avatar

Liberale in der Schurkenrolle

Der FDP wird unterstellt, den Bruch der Ampel geplant zu haben, obwohl alle drei Parteien darauf hinarbeiteten. Gefundenes Fressen für die, denen die Freidemokraten schon immer verhasst sind. Ihnen droht nun das Aus. Doch der parteiförmige Liberalismus würde fehlen.

Der Liberalismus ist die älteste, die erfolgreichste und die gefährdetste politische Strömung. Eine Frucht der Aufklärung. Ohne den Freiheitsdrang der Bürger gäbe es keine Selbstbestimmung, keine Meinungs- und Pressefreiheit, kein Bildungs- und Wahlrecht für alle, keine freie Entfaltung für die Kräfte der Wissenschaft, der Kunst, der Marktwirtschaft, des Erfindungsreichtums. Und weniger Wohlstand. Die Errungenschaften des Rechtsstaats und den Schutz der Minderheitenrechte kann sich der Liberalismus ebenso auf die Fahne schreiben. Kein Wunder daher, dass Autokraten, Populisten und Diktatoren zuvörderst die liberale Moderne und ihre Werte bekämpfen.

Umso verwunderlicher eigentlich, dass ausgerechnet die Partei, die in der Bundesrepublik den Liberalismus ausdrücklich verkörpert und vertritt, wenn auch mit wechselnden Gewichten, vielen auf der Linken wie Rechten, aber auch manchen im bürgerlichen Lager schon immer suspekt war. Und ihr nun, nachdem der noch amtierende Kanzler seine eigene schon lange zerrrüttete Regierungskoalition durch den Rauswurf der FDP beendet hat, in Medienberichten angelastet wird, sie habe das alles selbst bis ins Detail vorbereitet. Warum hätte sie das tun sollen, da ihr ja nun wieder der Rauswurf aus dem Bundestag, womöglich das endgültige Aus droht?

Ein normaler Vorgang

Völlig daneben ist, wenn DIE ZEIT dazu auch noch von einem „Regierungssturz“ raunt“. Koalitionen werden auf Zeit geschlossen. Wenn ein Partner oder mehrere zu dem Schluss kommen, dass sie in diesem Bündnis ihre politischen Ziele nicht mehr verwirklichen können, gar ihre Werte verraten, ist es ihr demokratisches Recht, ja Pflicht gegenüber ihren Wählern und Mitgliedern, es zu beenden. Ein völlig normaler, in Deutschland allerdings seltener Vorgang. Olaf Scholz hat bereits im Sommer mit den Grünen darüber beraten, FDP-Chef Lindner als Finanzminister zu entlassen, damit die Koalition aufzukündigen und eine vorzeitige Neuwahl einzuleiten. Die nun gespielte Empörung der SPD ist daher nichts anderes als ebenfalls ein parteitaktisches Wahlkampfmanöver.

Ohnehin ist es nach dem von einer großen Mehrheit der Bürger herbeigesehnten Ende der ermatteten Regierung wie bei privaten Trennungen müßig, über die Schuldfrage zu räsonieren. Im Scheidungsrecht gilt schon lange das Zerrüttungsprinzip. In der Politik ist das nicht anders. Interesssanter ist der Frage nachzugehen, weshalb die FDP vielen seit jeher regelrecht verhasst ist. Denn das ist ja nicht nur so, seit Lindner als Vorsitzender amtiert. Das war auch schon in den 1960er Jahren so, als sich Union und SPD zur ersten Großen Koalition zusammentaten und starke Kräfte in beiden Parteien ein Mehrheitswahlrecht einführen wollten, um die liberale Konkurrenz auszuschalten. Das war erst recht so, nachdem Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff 1982 aus der sozialliberalen Koalition zu Kohls CDU schwenkten. Und es setzte sich unter ihren Nachfolgern Klaus Kinkel, Guido Westerwelle und anderen nahtlos fort.

Die FDP und ihre jeweiligen Anführer und Wähler galten und gelten als arrogant, egoistisch, unsozial, als reine Interessenvertreter der Besserverdiener und der Wirtschaft, abgehoben von den wahren Bedürfnissen des Volkes, als Ausdruck so ziemlich aller Übel, die sich Linke wie Rechte vorstellen können. Weshalb vielen den Freien Demokraten so ziemlich alles zutrauen, sogar sich nun selbst politisch zu enthaupten, wie sonst Linken nur der AfD und Rechten den Grünen, und sie auch jetzt wieder die Gelegenheit wittern, sich an ihnen abzuarbeiten. Das gilt genauso für nicht wenige Vertreter der Medien.

Verengter Liberalismus

Lindner und seine Vorgänger tragen daran einen gehörigen Anteil. Sie haben den Liberalismus schon lange arg verengt wie Lindner in seinem Wirtschaftspapier auf die Forderung nach Steuersenkungen, Deregulierung für Unternehmen und Betriebe, weniger Schulden, weniger Staat – in einer Zeit, wo sich die meisten Bürger einen starken, funktionierenden Staat und eine handlungsmächtige Regierung erhoffen gegen die zahlreichen Bedrohungen und Krisen.

Als Erklärung für die schwere Krise, in der die FDP nun selbst erneut steckt, greift das dennoch zu kurz. Denn nach der Wahl 2021 war ja eben diese Partei mit demselben Programm und Vorsitzenden für SPD und Grüne – natürlich auch mangels Alternativen – plötzlich Wunschpartner für eine „Fortschrittskoalition“, obwohl Lindner vier Jahre zuvor die Verhandlungen für ein Jamaika-Bündnis (genauso ein politisches Experiment) hatte platzen lassen. Und es war ja auch keineswegs nur ein inszenierter Honeymoon der Matadore von Grünen und FDP. Beide Parteien entdeckten eine Menge Gemeinsames, teils gegen die SPD: eine weitere Liberalisierung des Staatsbürgerschaftsrechts, das Selbstbestimmungsgesetz, Freigabe von Cannabis, den Versuch, beim Klimaschutz Marktkräfte mit staatlichen Vorgaben zu versöhnen. Und sie setzten sich nach dem russischen Überfall, anders als die SPD, von Anfang an nachdrücklich für die Unterstützung der Ukraine ein.

Doch diese Gemeinsamkeiten konnten auf Dauer die unterschiedlichen Ziele und Interessen und die ungebrochene Ablehnung der FDP bei erheblichen Teilen der SPD und der Grünen nicht überdecken. Im öffentlich ausgetragenen Streit um geeignete Maßnahmen gegen die anhaltende Rezession und die Strukturkrise der Wirtschaft traten diese Differenzen als unversöhnlich hervor.

Dahinter stecken allerdings tiefergreifende Ursachen:

1. Anders als CDU/CSU, SPD und zeitweise auch die Grünen hatte die FDP nie die Absicht, Volkspartei sein oder werden zu wollen (von eine kurzzeitigen Verirrung unter Möllemann und Westerwelle abgesehen), also die Interessen breiter Bevölkerungsschichten zu repräsentieren, wie es die AfD und abgeschwächt das BSW in völkischer Weise behaupten. In guten Zeiten war die FDP gerade deshalb Antreiberin und provokante Ergänzung für Union oder SPD. Aber es stößt sich mit der Sehnsucht vieler Deutscher nach Harmonie, Gleichheit und ihrer Verachtung von Eliten. Obwohl auch die Grünen ein wohlhabendes Öko-Bürgertum vertreten. Und die SPD im Wesentlichen nur noch die alte Industriearbeiterschaft und den öffentlichen Dienst repräsentiert.

2. Nach außen gibt sich die FDP schon lange ein modernes Outfit. Tatsächlich jedoch propagiert sie klassische bürgerliche Tugenden wie Fleiß, Leistungsbereitschaft, Aufstiegswillen, die selbst Konservatibe in der Union kaum noch zu äußern wagen. Weshalb sie gegen das Bürgergeld als Lohn für Nichtarbeit war und ist, es aber gleichwohl mittrug. Ein Widerspruch, der ihr schwer auf die Füße fiel. Auch deshalb, weil solche bürgerlichen Werte in der tonangebenden Klasse zwar nicht mehr viel gelten, sehr wohl aber in der arbeitenden Bevölkerung, gerade auch bei den Migranten, die ihre Chancen durch eigene Anstrengung verwirklichen.

3. Bei der Bundestagswahl 2021 wurde die FDP unter den Jungwählern zweistärkste Partei knapp hinter den Grünen. Was zeigt, dass liberale Werte keineswegs von gestern sind. Statt aber diese Chance zu ergreifen, konzentrierte sich die Parteiführung weiter auf ihre klassische Klientel von Mittelständlern und Selbstständigen. So hätte sie viel stärker herausstellen müssen, dass das Festhalten an der von Union und SPD ins Grundgesetz geschriebenen Schuldenbremse auch eine Frage der Generationengerechtigkeit ist, ähnlich wie beim Klimaschutz. Stattdessen ließ sie zu, dass sie selbst zu Bremsern abgestempelt wurde bei dringend notwenigen Investitionen in die Infrastruktur, Energiewende, Bildung, äußere und innere Sicherheit und der Ukrainehilfe.

4. Als Kassenwart zog Lindner, kulminierend im dramatischen Koalitionsbruch, alles Feuer auf sich. Statt als Parteichef zu gestalten, wurde er zum obersten Verhinderer – ob es zutrifft oder nicht. Wohl auch deshalb empfand er seine Entlassung durch Scholz (dem es als Finanzminister vordem kaum anders gegangen war) als „Befreiung“. Allerdings mit dem Risiko, bei der Neuwahl alles zu verspielen, auch seine eigene Zukunft.

5. Nicht zuletzt fehlt es der FDP an einem intellektuellen Unter- und Überbau. Man muss gar nicht an einen legendären Programmatiker wie Karl-Hermann Flach vor einem halben Jahrhundert zurückdenken. Aber ein bisschen mehr Futter, warum es sich heute und gerade heute noch lohnt, für liberale Ziele einzutreten als die kargen Stanzen von Lindner wünschte man sich schon. Das würde womöglich manche verkappten Liberale dazu verleiten, wenn auch mit Schmerzen am 23. Februar FDP zu wählen. Und ihr so das parlamentarische Überleben zu ermöglichen.

Eine andere FDP braucht das Land

Allerdings hat der Liberalismus insgesamt bei Intellektuellen (und solchen, die sich dafür halten), an den Unis, in der Wissenschaft, im Kulturbetrieb, den Medien, der Öffentlichkeit einen schweren Stand, obwohl oder gerade weil er so bedroht ist. Viele glauben oder meinen zu wissen, was für sie und andere das einzig Richtige ist zur wahlweise Rettung der Welt, des Klimas, des Friedens, der Diversität, was auch immer. Liberaler Widerspruchsgeist, die Besinnung auf das Eigene, die eigene Freiheit, haben es da schwer. Genau deshalb braucht es weiter eine FDP. Aber eine andere.

Ludwig Greven ist freier Journalist und Autor. Er war Politikchef der „Woche“, Seite-1-Chef und Reporter der „Financial Times Deutschland“, zuletzt Politik- und Textchef und politischer Autor bei zeit-online, und hat zwei Bücher geschrieben über Korruption und die „Skandal-Republik“. Er arbeitet auch als wissenschaftlicher Interviewer für ein sozialwissenschaftliches Institut und kommt so ständig in Kontakt mit Menschen der unterschiedlichsten Schichten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384

2 Gedanken zu “Liberale in der Schurkenrolle;”

  1. avatar

    Wenigstens hatte die Liberalen mit ihrem Generalsekretär einen Politiker mit Rückgrat.
    Nach dieser Schmierenkomödie – und dabei geht es nicht um die Wortwahl in dem veröffentlichten Dokument – ist das Spitzenpersonal der FDP komplett unglaubwürdig.
    Von der Ampel bleibt:
    Der grinsende Kanzler Scholz, als Biden in Bezug auf Nordstream tönte: „Wir werden es beenden.“
    „We are at war with Russia“ (A.Baerbock)
    „Sie werden verstehen, dass auch ich mich in einer Lage befinde.“ (C. Lindner)
    Fürwahr eine prächtige Bilanz. Was nun folgt, wird nicht besser.
    Und Frau Merkel wird ihre Rolle als Sündenbock in Politik und Medien wohl noch eine ganze Weile weiterspielen müssen …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top