Der Normopath, früher auch Mitläufer oder Untertan genannt, ist ein angepasstes, überkorrektes, krankhaft zwanghaft agierendes Individuum, das sich so verhält, wie es glaubt, sich verhalten zu müssen. Dabei schielt der Normopath vor allem auf die Obrigkeit oder andere vermeintliche Autoritäten. Manchmal ist der Normopath in seiner lächerlichsten Ausprägung allerdings selbst die Obrigkeit, wie sich an den Reaktionen mancher Politiker nach dem Münchener Anschlag nur allzu deutlich zeigt.
Man könnte vermuten, dass es inzwischen eine kleine Schar von Textbausteinerfindern gibt, die Politiker aller Parteien mit vorgefertigten Formulierungen beliefern. Tatsächlich könnte das angesichts der steigenden Frequenz von Gewalttaten ein gutes Geschäftsmodell sein. Wenn man es intelligent betreibt. Von Intelligenz sind die Textbausteine, die wieder mal in den Medien von Scholz, Habeck, Faeser und Co. Abgesondert wurden, allerdings weit entfernt.
Zynismus und Verachtung
Die Statements spiegeln die tiefe Verachtung und den Zynismus wider, die die Politiker gegenüber ihrem Arbeitgeber – der Bevölkerung – ausdrücken. Die kognitive Dissonanz ist gewollt, denn an ihr orientieren sich viele andere Normopathen, die dann sehr schnell eine vereinte Bewegung initiieren. Im Verein lässt es sich nämlich noch viel kuscheliger normopathieren. So war es auch in München. Die Verletzten des Anschlags waren gerade erst notversorgt und es war noch nicht mal klar, wie viele es tatsächlich sind, da wurde schon zur nächsten Demo gegen rechts geblasen. Und auch hier war man mit Textbausteinen nicht sparsam. Ein Gespenst geht nämlich um in Deutschland, das Gespenst der „gesellschaftlichen Spaltung.“ Als ob die Gesellschaft nicht schon seit mindestens zehn Jahren tief gespalten wäre.
Darüberhinaus agiert der niedere Normopath mit vorauseilendem Gehorsam. Sein Beißreflex wird angestachelt, seine Wohlstandsverwahrlosung drückt sich am besten in der Infantilisierung der Attentäter aus. Dieser Mechanismus der Entmündigung, man spricht den Gewalttätern ab, für ihr Handeln selbst verantwortlich zu sein, ist einer, der sich wie ein Krebsgeschwür ausgebreitet hat. Täter seien traumatisiert, die Gesellschaft und Behörden haben bei der Integration versagt und dergleichen Unsinn mehr. Die Infantilisierung von Gewalttätern ist zu einem vermeintlich wirkmächtigen Instrument geworden. So auch in München. Die Attentäter sind nicht für ihre Tat verantwortlich. Nein, es waren, wie man auf X lesen konnte, nicht sie in die Menschenmenge gerast sind, sondern „ein Auto.“ Nicht die Sorge um die Opfer des Attentats spielt die größte Rolle, nicht die Sorge darüber, wie denn in Zukunft solche Gewalttaten zu verhindern wären. Wichtig ist dem Normopathen die Sorge darum, dass der politische Gegner das Attentat „instrumentalisieren“ könnte. Wenn die Durchsetzung von Gesetzen Instrumentalisierung ist, dann ist, wie schon so oft, der Wertekompass des Normopathen zu hinterfragen.
Immer wieder kognitive Dissonanz
Der über die letzten zehn Jahre der bleiernen Merkelzeit antrainierte und von Rot/Grün kultivierte Beißreflex funktioniert inzwischen so gut, dass es sehr schwer sein wird, ihn wieder aus der Gesellschaft raus zu kriegen und zum mündigen Staatsbürger zurückzukehren. Auf der Demo sprachen Gewerkschafter, die sich vor ihre migrantischen Kollegen stellten und davor warnten, dass diese abgeschoben werden würden, falls die „Rechten“ noch mehr Macht erlangen könnten. Wie eigentlich jeder weiß, ist das natürlich auch eine Ausprägung von kognitiver Dissonanz. Denn niemand will den integrierten, seiner Arbeit nachgehenden, friedlichen Migranten abschieben. Auch nicht die AfD oder die CDU. Mal davon abgesehen, dass das in einem Rechtsstaat juristisch gar nicht möglich ist. Es geht um Gefährder, um Straftäter, um abgelehnte Asylbewerber, um sich illegal in Deutschland befindliche Menschen. Es geht um die so oft postulierte „ganze Härte des Gesetzes.“ Der Normopath verweigert sich konsequent der Realität. Ansonsten müsste er sich ja seine Normopathie eingestehen, beginnen, selbst zu denken und sich der Realität stellen.
Der Untertan
In Heinrich Manns „Der Untertan“ setzt der Schriftsteller dem perfekten Normopathen ein perfektes Denkmal. Er lässt seinen (Anti-)Helden in der Hochzeitsnacht zu seiner Angetrauten vor dem Geschlechtsakt sagen: „Bevor wir zur Sache selbst schreiten, gedenken wir Seiner Majestät.“
Ähnlich agieren die Untertanen der Jetztzeit in Deutschland. Bevor wir uns vor weiteren Attentaten konsequent schützen und den Opfern eine Stimme geben, imitieren wir die Obrigkeit einer dysfunktionalen Regierung und warnen vor Instrumentalisierung. Dass man damit selbst schon Instrumentalisierung betreibt, ist außerhalb des Denkraumes der Normopathen.
Eine Mehrheit der Bevölkerung der Bundesrepublik priorisiert die Themen Migration und innere Sicherheit als vordringlichste Aufgabe der Politik zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Selbst bei Anhängern der Grünen und der SPD. Solange sich die Politik der gegenwärtigen Regierung allerdings der Lösung verweigert und Kritiker dämonisiert, ihnen Rassismus und ähnlichen Unsinn unterstellt, sieht sich auch der Normopath nicht in der Lage, etwas anderes zu tun, als Textbausteine aneinander zu reihen. Inzwischen wird im ÖRR bei Phönix bereits geschwurbelt und Verschwörungsmythen verbreitet. Dort mutmaßte ein „Seelsorger,“ dass dahinter finstere Mächte stehen, die Islamisten dafür bezahlen, solche Anschläge zu verüben. War es Putin, war es Trump oder vielleicht doch sogar Milei?
Nochmal: Niemand will und kann Migranten und Migrantinnen, die in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben, ausweisen. Abgesehen vielleicht von rechtsextremitischen Reichsbürgern. Aber die hat der demokratische Rechtsstaat sehr gut unter Kontrolle. Das hindert den Normopathen nicht daran, eine faschistische Bedrohung herbei zu fantasieren, wie es die Obrigkeit vorgibt. Dabei ist Deutschland vom Faschismus, um Broder zu zitieren, „soweit entfernt wie der Vatikan vom Swingerclub.“
Wäre es möglich, dass nicht die in immer höherer Frequenz verübten Attentate für die Spaltung der Gesellschaft verantwortlich ist, sondern eine dysfunktionale Politik, die diese Attentate ermöglicht? Für den Normopathen ist die Frage schon Majästätsbeleidigung.
Daniel Anderson: Berufsausbildung zum Flugzeugmechaniker. Regiestudium an HFF „Konrad Wolf“ in Babelsberg. Berufsverbot als Filmregisseur in der DDR. Oberspielleiter, Autor und Schauspieler am Theater Senftenberg. Nach dem Mauerfall freier Regisseur, Autor (TV-Serie, Theater, Synchron), Schriftsteller und Musiker. Studium Vergleichende Religionswissenschaften in Bonn. Gründer und Leiter der „Theaterbrigade Berlin.“ Anderson lebt in Berlin und immer mal wieder in Tel Aviv.
Mit Blick auf hybride Kriegführung allerdings plausibel.
– In Mannheim ermordet ein Afghane 9 Tage vor der Europawahl einen Polizisten;
– in Solingen ermordet ein Syrer 9 Tage vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen drei Menschen;
– in München verübt ein Afghane 10 Tage vor der Bundestagswahl einen Anschlag auf eine Menschenmenge.
Für stochastischen Terrorismus sieht mir die Häufung jeweils wenige Tage vor wichtigen Wahlterminen etwas zu wenig zufällig aus. Genauso wie sich die „Zufälle“ zu sehr häufen, dass Schiffe aus Russland oder China mit ihren Ankern wichtige Unterseekabel kappen.
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Auch wenn ich Ihre Gedanken für nicht konsistent halte – vorhergehende Anschläge wie Ansbach oder Brokstedt oder Breidtscheidplatz waren nicht mal in der Nähe von Wahlen – lohnt es sich vielleicht, über einen Zusammenhang nachzudenken. Allerdings halte ich das für Realitätsflucht und Verschwörungsmythologie. Wie war es bei Nordstreamsprengung, die bis heute nicht aufgeklärt ist?
Alles Gute für Sie.
Es ist nicht so, dass es keinen stochastischen Terrorismus gäbe oder dass Daesh auf der Gehaltsliste des FSB stünde.
Es ist aber auch nicht so, dass Russland im Rahmen seiner hybriden Kriegsführung gegen den freien Westen keinen Einfluss auf Wahlen nähme. Trumps erste Wahl 2016 wurde begleitet von massiven aus Russland gesteuerten Kampagnen gegen Hillary Clinton; Marine Le Pen nahm einen Millionenkredit aus kremlnahen Kreisen entgegen (https://www.nzz.ch/international/ein-dubioser-russischer-kredit-wird-zu-le-pens-albtraum-ld.1447908); die FPÖ kooperiert offen mit Putins Partei „Einiges Russland“ (https://www.dw.com/de/nach-dem-ibiza-video-die-kreml-liebe-der-fp%C3%B6/a-48813677), und in Deutschland hat der Kreml mit AfD und BSW zwei treue Parteigänger im Rennen und mit der Linkspartei eine Partei mit zumindest Beißhemmungen.
Es ist ferner bekannt, dass Russland mit seinen Proxies gezielt versucht, über das Thema Flüchtlinge die Länder Europas zu destabilisieren (es sei an die Flüchtlinge an der Grenze von Polen zu Belarus erinnert). Und dies deutlich verstärkt seit dem offenen Krieg gegen die Ukraine und der Reaktion der EU-Mitglieder darauf.
Ein Blick auf die Wahlprognosen hierzulande sollte eigentlich klar machen, welchen Gewinn Kreml hier einfahren kann: Sollten es Linke und Wagenknecht-Partei in den Bundestag schaffen und die AfD bei etwa 20 Prozentpunkten landen, verfügen die Kremltreuen und die mit Beißhemmung über eine Sperrminorität, die sowohl Grundgesetzänderungen verhindert, etwa eine Anpassung der Schuldenbremse, die deutlich höhere Rüstungsausgaben erleichtert, als auch eine Neuwahl von RichterInnen am Bundesverfassungsgericht.
Übrigens geschah der Mord in Villach, Österreich, nach der Wahl dort.
Scharfzüngige Analyse. Finde ich gut, dass Herr Posener hier ein paar gute Leute reingeholt hat. Lese ich gerne.
Ich sehe dahinter den identitären Zeitgeist. Links tut die Auseinandersetzung mit dem Islamismus als Rassismus ab, rechts macht keinen Unterschied zwischen Islamisten und Muslimen (überspitzt formuliert). Ergebnis: Symbolpolitik und moralische Überheblichkeit statt pragmatischer Lösungen.
Wer eben nur gegen „rechts“ kämpft, ohne Alternativen zu bieten, stärkt am Ende genau die Kräfte, die er bekämpfen will. Die Extreme nehmen zu, während die Probleme ungelöst bleiben.
Immer diese verdammten Ideologien. Es ist ja auch verführerisch, komplexe Gesellschaften in einfache Narrative zu packen: klare Feindbilder, klare Zugehörigkeiten. Und sobald jemand die Muster hinterfragt, wird es persönlich. Kritik als „Majestätsbeleidigung“, weil die Leute sich mit ihrem Weltbild gleichsetzen. “Es wird nicht diskutiert!“ Widerspruch als Angriff auf die eigene Identität.
Dilemma: Kultureller Wandel ist wie ein sehr langsames Software-Update auf einem alten PC mit schlechter Internetverbindung. Und die autoritäre Persönlichkeit klickt dabei immer auf „Erinnern Sie mich später“.
Vielen Dank für Ihre Gedanken zu dem Text. Sie haben meine volle Zustimmung.
Die passende Verschwörungstheorie ist schon parat:
https://www.ardmediathek.de/video/phoenix-der-tag/studiogespraech-mit-joerg-h-trauboth-sicherheitsexperte/phoenix/Y3JpZDovL3Bob2VuaXguZGUvNDc4ODQ4Mg
Ja, unglaublich, was Phönix sich da leistet. Das ist nur noch die Simulation eines öffentlich-rechtlichen Rufndunks.