Immer häufiger sieht man in den sozialen Netzwerken die Zahl „1“ an die Stelle der unbestimmten Artikel „ein“ bzw. „eine“ treten. Längst ist das „1“-Schreiben zum Trend geworden. Eine Sprachbetrachtung.
Mehr und mehr ersetzt die „1“, also die arabische Zahl im Netz die unbestimmten Artikel „ein“ bzw. „eine“. Aufrecht steht sie in vielen Sätzen, mitten unter lauter Buchstaben, so als gehöre sie ganz selbstverständlich dahin. Gibt man bei „Twitter“ nur sie, die „1“ als Suchbegriff ein, stößt man in der Trefferliste auf eine Fülle von Beispielen. An diesem Samstag etwa schreibt ein User, dass etwas „nur 1 Joke war“. Jemand anders stellt eine „Frage für 1 Freund“. Einem weiteren Twitterer wird „1 guter Morgen gewünscht“. Auch auf Facebook findet sich die „1“ immer häufiger in Threadeingängen und Kommentaren, ebenso in anderen sozialen Medien. Besonders beliebt ist der Ausspruch „Was ist das für 1 Life?“. Wie Martin Maciej auf „giga.de“ berichtet, begannt der Trend zu Beginn dieses Jahres und setzte im April zu seinem bis heute andauernden Höhenflug an. Wer das „1“-Schreiben erfunden hat, ist nicht ganz klar. Vielfach wird diese Leistung dem Rapper Money Boy zugeschrieben, der die „1“ konsequent als Teil seiner Kunstsprache benutzt und sich auch selbst als Erfinder des Ganzen sieht (http://www.jetzt.de/internet/die-1-in-der-netz-sprache). Seine Netz-Community hat die „1“ jedenfalls begeistert aufgegriffen und sie oftmals in lustige bzw. ironische Statements eingebaut.
Vom „1“-Leser zum „1“-Schreiber
Inzwischen jedoch ist der Radius der „1“ viel größer geworden, längst sieht man sie auch in Tweets und Kommentaren, die ernst gemeint sind. Dort wirkt ihre Verwendung, nun ja, sagen wir: leicht infantil, ein bisschen pseudocool. Sätzen wie „ich lese gerade 1 Buch“ wohnt nicht zwingend ein besonderer Esprit oder eine elegante Lässigkeit inne.
Vor allem, und das ist das Entscheidende, stört die „1“ den Lesefluss. Gemeinhin hört man beim Lesen nämlich die Aussprache eines Wortes gewissermaßen stumm mit. Und „1“ wird nun einmal „eins“ und nicht „ein“ oder „eine“ ausgesprochen. Zumindest bei ungeübten „1“-Lesern wirken Sätze von „1“-Schreibern daher leicht holprig. Für sie klingt „1 Buch lesen“ innerlich wie „eins Buch“ statt „ein Buch“ lesen. Zugegeben, dieses Stocken bei der Lektüre schwächt sich mit der Zeit ab. Je häufiger ein ursprünglich ungeübter „1“-Leser sie, die „1“ in einem Satz gesehen hat, umso mehr wird sein inneres Gehör diese automatisch in das grammatikalisch Richtige „ein“ bzw. „eine“ übersetzen.
Früher oder später entwickelt sich mancher „1“-Leser sogar selbst zum „Ich“-Schreiber, jedenfalls dann, wenn er denkt, das „1“-Schreiben sei irgendwie cool oder hip. Genau auf diese Weise verbreitet sich die„1“ im Satz immer weiter. Sprachpuristen hingegen wird die Welt des „1“-Schreibens auch in Zukunft fremd bleiben. Sie werden sie, die „1“, die ja so ganz plötzlich in ihrer aufrechten visuellen Stellung den Buchstabenfluss unterbricht, immer als etwas Ungehöriges, ja gar Aufdringliches empfinden. Denn stets steht sie fordernd mitten im Satz, die „1“, fast aufgebäumt, und verlangt vom Leser: „Lies mich gefälligst so, als stünde hier der grammatikalisch richtige Artikel“. Mit dem entspannten, dahinplätschernden Lesen ist es vorbei, wenn sie auftaucht, die „1“. Sie erfordert stets eine Transferleistung, auch wenn die damit einhergehende Anstrengung bei geübten „1“-Lesern wie gesagt ab einem gewissen Punkt leichter und fast automatisch von Statten geht.
Die Verteidigungslinien der „1“ Schreiber-Community
In der „1“-Schreiber-Community hat man sich hingegen längst auf Verteidigungslinien, also auf Begründungen dafür verständigt, warum sie so hilfreich ist, die „1“. Doch überzeugen diese? Oft und gerne wird die Kürze der „1“ betont. Natürlich, auf Twitter mit seiner 140-Zeichen-Begrenzung muss man oft Buchstaben sparen. Immerhin ist die „1“ um zwei bzw. drei Zeichen kürzer als „ein“ bzw. „eine“. Für Facebook fällt dieses Argument aber flach, denn dort kann jeder endlose Texte schreiben. Und selbst für Twitter ist dieses Vorbringen nur bedingt überzeugend. Der Lesefluss wird durch abgekürzte Fassungen von „ein“ bzw. „eine“ jedenfalls deutlich weniger gestört. Oder meint wirklich jemand, „ich besuche heute Abend 1 Oper“ klinge besser als „ich besuche heute Abend e. Oper“? Dieses Beispiel zeigt übrigens eine weitere Gefahr des „1“-Schreibens. Wer den Satz in der „1“-Variante jemand anderem vorliest, dabei die Transferleistung der grammatikalisch richtigen Übersetzung der Zahl aus Nachlässigkeit nicht ganz korrekt erbringt und dazu noch „Oper“ schlampig ausspricht, teilt seinem Gegenüber mit, dass der Schreibende heute Abend einen Opa besucht.
Gerne verweisen überzeugte „1“-Schreiber auch auf die angloamerikanische Vorliebe für das Schreiben in Zahlen. In der Musikbranche hat Prince insoweit Maßstäbe gesetzt: „I would die 4U“ sang er. Britney Spears intonierte einige Jahre später „I‘m a Slave 4 U“. Der Vergleich zu diesem Sprachspiel mit einer Zahl hinkt jedoch, weil sich bei der korrekten Aussprache der „4“ keine grammatikalische Unrichtigkeit ergibt. „Four“ klingt nun einmal wie „for“, während „er kauft 1 Zeitung“ sich anders anhört als „er kauft eine Zeitung“. Hierin zeigt sich übrigens auch, dass die „1“ selbst das Problem ist. Grammatikalisch stets korrekte Wort-/Zahlenspiele sind auch in der deutschen Sprache möglich. Man denke etwa an das beliebte „N8“ für „Nacht“. Mit der „1“ als Ersatz für unbestimmte Personalpronomina verhält es sich anders. Die „1“ ist in dieser Funktion stets falsch, weil es „eins“ als unbestimmten Artikel nicht gibt. Das lässt sich auch nicht dadurch beschönigen, dass die „1“- anders ist das bei „N8“ und „Nacht“- inhaltlich auf derselben Welle wie „ein“ oder „eine“ liegt, da alle eine singuläre Quantität beschreiben. Grammatikalisch falsch bleibt grammatikalisch falsch.
Die große Schar der „1“-Aficionados werden diese Bedenken indes wohl nicht schrecken. So wird sie gewiss noch eine ganze Zeitlang ein Star der sozialen Medien sein, die „1“. Mit Schaudern denkt der Skeptiker an die Zukunft, in der die „1“-Schreiber möglicherweise auch noch die Welt der Possessivpronomina entdecken. Dann wird überall „m1“ oder d1“ für „mein“, „meine“, dein“ oder „deine“ zu lesen sein. Immerhin gäbe es dann allerdings eine Konstellation, in der „m1“ oder „d1“ grammatikalisch fast richtig wären. Nämlich wenn „meins“ oder „deins“ gemeint ist. Also dann, wenn man auf die Frage „wem gehört das Buch?“ mit den Worten „es ist meines“ antwortet. Umgangssprachlich klingt das oft wie „es ist meins“. Oder eben: „es ist m1“.
Ich vermisse einen ganz anderen Aspekt im gesamten Text: Ich empfinde, obschon ich den Trend überhaupt nicht mag, keinerlei Probleme bei der grammatischen Beugung der Zahl beim Lesen – sie ist nunmal ein Zahlwort, und wäre da nicht die seltsam willkürliche Regel, dass man in Fließtexten alle Zahlen bis zwölf in Buchstaben statt in Ziffern zu schreiben hat, würde vermutlich niemand auch nur annähernd ein Problem mit der Beugung der Zahl beim Lesen haben.
Der Effekt, den die im hiesigen Aufsatz genannten Beispiele auf meine unmittelbare Interpretation der Sätze haben, ist vielmehr, dass es um die Quantität 1 geht. „Ich lese gerade 1 Buch, nicht etwa 2 Bücher.“ Oder: „Ich wünsche Euch einen einzigen guten Morgen. Genießt ihn, es gibt keinen zweiten.“ Und „heute Abend gehe ich in genau eine Oper. 2 Opern an 1 Abend wären auch etwas viel.“
Das ist meines Erachtens das Problem dieser Schreibweise. Nicht die Flexion.
@Thomas „w8sam“ – ach? Ham wer da nich wat verjesse?
at querdenkmal:
naja, das problem ist ja schon, dass die „1“ vielfach so benutzt schon auch die richtige anwendung grammatikalischer fälle noch weiter zurückdrängen kann. wer seltener grammatikalisch richtig benutzte „eine/ein/einen/einem/einer/eines“ zu lesen bekommt, kann die selbst auch weniger sicher anwenden. für gebildete akademiker wie wir vermutlich alle welche sind, mag das nicht so schlimm sein, sondern ein witziger effekt. für junge menschen, gerade jene, die sprache noch verfestigt lernen müssen, kann das schon auswirkungen haben. der akusativ verschwindet auch durch die zunehmende auslassung einzelner silben immer weiter, zb bei „hol dir dein fame!“, „gib mir mein mantel“. was bei „gib mir mein glas“ noch richtig ist, ist bei „gib mir mein teller eben falsch. „gib mir mein‘ teller“, „gib mir meinn teller“ oder „gib mir mei’n teller“ oder „gib mir meinen teller“ müssten konsequent angewandt werden und jungen menschen klargemacht werden, was bei der verbalen verkürzung eigentlich mit gemeint ist.
at Liane: gute hinweise in der phoenix-debatte über den rauhen umgangston.
Es ist schon traurig, wie mit unserer Sprache umgegangen wird.
Zu gerne hätte ich mich zu einem anderen Thema, nämlich dem Auftritt von Frau Bednarz am heutigen Tag im Deutschlandfunk. Nur ein email-Kontakt ist schwer zu finden.
Das Wort „Menschenwürde“ war das Zünglein an der Waage.
Die Würde des Menschen wird durch unsere sogenannten Volksvertreter täglich mit Füßen getreten. Sie wohnen im Herzen von München, da kennen Sie die Nöte der „einfachen“ Menschen natürlich nicht und schon gar nicht den Umgang der Behörden mit ihnen.
Sie hingegen vertreten z.B. eher einen Banker vor Gericht, der es eigentlich verdient hätte, verurteilt zu werden. Sie erwirken jedoch einen Freispruch. Das ist dann Menschenwürde. An diesem Beispiel ist ersichtlich, wie ungerecht es in diesem Land zugeht. Und dann prangern Sie eine Verrohung der Sprache an. Alles hat seine Ursachen. Damit sollten Sie sich besser auseinandersetzen!
Oh, mein … wer-auch-immer.
Diese Frau hat ja als AfD-Expertin, die schon im SPIEGEL mit ihren „Analysen“ ner…unterhält, auch noch zu allen anderen Unwichtigkeiten etwas zu sagen.
Traffic generieren, sage ich nur.
OB8 !
Sie sind nicht all1 mit Ihrer Absicht; bleiben wir w8sam!
Und in China fällt 1 Sack Reis um.
Falsche Kommasetzung, ist viel häufiger und, beim Lesen, tausendmal störender. Da, muss man im Ggs. zur ‚1‘, manche Sätze mehrmals lesen.
‚Four‘ klingt nicht wie ‚for‘, genausowenig wie ‚two’/’too‘ in der Aussprache mit ‚to‘ identisch sind.
Jedenfalls ist die einzige, wenn auch kleimkrämerische, Verteidigungslinie, das konsequent als „eins“ auszusprechen, vor allem wenn der Autor zugegen ist.
Das Cambridge dictionary gibt für „four“ wie für „for“ jeweils /fɔːr/ für die BE-Aussprache an.
Das kommt jetzt natürlich zu spät, aber: was?
1. Man kann four/for und two/too/to unterschiedlich aussprechen – was erst recht auf den indefiniten Artikel (ei)n und das Zahlwort eins zutrifft. Es reicht aber aus, dass man es gleich aussprechen kann.
2. Dass die Aussprache „eins“ sich durchsetzt, bezweifle ich auch sehr, aber sich sorgen bzw. diese Spannung wahrnehmen, schadet ja nicht.
Arno Schmidt verwendete in seiner Literatur übrigens bereits fast durchgehend die 1 derart. Effekt: die Kontrastierung einer rechnend-kaufmännisch wirkenden Schreibweise mit elaboriert vervolkstümelter Sprache.
Vielen Dank für den Hinweis. Sehr interessant.