Die Berichte in den Medien sind einhellig: Russische Jagflieger seien am 19. September 2025 ganze 12 Minuten lang in den estnischen Luftraum eingedrungen. „Warum wurden die nicht abgeschossen?“ fragt Donald Trump.
Das estnische Militär dokumentiert das corpus delicti (Bild oben).
Hingegen:
Russische Flugzeuge seien auf dem Weg von St. Petersburg nach Kaliningrad 3 km nördlich der Insel Vaindloo im internationalen Luftraum geflogen. So sagt der Kreml.
Was ist nationaler, was ist internationaler Luftraum?
Nationaler Luftraum ist nicht nur die Luft über dem Territorium, sondern auch die Luft über den nationalen Hoheitsgewässern, dem „Küstenmeer“. Zum Küstenmeer wiederum bestimmt Artikel 3 des von Estland und Russland ratifizierten Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen:
Wo aber liegt die Basislinie? Wer bestimmt diese?
Bestimmt die 26 km vom estnischen Festland enfernte, unbewohnte Felseninsel Vaindloo, 600m lang, an der breitesten Stelle 200 m breit, bebaut mit einem Leuchtturm und Übernachtungsmöglichkeiten für die Leuchtturmwärter (im Bild unten aus Google Maps)…
… bestimmt diese tatsächlich die Basislinie ?
Also rechtfertigt sie eine Ausdehnung der estnischen Hoheitsgewässer weit über die Insel hinaus?
Als Advocatus DIaboli würde ich fragen: Dient eine Leuchtturminsel nicht der Signalgebung für die Schifffahrt? In den (internationalen) Schifffahrtsgewässern? Signalisiert sie wirklich, dass fremde Schiffe einen Abstand von 22,2 km zum Leuchtturm haben sollen?
Ja, das müßte „man“ mal festlegen, wo nun diese Basislinie ist. Und tatsächlich hat Estland vor etwas über zehn Jahren die in den vergangenen Tagen vorgestellte Karte der russischen Regierung vorgelegt. Hat ausgiebig dazu verhandelt. Aber die russische Duma, das Parlament, hat das nicht ratifizieren wollen.
Zusammenfassend:
Es besteht gar keine Einigkeit zwischen Talinn und Moskau darüber, was der estnische Luftraum überhaupt ist.
Was könnte „man“ da machen?
„Man“ könnte dazu den Internationalen Seegerichtshof anrufen. Der sitzt allerdings in Hamburg. Und der deutsche Urteilsspruch ist längst verkündet: „Luftraum verletzt !“
Und sonst noch so?
Ach ja, ein russischer Jagdflieger sei im finnischen Meerbusen, also unweit der Grenze zu Rußland, über ein deutsches Kriegsschiff hinweggeflogen. In internationalen Gewässern und im internationalem Luftraum.
Dürfen die das überhaupt?
B.W.: ‚Was könnte „man“ da machen?‘
… vorn weg: 3 [sic!] russische ‚Jagdflieger‘ übern finnischen Meerbusen, parallel zu den Hoheitsgrenzen anderer Länder, sind keine Aggression.
Die UN-Charta verbietet grundsätzlich den Einsatz militärischer Gewalt in Abwesenheit eines bewaffneten Angriffs oder einer unmittelbaren Angriffsabsicht. Ausnahmen bilden das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 oder Entscheidungen des UN-Sicherheitsrates, die kollektive Maßnahmen genehmigen.
… im ‚Wertewesten‘ also nix Neues – zum Kriegsgeschrei der ‚BRD‘-Kamarilla erinnere ich, wieder ‚mal, an Erich Maria Remarque; ‚… ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind, besonders die, die nicht hingehen müssen.‚
Nun zur Eingangsfrage: ‚Was könnte „man“ da machen?‘ Gibt ’s da nicht den Art 26 GG?
Nein, „Hans“,
die Spannung liegt nicht (nur) darin, wie zu reagieren sei, wenn Russland den estnischen Luftraum verletzt. Die Spannung liegt in der Frage, wie weit ein Staat seine Hoheitsgewässer aufs Meer hinaus verschieben darf. Also ob das überhaupt „NATO-Luftraum“ ist. Und im Hintergrund geht es um die Frage: Ist die Ostsee ein NATO-Binnengewässer? Sollte die Ostsee das werden?
Übrigens verläuft dieser Streit unter umgekehrtem Vorzeichen seit 10 Jahren im Schwarzen Meer. Also der Streit darum, ob das Schwarze Meer ein russisches Binnengewässer sei.
M.f.G.
B.W.
… nicht einmal die estnische Regierung spricht von einer Angriffsabsicht Russlands. In einem Korridor, in dem die See- und Luftgrenzen teils umstritten sind, ist die Sachlage daher alles andere als eindeutig.
Die Kriegsrhetorik, u.a. Genosse Pistolero; Deutschland muss bis ’29 ‚kriegstüchtig‘ werden, belegen dagegen einen Klappspaten-IQ sozialistischer Kriegstreiber sei 1914.
Die Atommächte, insbesondere die USA und Russland, werden mit Sicherheit keinen Krieg gegeneinander führen. Stellvertreterkriege ausgenommen. Was ich nicht ausschließe, ist die Neutralisierung des übersteigerten Geltungsdranges der EU. Meine Güte.
Mir scheint, lieber Bodo Walther, dass die Frage, ob die Ostsee ein von der NATO beherrschtes Binnenmeer ist, längst Makulatur ist. Denn außer Russland gibt es ja inzwischen keinen Staat an der Ostsee mehr, der nicht Mitglied der NATO wäre. Die Voraussetzungen dafür hat Putins Regime paradoxerweise selbst geschaffen.
Im Schwarzen Meer liegt die Sache erheblich anders, denn der Großteil der Schwarzmeerküste ist weiterhin nicht russisch. Auch hat die NATO im Ostseeraum ja keine Kriege begonnen, um Territorium zu gewinnen – anders Russland. Dass dort die gleiche Frage unter umgekehrten Vorzeichen verhandelt würde, kann ich deshalb nicht unterschreiben.
Die Spannung liegt darin, ob Russland bereit ist, seinen faktischen Randstatus an der Ostsee anzuerkennen. Der Vorfall zeigt: wohl nicht. Wäre es zu solchen „Verletzungen“ in den letzten zehn Jahren fortwährend gekommen, könnte man sie als Teil eines Usus werten. Da dem offenbar nicht so ist und der Vorfall außerdem in den Kontext diverser eindeutiger Luftraumverletzungen gehört, darf man ihn als erneute Kraftprobe verstehen. Hinsichtlich der Legitimität der estnischen Luftgrenzauffassung könnte man außerdem fragen, ob Estland innerhalb der Ostsee-Anrainerstaaten einen Sonderweg beschreitet, wenn eine Maximalposition zu eigenen Gunsten angenommen wird?
Das kleine Estland wird seine Position gegenüber Russland ja nicht mit Gewalt durchzusetzen versuchen. Aber offensichtlich will Putins Regime gerne ganz genau wissen, wie fragil die NATO ist.
Sie bebildern ganz gut, „Matt Sand“,
was Spannungsursache ist: Die Auffassung, dass Rußland ein Randstaat im NATO-Binnenmeer namens Ostsee sei.
Rußland hat aber zwei sehr verschiedene Küsten in der Ostsee mit St. Petersburg und Kaliningrad. Und wird eine Blockade Kaliningrads, also eine Blockade des Seewegs dort hin nicht hinnehmen.
Diese kommt ja „noch obendrauf“ auf die Blockade des Landweges und Luftweges über Lettland und Litauen.
Die Bundesregierung würde es ja auch nicht hinnehmen, wenn Rußland den Transport bestimmter Waren von Brandenburg nach Niedersachsen verbieten würde.
Ich habe gar nicht gewusst, lieber Hans, dass es in Deutschland heute überhaupt Politiker gibt, die offen den Krieg mit Russland fordern – oder Russland mit Krieg drohen. Können Sie einen nennen?
Umgekehrt haben russische Regierungsstellen diverse Male Kriegsdrohungen in Richtung der NATO geäußert, was Deutschland einschließt.
Dass aus Sicht der NATO die estnische Position in der Seegrenzfrage legitim ist und nicht die russische, kann niemanden ernstlich überraschen.