Diese Tage werden vielleicht in die Geschichte eingehen als die Zeit, in der das Schicksal des alten Kontinents besiegelt wurde – ein epochaler Umbruch wie 1989/90, nur in völlig entgegengesetzte Richtung: vom Licht in die Dunkelheit, von der Freiheit in ein mögliches Vasallentum. Historische Verantwortung dafür tragen die bisherigen Anführer des Westens.
Angela Merkel ließ sich gerne feiern, auch jetzt auf ihrer Biografie-Tour, als vordem mächtigste Frau der Welt und Retterin der Freiheit, als Donald Trump schon einmal US-Präsident war. Der nun zu Beginn seiner zweiten Amtszeit mit einem einzigen Telefonat mit Waldimir Putin die große Illusion endgültig zerstörte, die auch sie bereitwillig hegte: die einer regelbasierten Friedens-und Sicherheitsordnung für alle Zeiten in Europa und auf dem ganzen Globus. Perdu. Denn Trump will sich mit dem Kremlherrscher, wie es aussieht, nicht nur auf einen Diktatfrieden für die Ukraine verständigen, sondern auf eine Aufteilung der Welt in imperiale Interessenzonen wie im 19. Jahrhundert. Europa will er sich selbst und damit der Bedrohung durch Russland überlassen. Es wird bei den Verhandlungen nicht einmal am Katzentisch sitzen und muss damit rechnen, in wenigen Jahren in Gänze einem neuen, gewaltigen, zerstörerischen Angriff Putins ausgesetzt zu sein – hilflos, ohne amerikanischen Schutz, ohne ausreichende eigene Verteidigung.
Merkel hat, das kann mich nicht oft genug wiederholen, den Boden bereitet für Putins Überfall auf die Ukraine 2022 und damit für die jetzige dramatische Weltlage. Sie hat auf dem Nato-Gipfel 2008 mit dem damaligen französischen Präsidenten Sarkozy die Aufnahme der Ukraine verhindert, ein historischer Fehler, und sie stellte sich auch später dagegen, auch nachdem Russland 2014 das Land das erste Mal überfallen und die Krim okkupiert hatte und weiter Krieg führte in der Ostukraine. Obwohl die USA 2008 bereit waren, die Ukraine dem Schutz des westlichen Bündnisses und damit ihrem zu unterstellen, sodass Putin weder 2014 noch 2022 seine Angriffe gewagt hätte.
Merkels große Lebenslüge
Danach hat Merkel zugesehen, gemeinsam mit dem damaligen Außenminister und jetzigen Bundespräsident Steinmeier, wie Russland permanent gegen die von ihnen als ihre Leistung gefeierten Minsker Abkommen verstieß, die im Grunde auch schon ein Sieg-Scheinfrieden waren. Sie hat troz aller Warnungen Polens, der Baltischen Staaten und auch Trumps an North Stream 2 festgehalten – einem Erpressungsmittel gegen Europa und die Ukraine und russischen Finanzierungsinstrument für weitere Beutezüge. Und an dem falschen Glauben, man könne Putin schon irgendwie einhegen, wenn man nur die Gesprächskanäle zu ihm offenhalte.
Spätestens am 24. Februar 2022, aber im Grunde schon vorher, als Putin seine Invastionarmeen an der ukranischen Grenze aufmarschieren ließ, war das alles entlarvt als rieisige Lebenslüge. Die Menschen in der Ukraine müssen das seitdem ausbaden, mit Zehntausenden Toten, beispiellosen Zerstörungen, Millionen Kriegsvertriebenen, der wahrscheinlich dauerhaften Unterjochung eines erheblichen Teils ihres Landes durch die Okkupanten. Und der Furcht, nach einer von Trump und Putin ausgehandelten Waffenruhe in kurzer Zeit erneut angegriffen und völlig unterworfen zu werden, sobald Putin seine Armee mit chinesischer, iranischer und nordkoreanischen Hilfe wieder aufgerüstet hat. Erst recht, wenn Trump auch noch die US-Sanktionen aufheben sollte.
Putin will das ganze russische Imperium zurückerobern
Völlig klar ist, dass Putins neoimperialer Hunger damit nicht gestillt wäre. Davor warnen aus guten Gründen nicht nur der neue Nato-Generalsekretär Rutte, Geheimdienste und Sicherheitsexperten. Putin selbst hat immer und immer wieder angekündigt, dass er das alte Sowjetimperium wiederherstellen will. Er wird davon auch jetzt keine Abstriche machen. Und dazu gehören nicht nur die ehemaligen Sowjetrepubliken, also auch die Baltischen Staaten, Georgien und Moldawien, sondern als Vasallenstaaten ganz Mittel- und Osteuropa – bis zur Elbe. Nach Lesart der Ultranationalisten in Moskau also auch Ostdeutschland und Berlin.
Merkels Nachfolger Scholz rief zwar nach dem russischen Großeinmarsch in die Ukraine die „Zeitenwende“ aus, tat aber als Kanzler unverantwortlich wenig, um die Ukraine in ihrem verzweifelten und lange Zeit erfolgreichen Abwehrkampf zu unterstützen und gleichzeitig Deutschland und Europa auf die bevorstehende große Entscheidungsschlacht mit Putin-Russland vorzubereiten. Stattdessen ließ er seine heillos überforderte Selbstverteidigungsministerin Lambrecht, die der Ukraine nur ein paar Tausend Helme schicken wollte, zunächst aus Gender-Gründen im Amt. Erst als der Druck immer stärker wurde, rang er sich Stück für Stück zu einer entschlosseneren Waffenhilfe durch. Aber immer nur zaudernd und zögernd, immer zu spät. Genauso wie Joe Biden, hinter dem sich Scholz jedes Mal versteckte. Auch als die Ukraine 2023 auf dem Vormarsch war und ihr eine wesentlich massivere Unterstützung womöglich zum Sieg verholfen hätte. Doch dieses Wort und dieses Ziel kamen Scholz wie Biden nie über die Lippen – aus Angst vor Putins leeren Atomdrohungen.
„Soviel wie möglich, solange wie nötig“: das war stets zu wenig, viel weniger als tatsächlich nötig. Genauso beim Wiederaufbau der Bundeswehr, die Merkel und die SPD zugrunde abgerüstet haben und die jetzt durch die Waffenabgabe an die Ukraine noch weniger abwehrbereit ist als 2022, von kriegstüchtig nicht zu reden. Sondervermögen und Schuldenbremse hin oder her.
Europa schaut nur zu
Nun ist wahrscheinlich alles zu spät. Die Ukraine ist verloren, wenn nicht ein Wunder geschieht, Putin sich querstellt und Trump über Nacht sich vielleicht doch entschließen sollte, als Reaktion darauf ihr massiver zu helfen als Biden. Darauf setzen sollte man nicht. Die Europäer, auch Merz als neuer Kanzler, werden darauf keinen Einfluss haben. Auch nicht auf ihr eigenes Schicksal.
Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen sich an diesem Montag, aufgeschreckt durch Trumps ihnen nicht angekündigte Annäherung an Putin und die drohende Rede seines Vize Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz, hektisch zu einem Krisentreffen versammeln. Aber was wollen sie tun, wenn Trump sie nicht fragt und nicht dabei haben will beim Treffen mit dem Kreml-Kriegsherrn für seinen Big Deal zur Aufteilung Europas und der Welt – mit dem chinesischen Herrscher Xi als stillem Teilhaber? Eine gemeinsame hilflose Protestnote beschließen? Beobachter nach Saudi-Arabien entsenden – falls die dort überhaupt vorgelassen würden?
Der Theaterdonner nach der Kulturkampfrede von Vance in München, einem Ablenkungsmanöver von den eigentlichen Plänen Trumps, demonstrierte, was eigentlich gar nicht mehr hätte bewiesen werden müssen: Dass die europäischen Führer einschließlich der EU-Kommission überhaupt nicht vorbereitet waren und sind auf die neue Zeit, die nun angebrochen ist. In der Europa nur noch am Rande stehen wird, politisch, wirtschaftlich, technologisch, militärisch. Während die großen Drei in Washington, Peking und Moskau entscheiden und ihre Eroberungen planen. Der eine mit Grönland, Kanada, dem Panamakanal und was ihm sonst noch in den Sinn kommt. Der zweite demnächst in Taiwan, Südostasien und über die neue Seidenstraße bis nach Afrika, Europa und Südamerika. Der dritte in Osteuropa und im Kaukasus.
Kriege: Das ist heute, das wird morgen noch mehr sein. Pazifisten: Zieht Euch ganz warm an! Freie Welt, Vormarsch der Demokratie, Menschenrechte überall? War einmal. Schön wär’s gewesen.
Ludwig Greven ist freier Autor. Er ist anerkannter Kriegsdienstverweigerer und hat in den 1980er Jahren an der Friedensbewegung teilgenommen, hat aber schon durch den Krieg in Bosnien verstanden, dass man sich militärisch vorbereiten muss, wenn man Frieden bewahren will.
„Putin selbst hat immer und immer wieder angekündigt, dass er das alte Sowjetimperium wiederherstellen will. Er wird davon auch jetzt keine Abstriche machen. Und dazu gehören nicht nur die ehemaligen Sowjetrepubliken, also auch die Baltischen Staaten, Georgien und Moldawien, sondern als Vasallenstaaten ganz Mittel- und Osteuropa – bis zur Elbe. Nach Lesart der Ultranationalisten in Moskau also auch Ostdeutschland und Berlin.“
Haben Sie dafür Belege (Originalaussagen, Dokumente)?
„Merkel hat, das kann mich nicht oft genug wiederholen, den Boden bereitet für Putins Überfall auf die Ukraine 2022 und damit für die jetzige dramatische Weltlage. Sie hat auf dem Nato-Gipfel 2018 mit dem damaligen französischen Präsidenten Sarkozy die Aufnahme der Ukraine verhindert, ein historischer Fehler, obwohl Russland schon 2014 das Land überfallen und die Krim okkupiert hatte und weiter Krieg führte in der Ostukraine. Und obwohl die USA damals bereit waren, die Ukraine dem Schutz des westlichen Bündnisses und damit ihrem zu unterstellen, sodass Putin seinen Großangriff nie gewagt hätte.“
N. Sarkozy war 2018 nicht französischer Staatspräsident, sondern E. Macron. Meinen Sie vielleicht den Nato – Gipfel 2008 in Bukarest? Aber dann passt Ihr weiteres Argument nicht mehr („…, obwohl Russland schon 2014 (Sic!) das Land überfallen … hatte“)
Und natürlich ist es sehr einfach, den ganzen innen- und außenpolitischen Schlamassel ganz allein Merkel in die Schuhe zu schieben (Da sind Sie ja hier mittlerweile nicht der einzige), als agierte sie selbstherrlich im luftleeren Raum.
Sie brauchen nur auf die Website des russ. Präsidialamtes zu schauen und Putins Ultimatum an den Westen zu lesen, bevor er die Ukraine überfiel. Und alle seine Kriegsreden seitdem. – Den Fehler bei der Jahreszahl des Nato-Gipfels (gemeint war der 2008) habe ich korrigiert. – Merkel war 16 Jahre Kanzlerin. Sie hat in dieser Zeit entscheidende Weichen zusammen mit der SPD falsch gestellt: in der Migrations- und Flüchtlingspolitik, ggü. Russland und der Ukraine, bei der Abrüstung der Bundeswehr und Abschaffung der Wehrpflicht. Und anderes sträflich unterlassen: bei der Infrastruktur, in der Bildungspolitik, Wohnungsbau, Modernisierung der Wirtschaft, Energiewende u.v.m. Warum soll man das nicht klar benennen? Habe ich wie andere auch schon früher gemacht.