Der fünfte Band der Familiensaga der Löws ist ein eindrucksvolles Zeugnis jüdischen Lebens im 20. Jahrhundert, vor allem aber der Roman eines Erzählgenies: Ruth Weiss. Siebeginnt mit den frühen Auswirkungen des Scheingesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 und zeiht uns tief hinein in die tödlichen Auswirkungen auf die weit verbreitete Familie Löw von 1933 bis in die frühe Nachkriegszeit der Überlebenden.
Mit dokumentarischer Präzision und literarischer Kraft einerseits erzählt hier die Autorin vom Überleben, Widerstand und Verlust der Löws im Nationalsozialismus. Die Figuren sind andererseits so vielschichtig und psychologisch tief, die Sprache so zurückhaltend und doch fest, wie es eben nur ein starker Roman, eine Meistererzählung oder ein Popsong schafft – Erinnerung, Verantwortung und Hoffnung für das Herz fit zu machen.
Ja, Ruth Weiss’· fünfter Band der Löw-Saga ist ein monumentales Werk über das Überleben, den Widerstand und die Zerstörung der jüdischen Familie Löw während des 20. Jahrhunderts. Es ist insgesamt ein vielstimmiges Epos, dessen Mitglieder in den Strudel der Geschichte geraten. Es ist ein Roman über Ereignisse, aber vor allem über Menschen. Ihre Stimmen, ihre Entscheidungen, ihre Verluste und ihr Weiterleben stehen im Zentrum.
Dabei ist Schwere Prüfung nicht nur ein Roman, sondern ein historisches Zeugnis, das mit literarischer Kraft und dokumentarischer Genauigkeit das Schicksal der Familie Löw in der Zeit des Nationalsozialismus nachzeichnet.
Ruth Weiss· Saga ist geprägt von thematischer Tiefe und historischer Präzision, umfasst der 5. Band doch nahezu alle Aspekte jüdischen Lebens im Dritten Reich und im Exil. Die Assimilation, der Antisemitismus, Flucht und Deportation, Widerstand und Kollaboration, Versteck und Verrat,
Fortbestehen und Verlust
Ruth Weiss gelingt es, die großen historischen Ereignisse, vom Gesetz zur Wiedereinführung des Berufsbeamtentums, über die Pogromnacht, den Warschauer Ghettoaufstand bis zum Attentat vom 20. Juli, mit den individuellen Schicksalen ihrer Figuren meisterhaft zu verknüpfen. Weiss bleibt stets präzise, ohne belehrend zu sein, und empathisch, ohne zu sentimental zu werden.
Die Figuren sind vielschichtig, haben emotionale Tiefe, sind glaubwürdig und zutiefst menschlich. Klara, Paul, Selma, Melanie, Gideon, Salome, Ludwig, Hanna · sie alle stehen exemplarisch für die Generationen, die durch den Holocaust geprägt wurden. Besonders beeindruckend ist die Entwicklung von Klara, die vom Familienmitglied zur Retterin wird, und von Gideon, der vom Tischler zum Partisanen wird.
Auch Nebenfiguren wie Anton von Kurtzner, Bobbie oder die Bäuerin Witvoet erhalten Tiefe und Bedeutung. Weiss’· Erzählstil ist klar, in unaufgeregter Sprache, die durch ihre Zurückhaltung gerade umso stärker wirkt. Die Erzählstruktur ist chronologisch, aber durch Rückblenden und Perspektivwechsel reich an Dynamik. Angesichts ihres Könnens verzichtet Weiss vollständig auf Pathos und lässt Fakten und Gefühle für sich sprechen.
Balance zwischen dokumentarischer Genauigkeit und literarischer Gestaltung
Hervorzuheben ist auch die Balance zwischen dokumentarischer Genauigkeit und literarischer Gestaltung · ein seltenes Kunststück. Denn diesem Roman mangelt es nicht an Grausamkeit und doch ist er ein Roman der Hoffnung.
Die Überlebenden · Melanie, Klara, Hanna, Gideon, Liesa · stehen für den Neuanfang, für die Möglichkeit, nach der Katastrophe weiterzuleben. Die abschließende Familienzusammenkunft in Israel ist ein symbolischer Akt der Heilung und des Gedenkens.
Ruth Weiss verdeutlicht, dass Erinnerung nicht nur Schmerz bedeutet, sondern auch Verantwortung für eine lebendige Zukunft ist. Es ist ein Roman, der gelesen, erinnert und weitergegeben werden muss als literarisches Denkmal, als historische Quelle und als menschliches Zeugnis.
Ruth Weiss hat mit diesem Werk nicht nur eine Familiengeschichte erzählt, sondern ein Stück Weltgeschichte als Meistererzählung bewahrt.
Eine Geschichte des 20. Jahrhunderts mit meisterhaft geschilderteten Personen
Die Geschichte der Löws ist die Geschichte des 20. Jahrhunderts, die durch ihre Gesichter, ihre Beziehungen und Schicksale, die abschließend in persona gezeigt werden sollen.
Da wäre Klara Löw · Die stille Heldin Klara ist die emotionale Mitte des Romans. Als Schwiegertochter von Paul und Selma Löw beginnt sie als Beobachterin, wird zur Retterin und schließlich zur Überlebenden. Ihre Beziehung zu Anton von Kurtzner, einem Diplomaten im Widerstand, ist von zarter Tiefe und tragischer Unmöglichkeit. Klara rettet das Mädchen Lettie aus einem Deportationszug, überlebt das Lager Westerbork und wandert nach Israel aus. Ihre Stärke ist leise, aber unerschütterlich.
Melanie Löw · Zwischen Liebe, Verlust und Existenz ist Melanie die Enkelin, zwischen den Welten lebt. Ihre Liebe zu Gottlieb Becker, einem Nichtjuden, ist ein zentrales Motiv. Sie heiraten heimlich, doch der Krieg trennt sie. Gottlieb fällt, Melanie überlebt · in Berlin, im Versteck, unter falschem Namen. Ihre Flucht, ihre Begegnung mit Bobbie auf dem Friedhof, ihr Weiterleben im Mausoleum · all das zeigt, wie Liebe und Erinnerung auch im Grauen bestehen können.
Paul und Selma Löw · Der letzte Akt der Würde. Paul, der Patriarch, und Selma, seine Frau, entscheiden sich für den Freitod, als die Deportation droht. Ihre Entscheidung ist ein stiller Protest, ein letzter Akt der Selbstbestimmung. Ruth Weiss schildert diesen Moment mit großer Würde und ohne Pathos. Es ist ein Abschied, der bleibt.
Gideon und Salome Levi · Der Widerstand. Gideon und Salome kämpfen im Warschauer Ghetto, fliehen in die Wälder, schließen sich den Partisanen an. Ihre Geschichte ist die Geschichte des jüdischen Widerstands. Salome stirbt an einer Grippe, Gideon überlebt und findet seinen Sohn Abraham wieder. Ihre Geschichte ist ein Zeugnis für Mut, Liebe und Opferbereitschaft.
Ludwig Löw · Das Trauma des Überlebens. Ludwig überlebt · aber wie? Nach dem Krieg versinkt er in Apathie, bis eine Therapeutin ihm hilft, über Veronica zu sprechen, die er auf der Flucht verloren hat. Er wandert nach Australien aus, heiratet Beatrix, findet langsam zurück ins Leben. Seine Geschichte zeigt, dass Überleben nicht das Ende ist · sondern der Anfang eines langen Weges.
Manfred Löw · Der verlorene Sohn. Manfred, Sohn von Adolf, wird deportiert, überlebt Auschwitz, wird auf ein brennendes Schiff getrieben. Sein Tod bleibt ungewiss, doch wahrscheinlich. Es wird sichtbar, wie selbst die ·Halbjuden· nicht verschont bleiben. Seine Mutter Elfriede erkennt zu spät, was sie verloren hat.
Hanna Löw · Die Pflegerin der Erinnerung Hanna arbeitet in Bergen-Belsen, hilft den Überlebenden, wird zur Chronistin der Gräuel. Ihre Begegnung mit Katja Walser, die sich ebenfalls dem Helfen verschrieben hat, ist ein Moment der Versöhnung. Hanna ist die Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Bobbie Maler · Der Schauspieler im Versteck Bobbie, ein Halbjude, versteckt sich auf einem Friedhof, lebt zwischen Grabsteinen und Gemüsebeeten. Seine Begegnung mit Melanie ist ein Moment der Menschlichkeit. Er überlebt · und wird Teil der neuen Gemeinschaft.
Die Zusammenkunft · Ein Schluss voller Hoffnung
Am Ende versammeln sich die Überlebenden in Israel. Sie gedenken ihrer Toten, feiern ihre Rettung, erzählen ihre Geschichten. Asaf Löw spricht das Kaddisch, legt Steine auf die Gräber der Vorfahren. Es ist ein Moment der Heilung, der Erinnerung, der Zukunft.
Ja, der fünfte Band, Schwere Prüfung, ist ein Roman der Gesichter. Jedes trägt eine Geschichte, jede Geschichte ein Echo. Ruth Weiss hat ein Werk geschaffen, das nicht nur erzählt, sondern durch die Kraft ihrer Erzählkunst bewahrt. Die Löws sind fiktiv, aber ihre Erfahrungen sind real. Ihr Überleben ist unser Erinnern.
Ruth Weiss, Die Löws. Eine jüdische Familiensaga in Deutschland. Band 5, Schwere Prüfung,
Verlag Edition AV, Taschenbuch, 222 Seiten, 16 Euro. ISBN-13 : 978-3868411713
Das Foto ((c) Günter Sprenger Kopf) zeigt den Autor Axel Reitel gemeinsam mit Ruth Weiss nach dem Interview.
Die Rezension ist zuerst hier erschienen: https://www.tabularasamagazin.de/axel-reitel-ruth-weiss-die-loews-eine-juedische-familiensaga-band-5-schwere-pruefung/
Axel Reitel ist Autor von rund 120 Veröffentlichungen einschließlich Radiofeatures (ARD-Hörfunk), Interviews, Essays, Kritiken, Kolumnen und Rubriken wie „Lyrik des 20. Jahrhunderts“ in Tageszeitungen, Zeitschriften, Anthologien, Film und Funk. Mitbegründer und Mit-Redakteur der Kulturzeitschrift „Ostragehege“. Autor von Sachbeiträgen, Features, Interviews, Prosa, Lyrik und Liedern in eigenständigen Titeln.
Mit dem 2002 erschienen Buch über den DDR-Jugendstrafvollzug, das Dirk Sager „sauber recherchiert“ fand, lag weltweit das erste Buch zu diesem Thema vor. Mit dem 2008 an der Freien Universität Berlin erschienen Arbeitspapier über die FDJ-Poetenseminare 1970-1979 lag erstmals die erste Dekade des Mammutprojektes vor.