Steffl macht seit den 70er Jahren Musik, meistens allein, hin und wieder kollaboriert er mit anderen Künstlern. Gemeinsam ist allen Projekten die Konsistenz eines Schaffens, das sich aus überbordendem Talent, aus der Lust auf Entdeckung und aus unbedingter Hingabe an originäres Musikmachen speist. Sein umfangreiches Werk bewegt sich dabei im Spannungsfeld zwischen Experiment, Nostalgie und Traum.
Mike Hans Steffl ist in der Elektronikmusikszene ein bekannter Name, weniger in Deutschland, dafür mehr in den USA, Belgien, Tschechien und Polen. Das mag daran liegen, dass nach dem Tod des Begründers der sogenannten „Berliner Schule,“ Klaus Schulze, das elektronische Musik in Deutschland tatsächlich nur noch eine weniger beachtete Nische ist. Zu Unrecht, wie Mike Hans Steffl beweist, der sich eben jener „Berliner Schule“ verpflichtet fühlt. Er schreibt Theatermusik und war bereits zweimal für den Musikpreis „Schallwelle“ nominiert und konnte diesen Preis auch schon in der Kategorie „Der eigene Weg“ gewinnen. Und, ja, Steffl geht konsequent seinen eigenen Weg und erweitert mit jedem neuen Projekt seinen musikalischen Horizont. Das Motto, das seine Kollaboration im Rahmen des Projekts „MiDaMi“ trägt, könnte für sein gesamtes Oeuvre gelten: „Listen and hear yourself.“
Stille Einfachheit
Anlass zu seinem neuesten Wurf, eine im November 2025 erschienene EP mit drei relativ kurzen Stücken, war, wie der Künstler selbst wissen lässt, die ‚Wiederentdeckung‘ des in seinem Studio lange Jahre ungespielten stehenden Klaviers. Steffl fusioniert das analoge Instrument mit elektronisch erzeugten Synthesizerflächen und vorsichtig eingesetzten Geräuschen. Dabei spielt er das Instrument nicht nur, sondern experimentiert auch mit den Klängen, die entstehen, geht man über die Klaviatur hinaus. Da scheint gezupft und mit Fingern an Saiten und Rahmen geklopft zu werden. Der ständig präsente Hall vergrößert den Spielraum wie in einer Kirche, bei der man die Türen in das Draußen absichtlich geöffnet hat.
Das Album stellt sich als Konzeptalbum dar, wie es bei Steffls Oeuvre so häufig der Fall ist. Der intendierte erkenntnistheoretische Ansatz – Zufall, Möglichkeit, Notwendigkeit – ist sinnfällig präsentiert, ohne aufdringlich tendenziös zu sein.
Questions…
… mutet fast wie eine Etüde an. „Kann ich es noch,“ scheint Steffl sich und das Instrument zu fragen und versucht behutsam den Umfang des Instruments auszuloten. Sprünge über mehrere Oktaven und vorsichtige Dissonanzen verbinden sich zu einer fragilen Konstruktion, deren scheinbare Zufälligkeiten bewusst gesetzt wurden. Gleichzeitig weht die Aura eines Reisenden, die „Questions“ eines (Wieder-)Entdeckers durch das Stück. So sinnfällig dies im Zusammenhang mit dem Titel des Stücks auch sein mag, weist es daneben aber auch darüber hinaus. Das Stück endet wie mit einem Cliffhänger, so wie jede Frage nicht nur eine Frage ist.
Possibilities…
…ist die konsequente Fortführung des Gedankens. Scheinbar ungeführt beginnt Steffl einen Tanz, in dem die Vorsicht des ersten Stückes mehr und mehr aufgelöst wird. Waren in „Questions“ die bestimmenden Komponenten des Stücks noch die elektronisch erzeugten Flächen und Klänge, in die sich das analoge Klavier einzufügen versuchte, ist es hier eben dieses Klavier, das jetzt die Reaktionen der Elektronik provoziert. Vor allem die nach Auflösung drängende Cordprogressionen, Triller und Terzsprünge zwingen die elektronische Folie in eine fast asketische Rolle. Das analoge Instrument übernimmt die Rolle des Meisters. Dabei ist es Steffl gelungen, brachiale Dominanz zu vermeiden. Vielmehr inspiriert das Klavier die Elektronik zu Fortsetzungen und Varianten, animiert sie zu Eigenständigkeiten, wie eine schwebende Flötenmelodie. Dabei drängt sich immer wieder ein unbestimmtes Cluster auf, das wie ein Atmen klingt, tatsächlich aber wohl eine simples Synthesizerdräuen ist, um am Ende des Stückes in sich zusammenzufallen. Der relativ abrupte Schluss des Stückes mutet fast wie ein Flucht in ein Weiter an und führt konsequent in das letzte Stück des Albums.
Connections…
...darf als Bruch und gleichzeitig als Richtungsverweis auf das Konzept verstanden werden. Die Überübersetzung, die Steffl hier unternimmt, lässt sich wohl am besten mit These, Synthese, Antithese beschreiben. Hier lässt man die Elektronik ziehen, um zu zeigen, was sie gelernt hat. Der Start wird durch eine einfache analoge Tonfolge markiert, in die sich ebenfalls durch das Klavier erzeugte Geräusche mischen: Kratzen und dissonantes Zupfen an den Seiten. Aus dem Hintergrund formtieren sich zunächst scheinbar unwillig einzelne Cluster, die durch ein unaufdringliches Synthesizerhämmern diszipliniert und somit miteinander verbunden werden. Steffl verzichtet auf Dynamiken und vertraut auf die Kraft seines Pianospiels, um die intendierte Bewegung voranzutreiben. Dass das Klavier nicht das Ende markiert, sondern das verwehende Hämmern im Zusammenspiel mit einer schwellenden Synthesizerfläche mag den Hörer etwas unzufrieden zurücklassen, sollte aber als offene Dramaturgie begriffen werden können.
https://mikehanssteffl.bandcamp.com
Daniel Anderson: Berufsausbildung zum Flugzeugmechaniker. Regiestudium an HFF „Konrad Wolf“ in Babelsberg. Berufsverbot als Filmregisseur in der DDR. Oberspielleiter, Autor und Schauspieler am Theater Senftenberg. Nach dem Mauerfall freier Regisseur, Autor (TV-Serie, Theater, Synchron), Schriftsteller und Musiker. Studium Vergleichende Religionswissenschaften in Bonn. Gründer und Leiter der „Theaterbrigade Berlin.“ Andersons Bücher sind im Spiegelbergverlag erschienen. https://spiegelberg-verlag.com/component/eshop/daniel-anderson Anderson lebt in Berlin und immer mal wieder in Tel Aviv.