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Da isser wieder, der Jammer-Ossi, oder … ?

Staatssicherheitsinhaftierungen …

„Hundert Augenpaare…“   sagte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, …

…. sagte sie zur Eröffnung der Ausstellung, die bis 6. Mai im Paul-Löbe-Haus des Bundestages zu sehen ist.

„Einhundert schwarz-weiß-Portraits von ehemaligen politischen Häftlingen in der DDR, der Schicksale von Stasi-Willkür, Zwangsarbeit und zerstörten Lebensläufen geprägt sind …“

Aber war dem so?

90 bis 95 vom Hundert aller Gefangenen des Ministeriums für Staatssicherheit der 1970er und 1980er Jahre, so gibt das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21. September 2000, dort unter Rz. 11 die Schätzung der ostdeutschen Innenministerien wieder,

„ … seien nach Teilverbüßung ihrer Freiheitsstrafe über den Weg des Freikaufs in die Bundesrepublik Deutschland gelangt.“

Vergleicht man die Freikaufszahlen mit der Zahl der Inhaftierungen des Ministeriums für Staatssicherheit insgesamt, ist diese Schätzung durchaus schlüssig.

Im finsteren Duschkeller der DDR – Justizvollzugsanstalt in Brandenburg sagte mein Haftkamerad Jürgen immer:

„Fast jeder DDR-Bürger würde seine Trabbi-Anmeldung hergeben, für das Glück in unserer Lage zu sein, Bodo.“

Das DDR-Gefängnis war der Preis dafür, in die Bonner Republik zu gelangen.

Der war in dieser Diktatur zu entrichten. So sahen es fast alle von uns. So sah auch ich dies.

Und das Ministerium für Staatssicherheit handelte dabei keineswegs willkürlich. 1.734 Personen hat das Ministerium für Staatssicherheit noch im Jahr 1988 verhaftet unter dem Vorwurf, einen ungesetzlichen Grenzübertritt geplant zu haben.

Nimmt man noch die Strafvorwürfe gegen Ausreisewillige unter dem Vorwurf staatsfeindlicher Zusammenrottungen oder Verbotener Kontaktaufnahmen hinzu, betreffen etwa 2.750 Verhaftungen des MfS im Jahr 1988 den Vorwurf, über die Mauer zu wollen.

Das kann man heute nachschlagen im letzten (geheimen) Jahresbericht der Hauptabteilung Untersuchung des MfS zu seinen 3.668 Verhaftungen des Jahres 1988. Etwa 90 % daraus, also etwa 3.300 müßten als politische Verfolgung erkannt werden, erläutert der Historiker Frank Joestel, der den Bericht 2004 veröffentlicht.

Und was war der Westen auch für eine Republik!

Ja, es hat schon seine Gründe, dass der Westdeutsche meiner Generation ihr nachtrauert, dieser Bonner Republik. Ich tue das auch.

Mein Haftkamerad Tim konnte das Abitur nachholen für seinen Medizin-Studium.

Ich konnte schon gleich 6 Monate nach meinem Freikauf das Studium beginnen.

Natürlich bekamen wir unser elternunabhängiges BAFöG.

Und studieren konnte ich das, was ich schon immer mal wissen wollte. Nicht das, was ich studieren sollte in der DDR.

„Wenn Du fertig bist mit dem Studium des Feldgemüsebaus an der Humboldt-Uni,“ so hatte mir 16-jährigem Buben der Vorsitzende der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft Lützen erklärt, als er mich in die Lehre einstellte,…

„Dann übernimmst Du unsere Feldgemüseabteilung. Dann hast Du vielleicht auch schon eine Frau. Du sollst wissen: Wir haben auch einen betriebseigenen Kindergarten. Und eine Baubrigade. Die wird Dir helfen Dein Eigenheim zu errichten. Und wenn Du dann 35 bist, dann gehe ich in Rente und Du kannst hier auf diesem Stuhl sitzen. Vorausgesetzt, Du hast Dir das Vertrauen der Arbeiterklasse erworben.“

GEBROCHENE LEBENSLÄUFE ?

Die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft gibt es doch heute gar nicht mehr. Und den Betriebskindergarten auch nicht. Und in Lützen wollte ich nicht begraben sein.

Ja, das ist schon eine schwierige Sache, das mit der „Würdigung der Opfer“.

„Wir sind keine Opfer! Wir sind die Sieger der Geschichte!“, so rief mein Haftkamerad Hugo Diederich am Ende dieser Anhörung in den Saal im Deutschen Bundestag.

Einerseits ist es doch anerkennenswert, dass Frau Klöckner erinnert.

Und irgendwie war ich schon freudig überrascht, als mir ein alter Freund ein Foto schickte:

„Du, ich habe Dein Porträt im Bundestag gesehen!“

Aber andererseits ist alles Ansprechen auf die Mitleidsgefühle des Zeitgenossen eben keine Würdigung.

Mein blinder Großvater verwahrte sich schon gegen Versuche, ihm über die Straße zu helfen.

„Mitleid, mein Junge“, so wiederholte er immer wieder seinen Nietzsche. „Ist immer auch ein Ausdruck der Verachtung.“

 

 

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Über Bodo Walther

Bodo Walther, geboren 1960 in Weißenfels im heutigen Sachsen-Anhalt, studierte 1985 bis 1991 Rechtswissenschaften in Tübingen und Bonn. Er war aktiver Landes- und Kommunalbeamter in Sachsen-Anhalt, ist heute im Ruhestand und Anwalt in der Nähe von Leipzig.

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