Von Alexander Görlach, Herausgeber und Chefredakteur „The European“:
Hätten Sie gedacht, dass wir noch einmal in der deutschen Öffentlichkeit darüber diskutieren, ob Juden ein bestimmtes Gen teilen? Ich nicht. Bis Thilo Sarrazin kam. Und einen Artikel aus dem Tagespiegel aufgriff, der sich wiederum auf zwei Studien berief, die in den beiden Zeitschriften Nature und American Journal of Human Genetics erschienen waren.
Wovon handeln die Studien? Bis zu ihrer Veröffentlichung ging man in der Forschung davon aus, dass die beiden Hauptströmungen der jüdischen Religion, die aschkenasischen und die sephardischen Juden, sich erst in der Zeit nach der Zerstörung Jerusalems (70 n. Chr.) herausgebildet haben. Die Juden in der sogenannten weltweiten Diaspora hätten sich mit den jeweiligen Bevölkerungsgruppen in den neuen Siedlungsgebieten vermischt. Daraus seien diese beiden Großgruppen entstanden. Die Studien, auf die sich der “Tagespiegel” und infolgedessen Herr Sarrazin beruft, kommen nun zu einem gegenläufigen Ergebnis.
Vergleiche mit sieben Gruppen von Juden, die nicht im Nahen Osten leben, mit Juden und Nicht-Juden, die in dieser Gegend leben, haben gezeigt, dass die genetische Ähnlichkeit höher ist, als bislang gedacht. Das widerlegt die These des jüdischen Historikers Schlomo Sand, dass die aschkenasischen und die sephardischen Juden keinen gemeinsamen Ursprung haben. Die heute noch feststellbare Höhe der gemeinsamen genetischen Merkmale lässt den Schluss zu, dass diese Gruppen im Laufe der Zeit stärker unter sich geblieben sind. Allen gemein ist die Ähnlichkeit bestimmter Gen-Cluster. Ähnlichkeit heißt aber nicht: genaue Übereinstimmung. Es gibt also nicht ein oder das Juden-Gen.
Die beiden Studien sagen nichts aus zum Thema Vererbung von Intelligenz. Und sie sagen nichts darüber, dass es etwas wie rassenspezifische Eigenschaften gäbe. Weder allgemein noch solche, die allein und exklusiv auf die Juden übertragbar wären. Die Grenze dessen, was mithilfe von Genen gesagt werden kann, würde dann auch deutlich überschritten, sollte jemand diese Aussage treffen: Menschen werden nicht nur von Genen bestimmt. Die natürliche Umwelt, das soziale Umfeld, Kultur und Religion. Juden verbindet nicht die Biologie, sondern die gemeinsame Religion und ein gemeinsames kulturelles Erbe.
Wo liegt der Fehlschluss in den Annahmen von Herrn Sarrazin? Neben dem Beispiel der Juden, so sagte er es in einer Talkrunde, habe er auch das Beispiel der Engländer, die auch gemeinsame Erbanlagen aufweisen. Daran ist wissenschaftlich nichts Fragwürdiges: Auch die Franzosen haben im Vergleich mit Nichteuropäern genetische Ähnlichkeiten. Sie haben denselben Siedlungsraum und pflanzen sich miteinander fort. Dennoch würde weder der Franzose selbst noch der Nichtfranzose in der Beobachtung des Franzosen alles Französische den Genen zuschreiben. Zusammenhänge weisen immer über den Ist-Zustand hinaus. Das gilt auch für die Türken und die Menschen, die in den Ländern leben, die wir zusammenfassend als arabische Welt bezeichnen. Sie sind es, auf die Herr Sarrazin mit seinem Vergleich eigentlich hinaus will.
So wie wir wissen, dass sich der Genpool eines Individuums aufgrund seiner Erfahrungen innerhalb eines Lebens schon verändern und er diese an seine Nachkommen weitergeben kann, so wissen wir auch, dass die geschichtlichen Prägungen, der Umgang mit Naturkatastrophen, technische Revolutionen den Menschen verändern. So wie die Franzosen etwas verbindet, so verbindet letztlich auch alle Menschen etwas. Denn auch alle Homines sapientes, die heute leben, stammen aus einem Siedlungsgebiet. Alle Menschen haben genetische Ähnlichkeiten.
Wir sind also auch Herr über unsere Gene. Herren über unseren Willen. Es gibt keine Vorherbestimmung zu einem Leben in resignierter Reproduktionsbereitschaft. Es gibt ein erfülltes Leben in einem Gemüsegeschäft mindestens genauso wie in einem Bankenturm. Gene sind nicht produktiv. Menschen sind es. Gene können sich nicht integrieren, Menschen schon.
So sind es auch die kulturellen Prägungen und sozialen Rahmenbedingungen, die Integration verhindern können. Wir wissen, dass es Zuwanderer aus muslimischen Familien schwerer haben, häufiger auffallen, straffällig werden. Wir wissen, dass es im Alltag viele Probleme im Zusammenleben gibt: bei Eheschließungen, bei Konversionen vom Islam zu einer anderen Religion, bei Kopftuch und Burka, beim Sportunterricht für die Mädchen und beim Moscheebau. Das mag an vielem liegen, ganz gewiss auch an den weit verbreiteten Vorurteilen, die es im Islam gegenüber Nichtmuslimen gibt. Es liegt aber nicht an den Genen. Toleranz kann nicht vererbt werden, Herr Sarrazin. Auch von uns Deutschen nicht. Schön wäre es, wenn es dafür ein Gen gäbe.
zuerst erschienen auf www.theeuropean.de
Besten Dank, Herr Görlach, dass Sie die unsäglich dämliche Aussage von Sarrazin so gekonnt wie ausführlich widerlegt haben! Gute Arbeit – war sicher nicht leicht …
Dennoch: Beschleicht Sie nicht mitunter auch das Empfinden, dem Vielgescholtenen zwar tüchtig eins ausgewischt und ihn der Ungenauigkeit überführt zu haben, aber trotzdem haarscharf an seiner Thematik vorbei geschrammt zu sein?
Stellen Sie sich vor, Sie hätten sich mit demselben Elan auf die akribische Beschreibung jener Bedingungen geworfen, die türkisch-arabische Integration so mühsam, ja in Teilen bis heute fast unmöglich macht und die Zustände dargelegt, die auf diesem Felde politischerseits nie angepackt wurden und indessen zum Himmel stinken.
Beispiel: Jedes Jahr verlassen ca. achtzigtausend junge Menschen die Schule ohne zertifizierten Abschluss. Wie hoch ist dabei der Ausländeranteil? Und weiter: Auf welche Gesamtzahl hat sich diese Gruppe der „Abschlusslosen“ bis heute addiert? Sind´s schon eine Million, oder sogar mehr?
Wie auch immmer, hier, exakt hier liegen die Problembrocken, die in unsere Debatte Priorität haben sollten und nicht die sicherlich auf ihre Weise und in anderen Zusammenhängen interessanten Fragen von Intelligenz und Genen.
Halten zu Gnaden, aber ich nehme es der schreibenden Zunft inzwischen doch ein wenig übel, dass sie sich bisweilen, unangenehmen Dingen ausweichend, zu sehr und zu umfassend mit Randständigem beschäftigt.
Ein Jude, Nicolas Berggruen, rettet das Markenzeichen KARSTADT, keine/r applaudiert.
Egal was Herr Sarrazin gesagt oder nicht gesagt hat.
Jeder Arbeitnehmer würde auch gefeuert, wenn er sowas gesagt hätte, weil es für den Arbeitgeber rufschädigend ist. Bezahlt wird er, um seine Arbeit bei der Bundesbank und für die Bundesbank zu entrichten. Punkt. Deshalb ist die (späte)Entscheidung der Bundesbank richtig.
Sarazins Thesen:
„Für einen großen Teil der Hartz-IV-Kinder ist der Misserfolg mit ihrer Geburt bereits besiegelt: Sie erben 1. gemäß den Mendelschen Gesetzen die intellektuelle Ausstattung ihrer Eltern und werden 2. durch deren Bildungsferne und generelle Grunddisposition benachteiligt.“
Wissenschaftler gehen laut Studien davon aus, dass Intelligenz zu zu 50% vererbt ist, zu 50% aber vom sozialen Umfeld bestimmt wird. Was wenn das Umfeld auch Schwachsinnig ist?
Diese Aussage ist meines Erachtens wahr…
Gewalt im Islam „Bei keiner anderen Religion ist der Übergang zu Gewalt, Diktatur und Terrorismus so fließend.“
Es sprengt sich kein Buddhist in die Luft…
Ich finde es schade aber auch da hat er Recht.
Die Art der Äußerung ist nicht Ok ich kenne Herr Sarazin nicht und glaube er spricht schon Themen an die Ruhig angesprochen werden sollte. Integration / Entwickelung der deutschen Gesellschaft in der Zukunft; Wenn Eva Herrmann über die Rolle der Mutter spricht hat das ja auch was mit Genen und Vererbung zu tun.
Ich möchte dazu hier gerne sagen dürfen, dass Sarrazins Gen-Tehesen die ganze öffentliche Aufregung nicht wert ist. Abgesehen davon, dass die Thesen haltlos sind. Offenkundig ist doch, dass Sarrazin die Thesen sowieso in einem ganz anderen Zusammenhang verstanden wissen wollte. Sarrazin hat sich von rechtslastigen Parteien und Initiativen ausdrücklich distanziert. In diesem Falle sollte gelten, mit Rücksicht darauf, dass Sarrazin bislang kein einziges mal dazu veranlasste, an seiner demokratischen Integrität zu zweifeln, sollte gelten, im Zweifel für den vermeintlichen Störer.
Also gut. Eine genetische Identität gibt es nicht. Hat es nie gegeben! Nur wozu die Aufregung? In gedenken an manche, die von Geburt an Deutsche sind, dürfte die Vorstellung doch auch eher erschreckend sein. Was, mein Nachbar und ich teilen uns ein und das selbe Gen? Shit! So aber beruht die These zum Glück nur auf Unhaltbarem. Für manch anderen, das darf hier nicht vergessen werden, wäre es hingegen bestimmt ein Trost gewesen. Nichts da. Dem einen Freud des anderen Leid. Verflucht aber noch einmal, wozu nur das ganze Theater, um diese eine Äußerung von Herrn Sarrazin? Was ist mit den anderen Menschen, die auch schon viel Unsinn erzählt haben? Zum Beispiel, dass Deutsche Soldaten am Irakkrieg hätten teilnehmen sollen? Was haben die in der Öffentlichkeit noch zu suchen? Vielleicht sollte man nicht so streng sein. Aber dann sollte es unterbleiben, einfach mit Steinen zu werfen, wenn man selbst (noch) im Glashaus sitzt. Nichts ist vergessen.
Lieber Herr Görlach, daß ausgerechnet Deutsche einmal über dieses Thema diskutieren werden – nach unserer historischen Erfahrung – das hätte auch mir keine böse Fee an der Wiege gesungen.
Wenn tatsächlich und allen Ernstes Diskussionsbedarf zu diesem Thema besteht, und dieses Thema noch mit wissenschaftlichen Studien belegt wird – noch unsäglicher – gäbe es nur eine Konsequenz. Nämlich, unsere Verfassung zu ändern, den Artikel 1. Dann erübrigt sich jegliche weitere Diskussion. Dann führen wir bitte noch den Laizismus ein, es gibt keine Kopftücher und Burkas mehr, allerdings auch keine Ordenstrachten an öffentlichen Schulen z.B., wie in Frankreich, und die Meinungsfreiheit schaffen wir gleich mit ab. Pardon, Zynismus steckt an, und mit meiner Kritik habe ich auch nicht explizit Sie gemeint.
Ich wundere mich ernsthaft, daß noch kein anderer Zyniker aus unserer Führungsleite auf diese Idee kam. Liegt vermutlich an den Genen!!!!