00 Uhr sind wir in Görlitz. Für die Eintragung meines Transitvisums nimmt mir ein akkurat gekleideter DDR-Grenzoffizier meinen Paß und 5,- DM Visagebühren ab. Nach 5
Minuten ist er wieder da. „Herr Walther ?“ – „Das bin ich.“

„Würden Sie bitte all Ihr Gepäck nehmen und mitkommen ! Es gibt da noch etwas zu klären.“ – Es ist also erst einmal Schluß der Reise. Hatte ich wirklich erwartet, hier rein zu dürfen ? Schon
zweimal habe ich das versucht, auf einem Tagesausflug in Berlin und zur Leipziger Messe. Aber ein zentraler Computerspeicher, in dem die schwarzen Schafe nach Name, Vorname und Geburtsdatum geordnet aufgeführt sind, hat nun einmal keine Löcher.

Den Namen müßte man ändern, nur einen Buchstaben.
Ich gebe den Leuten im Abteil die Hand und wünsche ihnen eine gute Reise. „Na, na,“ sagt der akkurate DDR-Grenzoffizier. „Nicht so viele Umstände. Sie sind ja in einer halben Stunde wieder hier !“

Das glaube nun, wer will. Der junge Pole glaubt es jedenfalls nicht. „Hast Du ein tschechisches Visum ?“ fragt er mich. Ich nicke. „Also dann, grüße mir Prag.“

In der Baracke der Grenzstation stehen außer mir noch ein dutzend Polen auf dem Gang. Auch sie dürfen wohl nicht über die Neiße. „Wie viele sind es denn heute wieder ?“ fragt einer der Offiziere seinen Kollegen, „vierzehn, was die nur alle hier suchen !“ schimpft der Angesprochene.

„Würden Sie bitte mal den Gang freimachen, hier kann man ja kaum treten !“ so fährt er dann die hier stehenden Reisenden an. Aber wohin sollten sie gehen ? Schließlich sind sie auch nicht freiwillig hier.

Als Bundesbürger ist mir ein Platz in einem Seitenraum zugewiesen. „Herr Walther ?“ Der akkurate DDR-Offizier ist mit meinem Paß in der Hand aufgetaucht. „Ja bitte ?“ – „Ich habe Ihnen mitzuteilen, daß Ihre Einreise in die DDR nicht erwünscht ist. Ihrem Ersuchen um ein Transitvisum konnte deshalb nicht entsprochen werden. Würden Sie mir bitte folgen.“

Ach Gott, wie wichtig er ist “ Da fährt man um die halbe Welt, ist fast zu Hause und an diesem Zwergstaat baut sich ein Zaunkönig auf und erzählt von „Ersuchen“, dem „nicht entsprochen“ werden kann.

„Das freut mich aber sehr !“ sage ich zu dem akkuraten Grenzoffizier. Der mag wohl sonst die Frage nach Gründen hören, deshalb haspelt er jetzt herunter, was er sonst nach der ersten Entgegnung zu haspeln pflegt:

„Ich bin nicht kompetent, Ihnen hierüber Auskunft zu erteilen.“ – „Die wandelnde Inkompetenz, sozusagen,“ sage ich spitz.

Aber es macht keinen Spaß. „Hiermit erstatte ich Ihnen Ihre DM 5,- zurück,“ sagt der Offizier korrekt und ganz Herr seiner selbst. Nicht einmal provozieren kann man ihn. Mit seinem Dienst-Trabbi bringt er mich zurück nach Polen. Auf meine Frage, wo in Zgorzellec der Bahnhof sei, antwortet er: „Ihnen dies zu erklären gehört nicht zu meinen Dienstpflichten.“

Er hat ja Recht und wenn ich unhöflich bin, kann auch ich kein Entgegenkommen erwarten.

Bis zum Bahnhof ist es en gewaltiges Stück Weges. Ein freundlicher Mann erklärt mir, wie ich von hier aus an die böhmische Grenze komme. Mit dem Bus müsse ich zunächst nach Jelenia Gora, zu deutsch Hirschberg. Von dort ist es dann nur noch eiin Katzensprung. Der Bus fährt drüben, am Busbahnhof ab.

Also steige ich in einen Bus, an dem irgend etwas mit „ ..na Gora“ seht.
Wir sind ziemlich lange unterwegs, was mich schon hätte stutzig machen sollen. Auch die hohen Berge am Zielort fehlen.

„Bitte, wie komme ich von hier nach Böhmen ?“

Die Frau am Schalter des Busbahnhofes begreift nicht recht, was ich will. Dann sucht sie mir eine Verbindung nach Wroclaw, Breslau heraus. Moment einmal, wo bin ich hier ? Schreck laß nach ! Da bin ich gar nicht in Jelenia Gora gelandet, sondern in Zielona Gora, in Grünberg.

Das ist 120 km davon entfernt. Bis zum Bus nach Breslau habe ich noch zwei Stunden Zeit und so sehe ich mir die Stadt an.

Es gibt Lustiges zu sehen. Ein paar Unruhegeister in der Stadt veranstalten einen politischen Karneval. Andrzej (*) hatte mir schon in Warschau von solchen Dingen erzählt. Unter den Verkleideten treffe ich auf zwei Jungen mit der Maske von Stalin und Berija. Ein junger
Matrose mit der Mütze der Rotbannerflotte rennt ihnen voran. Er schwenkt eine Fahne mit den rot weißen Streifen Amerikas. Im blauen Feld, in dem eigentlich die Sterne der 50 Bundesstaaten zu vermuten wären, prangen Hammer und Sichel. Auf diese weisend schwingt Stalin große Reden und die Passanten lachen.

Moment, darf ich mal fotografieren ? Ich darf. Ein paar Ecken weiter treffe ich noch Mao und
Fidel Castro. Sie sind etwas müder und Fidel in Stiefeln und Uniform hat heute bestimmt schon zuviel geredet.

Der Bus nach Breslau fährt 150 km über Land, immer die Oder hinauf.

Ich klebe an der Scheibe und versuche alles aufzunehmen. Schlesien.

Breslau ist eine größere Industriestadt mit vielen Einkaufsstraßen und einem einst liebevoll restaurierten, heute wieder heruntergewirtschafteten Marktplatz. Lange stehe ich vor dem
Rathaus.

Auf der Post gelingt es mir endlich, eine Telefonverbindung in die DDR zu bekommen. Mutter weiß schon Bescheid, meine Mitreisenden haben ihr die Geschichte erzählt.

Der Zug nach Prag fährt kurz nach Mitternacht, die Fahrkarte kostet mich DM 2,10. Bis zur Abfahrt gelingt es mir noch, eine Karte im Bahnhofskino zu erstehen. Es gibt einen amerikanischen Rambo-Film mit polnischen Untertiteln.

„Sdrawstwujtje“ grüße ich den Schlafwagenschaffner im Zug von Moskau nach Prag. Er hat sogar noch ein Bett für mich.

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Über Bodo Walther

Bodo Walther, geboren 1960 in Weißenfels im heutigen Sachsen-Anhalt, studierte 1985 bis 1991 Rechtswissenschaften in Tübingen und Bonn. Er war aktiver Landes- und Kommunalbeamter in Sachsen-Anhalt, ist heute im Ruhestand und Anwalt in der Nähe von Leipzig.

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