Ich habe Bücher und Artikel von Necla Kelek gelesen. Ich habe sie persönlich getroffen. (Sie war mir auf Anhieb sympathisch. Über das Treffen werde ich demnächst in der „Welt“ berichten.)
Trotzdem weiß ich nicht genau, was sie will. Es ist ja bekannt, dass sie in ihrer Doktorarbeit dem Islam eine eher positive Rolle für die Persönlichkeitsentwicklung und damit Integrationsfähigkeit junger Zuwanderer zuschreibt, während sie in ihrem Buch „Die fremde Braut“ eher das Gegenteil behauptet. Diesen Widerspruch führt sie auf den Druck zur positiven Bewertung des Islam zurück, dem sie bei der Abfassung ihrer Doktorarbeit ausgesetzt war – was hieße, dass sie ihre eigene Überzeugung zurücksetzte und ihre eigenen wissenschaftlichen Ergebnisse fälschte, um den begehrten akademischen Titel zu erlangen. Besser als abschreiben vielleicht, aber doch bedenklich.
Meine eigene These ist, dass sie selber nicht genau weiß, was sie meint und will. Das ist ehrenwert. Der Platz zwischen den Stühlen ist nicht der schlechteste. Warum bekennt sich Necla Kelek aber nicht dazu? Warum baut sie eindeutige Feindbilder auf, obwohl sie selbst zwiespältig empfindet?
Hier ein Beispiel. In ihrem Buch „Die fremde Braut“ kritisiert Necla Kelek (S.254f.) Marieluise Beck, damals Migrationsbeauftragte der Rot-Grünen Bundesregierung, weil sie im November 2004 zusammen mit der Böll-Stiftung der Grünen eine Tagung zum Thema „Muslime in der säkularen Demokratie“ veranstaltet habe (Keleks Angaben habe ich nicht überprüft), bei der die Frage gestellt wurde: „Ist die Hinwendung zum Islamismus ein Reflex verweigerter Integration?“ Dazu Kelek: „Schon in einer solchen Formulierung wird der deutsche ‚Schuldkomplex’ deutlich. Von wem wird die Integration ‚verweigert’? Von der deutschen Mehrheitsgesellschaft natürlich – die Muslime hatten keine andere Wahl, als sich im ‚Reflex’ (!) – zu radikalisieren, oder wie ist diese Frage gemeint?“
Nun, zunächst ist eine Frage als Frage gemeint. Die kann man bejahen oder verneinen, und ich weiß nicht, zu welchem Ergebnis die Tagung kam. Hingegen weiß ich, was Necla Kelek einige Seiten später (S. 260f.) selbst schreibt: „Die deutsche Politik … versäumte es, eine aktive Integrationspolitik zu betreiben. … Die Türken … blieben Türken und wurden Moslems – das Fremdsein in der Fremde bewirkte bei ihnen die Flucht in die Regression“. Das Fremdsein „bewirkte“ die Islamisierung – die Muslime hatten keine andere Wahl als die „Flucht“(!) in die „Regression“, oder wie soll man diesen Aussagesatz verstehen? Mir scheint jedenfalls, Necla Kelek beantwortet die von ihr wenige Seiten vorher als völlig unzulässig verworfene Frage mit einem „Ja“.
Oder vielmehr mit einem „Ja, aber.“ Denn – die Stellen habe ich oben durch Auslassung unterschlagen – sie verteilt die Schuld annähernd gleichmäßig zwischen integrationsunwilliger deutscher Politik und integrationsunwilligen Zuwanderern.
Wirklich gleichmäßig? „Die Integration der Mehrheit der in Deutschland lebenden Türken ist gescheitert“, behauptet Kelek. Und: „Eine der Ursachen hierfür ist zweifellos die nach wie vor vorhandene strukturelle Benachteiligung von ‚Ausländern’ und eine durchaus verbreitete … fremdenfeindliche Haltung.“ Noch ein „Ja“ also. Und nebenbei eine Bestätigung des deutschen „Schuldkomplexes“. (Interessant übrigens, wie Kelek politische Probleme psychologisiert.) „Aber das ist nicht das Hauptproblem.“ Aha. Jetzt kommt also die Integrationsunwilligkeit der Türken als Hauptursache? Mitnichten. „Verantwortlich für das Scheitern ist eine“ – aufgepasst! – „verfehlte Integrationspolitik, die von der Lebenslüge getragen wurde, Deutschland sei kein Einwanderungsland.“
Absolut d’accord. Die Sache ist natürlich etwas komplizierter, aber darum geht es hier nicht. Es geht darum, dass Kelek auf S. 254 auf die üblichen Verdächtigen – „die Generation der 68er – Alternative, Grüne, Liberale (! A.P.), Soziale (? A.P.), Schwule (!! A.P.), Frauenbewegte“ – schimpft, die angeblich vergessen hätten, „wofür sie dereinst losmarschiert sind“, um auf S.261 die Kritik an der fehlenden Integrationspolitik, wie sie besonders von diesen Verdächtigen vorgetragen wird, zu wiederholen. Was also will Necla Kelek? Sie will, schreibt sie ebenfalls auf S. 261, eine aufgeklärte Gesellschaft, die sich ihren „Identitätskern“ bewusst macht und ihn „offensiv verteidigt“.
Was denn nun: Offensive oder Defensive?
Man sollte aus einem sprachlichen Lapsus vielleicht nicht zu viel machen. Aber Angriff und Verteidigung sind nun einmal zwei verschiedene Dinge. Ist der Islam in der Offensive, wie die Panikmacher behaupten, oder ist er in der Defensive, wie Hamed Abdel-Samad meines Erachtens überzeugend – trotz der erheblichen Schwächen seines Buchs – nachweist? Sind Demokratie und Menschenrechte auf dem Vormarsch, wie uns die Bilder gerade aus der arabischen Welt nahe legen, oder muss man die Lage des Westens mit der Parole „Hurra, wir kapitulieren!“ umschreiben? Das sind keine trivialen Fragen. Auch von deren klarer Beantwortung hängt die Frage ab, ob man nach 40 Jahren türkischer Immigration – einer lächerlich kurzen Zeit! – schreibt: „Die Integration ist gescheitert“, oder ob man sagt: „Es gibt viel zu tun. Packen wir’s an!“
Im Gegensatz zu ihren falschen Freunden und ihren voreiligen Kritikern glaube ich, dass Necla Kelek trotz ihrer zuweilen starken Worte sich noch nicht entschieden hat, wo sie steht.
Die Euros sollten doch erst einmal ihre eigenen „veralteten Strukturen“ aufraeumen anstatt sich ueber Moslems, Araber, und Chinesen zu ereifern! Wie sieht man von auserhalb Europa diesen altertuemlichen Klamauk, wie das atemberaubende Mega-Ereignis der anrollenden „Vermaehlung“ des holden Trohnfolgers der Sippe „Sachsen-Gotha-Hanover-Schleswig-‚Windsor‘ – mit dem ganzen Trachtenaufzug von Gewaendern verschiedener vergangener Jahrhunderte, mit peruecken-bedeckten und kronen-beschwerden Haeuptern ? Alles bezahlt von den Steuerzahlern deren Kinder heute in den Schulsaelen „zusammenruecken“ muessen und deren Gesundheitsfuersorge und Alterrenten beschnitten werden ? Oder in Deutschland wo der „Adel“ noch immer auf seinen riesigen Besitzen waltet – welche einst von den Vorfahren der heutigen Steuerzahler „beigesteuert“ werden musste? Meine Vorfahren stammen von „Frohndorf“ – und die Nachkommen der Adeligen leben heute noch von was aus meinen Vorfahren erpresst wurde: Das war genau so wie die bis 1865 in USA bestehende Sklaverei! Doch 2011 muessen die Steuerzahler in vielen Euro-Nationen immer noch fuer ihre „Royals“ beisteuern. Europa braucht auch eine gesellschaftliche Erneuerung! In London sitzen immer noch, 2011, einige Adelige im „Senat“ (House of Lords) welche nicht gewaehlt wurden – sondern ihren „Sitz“ geerbt haben. Das sind nicht „Traditionen“ sondern veraltete Strukturen einer teilweise senilen Kulture – mit paedophilen Priestern und Unterwerfung vor komische Gestalten wie den Alois Joseph von Regensburg als „Statthalter Gottes“…
Was möchte Frau Kelec?
Möchte sie,dass alle Moslems so sein sollen wie die Europäer?
Möchte sie mit der Kritik an ihre Landsleute
auffordern ,
ihre veralteten Strukturen und Kulturen wie Verwandtenheirat,Zwangsheirat,Blutschande,Ehrverletzung,Unterwerfung aufzugeben?
@ Don Camillo
„Daß sie dabei ihr eigenes Volk verrät scheint ihr Nebensache zu sein. Vorbild Narranzin?“
Nachtgedanken? Vielleicht liegts an Deutschland. Hierzulande weiss man ja nicht, was das ist, dem gegenüber man loyal sein könnte, das man ggf. auch verraten kann. Vorbild Sarrazin? Der hat ja alles mögliche verbrochen, aber sein Volk verraten? Ein falscher Messias, ja, ein Vaterlandsverräter, nein.
Der Heuchler scheint keine eigens ´deutsche Erfindung`zu sein.
..es sollte korrekterweise Narrazin heißen.
Was will Necla Kelek eigentlich?
…Geld verdienen, warum auch nicht? – volle Zustimmung, Martin! Daß sie dabei ihr eigenes Volk verrät scheint ihr Nebensache zu sein. Vorbild Narranzin?
In Lateinamerika interessiert sich kaum jemand ueber die „Integrationsqualen“ in Mitteleuropa. Aber die wenigen Geostrategen in Lateinamerika bemerken das ganze Integrationsproblem im NATO-Reich als eine positive Ablenkung der NATO-Aufmerksamkeit: Weniger Energie um sich in den Suedatlantik „auszudehnen“. Gestern hat sich IBAS in Delhi fuer eine von ihnen gefoerderte Universalloesung im Nahen Osten ausgesprochen: IBAS – „the new kid on the block in global affairs“: India – Brasil – South Africa, kurz: DER SUEDEN!
Im Zusammenhang mit Necla Kelek möchte ich daran erinnern, daß sie sich leider als Unterstützerin leider voll hinter die Thesen Sarrazins gestellt hat und auch an dessen eugenischen Gedankengängen keinerlei Anstoß nahm. Sie stand Sarrazin auch bei dessen Buchvorstellung von „Deutschland schafft sich ab“ zur Seite. Damit ist für mich ziemlich klar, wo sie steht.
Offensivverteidigung ist vielleicht nicht der beste Ausdruck, aber dank der Begriffsschmiede Fußball doch einigermaßen verständlich. Jeder weiß, was gemeint ist: den Gegner unbeirrt ins Auge fassen, aggressiv zusetzen, keinen Fehler durchgehen lassen, ihm auf den Füßen stehen, jede Chance ausnutzen, keine Großzügigkeit kennen, hinterherhecheln, nichts verschenken, unangenehm und bissig sein, denn es geht immer um alles. Das hat schon eine gewisse Ähnlichkeit mit Fußball. Es muss ja nur wer „Islam“ sagen, schon werden sofort – beiderseits übrigens – die Flaggen gehisst.
@ Martin: Kann sein.
@ Don Altobello: Sie können nicht erkennen, was fußball mit Integration zu tun hat? Nein, aber ernsthaft, auch im Fußball ist Offensivverteidigung sprachlicher Blödsinn. Nichts gegen „Pressing“ (im Französischen bedeutet das übrigens eine chemische Reinigung), aber man kann einfach „Druck machen“, und zwar in der Verteidigung wie im Sturm.
Stammtisch-Quotenmigrantin, sprich sie reduziert das Dasein eines Menschen auf seine Herkunft, weil sie sonst kein anderes medienwirksames Thema hat. Integration ist ein soziales kein ethnisches Problem. Wo kämen wir hin, wenn zum Beispiel Philipp Rösler die Attacken gegen ihn auf seine Herkunft zurückführen würde.
Sehr geehrter Herr Posener,
ich finde, Sie bewerten Necla Kelek zu wohlwollend. Ich selbst habe bei ihr Eindruck, dass sie ganz bewusst bestimmte Erwartungshaltungen der Mehrheitsgesellschaft bedient, um – auf dem Rücken ihrer ehemaligen Landsleute – als Vorzeigemigrantin dazustehen. Etwas drastischer formuliert könnte man auch sagen, dass sie sich eine Marktlücke gesucht hat, in der sie sich nun bestens eingerichtet hat.
Dass sie in ihrer Dissertation zu ganz anderen Ergebnissen gekommen war, bestätigt ziemlich eindrucksvoll, dass es ihr nicht um Fakten, sondern um Ressentiments geht. Ihr Leitmotto scheint dabei zu sein: Was will der typische deutsche Bild-Zeitungs-Leser hören?
Dass sie zwischen den Stühlen sitzt, kann ich ebenfalls nicht erkennen. Ich Wahrheit ist sie eine der einseitigsten und polemischsten Kritikerinnen des Islams. Insofern unterscheidet sich ihre Kritik nicht wesentlich von der ebenfalls äußerst plumpen und homophoben Kritik von Leuten wie Border, Ulfkotte oder Giordano.
In einem etwas anderen Licht sehe ich Leute wie Hamed Abdel-Samad oder auch Seyran Ates. Bei den beiden würde ich tatsächlich sagen, dass sie zumindest ansatzweise um eine ausgewogene Haltung bemüht sind. Von Necla Kelek kann man das aber in keinster Weise behaupten.
@Don Altobello: Ich stimme Ihnen in jeder Hinsicht, insb. was die nicht vorhandene Zeit angeht, zu. Deshalb nur einen Gedanken, der bei Ihnen auch schon aufscheint: Man sollte die Funktion der jeweiligen Texte beachten. Eine Dissertation ist ein wissenschaftlicher Text, der viel stärker deskriptiv, d.h. den Wahrheitsbedingungen unterworfen ist als ein politischer Text aus dem Feulleton. Der hat eine viel stärkere appellative Funktion; er will nicht korrekt beschreiben, sondern aktiv eingreifen; was in ihm zum Ausdruck kommt, muss gar nicht wahr sein, sondern soll dazu beitragen, dass etwas (meist ist das Gewünschte das Gegenteil) wahr wird.
Ich habe leider keine Zeit, auf die vielen, interessanten Fragen einzugehen (bin bei der Arbeit), möchte aber kurz etwas zur „offensiven Verteidigung“ los werden. Ich weiß nicht, wie fußballaffin Frau Kelek ist, aber der Begriff stammt aus dem Fußballtaktikbereich. Er besagt, dass eine Mannschaft beim Ballverlust in der gegnerischen Hälfte sofort wieder das Pressing aufnimmt, um schnellstmöglich wieder die Kontrolle über den Ball zurück zu gewinnen. Was das mit der Integration oder Nichtintegration zu tun hat, weiß ich aber beim besten Willen nicht.
@Alan Posener: Nicht schlecht, Ihr Beitrag, um nicht zu sagen wunderbar!
Sie scheinen nicht nur „uns übliche Verdächtige“ im entsprechenden Licht zu sehen. Auch die mir nicht so unplausibele Erkenntnis, daß es nicht immer das Schlechteste ist nicht genau zu wissen, was man will, teilen Sie mit mir.
Die bisherige Deutsche Integrationspolitik war unvollständig, bzw. gar nicht vorhanden oder außerordentlich schlampig. Gerade diese Schlampigkeit hat, im Gegensatz zu Frankreich z.B., auch den Migranten Freiräume geboten, die eine besondere Radikalisierung verhindert haben. Ich persönlich halte es für die besondere Stärke eines freiheitlichen Systems, wenn eben kein Druck aufgebaut wird.
Bei uns „können“ Moscheen gebaut werden. Natürlich gibt es auch da manchen Widerstand – aber eben keine Schweizer Verhältnisse.Genau diese Druckfreiheit hat vielen meiner muslimischen Bekannten die Möglichkeit geboten, dem Druck der eigenen Religiosität zu entfliehen und sich relativ unauffällig zu integrieren, ein Studium abzuschließen und ein Leben nach westlichem Vorbild zu probieren.
Wenn man sich die Bilder der letzten Wochen aus den Arabischen Ländern anschaut, muß einem Gutwilligen auffallen, daß sich hier mehr als eine Wandlung zur Demokratie vollzieht. Frauen in Burka, Kopftuch und Bermudas erheben laut ihre Stimme und nehmen sehr aktiv am politischen Umbildungprozess teil. Wenn man den kompetenten Burkaträgerinnen zuhörte, unter denen nicht wenige Professorinnen waren, vergaß man die Burka völlig. Vielleicht werden auch diese die Burka bald nicht mehr für nötig halten.
Ich bin für Ärmel hochkrempeln und zusammenarbeiten. Es lohnt sich bestimmt.