Die Wirtschaft brummt nicht. Das wird immer kontinuierlicher spürbar – nicht für alle und nicht gleichmäßig, aber für immer mehr soziale Gruppen und das jeweils in wachsender Dichte. Statt eines wirtschaftlichen Wachstums wachsen die Sorgen. Und Fragen entstehen – unendlich viele Fragen. Die vielleicht am meisten drängende Frage ist: wie konnte Deutschland in diesem sehr modernen Zeitalter wirtschaftspolitisch so aus der Kurve fliegen? Gefolgt von der weiteren Frage: wie lässt sich das wieder ändern?
Die erneute Große Koalition hat an der Oberfläche einen Stimmungswechsel hervorgerufen. Ein Teil der Minister-Riege fühlt sich wie Schwarz-Gelb ohne Gelb an. Eine aktuelle OSZE – Studie prognostiziert für unser Land für das Jahr 2026 ein Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent. Die Körperschaftssteuer soll ab dem Jahr 2028 in fünf Schritten jeweils um ein Prozent gesenkt werden. Dieser hauchdünne Stimmungswechsel istallerdings auf einem Kartenhaus gebaut, denn es sind Schuldenberge noch und nöcher, aber noch keine Strukturreformen in Sicht. Werden diese überhaupt kommen? Sie müssten es eigentlich, aber es ist fraglich, ob die deutsche Sozialdemokratie sich als Juniorpartner in dieser Koalition dahin bewegen wird, die Lage der Nation vor die eigene stetig wachsende Bedeutungslosigkeit zu stellen.
Fraglich ist auch, ob die Union mit Substanz darauf reagieren kann, dass die jetzige Regierung womöglich die letzte demokratiepolitische Chance ist, die diese Gesellschaft noch hat, bevor 2029 die AfD eventuell bei einer absoluten Mehrheit steht. Es ist deshalb Zeit – höchste Eisenbahn sogar – Perspektiven aus Praxis und Wissenschaft in Textform einfließen zu lassen – jenseits von Parteipolitik und jenseits von kurzen Zeiträumen.
Hajo Ewert ist Jurist und Unternehmensberater, er berät mehrere Global Player und hat in seinen beruflichen Anfängen mehrere Unternehmen mitbegründet. Obwohl er eigentlich Business Developer ist, besteht die Hälfte seiner Arbeitsinhalte darin, sich mit bestehenden und überbordenden Regulierungen zu beschäftigen. Seine langjährige Erfahrung ist, dass es viel zu wenige „end to end“ digitale Prozesse gibt und dass die Bürokratie digitale Fortschritte zu Nichte macht. Es fehlt in Berlin und in Brüssel an Strategien, Komplexität zu verstehen und Zielkonflikte abzubauen oder sie gar nicht erst entstehen zu lassen. Hajo Ewert beobachtet keine Aufbruchstimmung und selbst in seiner Branche des E-Commerce haben Sparmaßnahmen Einzug gehalten. Auf meine Frage, ob er in der heutigen Zeit wieder ein Unternehmen gründen würde, sagt er: „eher nicht mehr“. Auch Prof. Dr. Jan Schnellenbach, der Volkswirtschaft mit einem Schwerpunkt Mikroökonomik an der BTU Cottbus lehrt, würde ein Unternehmen in Deutschland nur dann gründen, wenn das zwingend nötig wäre, um hier vor Ort Dienstleistungen zu erbringen. Sobald man aber mit Wettbewerbern in anderen Standorten konkurrieren muss, sagt auch er hingegen „eher nein“.
Jan Schnellenbach blickt als Wissenschaftler auf Vereinfachungen in der Bürokratie und hat dazu diesen praktischen Vorschlag: neue Regeln und Vorgaben dürfen nur eingeführt werden, wenn alte Regeln zugleich vollständig abgeschafft werden. Warum? Weil der andere oft genannte Vorschlag, eine sogenannte „sunset legislation“, zu leicht ausgehebelt werden kann. Wenn Gesetze automatisch auslaufen und dann überprüft und neu beschlossen werden müssten, klingt das zwar zunächst gut. Es könnte aber dazu führen, dass Verlängerungen von Regulierungen einfach als große Gesetzespakete durch den Bundestag geschleust werden. Eine Entlastung für die Wirtschaft bleibt aus, und in den großen Gesetzesbündeln könnten sogar noch schädliche Vorhaben mitgeschmuggelt werden, die z.B. Interessengruppen zulasten des Gemeinwohls bedienen.
Hinzu kommt in Deutschland der Mangel an gut ausgebildeten Fach – und Arbeitskräften und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen bilden wir unsere eigenen Leute immer schlechter aus. Zum anderen ist Deutschland für internationale überdurchschnittlich qualifizierte Leute wenig attraktiv. So ist längst eine kontraproduktive Entwicklung entstanden: ganze Wirtschaftsbereiche haben damit begonnen, Stellen abzubauen, während gleichzeitig viele Arbeitsplätze – Spezialisten und Generalisten – nicht besetzt werden können.
All das sind Entwicklungen, die nicht über Nacht auf diese Gesellschaft hereingebrochen, sondern Resultate einer Tendenz sind, Probleme einfach nur mit Geld zuzuschütten, wie Hajo Ewert es beschreibt. Für Jan Schnellenbach braucht es eine aufmerksame kritische Öffentlichkeit, damit sich grundlegend etwas verändert und die Veränderungen nicht nur symbolisch sind. Bemerkenswert ist, dass beide Wirtschaftsliberale sind, die Deregulierung einfordern, das aber ohne den sozialen Kompass abschaffen zu wollen. Aus ihrer Sicht gilt es, Freiräume für Unternehmen zu schaffen und zu erhalten, den Staat zu verschlanken, damit dieser sich vor allem um die innere und äußere Sicherheit kümmert, und Weichen zu stellen für die schwächsten Menschen, damit diese ihre Notsituation eigenständig verändern können. Ansonsten brauchen Unternehmer und Erwachsene keine Gouvernante, die ihnen diktiert, wie sie leben sollen.
Welche Hoffnungsschimmer gibt es jetzt in dieser Momentaufnahme? Für Hajo Ewert ist das ein Teil der jungen Generation, zu der er Menschen bis Mitte 40 zählt. In Teilen dieser unterschiedlichen sozialen Gruppen sieht er durchaus eine Mehrheit für eine liberal-konservative Politik. Momentan wirkt diese eher eine schweigende Mehrheit, aber wie lange noch?
Ich sehe das Problem beim Primat des Politischen in Bereichen, wo der Staat schlichtweg nichts zu suchen hat: Begonnen hat das mit den unseligen ‚public private partnerships‘ und der letzte Höhepunkt war die obszöne Energiepolitik, die ‚Wirtschaftsminister‘ mit Hilfe des in Partikulärinteressen verstrickten Staatssekretärs Graichen umgesetzt hat. Dass die unseligie Regelungswut, die jedem Gründer nur den Mut nehmen kann vor einem Zusammenbruch überwunden wird, glaube ich nicht. Klare und einfache ordnungspolitische Grundsätze, die prinzipiell nicht alle Sicherheitsbedürfnisse und Ängste abfedern können (Arbeitsschutz, Brandschutz, soziale Besitzstände, Klimaschutz, Umweltschutz, Corona..) können erst dann neu organisiert werden, wenn niemand mehr von den dann leeren Staatskassen profitiert. Sei es als Unternehmer, Bürgergeldempfänger oder Vermieter in einer Stadt, wo UNO-Mitarbeiter Wohnungen suchen.
Danke für den Text, Saba Farzan. Als jemand, der 18 Jahre seines Lebens als Bürokrat tätig war, ist mir Bürokratie nichts grundsätzlich Schlechtes. Die Frage ist, was und wie die Büros beherrschen (griech: epiKRATEI, επικρατεί).
Sie herrschen mit dem Umschaufeln von Geldern, welche der Steuerzahler zuvor abzuliefern hat.
Das Problem ist deshalb nicht, ob staatliche Subventionen mit wenig oder viel Bürokratie ausgeschüttet werden. Das Problem ist, dass es diese Geldumverteilungen gibt. Dass zur Zeit etwa 52 % eines jährlichen Bruttoinlandsprodunktes durch des Staates Hände fließen.
Benennen wir es als das, was es ist: SOZIALISMUS.
Dass Ich habe 2 Jahre Subventionen für das Beschäftigen alleinerziehender Frauen ausgereicht
Das sollte weitergehen mit:
Ich habe 2 Jahre Subventionen für das Beschäftigen alleinerziehender Frauen ausgereicht. Im Ergebnis beschäftigte jeder Friseur in Halle NUR NOCH Friiseusen, deren Lohn aus dem Staatssäckel bezahlt wurden. Dann die nächste, dann die nächste.
Danke für diesen klugen Text. Das Tor zum Staatssozialismus, in dem es nicht allen besser, sondern allen gleich schlecht geht, ist aufgestoßen worden. Wohin dieser Weg führt, ist am Beispiel Venezuelas sehr bildhaft nachzuvollziehen.
„Das Tor zum Staatssozialismus, in dem es nicht allen besser, sondern allen gleich schlecht geht, ist aufgestoßen worden.“ Warum die Passivkonstruktion? Wer hat das Tor wann aufgestoßen? Die Regierung in der Finanzkrise mit Abermilliarden für Banken, die sich verspekuliert hatten? VW, ein Konzern, der Milliarden an seine Aktionäre, auch den Staat, ausreicht, um kurz danach Tausende von Arbeitsplätzen zu streichen? Familie Quandt, die auf ihrI leistungsloses Einkommen als Kuponschneider bei BMW weniger Steuern als ein Facharbeiter bezahlt? Oder doch Arno Dübel?
Und muss es gleich Venezuela sein?
Achja, in den USA öffnet schon die Installierung einer staatl. Krankenversicherung das Tor zum Sozialismus.
Danke für den Beitrag, der liberal-konservative Ansprüche an einen Wandel der Wirtschaftspolitik (noch einmal) bündig zusammenfasst. Diese sind allerdings nicht neu.
Ob die empfohlene Therapie auf einer richtigen Diagnose basiert, ist allerdings fraglich.
Zum Einen hat die Umsetzung „liberal-konservativer“ Maßnahmen das Schuldenproblem noch nirgendwo nachhaltig attackiert, geschweige denn, gelöst. Siehe USA, die vom Vorbild zum Schreckbild mutiert sind. Da kann das „Mindset“ dort ganz toll sein, der „Entrepeneur“ noch was gelten – das Wirtschaftswachstum vergangener Jahre war in den USA aber vor allem schuldenfinanziert. Das sozioökonomische Resultat ist bekannt. Da muss die salvatorische Klausel vom „sozialen Kompass“, der hierzulande nicht verlorengehen dürfe, schon etwas mehr Fleisch an die Knochen bekommen.
Ins Bild passt, dass alternative Analyseangebote und darauf fußend alternative Therapievorschläge wenig bis gar nicht diskutiert werden.
Interessante Lektüren bieten z.B. Adam Tooze oder Heiner Flassbeck.
Das sehe ich genauso, Stefan. Nehmen sie noch die mittlerweile vielgeschmähte Ulrike Guérot mit dazu. Ich sehe mich ja eher auf der anderen Seite, aber dass linke ‚Intellektuelle‘ derzeit das Niveau ihrer Beiträge auf Befindlichkeiten, moralisierende Reflexe und Dummheiten, wie ‚follow the science‘ drücken, tut der Debatte auch auf der konservativen Seite nicht gut. Da wird sich gegenseitig nicht mehr gefordert. Mit fatalen Folgen, denn Probleme gibt es im ..ähm.. Proletariat genug, aber dafür sind sich die auf linker Seite tonangebenden neugebildeten Gesellschaftsphilosoph*innen bei Zeit, Spiegel, Deutschlandfunk & Co mit der edlen Moral offensichtlich zu schade.