avatar

Selbstmäßigung der AfD – Wird es wirklich dauerhaft dazu kommen?

Foto-Credit: IMAGO / Andreas Gora

Der AfD-Bundesvorstand hat beschlossen, dass die Partei sich rhetorisch wie inhaltlich mäßigen soll. Dass dieses Vorhaben dauerhaft funktionieren kann, ist aus mehreren Gründen sehr zweifelhaft.

Vielleicht gehört es zu den zentralen Erfahrungen im Leben, dass Menschen, die sich daneben benehmen, sich so gut wie nie ändern. Oder dass, wenn sie es doch tun, eine solche angekündigte Umkehr auf bloßer Taktik beruht, um besser dazustehen. Meistens jedenfalls dauert es nicht allzu lange, bis sich die große Ankündigung als Fassade herausstellt und anfängt zu bröckeln.

So könnte es perspektivisch auch der AfD ergehen, die sich nun sowohl habituell wie inhaltlich mäßigen will. Ausgerechnet sie, die im Bundestag über Jahre nicht selten durch bisweilen flegelhaftes Verhalten  – man denke nur an das zornige Fußaufstampfen der Co-Fraktions- und Parteivorsitzenden Alice Weidel anno 2021 – und durch Herumgrölen aufgefallen ist, hat sich nun einen Verhaltenskodex gegeben. Wie der „SPIEGEL“ berichtet, steht in einem neuen Papier des Bundesvorstands, dass man fortan „um ein geschlossenes und gemäßigtes Auftreten im Parlament bestrebt“ sei.
Flankierend dazu habe Tino Chrupalla, der ebenfalls Co-Vorsitzende der Fraktion und Partei, ausgeführt, „ein seriöseres Auftreten“ solle „auch den Anspruch der AfD unterstreichen, in eine Regierung einzutreten.“ Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, wenn der Kopf einer Partei, die die Konkurrenz so gerne verächtlich als „Altparteien“ beschimpft, damit selbst einräumt, dass die eigenen Leute bisher nicht seriös genug aufgetreten seien. Vielleicht sollte seine so oft zornige, zeternde und herrische Mit-Frontfrau Alice Weidel damit einmal anfangen. Gestern in der Haushaltsdebatte des Bundestags – dazu am Ende dieses Kommentars noch mehr – jedenfalls tat sie das nicht. Der Kommunikationsexperte Johannes Hillje schrieb treffend auf der Plattform „X“: „So schnell wie #Weidel mit ihrer heutigen Rede hat wohl noch niemand bewiesen, wie bedeutungslos ein sogenannter Verhaltenskodex („gemäßigtes Auftreten im Parlament“) in der AfD ist.“

Die AfD gibt den Begriff der „Remigration“ auf

Zum anderen, und das ist der gravierendere, da inhaltliche Punkt, wirkt es so, als sei der Bundesvorstand offenbar in großer Sorge vor einem Verbotsverfahren, hat er doch den Begriff der „Remigration“ und sogar den der „Leitkultur“, wie der „SPIEGEL“ ebenfalls berichtet, kurzfristig aus einem aktuellen Sieben-Punkte-Positionspapier gestrichen. Hintergrund dürfte sein, dass das Bundesverwaltungsgericht jüngst zwar das 2024 vom Bundesinnenministerium erteilte Verbot des radikalen rechten „Compact-Magazins“ aus Gründen der Verhältnismäßigkeit aufgeboben hat, zugleich aber in der zugehörigen Pressemitteilung Folgendes ausgeführt:

Mit der Menschenwürde sind weder ein rechtlich abgewerteter Status noch demütigende Ungleichbehandlungen vereinbar. Dies gilt insbesondere, wenn derartige Ungleichbehandlungen gegen die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen.

Das ist bei dem sog. „Remigrationskonzept“ der Fall, das ein Vordenker der Identitären Bewegung, Martin Sellner, entworfen hat. Diese Vorstellungen missachten – jedenfalls soweit sie zwischen deutschen Staatsangehörigen mit oder ohne Migrationshintergrund unterscheiden – das sowohl durch die Menschenwürde als auch das Demokratieprinzip geschützte egalitäre Verständnis der Staatsangehörigkeit. Denn sie gehen von einer zu bewahrenden „ethnokulturellen Identität“ aus und behandeln deshalb deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund als Staatsbürger zweiter Klasse. Diejenigen, „die sich nicht assimilieren können oder wollen“, sollen zumindest durch Druck – insbesondere durch eine „Politik der De-Islamisierung“ – zur „Remigration“ in ihre Herkunftsländer bewegt werden.“´

Zugleich hat das Gericht explizit darauf hingewiesen, dass „Compact“ sich mit diesem Konzept identifiziert habe. Kein Wunder, dass nun Panik in der AfD ausgebrochen ist. Denn bereits die Ausführungen in der Pressemitteilung – der Volltext des Urteils liegt noch nicht vor – zeigen klar, wohin die Reise gerichtlich geht und sind gewissermaßen eine Steilvorlage für einen Antrag auf ein AfD-Verbotsverfahren. Zwar hat die Partei selbst in offiziellen Verlautbarungen ein solches Konzept, das eben auch deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund umfasst, nie vertreten, einige ihrer Vertreter haben sich aber de facto in diese Richtung geäußert.

Das Verständnis der Reichweite der „Remigration“ spaltet inzwischen neurechte Zirkel

Bereits vor dem „Compact“-Urteil war um die Weite der angestrebten „Remigration“ innerhalb des neurechten Vorfelds der AfD rund um den Verleger Götz Kubitschek eine Debatte ausgebrochen, weil der umstrittene, mit einigen Skandalen behaftete und flamboyante Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah sich gegen sein eigenes neurechtes Lager gewendet und Abkehr von Sellners Konzept genommen hat. Zunächst in Äußerungen auf der Plattform „X“ und sodann gegenüber dem Medienhaus „CORRECTIV“. Diesem sagte er im April, Auslöser sei die 2024 veröffentlichte Recherche eben dieses Medienhauses rund um das Potsdamer Treffen gewesen, auf der Sellner sein „Remigrationskonzept“-Konzept vorgestellt hatte. Man war überrascht, denn zuvor hatte das einstige CDU-Mitglied Krah sich über Jahre immer weiter radikalisiert.

Wie die Verfasserin dieses Kommentars kürzlich in „Deutschlandfunk Kultur“ näher erläutern durfte (ab Minute 20.43), fand daraufhin in dem Youtube Podcast „Am Rande der Gesellschaft“, den der auf dem „Rittergut Schnellroda“ ansässige neurechte Verleger Götz Kubitschek betreibt, ein Streitgespräch zwischen Krah einer- und Kubitschek sowie seiner Frau Ellen Kositza andererseits um das jeweils präferierte Verständnis des „Remigrations“-Begriffs statt. Der ZEIT-Autor Robert Pausch bezeichnete diese Auseinandersetzung in einem Leitartikel als etwas, „das zum Interessantesten“ gehöre, „was politische Parteien und ihr intellektuelles Vorfeld zuletzt hervorgebracht haben.“ Vorgesehen war zudem, dass es eine zu filmende Debatte zwischen Krah und Sellner auf dem Sommerfest in Schnellroda am letzten Wochenende geben sollte. Aufgrund der Art und Weise, wie Krah zuvor durchaus persönlich geworden war und Sellner etwa als „Don Quichotte“ mit „Träumereien“ einem Debattenbeitrag auf „sezession.de“ verspottet hatte, blies Sellner das Ganze jedoch aus Sorge vor einer Selbstinszenierung Krahs in Schnellroda ab und bat diesem stattdessen eine Diskussion in einem „Space“ auf der Plattform „X“ an, die Krah aber nicht wollte. Der wiederum bezichtigte Sellner des „Kneifens“. Inzwischen ist alles so sehr eskaliert, dass Krah Sellner eine „Pussy“ nannte. Der wiederum erneuerte daraufhin sein Angebot eines „X“-Spaces.

Krahs Segregations-Ideal ist jedenfalls nicht wirklich gemäßigt

Nun könnte man vordergründig sagen, wie gut Krahs Abkehr von Sellners völkischem, auch deutsche Staatsbürger mit Migrationsgeschichte umfassenden Konzept doch sei und wie gut zudem, dass die AfD gleich den ganzen Begriff abräumt. Aber was Krah stattdessen vorschlägt, ist weit entfernt von dem, was man auch nur ansatzweise für gutheißen kann. Er stellt sich, wie die „WELT“ es nannte, eine Art „Binnen-Ethnopluralismus“ vor, in dem Deutsche ohne Migrationshintergrund und Deutsche mit bestimmtem Migrationshintergrund möglichst unter sich bleiben sollen, um dann doch irgendwie das deutsche Volk zu erhalten. Freiwillig, ohne staatlichen Druck und damit aus Sicht Krahs nicht verfassungsfeindlich. Mit einer offenen Gesellschaft aber hat eine solche Vorstellung einer anzustrebenden freiwilligen Segregation wenig zu tun und zeigt, dass auch eine angeblich gemäßigte AfD die CDU von rechts weit überholt. Mal schauen, was von der AfD in Sachen Migrationspolitik noch so alles an seltsamen Vorschlägen kommen wird. Zugespitzt könnte man insoweit auch sagen, dass man der bei der völkischen Neuen Rechten und ihren Ideen wenigstens weiß, woran man ist.

Wie nachhaltig kann die Selbstmäßigung der AfD realistischerweise überhaupt ausfallen?

Es gibt bereits jetzt diverse Gründe, die sich aufdrängen, um an einer dauerhaften, insgesamten Mäßigung zu zweifeln. So schreibt etwa Florian Eichel in einem klugen Beitrag auf „ZEIT Online“:

Eine rhetorische Abrüstung käme nicht ohne Risiken für eine Partei, deren Lieblingsgeste seit jeher die Provokation ist. (…) Sie verstand und versteht sich als Sprachrohr eines aufgebrachten Mittelstands, der vermeintlich bürgerliche Interessen vertritt, vor Wut aber seine bürgerlichen Umgangsformen vergisst. Die permanente Kernschmelze ihres Nervenzentrums ist nicht unbedingt Anzeichen von Unprofessionalität, sie gehört vielmehr zum Markenkern. Diesen Politstil plötzlich herunterzukühlen, könnte einen Teil der AfD-Wähler enttäuschen; eine Gefahr, die man auch innerhalb der Partei teilweise sieht.“

Womit Eichel auf den medialen Erfolg der schrillen TikTok-Videos der Partei – gerade Krah ist insoweit besonders aktiv – sowie auf den Bundestagsabgeordneten Stephan Brandner hinweist, der sich bereits ablehnend zur neuen Mäßigung äußerte, weil die meisten der AfD-Anhänger eine solche gar nicht wollten.

Und damit geht es letztlich um Psychologie und an den Anfang dieses Kommentars zurück. Die AfD hat sich seit ihrer Entstehung fortlaufend radikalisiert und könnte, wenn sie sich nun mäßigt, auf viele ihrer Anhänger langweilig wirken. Je mehr sie das tut und je mehr Leute wie Brandner die Mäßigung ablehnen, oder sich wie der Thüringer Landesvorsitze der Partei, Björn Höcke auf „X“ hinter Sellner stellen, ist alles andere als ausgeschlossen, dass es irgendwann zu einer Abspaltung des völkischen Flügels kommt, der in den ostdeutschen Landesverbänden den Ton angibt, aber auch in den westlichen Landesteilen Anhänger hat.

Auf „X“ sind bereits enttäuschte Äußerungen von bisherigen völkischen AfD-Anhängern zu lesen, die in die Richtung gehen, mit einer solchen Partei könne man nichts mehr anfangen. Zugleich wird sie aber unter gemäßigteren Wählern im Westen mit völkischer Rhetorik nicht punkten können und hat zudem das Problem, dass Merz ihr mit seiner nicht-völkischen, aber harten Migrationspolitik, worauf auch Eichel in dem „ZEIT Online“-Text hinweist, bei ihrem Kernthema reichlich das Wasser abgegraben hat.

Die AfD sitzt in einer strategischen Falle

Die Partei sitzt also in einer strategischen Falle. Und genau diese kann dazu führen, dass sich die Mäßigung in nicht allzu ferner Zeit eben nur als taktischer Schritt, aber nicht als nachhaltig erweist. So ist die Ablehnung der „Remigration“ auch deutscher Staatsangehöriger mit Migrationsgeschichte fraglos richtig und etwas, was die Partei in der Sache machen muss, und zwar nicht nur, um das Risiko eines Verbots zu minimieren. Zugleich aber darf nicht vergessen werden, wie sehr sie über Jahre gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz in der Zeichnung dessen als eine Art Erfüllungsgehilfe der Regierung agitiert hat. Es kann also gut sein kann, dass viele dadurch aufgepeitschte Anhänger eine inhaltliche Mäßigung als Einknicken vor Gerichten (zuvor hatte schon das OVG Münster ein normatives ethno-kulturellen Verständnis für verfassungsfeindlich erachtet), die sich die Verfassungsschutzberichte auch ansehen, betrachten könnten und für inakzeptabel halten.

Sollte also all das eintreten, dann werden die Umfragewerte der Partei wohl sinken. Denn ihr bricht dann das völkische Lager weg, während konservative CDU-Mitglieder unter Merz anders als früher unter Merkel kaum mehr einen Grund sehen werden, zur AfD überzulaufen. Und wie immer, wenn Umfragewerte sinken, werden Parteien nervös, denn dann geht es um eigene Mandate, die wegfallen könnten, ebenso um haufenweise Mitarbeiterstellen in den Parlamenten und damit von Leuten, die ja selbst AfD-Wähler sind. Und wer weiß, ob es dann nicht mit der Mäßigung wieder vorbei ist und man lieber wieder mit dem Fuß im Hohen Haus aufstampft.

Last, aber alles andere als least, muss man sich überdies ganz grundsätzlich fragen, was von der Mäßigung einer Partei bei der völkischen Frage in Deutschland zu halten ist, die immer noch eine einseitig russlandfreundliche Haltung hat, Waffenlieferungen und Sanktionen ablehnt und sich damit nicht klar auf die Seite der Ukraine stellt, die von dem völkischen Schlächter Putin mit seiner erst gerade wiederholten wirren Obsession von der Einheit des ukrainischen und russischen Volks seit über drei Jahren mit einem brutalen Krieg überzogen wird. Wer wie die AfD der Ukraine Waffen zur Selbstverteidigung verweigern will, kann sich innenpolitisch noch so viel mäßigen, wie er will – der Widerspruch im Grundsätzlichen macht ihn unglaubwürdig. Gestern, ausgerechnet am Morgen nach den schwersten russischen Angriffen auf die Ukraine seit Kriegsbeginn, ging Weidel sogar so weit, Bundeskanzler Merz ein „Pilgern nach Kyiv“ vorzuwerfen. Auch habituell war in ihrem erneut zornigen, zeternden und herrischen Auftritt von Mäßigung nichts zu sehen.

Wie man es als rechte Partei sehr viel besser macht, hat die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni gezeigt, die ihre „Fratelli“ auf einen glasklaren pro-ukrainischen Kurs gebracht hat. Und sich habituell gar nicht erst mäßigen musste. Jedenfalls ist von ihr kein öffentliches Fußaufstampfen bekannt.

Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top