Kennen Sie den Inhalt dieser Vorlesung, die Friedrich Schiller an der Universität Jena hielt ? Hier (Bild unten) ?
„Die Geschichte des Abfalls der Niederlande“ ?
Die ja auch ein „Abfallen“ der niederländischen Provinzen vom „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ war?
„Kann man das so sehen?“ So fragte ich den niederländischen Maler. „Kann man das so sehen, dass Niederländisch eine der niederdeutschen Sprachen ist, die im übrigen Niederdeutschland verdrängt wurden? Von Bremen bis Königsberg, meinetwegen auch bis Tallinn, vom Schriftdeutsch der Lutherbibel verdrängt ?
„Hab‘ ich noch nicht drüber nachgedacht.“ Erwiderte er. „Weil es komplizierter ist. Auch das heutige Schrift-Niederländisch der Kaufleute von Amsterdam hat andere Sprachformen im Königreich der Niederlande verdrängt. Aber gewiss: Auf den Märkten an der deutsch/niederländischen Grenze verstehen die deutschen und niederländischen Bauern einander am besten in ihrem Platt.“
Dass „die Ukrainer“ ein von „den Russen“ verschiedenes Volk seien, kam mir gar nicht in den Sinn, als ich 1989 mit einer Familie aus Odessa das Zugabteil teilte.
Wie sie selbst das gesehen hätten ? Die Frage danach wäre mir damals als völlig absurd erschienen.
Ja gut, sie sprechen anders. Da gibt es Lautverschiebungen. Das westslawische „H“ zum Prager Hradschin zum Beispiel ist auch in der Ukraine noch ein “H“. Und wird erst im Russischen zu einem „G“. In Petrograd zum Beispiel. Und diese slawische Bezeichnung für eine Burg ist nur das eine Beispiel an Lautverschiebung, das mir als Laie aufgefallen ist.
„Mit Lautverschiebungen“, so hatte mir mein Haftkamerad Manfred Bartz in Brandenburg in der Justizvollzugseinrichtung erklärt, „Mit Lautverschiebungen sind die Zusammenhänge in einer Sprachfamilie, z.B. auch in den germanischen Sprachen erklärt.“ Manfred sprach Niederländisch und Dänisch. „Schwedisch und Norwegisch und Isländisch auch, Du musst wissen, wie sich die Laute verschieben.“
Mundart oder Sprache? Auch das heutige Schriftrussisch gibt es erst seit Puschkin, der die Moskauer Mundart in die Literatur einführte. Kirchenslawisch, also die Ausdrucksgewohnheiten Kyrills und Methods, in der in den Kirchen Weißrusslands, Rußlands und der Ukraine die Sonntagsliturgie zelebriert wird, war bis ins 18. Jahrhundert das, was es an originär ostlawischem Schriftzeugnis gab.
Wann ist eine Sprache eine Sprache ? Eine Sprache, die dann Grundlage ist für eine Nation?
„Wenn sie in der Lage ist, eine Armee und eine Marine aufzustellen.“ Sagt das Bonmot.
Schon hierin liegt der Misserfolg Moskaus im nun dreijährigen Krieg gegen die Ukraine:
Der Geburt einer von „den Russen“ verschiedenen Nation.
Vielleicht sollte man aber noch darauf hinweisen, dass nicht immer die Sprache Grundlage einer Nation ist (z.B. Schweiz). Und nicht immer die Nation Grundlage eines Staates ist (z.B. Belgien). Und dass die Unterschiede sowieso immer fließend sind (z.B. der Unterschied zwischen einem Dialekt und einer Sprache).
Dadurch erübrigen sich diese Überlegungen zu Sprachen und Nationen in gewisser Weise. Ich würde schon zustimmen, dass dieser Krieg für die Ukraine vermutlich zu einem strarken Zusammengehörigkeitsgefühl führt, dass man „Nation“ nennen könnte. Aber nicht Nationen führen Kriege (außer vielleicht bei Bürgerkriegen), sondern Staaten. Und dabei ist es egal, ob einem Staat eine Nation zugrundeliegt oder mehrere oder gar keine. Ein Staat ist das, was in der offiziellen Liste der Staaten steht. Das ist ein einfaches und klares Kriterium. Staaten können sich vereinigen oder auch trennen, wenn sie das möchten und es friedlich abläuft. Für beides gibt es Beispiele. Aber sie dürfen nicht übereinander herfallen. Ob da jeweils eine Nation dahintersteht (oder -geschraubt wurde) oder auch nicht, ist egal. Es kommt darauf an, ob der Staat als Staat existiert und anerkannt ist. Und da kann man feststellen, dass die Ukraine von allen anderen Staaten anerkannt wurde. Auch von Russland, das die Existenz des Staates Ukraine sogar garantiert hat (Budapester Abkommen). Russland hat den Staat Ukraine noch Stunden vor dem Angriff bestätigt und seine friedlichen Absichten beteuert. Danach hat es das Gegenteil gesagt. Daher fällt es schwer, irgendein Abkommen mit Putins Russland zu machen. Ohne geht es natürlich auch nicht, aber man sollte nicht allzuviel darauf geben. Es müssen Machtstrukturen die Abkommen zwischen den Staaten absichern.
Alldas bezweifeln Sie ja nicht, aber man sollte es trotzdem erwähnen
Danke für die Gedanken, Roland Ziegler,
mein Stirnrunzeln gilt den Geschichten ukrainischer Nationalisten über die „jahrhundertealte Unterdrückung der ukrainischen Sprache“.
Warum hat denn Willy Brandt seine Regierungserklärungen nicht in dem Lübecker Platt erklärt, in dem er aufgewachsen ist (Und das heute fast vollständig „verdunstet“ ist in Lübeck.)?
Weil Lübecker Platt so weit entfernt vom Schriftdeutschen ist, wie Ukrainisch von Russisch.
Und weil Willy Brandt ganz einfach wollte, dass alle Menschen im Staat ihn verstehen.
Dies war meines Erachtens auch im Zarenreich „in der Ukraine“ die Hauptmotivation für den Gebrauch der russischen Sprache. Jedenfalls für die, die nach Bildung strebten.
In der Sowjetunion sowieso.
Der Bezug auf die Sprache macht die Genese der Nation gleichsam (friedlich) natürlich. Die regional unterschiedlichen Lautverschiebungen, die es beispielsweise in der Geschichte der deutsch Sprache gab, haben jedoch nicht zu unterschiedlichen Nationenbildungen geführt. Anscheinend muss da noch etwas hinzu kommen. Und das sieht nach Politik bzw. politischer Geschichte aus.
Gewiß, Edmund Jestadt,
der von mir bemühte Schiller beschreibt denn auch den „Abfall der Niederlande“ als das Abfallen von der Spanischen Krone. Also einer Fremdherrschaft.
Bei „der Ukraine“ spielen auch ausländische Kräfte eine Rolle. Gar nicht in dem Sinne von Geheimdienstoperationen (die es auch gibt),…
Sondern vor allem durch die Sogkräfte, die sie entwickeln. Das ist nicht, jedenfalls nicht nur mit „(west)europäischer Demokratie“ gegen „russische Diktatur“ zu benennen, sondern vor allem mit dem Wohlstand eines Volkes, an dem „der Ukrainer“ Teil haben will.
Ich kann nicht in die Ukrainer reingucken. Aber ich nehme ebenfalls an, dass die materielle Komponente eine Rolle spielt. Andererseits: Wenn ich mir überlege, warum ich selbst nicht unter russischer Oberhoheit leben will, dann spielt unter den Gründen das Materielle die allergeringste Rolle.