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Irrsinne der Woche (1)

Eine Berliner Bezirkspolitikerin der Grünen erfindet Belästigungsvorwürfe gegen einen Grünen-Bundestagsabgeordneten und kegelt ihn damit aus dem Parlament. Ein verurteilter Rechtsextremist lässt ihren Geschlechtseintrag ändern und will in den Frauenknast. Das eine zeigt Fehler der Partei und von Medien, das andere die Verblendetheit der Trans-Ideologie und ihrer Vollstrecker.

Immer wieder tauchen Meldungen auf, die im Grundrauschen der Nachrichten fast untergehen, aber Beachtung verdienen, weil sie Mängel im politischen oder gesellschaftlichen System, in der Gesetzgebung, der politischen Kultur oder der menschlichen Psyche offenlegen. Fortan werde ich solche Vorkommnisse hier in Abständen aufspießen. Wenn Ihnen etwas auffällt, was sich lohnt, schreiben Sie mir, z.B. in einem Kommentar.

Im ersten Fall geht es um den direkt gewählten Berliner Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar, genauer: um die parteiinterne Intrige mindestens einer linken Bezirksabgeordneten gegen ihn, um – erfolgreich – seine Wiederwahl am 23. Februar zu verhindern. Anonym wie oft in solche Fällen waren kurz vor dem Landesparteitag, der die Landesliste aufstellte, unbelegte, nicht konkretisierte Anschuldigungen gegen ihn in Umlauf gebracht worden, er habe Frauen sexuell belästigt. Gelbhaar wies die Behauptungen, die besonders der RBB und auch andere Medien ohne nähere Prüfung begierig verbreiteten, sofort als „frei erfunden“ zurück. Was sich nun bestätigte.

Ein angeblicher „Täter“ ist zum Opfer einer Intrige

Aber die bloßen „Vorwürfe“, nicht einmal ein wirklicher Verdacht, reichten der Spitze des Landesverbands und dem Bundesvorstand der Grünen, um sich intensiv einzuschalten und Gelbhaar zum Verzicht auf seine erneute Direktkandidatur im Wabhlkreis Berlin-Pankow zu drängen, obwohl er schon im Dezember dort mit 98 % der Stimmen wieder aufgestellt worden war. Sie wollten Ärger und einen Skandal vermeiden – und haben beides nun erst recht. Auf einer erneuten Versammlungen wurde dann statt ihm eine linke Abgeordnete des Abgeordnetenhauses nominiert, auf der Landesliste steht er auch nicht. Seine politische Karriere ist damit erst einmal beendet.

Das ist bei Weitem nicht der erste Fall, man denke nur an die Causa Kachelmann. Bloße Behauptungen eines sexuellen Fehlverhaltens reichen seit der – äußerst verdienstvollen – „me-too“-Kampagne leider oft aus, um jemand öffentlich hinzurichten, seinen (selten: ihren) Ruf dauerhaft zu vernichten und Berufs- und Karriereaussichten, Freundeskreise, selbst Partnerschaften und Familien zu zerstören. Und die dadurch tatsächlich Betroffenen in eine persönliche Krise zu stürzen. Die Verursacherin und der Grünen-Landesverband und -Bundesvorstand, die statt den Anschuldigungen nachzugehen die falschen Konsequenzen zogen, haben mit ihrem Verhalten der Sache der Frauen einen Tort angetan. Und ihrer eigenen Partei. Denn ob die Ersatzkandidatin gewählt wird, ist nun sehr ungewiss. Gewiss ist, dass es den Wahlaussichten der Grünen, auch denen wieder Teil der Bundesregierung zu werden, schadet.

Medien dürfen nicht ungeprüft berichten

Fragen richten sich auch den RBB und andere Medien. Warum haben sie die „Vorwürfe“ nicht näher geprüft, bevor sie sie verbreiteten? Dann hätten sie schnell herausfinden können, was jetzt der „Tagesspiegel“ recherchiert hat: dass die Parteilinke und verquere Queer-Politikerin Shirin Kreße, eine Bezirksvertreterin in Berlin Mitte, die Behauptungen mutmaßlich fabriziert hat, und wohl auch mindestens eine eidesstattliche Versicherung, die sich untermauern sollte. Womit sie sich selbst strafbar gemacht hätte. Ob Weitere an den Machenschaften beteiligt waren, ist noch unklar.

„Mutmaßlich“ und im Konjunktiv, weil es nicht er- und bewiesen ist, aber die Staatsanwaltschaft geht dem Verdacht nach. Deshalb darf man das schreiben. Auch wenn Polizei und Justiz (noch) nicht ermitteln, dürfen Medien selbstverständlich über schwerwiegende Vorwürfe gegen Personen, Politiker, Parteien, Unternehmen oder Organisationen berichten. Dazu gibt es viele Urteile, auch vom Bundesverfassungsgericht. Aber die Vorwürfe müssen ein Mindestmaß an Plausibilität haben und nicht aus reinen, nicht von den Medien geprüften Behauptungen bestehen. Und den Beschuldigten muss Gelegenheit gegeben werden, dazu Stellung zu beziehen.

Verantwortung auch für die Beschuldigten

Medien haben jedoch kein Recht zur öffentlichen Vorverurteilung. Sie tragen Verantwortung nicht nur gegenüber tatsächlich oder vermeintlich Betroffenen (solche müssen Journalisten gelegentlich vor sich selbst schützen; ich kenne das aus eigenen Erfahrungen bei investigativen Recherchen) und ihren Lesern, Zuhöreren, Zuschauern. Sondern auch gegenüber den Beschuldigten und möglichen Opfern von Intrigen und Kampagnen, gegenüber der Öffentlichkeit und nicht zuletzt der Wahrheit.

Ich habe mir mal als Redakteur bei zeit-online erlaubt, die Verdachtsberichterstattung der ZEIT gegen den inzwischen verstorbenen Regisseur Dieter Wedel auf Facebook aus den genannten Gründen zu kritisieren. Und bekam dafür einen wütenden frühmorgendlichen Anruf meines damaligen stellvertretenden Chefredakteurs mit der ultimativen Aufforderung, meinen Post sofort zu löschen. Als ich das ablehnte, erhielt ich Stunden später eine Abmahnung.

Ein Jugendlichenbordell und eine Abmahnung

In einem anderen gravierenden Fall ging ging es um ein Minderjährigenbordell in Leipzig, zu dessen Aufdeckung ich als Ressortleiter beigetragen habe. In einer weiteren Abmahnung beschuldigte mich der Chefredakteur der ZEIT (der gar nicht mein Chef war), ich hätte einen Informanten vor Gericht verraten. Was ich natürlich nie getan hätte und habe. Als Zeuge hatte ich vielmehr auf Fragen der Richter, wie der Name eines leitenden Beamten des sächsischen LKA, der in dem „Sachsen-Sumpf“ ermittelt hatte, zu dem der Kinderpuff gehörte, und der deshalb geschasst worden war, in die Öffentlichkeit gelangt war, ausgesagt, dass er in einem Bericht der ZEIT gestanden hatte, aus dem wir lediglich zitiert hatten.

Beide Abmahnungen musste der ZEIT-Verlag zurücknehmen. Aber ich war wenig später trotzdem meine Stelle los. Die beiden guten freien Journalisten jedoch, deren Berichte ich nach langer intensiver Prüfung auch mit dem Medien- und Presserechtsanwalt der ZEIT veröffentlicht hatte und die im Gegensatz zur untätigen sächsischen Justiz die Hintergründe und Opfer des Kinderbordells aufgedeckt und Verantwortliche genannt hatten und deswegen von einem gar nicht namentlich genannten Richter und einem früheren Staatsanwalt, die beide selbst Freier der minderjährigen Zwangsprostuierten gewesen waren (der Richter hatte einen der Betreiber nur zu einer milden Strafe verurteilt, warum wohl?) beklagt worden waren, wurden in zweiter Instanz freigesprochen. Aufgrund meiner Aussage. Das ist es mir bis heute wert. Denn Missstände aufzudecken, wenn sie tatsächlich solche sind, ist eine zentrale Aufgabe von Journalisten. Und von Blättern und Medien, die sich aufklärerisch nennen.

Der rechtsextreme Sven wird zu Svenja

In dem zweiten aufgespießten Fall geht es um den Rechtsextremisten Sven Liebich und das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz, eine der vermeintlichen großen Errungenschaften der verloschenen Ampel. Kurz vor Antritt einer Haftstrafe hat Liebich seinen resp. ihren Geschlechtseintrag gemäß diesem Gesetz ändern lassen und heißt amtlich nun Marla-Svenja, besteht darauf, in einem Frauengefängnis untergebracht zu werden, und darf aufgrund dieses Gesetzes bei Strafandrohung auch nicht mehr mit seinem/ihrem früheren Namen genannt werden. Ja, es darf – ebenfalls unter Strafe – nicht einmal erwähnt werden, dass sie frühere ein Mann war. Sehr wohl aber, dass sie ein/e Rechtsextremist/in (was nun?) und deswegen verurteilt ist.

Streng genommen ist das, was ich hier gerade geschrieben habe, schon ein Gesetzesverstoß. Aber ich vermute, dass Frau/Herr Liebich und die sächsische Justiz gerade andere Sorgen haben.

Die Strafvollzugsbehörden stürzt der Geschlechtswechsel in die Bedrouille. Denn Marla-Svenja Liebich in ein Männergefängnis zu stecken, wäre – strafbewehrt – Diskriminierung einer Transfrau. Gegen die Unterbringung in einem Frauengefängnis würden wiederum dort einsitzende echte Frauen protestieren, die sicherlich nicht mit der vollbärtigen Penisträgerin zusammen duschen und eine Zelle teilen möchten. Also extra einen geschlechtsneutralen Transknast für sie/ihn schaffen?

Erfolgreiche Provokation, von Linken gelernt

Von Liebich, der seinen/ihren Geschlechtseintrag nach einem Jahr erneut frei wählen und ändern lassen kann, ist das mit Sicherheit eine Provokation gegen das Gesetz. Schließlich hat er/sie bisher gegen „Transfaschisten“ gehetzt. Aber eine sehr gelungene, das müssten selbst Verfechter und Verfechterinnen der erhofften Entdiskriminierung von Transpersonen eingestehen. Denn es zeigt, wie unverantwortlich und fehlgeleitet die „Reform“ ist. Sie ermöglicht, offenkundige Lügen zur vermeintlichen, gar offziellen, legalen Wahrheit zu machen, nicht anders als von Trump und ähnlichen Leuten.

Viel gravierender noch: Es schadet besonders Mädchen, die in der Pubertät weit häufiger als Jungs mit ihrem heranwachsenden Geschlecht hadern und an ihm zweifeln, und sich nun wegen der erfolgreichen Transkampange ohne Prüfung durch Ärzte und Psychologen, selbst gegen den Willen ihrer Eltern, zu Jungen/Männern erklären lassen können. Was viele von ihnen in psychsische Krisen stürzen wird, weshalb Kinderärzte, Jugendpsychiater, Psycholgen und andere Experten eindringlich, aber vergebens davor gewarnt haben. Grüne, Frei- und Sozialdemokraten, die sonst immer auf die Wissenschaft schwören, wollten hier nicht auf sie hören. Den Schaden tragen andere davon, wenn die künftige neue Regierung das Gesetz nicht alsbald wieder ändert. Bis dahin sollte man mit der Inhaftierung von Sven/ja Liebich wohl besser warten.

Was beide geschilderte Fälle verbindet: Gute Absichten führen nicht selten zu schlechten (politischen) Ergebnissen und Gesetzen. Der Weg zur Hölle ist mit ihnen gepflastert. Auf der Strecke bleibt in Zeiten der Fakenews auch die stets beschworene Wahrheit.

Ludwig Greven ist Publizist. Er war u.a. Politikchef der „Woche“ und bei zeit-online und schreibt für verschiedene Medien und in diesem Blog. Von ihm stammt das Buch „Die Skandalrepublik“.

 

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