Frank Jöricke unternimmt in seinem neuen Buch eine Zeitreise in die ikonischen 70er- und 80er Jahre, die bis heute eine ungebrochene Faszination ausüben. Er berichtet über verschwundene Dinge, Gewohnheiten und Phänomene, fast immer humorvoll und amüsant, zeigt dabei aber zugleich durchaus ernst auf, was jeweils für ein grundlegender technischer wie gesellschaftlicher Wandel mit dem Verschwinden all dessen einhergegangen ist, was einst alltäglich war.
„Früher war mehr Lametta“. Dieses Zitat aus dem Loriot-Sketch „Weihnachten bei Hoppenstedts“ (1978), bei dem irgendwann das Spielzeug-Atomkraftwerk explodiert, weckt sofort Erinnerungen. Wie so viele andere ikonische Sprüche, Dinge, Gewohnheiten und Phänomene aus den 70er- und 80er-Jahren, also jenen Dekaden, die bis heute faszinieren. Einige dieser Sprüche, Dinge, Gewohnheiten und Phänomene haben sich längst zu so etwas wie Prousts Madeleine verselbständig und lösen wie diese binnen Sekunden einen alle Sinnesorgane umfassenden Erinnerungsflow aus. Jedenfalls bei denjenigen, die damals schon lebten. Diesem kann sich nun hingeben, wer das im März dieses Jahres erschienene Buch des im Jahre 1967 geborenen Werbetexters, Publizisten und Popkulturexperten Frank Jöricke liest, dass alle Interessierten unter dem Titel „Früher war alles anders – Von Dr. Sommer bis Sonntagsbraten – eine Reise zurück in eine wilde Zeit“ in eben jene Zeit wie mit einer Zeitreisemaschine zurückführt.
Auf 206 Seiten stellt Jöricke in 60 Kapiteln, die ursprünglich als eine Serie in der regionalen Tageszeitung „Trierischer Volksfreund“ erschienen sind, Klassiker des Lebens in den 70ern und 80ern vor. Das Lametta etwa kommt im Kapitel „Weihnachten“ vor. Und da in Deutschland gerade Weihnachtszeit und bald Silvester ist, eignet es sich gut als Einstieg in eine Rezension.
„Früher war mehr Lametta“ – Ein Spruch, aktueller denn je
Allerdings ist der Lametta-Spruch anders als zahlreiche andere im Buch vorgestellte Phänomene gut gealtert und heute sogar viel aktueller als damals. „Weihnachten bei den Hoppenstedts“ stammt wie erwähnt aus dem Jahr 1978. Damals aber gab es– das weiß die Verfasserin dieses Textes aus eigener kindlicher Erfahrung – Lametta in Hülle und Fülle. Heute ist das nicht mehr der Fall.
Die Rezensentin hat gestern die Probe aufs Exemple gemacht, da ihr die Idee kam, Jörickes Buch für das Titelbild auf Lametta zu drapieren. Doch der Versuch, in einem Einkaufszentrum mit wirklich sehr vielen Geschäften Lametta zu ergattern, erwies sich als vergeblich. Lediglich ein Laden führte Lametta, aber es sah nicht wie das elegante silbrige Lametta von früher im Taglierini-Stil aus. Sondern wie silberne breite Bandnudeln. Sehr enttäuschend. Andersorts hieß es: „Das haben wir nicht mehr im Angebot“. „Nicht mehr“. Immerhin erinnerte man sich also noch an die Zeiten, als man Lametta vorrätig hatte. Überall sonst aber wirkten die Verkäufer so, als frage jemand zum ersten Mal nach Lametta: „Das haben wir nicht“, erklang es kühl und zugleich überrascht, überhaupt danach gefragt zu werden.
Keine Frage: Lametta ist out. Und bei Frank Jöricke erfährt man auch, warum. Denn der „Hauch von Glamour“, den „die silberfarbenen Metallstreifen“ damals noch höchstwillkommen „in deutsche Wohnstuben“ brachten, enthielt, so der Autor in seinem famosen trocken-sarkastischen Tonfall weiter „leider auch mehr als einen Hauch von toxischem Schwermetall“. Und weiter: „Spätestens, wenn das in Lametta enthaltene Blei zusammen mit den Weihnachtsbäumen lichterloh auf der Müllkippe brannte, war es um die Ökobilanz geschehen.“ Offenbar hat man bis heute keine adäquate Ersatzherstellmethode gefunden. Wie schade. So zeigt das Beitragsbild dieser Rezension das Buch nun nicht auf Lametta, sondern auf vorweihnachtlichem Tannengrün.
A propos. Auch in Sachen Vorweihnachtszeit hat sich viel geändert, wie der Leser im Kapitel „Weihnachten- Als es keinen Weihnachtsmarkt gab“ erfährt. Ja, so war das damals. Kaum vorstellbar anno 2025. Selbst in kleinen Städten gibt es heutzutage Weihnachtsmärkte. „Bis in die 70er-Jahre hinein“ aber musste man, wie Jöricke zu Recht ausführt, schon „nach Köln, Frankfurt oder Nürnberg“ fahren, um sich „bei Nieselregen überzuckerten Weinmischgetränken hingeben zu können.“
Mit der Rückspultaste in ein anderes, gefühlt langsameres Leben
An diesem Beispiel wie auch an so vielen anderen – und das macht den Zauber des Buches aus – hält man inne. Mitten in der schnelllebigen Zeit, in der sich gefühlt immer schneller drehenden Welt mit all ihren ständigen, auch und gerade technischen Neuerungen, an die man sich – Stichwort Smartphones – so schnell gewöhnt hat. Jöricke aber drückt auf die Rückspultaste, und plötzlich wird einem bewusst, wie hart der Cut ist und wie sehr sich das Leben heute von dem in den 70ern und 80ern unterscheidet.
Es ist so, als sehe man sich alte Fotoalben an und wird sich plötzlich gewahr, wie anders man selbst und die Menschen auf den damaligen Bildern heute aussehen, sofern sie überhaupt noch leben. Beim täglichen Blick in den Spiegel nimmt man die schleichenden Veränderungen an sich selbst ja eher nicht wahr. Auf Vorher-Nachher-Fotos aber schon. Auf einer Meta-Ebene wird „Früher war alles anders“ so auch zu einem Buch, das einen an die eigene Vergänglichkeit erinnert. So lange ist die eigene Jugend schließlich zumindest gefühlt noch nicht her. Und doch: vieles, was damals an der Tagesordnung war, dürfte auf heutige Jugendliche nahezu bizarr wirken.
„Als das Auto zur Familie gehörte“ und liebevoll mit Benzin „gefüttert wurde“
Früher, also in den 70ern und 80ern hätte man über Verkäufer mit ihrer oben geschilderten verblüfften Reaktion auf die Frage nach dem Vorhandensein von Lametta gesagt: „Die schauten mich an wie ein Auto“. Sagt das heute noch jemand? Eher nicht. Versteht jemand noch, was damit gemeint war? Auch eher nicht. Das ist ebenfalls schade. Aber nicht weiter verblüffend. Denn auch dieser Ausspruch stammt aus jener Zeit, die Jöricke so genau beschreibt.
Damals, also in den 70ern und 80ern nämlich hatte der deutsche Bürger eine nahezu innige Beziehung zu seinem Auto. Und neigte dementsprechend dazu, es wie ein Lebewesen zu behandeln. Womit die Rezensentin zu ihrer Lieblingsstelle des Jörick’schen Zeitreisebuchs kommt. Enthalten im Kapitel „Garage, oberirdisch – Als das Auto zur Familie gehörte“. Dort steht er, der gleichsam joviale wie hinreißende Satz über die Liebe des 70er und 80er-Jahre-Deutschen zu seinem Auto. Dazu etwas später.
Bereits der Untertitel von „Garage, Oberirdisch“ erweicht das Herz: „Als das Auto zur Familie gehörte.“ Und dann folgt direkt ein erster Hammersatz im Textkörper: „Das Auto war mal unser Freund.“ Jedem Kind der 70er und 80er wird warm ums Herz. Denn genauso war es. Oftmals hatte es sogar einen Spitznamen in der Familie, das Auto. Und, wie Jöricke sodann weiterschreibt, war es in der Tat „unser Glücksbringer“, „der Kumpel, der für alles zu haben war“.
Überraschenderweise ist es ausgerechnet der neue Co-Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Felix Banaszak, der sich neuerdings ebenfalls ziemlich innig über das Auto und die Freiheit, die es mit sich brachte und bringt, äußert. Ja, Sie haben richtig gelesen, der neue Vorsitzende de Grünen! So geschehen auf der Bundesdelegiertenkonferenz – einfacher „Parteitag“ genannt – der Grünen am letzten November-Wochenende. In seiner dortigen Rede sprach Banaszak er freimütig freimütig darüber, was das Auto, dass er kurz nach dem Erwerb seines Führerscheins mit 18 kaufte, für ihn war: „Das war Leben, das war Freiheit.“ Um in der Talkshow von Marcus Lanz zu ergänzen, dass er und seine Frau einen 25 Jahre alten Verbrenner-Golf fahren und das so lange tun werden, bis dieser nicht mehr über den TÜV komme.
Man spürte sie regelrecht bei beiden Auftritten, die innige Verbindung zwischen Banaszak und diesem Auto. Sie wirkte so aufrecht, so echt, dass man sich leicht vorstellen kann, dass sie dem Vibe der 70er und 80er entspricht, als das Auto eben „zur Familie gehörte“. Womit die Verfasserin zu ihrer bereits angedeuteten Lieblingspassage nicht nur des Auto-Teils, sondern des ganzen Buchs von Frank Jöricke kommt: „Tanken war ein sinnliches Erlebnis. Der Geruch von Benzin vermittelte die Illusion, man füttere ein Lebewesen. Nicht zufällig warb Esso mit dem Slogan: „Pack den Tiger in den Tank“.“
Banaszaks Golf führt zu der Frage, inwieweit sich „Früher war alles anders“ von Florian Illies‘ im Jahr 2002 erschienenen Buch „Generation Golf“ und von dem 2013 von Jöricke publizierten und von der Rezensentin ebenfalls besprochenen „Jäger des verlorenen Zeitgeists“ unterscheidet. Darauf hat der Autor der Rezensentin gegenüber eine klare Antwort. Während die beiden Letztgenannten im Fließtext verfasst seien und Jöricke im „Jäger“-Werk auch Verbindungen in die Gegenwart schlug, sei das in „Früher war alles anders“ nicht so. „Alle Texte“, so Jöricke, „handeln von der Vergangenheit (Schwerpunkt 70er und 80er) und behandeln jeweils ein Phänomen. Rundumschläge habe ich versucht zu vermeiden. Vielmehr wollte ich im Großen das Kleine (Sonntagsbraten, Partykeller, Hartplatz, Schlips) aufzeigen. Ich hoffe, das ist mir gelungen. Durch diese Fokussierung auf „das Große im Kleinen“ werden die Leser besser abgeholt. Man kann sich im Detail einem Thema widmen und dessen oft skurrile Aspekte genüsslich betrachten.“
Das stimmt. Mit dem Genuss allerdings ist es an einer Stelle des Buchs dann doch so eine Sache: Denn im Kapitel „Ahnungslosigkeit – Als wir die Eiszeit fürchteten“ wird einem Kind der 70er bzw. 80er ein früherer Genuss nachhaltig verdorben. Man erfährt Schauriges: „Eine der beliebtesten Kindereis-Sorten der 70er- und 80er-Jahre, Dolomiti, war vollgepackt mit künstlichen Aromen und Sparten“. Am besten denkt man nicht weiter darüber nach, wie viel man davon früher verputzt hat.
Mampfen und Schwofen im Partykeller zu James Last
A propos Verputzen. Sehr amüsant liest sich auch alles um die Mampf- und Party-Gewohnheiten vor 40 bis 50 Jahren. Was etwa “im Kapitel „Die Partykeller -Als unten der Punk abging“ detailliert geschildert wird, hat mit Londoner Underground-Punk nichts zu tun, umso mehr aber, so Jöricke, mit „eine grotesken Mischung aus Gelsenkirchener Barock, kirchgemütlicher Jägerstube und 70er-Bad-Taste komplettierten Spielgeräte“. Dazu wurde „schüsselweise Kartoffel- und Nudelsalat aufgefahren, der in Mayonnaise ertrank“.
Und dazu, auch das schildert der Musikexperte Jöricke so treffend, gab es die passende Musik: „Natürlich hatte man nichts gegen moderne Rock- und Popmusik. Aber konnte es nicht etwas Gemäßigteres sein, vielleicht mit weniger elektrischen Gitarren, dafür mit mehr Geigen und Trompeten? Der Wunsch wurde erhört. Mit seinen Non Stop Dancing-Platten lieferte James Last über Jahre hinweg den Klangteppich für die Partykeller der Nation. Es war Gute-Laune-Musik zum Fußwippen, nicht zum Abrocken. Man war schließlich kein Teenager mehr. Das Orchester verpasste jedem Hit ein „Happy Sound“-Gewand. Selbst härtere Stücke wie „Honky Tonk Women“, „Ballroom Bitz“ und „Radar Love“ mutierten auf diese Weise zur Schwofmusik. Und die James-Last-Version von Je t‘aime … hätte sogar Radio Vatikan gespielt.“
Vielleicht war die Partykellerkultur einer der Gründe, warum sich ab Anfang der 80er unter Jugendlichen eine so lebhafte Post-Punk-Underground-Szene in Deutschland entwickelte. Bestehend aus Fantum für Rock-a-Billy, Psycho-Billy und vor allem New Wave. Sozusagen als Gegenreaktion auf den als spießig empfundenen elterlichen Partykeller, den Jöricke überdies so treffend als „Zeitgeistwitter“ charakterisiert, der die „schwülen Schlager und den biederen Rock’n Roll“ deutscher Provenienz, etwa von Peter Kraus und Ted Herold, der in der Jugend der Elterngeneration en vogue war, mit dem „Gewitter namens Beatles“, Mick Jagger und Tim Morrison zusammenbringen und so das „alte Leben mit der neuen Zeit“ versöhnen sollte.
Passend dazu geht es im „Schlager“-Kapitel darum, wie Peter Alexander mit einer Cover-Version von Tom Jones‘ reichlich schlüpfrigen „Help yourself „zum Tiger wurde“. Hieran zeigt sich, das einzige, zugleich aber unvermeidliche Manko dieses, aber auch aller anderen Zeitreise-Bücher: Ihr Charme entfaltet sich meistens vor allem und manchmal auch nur dann, wenn man etwas liest, das sofort den „Madeleine-Effekt“ auslöst. Dazu bedarf es aber eines gewissen Mindestalters. Passagen zu Peter Alexander-Auftritten und sonstigen Sängern, die Anfang der 70er ihren Zenit hatten, sind für eine 1974 geborene Leserin nicht wirklich „relatable“, während bei allem, was ab ca. 1978 in war, die kindliche Erinnerung sich sofort abspult. Für alle etwas früher aus dem Mutterbauch gekrochenen Menschen aber sind auch Kapitel wie das zum Schlager ein großer Gewinn.
Mangels Platz ist es der Rezensentin nicht möglich, auf alle Kapitel einzugehen, aber ein paar weitere seien hier zumindest namentlich erwähnt, weil sie den Geist und die zentralen alltäglichen Dinge der damaligen Zeit bereits ganz wunderbar im Titel tragen: So geht es in „Telefonieren – als heiße Telefonate 20 Pfennig kosteten“ um die gelbe Telefonzelle, in „Hartplatz – Als Fußball noch wehtat“ um die „tückischen“ Verletzungen beim Bolzen und in „Schule – Als im Sprachlabor noch experimentiert wurde“ um das, was lange vor „Duolingo“ in der „Theorie“ eine gute Idee war, damit „die Schüler nicht länger dem zweifelhaften deutsch gefärbten Akzent ihrer Lehrer ausgesetzt“ waren, „sondern der vorbildlichen Aussprache von Oxford-Engländern lauschen“ konnten. Doch „In der Praxis“, so Jöricke weiter, scheiterten die ehrenwerten Absichten der Reformer daran, dass die Technik regelmäßig „den Geist aufgab“, sei es durch nicht funktionierende „Kopfhörer“ oder durch „Wackelkontakte“.
Der technische und gesellschaftliche Wandel als ernste „Baseline“ des Buchs
Auch wenn in „Früher war alles anders“ selbstverständlich auch das „Testbild“ als einer der wichtigsten Retro-Klassiker schlechthin nicht fehlen darf und demgemäß im Kapitel „Sendeschluss und Sperrstunde – Als brave Bürger zeitig schlafengingen“ vorkommt, erschöpft sich das Buch keineswegs in nostalgischem Amüsement. Denn vielfach verdeutlicht Jöricke in den jeweiligen Kapiteln, wie sehr die verschwundenen Phänomene und Gegenstände den enormen technischen und damit oft zusammenhängenden gesellschaftlichen Wandel ins Licht rücken, der in den letzten 40 bis 50 Jahren stattgefunden hat.
So ging, wie Jöricke schreibt, mit der Abschaffung des Textbilds und des Einsetzens des 24/7-Sendens die Nacht als „Gegenentwurf zum Tag“ verloren. Desgleichen haben ihm zufolge „Streamingportale“, die „den gewünschten Stoff zu jeder Tages- und Nachtzeit liefern“, die Tages- und Wochenstruktur vieler Menschen erheblich verändert. So nachzulesen im Kapitel „Fernsehen – Als der Kasten regierte“: „Nie“, so Jöricke, „hätte man es gewagt, bei jemandem um acht Uhr abends anzurufen – dann lief die Tagesschau. Auch Sportschau, Derrick, Dallas, Magnum und die Lindenstraße waren feste Termine, zu denen man die Fangemeinde besser nicht störte. In einer Welt, die sich rasant veränderte, waren solche Rituale wichtig.“
Desgleichen heben die Seiten zum Thema „Ökos – Als um ein Haar die Welt untergegangen wäre“ hervor, wie anders die Lebensgewohnheiten im Hier und Jetzt sind. Ist heute ökologisch angebaute bzw. hergestellte Nahrung weit verbreitet und kaum noch vorstellbar, sie nicht in Supermärkten in einer ziemlich großen eigenen Sektion zu finden, waren die ersten Bioläden etwas, das viele verwirrte. In mehrfacher Hinsicht. Dazu Jöricke: „[Niemand] hatte uns damals, in den 80er Jahren, auf den Geruch vorbereitet, der uns in einem Bioladen erwartet“e. Um sodann zu beschreiben, wie ihnen, den damals Jugendlichen, von den Verkäuferinnen mit Skepsis begegnet wurde, offenbar deshalb, weil sie nicht „wie ‚Müslis‘ oder ‚Körnerfresser‘ aussahen. Undenkbar heute. Gerade urbane schick gekleidete Schichten achten ganz besonders auf gesundes, biologisch angebautes Essen, wie sich immer wieder auf Biomärkten zeigt und sind mit ihrer Kaufkraft dort höchstwillkommen.
Früher war manches dann doch besser – Über die Tragik des Dialektsterbens
Doch es gibt auch alte Errungenschaften, die anders als Bionahrung nicht zum neuen Normal geworden sind, sondern mehr und mehr verschwinden und einen Verlust mit sich bringen, über den man nicht eeinfach mit einem nostalgischen Lächeln hinwegsehen oder über den man sich wie bei den ebenfalls im Buch vorkommenden „Vokuhila-Frisuren“ sogar erleichtert freuen kann.
In dem wohl ernstesten Teil des Buches mit dem Titel „Heimat – Als man noch platt redetet“, beschäftigt sich Jöricke mit dem „Dialektsterben“ und fragt, auch den schönen Ausdruck „Mundart“ in einem anderen Satz verwendend, mit Recht: „Was bliebt von Heimat übrig, wenn Dialekte dahinschwinden?“ Und damit einhergehend die „heimische Feier- Ess- und Trinkkultur“? Das Thema ist, das sei ergänzt, übrigens so ernst, dass der 2023 gegründete „Niederdeutsch-Friesische PEN“ im September in die Gemeinschaft des „PEN International“ aufgenommen wurde.
Was das Heimatthema betrifft, ist es leider in der Tat so, wie im Buch beschrieben: „Auch auf diesem Gebiet ist eine Menge passiert. In den 80ern war es möglich, auf engstem Raum Globales und Lokales zu erleben. Global waren die Diskotheken, Bars und Restaurants, die die große weite Welt in den leeren Zipfel der Provinz brachten. Lokal waren die zahlreichen Kneipen und Wirtshäuser, die einen atmosphärisch in ein anderes Jahrzehnt, ja bisweilen sogar in ein anderes Jahrhundert zurückwarfen“. Um ein paar Absätze danach die ebenfalls berechtigte Frage aufzuwerfen: Ist Heimat am Ende nur noch ein Phantom? Ein Wort für Sonntagsreden, in denen ein Identitätsgefühl heraufbeschworen wird, dass es längst nicht mehr gibt?“
So zeigt sich, dass manches früher durchaus besser war. Aber vieles andere ist andererseits heute besser. Und so erweist sich der Titel des Buchs am Ende der 206 Seiten als wirklich klug gewählt: „Früher war alles anders“.
Frank Jöricke: Früher war alles anders: Von Dr. Sommer bis Sonntagsbraten – eine Reise zurück in eine wilde Zeit. Yes Publishing 2025.
Klingt interessant. Für mich als absolut 100 Prozent 70er-Jahre sozialisieren Mensch war dieses Jahrzehnt vor allem eines unglaublicher musikalischer Freiheit und Experimentierfreude. Nie wieder danach gab es so viel Interessantes zu entdecken (aber natürlich auch vollkommenen Blödsinn). Überhaupt fiele mir da so einiges ein. Ich glaube, ich werde mal was schreiben zum Thema „Meine 70er Jahre“. Und: Entgegen einem weit verbreiteten Spruch: Ich erinnere mich tatsächlich daran! Un ddas mit dem Auto- das fühle ich ganz mit Felix Banaszak. Obwohl ich den Felix jederzeit wählen würde. Schöner Widerspruch in sich, oder? Jetzt wird’s „vaknoddelt“ – wie wir Kurpfälzer sagen würden. Das kann man auf Hochdeutsch in etwa mit „es ist kompliziert“ übersetzen.
Eine wunderbare Idee von Ihnen, etwas über Ihre 70er Jahre zu schreiben! Das würde perfekt an diese Rezension anknüpfen!