Die Äußerung auf diesem Zettel ist doch grundgesetzwidrig, oder?
Also diese sächsische Willensbekundung, die ich mal nach dem zweiten Bier 1987 am Rande eines Referententreffens der Konrad-Adenauer-Stiftung formuliert hatte.
„Wir wollen unseren König wieder haben.“
Geht doch gar nicht, oder?
„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ So heißt es in Artikel 20 Absatz I des Grundgesetzes. Das schließt doch einen Monarchen aus, oder?
Und dann hatte ich auch noch die anderen unterschreiben lassen. Den Thomas Loest, den Sohn (und Verleger) vom Erich und seine Frau Elke und den Siegmar Faust, der mit „königlicher Kammerdiener“ unterzeichnete und … und …
Aber Moment mal, gibt es überhaupt verfassungswidrige Äußerungen?
Darf eine Verfassung vorschreiben, was der Bürger äußern darf? Na ja, im Sozialismus gibt es so etwas. Der Artikel 27 der DDR-Verfassung lautete im Absatz I:
„Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht, den Grundsätzen dieser Verfassung gemäß seine Meinung frei und öffentlich zu äußern …“
Und tun sie das jetzt nicht ab mit „Unrechtsstaat DDR – gültet nicht.“
Ich meinte doch gar nicht den Grundsatz des Artikel 1 der DDR-Verfassung, welcher formulierte:
„Die Deutsche Demokratische Republik ist … die politische Organisation der Werktätigen … unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei …“
Ich meine das ÜBERHAUPT.
Darf eine Verfassung überhaupt vorschreiben, nach welchen Grundsätzen der Bürger sich äußern darf?
„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten ..“
So heißt es im Artikel 5 unseres Grundgesetzes. Dazu stellt das Grundgesetz gar keinen Rahmen auf. Vielmehr lautet es dort:
„Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“
Nein, unser Grundgesetz gibt gar keinen „Äußerungskorridor“ vor. Derselbe wird durch „allgemeine“, also einfache Gesetze vorgegeben, unter denen die Strafbewehrung bei Ehrverletzungen (Beleidigung bis Verleumdung bis Volksverhetzung) die Wichtigsten sind.
Aber was steckt dann dahinter, wenn immer wieder öffentlich behauptet wird, dieser oder jener habe „verfassungswidrige Äußerungen“ getätigt?
Dahinter steckt die abstruse Vorstellung, eine Verfassung sei dazu da, den Bürger zu binden.
Ist sie aber gar nicht. Eine Verfassung bindet nicht den Bürger, sondern die Staatsgewalt, die Parlamente und Gerichte.
Die „vollziehende Gewalt“, der Beamte ist gebunden, sagt Artikel 20 Absatz III unseres Grundgesetzes. Nicht der Bürger.
Manchmal braucht es einen Anstupser „von außen“, dieses zu verinnerlichen. Weil steter Tropfen hierzulande den Stein fast ausgehöhlt hat.
Lieber Bodo Walter, es dauert bei mir gerne etwas länger, bis ich die gelesene Information sortiert habe. Ich denke, im (immer noch) Westdeutschland sind wir hochgradig naiv und (mal wieder) arg verspätete Nation. Trotz oder gerade wegen der ‚politischen Bildung‘. Umso wichtiger Ihre Stimme. Auch von mir ausdrücklichen Dank dafür.
@Bodo Walther: „Darf eine Verfassung überhaupt vorschreiben, nach welchen Grundsätzen der Bürger sich äußern darf?“
Interessante Frage, die Sie leider nicht beantworten. Wer oder was, welche (höhere) Instanz, erlaubt oder verbietet einer Verfassung etwas?
Doch, lieber Edmund Jestaedt,
das hatte ich meiner Meinung nach geschrieben: Eine Verfassung verfasst die Ordnung und Selbstbindung des Staatsapparates. Der STAATSGEWALT. Sie schreibt nicht vor, wie der Bürger unter dieser Staatsgewalt „zu spuren hat“.
Das schreiben aber einige „einfache Gesetze“ vor. Das für den Bürger empfindlichste Gesetz ist das Strafgesetzbuch. Das sich wiederum als Ausdruck von Staatsgewalt vor der Verfassung „rechtfertigen“ muß.
Vielen Dank für diese Klarstellung, Bodo Walther.
Danke für den Zuspruch.
In den Beleidigungsdelikten hat sich in den vergangenen 40 Jahren ein Wandel vollzogen.
1985 habe ich noch im Studium gelernt, dass der, der sich auf die Bühne stelle, mehr an Buh-Rufen aushalten müsse, als der, welcher das nicht tut. Kurz:
„Wer Hitze nicht verträgt, sollte nicht in der Küche arbeiten.“ (Harry S. Truman)
Seit 2021 haben wir eine Norm, die „Personen des Öffentlichen Lebens“ stärker vor Buh-Rufen schützt als „Normalbürger“.
https://dserver.bundestag.de/btd/19/201/1920163.pdf
Daß Personen des politischen (nicht öffentlichen!) Lebens einen stärkeren Schutz genießen, ist keine Erfindung des Jahres 2021, sondern des Jahres 1951 (damals noch als §187a StGB). Die einzige inhaltliche Änderung aus dem Jahr 2021 war klarzustellen, dass zum politischen Leben auch die kommunale Ebene gehört.
Ursache der Gesetzesänderung war nicht zuletzt die Verleumdung Erika Steinbachs gegen Walter Lübcke, die mittelbar zu dessen Ermordung geführt hatte.
Wie die Wikipedia schreibt (https://de.wikipedia.org/wiki/Gegen_Personen_des_politischen_Lebens_gerichtete_Beleidigung,_%C3%BCble_Nachrede_und_Verleumdung), wurde der entsprechende Paragraph übrigens schon 1955 vom Bundesverfassungsgericht unter die Lupe genommen und auf Grundgesetzkonformität überprüft. Ergebnis: Er ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Begründung: „Der erhöhte strafrechtliche Ehrenschutz wird den im politischen Leben stehenden Personen nicht um ihrer selbst willen gewährt, sondern um ihr öffentliches Wirken vor unsachlichen Beeinträchtigungen zu schützen und um einer erhöhten Gefährdung der Ehre dieser Personen Rechnung zu tragen. […] Politische Auseinandersetzungen, die in üble Nachrede und Verleumdung ausarten, gefährden die Freiheit des politischen Handelns, also die Grundlage der Demokratie. Die Strafschärfung des § 187 a StGB dient daher der Erhaltung dieser Grundlage und des inneren politischen Friedens.“ Nachzulesen unter https://opinioiuris.de/entscheidung/3683.