Prag, 29. und 30. Januar 1989
An diesem Abend des 29. Januar 1989 bin ich auf Alexanders (*) Empfehlung hin im Prager Hotel „Flora“. Eine evangelische Initiative aus Holland hat die Unruhigen Prags zum Treffen eingeladen. Es ist eine legale Veranstaltung, auf der sich hier die Menschen treffen. Über die jüngsten Verhaftungen wird gesprochen und über den Frieden in der Welt. Daheim wollen die Gäste ihre Kirchen daran erinnern, dass es Frieden ohne Gerechtigkeit nicht geben kann.
Einschub 2024:
Dass die Gäste ihre Kirchen daran erinnern wollen, dass es Frieden ohne Gerechtigkeit nicht geben kann, ist ihnen soeben noch einmal eindringlich gesagt worden. Auf den Weg gibt ihnen das ein ganz Ruhiger unter den Unruhigen Prags.
Alexander hatte mir erzählt, dass er ein geweihter Priester sei, dem die verstaatlichte
Kirche eine Anstellung als Pfarrer verwehre. Ich sollte ihn aufsuchen, hatte er gesagt und auch, dass ich ihn heute abend im Hotel „Flora“ finde.
Nach der Veranstaltung spreche ich Vaclav Maly an. Ich sage ihm, wer mir die Empfehlung gab und stelle mich als Mitarbeiter von amnesty international vor. Den Namen des Koordinators der deutschen Osteuropa-Gruppen der deutschen Sektion, den ich ihm auf Rückfrage benenne, kennt er gut. Tilman Berger spricht mehrere slawische Sprachen und wird damit später Professor in Tübingen werden.
Weiter frage ich, wie ich ihn unterstützen könne. Vaclav Maly schreibt mir seine Adresse, nad pomnikem, auf einen Zettel und bestellt mich für den nächsten Morgen zu sich nach Hause.
„Wichtig“, so sagt er mir dort am nächsten Tag, „wichtig ist, dass Sie den Mund aufmachen für all die Verhafteten, deren Namen unbekannter sind. Für die Freiheit Vaclav Havels setzen sich schon genügend Leute ein.“
Ich habe den neuesten Schrei der Computertechnik des Jahres 1989 mitgebracht, eine Reiseschreibmaschine, die tatsächlich in der Lage ist, 3 DIN A 4-Seiten Text abzuspeichern. Ich schreibe, Vaclav Maly diktiert (Bild unten aus Wikipedia):
Namen, berufliche und persönliche Hintergründe, Tag der Verhaftung, wahrscheinlicher Strafvorwurf, die Norm des tschechoslowakischen Gesetzes.
Dann benennt er mir noch die Adresse eines der Aktivsten in der „Charta 77“ und ich mache mich auf den Weg in die Anglicka 8.
Der Mann, den mir von Vaclav Maly genannt wurde, heißt Petr Uhl und er ist mir nicht sympathisch. Die „Stimme Amerikas“ mit Sitz in München, der Radiosender des US-Amerikanischen Intelligent Service, so sagt Uhl, habe alle Daten aller Verhafteten. Was wolle ich noch ? Ivan Havel, Vaclav Havels Bruder, der ebenfalls in seiner Wohnung ist, ist schon freundlicher: „Maly ist unsere Informations-Zentrale.“ sagt er mir. „Es gibt nichts, was Maly nicht wüsste. Er hat es Ihnen anvertraut ? Mehr wissen wir nicht.“ Und zu seinen Freunden gewandt sagt er: „Amnesty International ist nicht die CIA.“
Dieser Tag beschert mir auch ein Geschenk von Zdenka, Vaclavs (*) Frau: eine Pelzmütze für die Reise durch Sibirien. Ich werde sie nötig brauchen. Mit ihr auf dem Kopf und dem ebenfalls neu gekauften Rucksack auf dem Rücken schleppe ich meine Tasche zum Bahnhof. Es geht weiter. Mit dem Nachtzug nach Budapest.