avatar

Ihr könnt uns mal! Ehrenamt in Deutschland.

Zehn Jahre Be an Angel – die Geschichte ist mittlerweile einigermaßen oft erzählt worden: Obdachlose Geflüchtete aus Kriegsgebieten, die in Berliner Parks schliefen, fanden Zuflucht in privaten Wohnungen. Heute gibt Be an Angel Menschen die Chance, ihr selbstbestimmtes Leben zu führen. 

Es waren in ganz Deutschland Menschen, die spontan so gehandelt haben. Man war stolz auf eine Willkommenskultur. Heute erleben wir mehr und mehr: Humanismus ist Luxus. Die Strategie der Angstmache von rechts außen greift und treibt Nationalismus und Egoismus zu ungeahnten Höhen. Man hat den Eindruck, es geht selbst in Deutschland, einem der wirtschaftsstärksten Länder der Welt, bei dem Einzelnen nur noch ums nackte Überleben. 

Bundesverdienstkreuz - schönes Accessoires

Viele haben überhaupt noch nicht verstanden, wie gut es uns geht. Nach fast drei Jahren, in denen ich die meiste Zeit in der Ukraine lebte, glaube ich, das erkennen zu können. Bei jedem Aufenthalt in Deutschland bin ich schockiert über die Themen: Alles wird immer schlimmer, das Ende ist nah, und die anderen sind schuld. Politik, Verwaltung, Medien. Nur man selbst nicht, man kann ja nichts machen. Und dann wird über den nächsten Urlaub, den nächsten Restaurantbesuch gesprochen. Durch diese Form der Wohlstandsverwahrlosung hat sich die Wahrnehmung oft bis in eine Unkenntlichkeitszone verschoben. Mit einem bizarren Effekt: Fakten werden zunehmend irrelevant. 

Jede und jeder hätte die Möglichkeit, sich umfassend zu informieren – aber die Option, bei „die Erde ist eine Scheibe“ ein Gefällt-mir-Klick zu machen, gibt einfach das bessere Gefühl. Abschottung vom Vorgarten bis an die Außengrenzen. Hauptsache, mir geht’s gut. Politik, die nicht in der Lage ist, einen Narrativwechsel zu gestalten, sondern lieber den Feind innerhalb des demokratischen Spektrums bekämpft. Und nein, ganz deutlich: Die AfD ist nicht innerhalb dieses Spektrums. Und um auch das deutlich zu sagen: Politik, die oftmals auf Postengeschacher und Machterhalt fokussiert ist. Oftmals betrieben durch männliche, ältere bis alte Vortänzer, die in ihrem Auftreten veritable Persönlichkeitsstörungen eindrucksvoll dokumentieren. Der total beleidigte Olaf Scholz, der die Chuzpe hat, beleidigt zu sein, obwohl er über Jahre dem Trauerspiel hätte ein Ende setzen können. Der noch beleidigteren Christian Lindner, der plötzlich das Opfer seiner eigenen versaubeutelten Politik der Spaltung der Koalition war. Wo bitte sind die liberalen Politiker und Politikerinnen mit einer Agenda, die nicht von Lobby und Eigeninteressen gesteuert sind? Wo sind die Politiker und Politikerinnen, die nicht zu narzisstischen Selbstdarstellern à la Söder verkommen sind? Bei vielen demokratischen Parteien in der zweiten Reihe: ambitionierte jüngere Leute, die für Inhalte brennen und von den – pardon – alten Säcken kleingehalten oder verbrannt werden. (Ich darf alte Säcke sagen, ich bin selber einer.)

Parallel dazu werden zivilgesellschaftliche Organisationen, die für den Zusammenhalt der Gesellschaft kämpfen, in Grund und Boden gespart, über administrative Abläufe zermürbt und maximal als Dekoartikel präsentiert.

Wir, die zivilgesellschaftlichen Initiativen, sind im Moment der Kitt, der das Auseinanderdriften verhindert. Verhindern könnte. Wenn es die entsprechende Unterstützung gäbe, von der in Politik und Verwaltung so oft geredet wird, die aber nicht umgesetzt wird. 

 

Corona: Geflüchtet kochen fur Obdachlose. Nimm das, AfD.

Ehrenamtliche als Dekoartikel

Ganz persönliches Beispiel: Für mein zivilgesellschaftliches Engagement habe ich vom Bundespräsidenten das Bundesverdienstkreuz erhalten. Anerkennung. Und damit ist die Geschichte zu Ende erzählt. Nicht ganz allerdings: Zum Tag des Ehrenamts im Schloss Bellevue bekomme ich keine Einladung. Das ist keine persönliche Verletztheit, die aus mir spricht, sondern ein Erlebnis, das ich mit vielen, die sich seit Jahren ehrenamtlich engagieren, teile. Engagierte werden gerne eingeladen, auf Fotos gebeten und mit Ehrungen ausgezeichnet – damit geht nicht einher, dass man für das Gegenüber in Politik und Verwaltung Augenhöhe erreicht hat. 

Die Expertise, die sich viele der Engagierten seit 2015 erarbeitet haben, wird nicht ausreichend gewürdigt. Was noch schlimmer ist: Der Input, den eben solche Initiativen wie wir Verwaltung, Politik und diverse andere große Organisationen bieten könnten, wird nicht genutzt. Von Sustainability ist dauernd die Rede. Schon wieder eine Geschichte zu Ende? Ganz aktuell: Im Rathaus von Berlin geht der Kultursenator einmal mit der Sense durch die Szene. Ob die großen Institutionen wirklich sparen könnten, mag ich nicht beurteilen, ich kenne aber die Kleinen. Die, die über Kunst Integration schaffen, die immer wieder Austausch zwischen den Bubbles aus „richtigen Deutschen“ und Migranten herstellen, die Menschen mit Fluchterfahrung in ihre Projekte einbinden und so vermitteln, wie es denen geht, aber denen auch vermitteln: So ist das, dieses Deutschland. Suprise: Frauen haben gleiche Rechte. Jau, Schwule dürfen heiraten. Und das ist auch gut so. (Die älteren erinnern sich….)

Berlins größte zivilgesellschaftliche Organisation in der Ukraine Unterstützung. Und? 

 

Wir, Be an Angel, haben einen heißen Draht in die Kunstwelt. Vor allem die zeitgenössische. Alleine das Ergebnis des 48-Stunden-Spendenmarathons der Neuen Nationalgalerie zu unseren Gunsten hat es ermöglicht, zigtausende Ukrainer und Ukrainerinnen aus Lebensgefahr zu evakuieren. Galerien, einzelne Künstler, Institutionen haben zu unseren Gunsten gespendet oder dazu aufgerufen. Zivilgesellschaft letztendlich. Aber wir sind die New Kids on the Block. Auch nach zehn Jahren sind wir in der Wahrnehmung vieler ein „lustiger, kleiner Verein“. Dass wir Berlins größte zivilgesellschaftliche Hilfsorganisation für die Ukraine sind… wir können es nicht oft genug rausposaunen. Und sind mit unserem Image entweder „zu klein“ oder „der böse Konkurrent“. Selbst vom „Willkommenszentrum Berlin“ – aus eigener Definition Schnittstelle zwischen zivilgesellschaftlichen Hilfsorganisationen und Senat (und von dem auch finanziert!) – kamen bis dato null Einladungen zum Austausch. Also nehmen wir Kontakt auf, um Synergien herzustellen. Werden „geghostet“, werden in erbettelten „Meetings“ vollgetextet mit den unfassbaren Leistungen, die das „Willkommenszentrum“ so auf die Beine stellt. Auf unseren Input gibt es kein Nachfassen, kein Follow-up. Aber die Leiterin ist quasi bei jeder Kanapee-Rumreich-Veranstaltung präsent. Diese ganzen Stuhlkreise aus (bestenfalls) gegenseitiger Beweihräucherung sind so unfassbar langweilig, dass man froh ist über Candy-Crush, um das irgendwie sinnvoll hinter sich zu bringen.

Und gerade die großen Player machen es für Newcomer wie uns beinahe unmöglich, uns zu etablieren. Rein spendenfinanziert können wir uns eine entsprechende Administration, um auf alle Anforderungen bei Förder- und Projektanträgen zu reagieren, überhaupt nicht leisten. Und oftmals setzen die, die Gelder vergeben, auf die „alten Hasen“. Nicht, weil die die bessere Arbeit machen, sondern weil die Großen die Administration entsprechend bedienen können. Jedes Formular, formvollendet ausgefüllt, zählt mehr als pragmatische Arbeit für die Gesellschaft. 

Unser Thema war und ist: Das, was gespendet wird, soll bei den Menschen ankommen, die es brauchen. Aus dem direkten Einsatz der Spenden, über die wir bis dato alles finanziert haben, ergibt sich eine unserer Schwächen. In den zehn Jahren haben wir es nicht geschafft, eine nachhaltige Kommunikation aufzubauen. Wir haben uns viel zu selten bei unseren Spendern und Spenderinnen gemeldet und sie viel zu selten über das informiert, was wir mit ihrem Geld machen. Das ist eben eine Kostenfrage – Ehrenamt kann nur nachhaltig agieren, wenn es denn endlich mal angemessen honoriert würde. 

Auf Dauer zu erwarten, dass sich Engagierte kostenfrei in den persönlichen Ruin arbeiten, ist eine der Perversionen, die sich aus der Vorstellung „Humanismus ist Luxus“ generiert. Dann enden wir in „Philanthropie“ a la Elon Musk. Nuff said. 

Die Schlangen vor den Arche-Essensausgaben, vor den Kleiderkammern und all den ehrenamtlichen Initiativen, die Grundversorgung sicherstellen wollen, sprechen für sich. Die Initiativen, die sozial bedingte Lernschwächen mildern wollen, die Organisationen, die Kindern aus Kriegsgebieten ein wenig Sicherheit und unsere Kultur vermitteln, haben das Know-how und müssen um jeden Cent betteln. Die ganzen Potenziale – oder, um eine passende Terminologie zu verwenden, die ungenutzten Human Resources – vergammeln. Mal ganz abgesehen vom humanitären Aspekt: Der ökonomische Schaden ist einfach hanebüchen. Menschen im Asylverfahren mit Arbeitsverbot, die den Staat – also uns – jeden Monat rund 2.500 € kosten. Der Flughafen Tegel mit irgendwas um die 4.000 Leuten, der jeden Tag rund ein Million Euro kostet. 

 Bis hin zu den mit Steuergeldern subventionierten Arbeitsplätzen. Wenn wir denn schon von einer kapitalistischen Gesellschaft reden und es super finden, dass man vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen kann, dann müssen sich Unternehmer und Unternehmerinnen daran messen lassen: Wer seinen Betrieb nicht so führen kann, dass er sein Team angemessen behalten kann, der hat es halt nicht drauf. Dass Steuergelder die Ferraris von „Geschäftsleuten“ finanzieren, die gerade mal den Mindestlohn zahlen, von dem man kaum leben kann, spricht nur an einem Punkt für die Geschäftsleute: Sie haben verstanden, wie man ein System abzockt.

Zehn Jahre. Verbrannte Ehrenamtliche, die irgendwann einfach nicht mehr konnten. Zehn Jahre: Deutschland im Jammer-Modus. Zehn Jahre: Dass Rechts mal wieder so groß werden konnte – unvorstellbar. Unvorstellbar wahr. 

Zehn Jahre.

Und jetzt kommt’s: 

Ein Netzwerk aus Firmen, aus Machern und Macherinnen. Aus Profis und Menschen, die sich in Themen reingearbeitet haben, von denen sie vorher nicht mal wussten, dass es sie gibt. Zehn Jahre hemdsärmeliger Pragmatismus – immer angetrieben von unserem Spirit: Gefällt uns nicht. Dann machen wir es halt anders. Dann machen wir es halt selber. 

Zehn Jahre: Aufgeben ist keine Option.

Dieses Deutschland kann so großartig sein. Wir müssen nur alle mal zackig runterkommen von der Nöl-Nummer, der „die anderen“-Reflex-Abwehr und (vielleicht sogar) wieder hin zu hemdsärmeligem, gut gelauntem Anpacken und Anpackerinnen! 

Wir, Be an Angel, sind in einer Wachstumsbranche. Böse gesagt. Es wird mehr Krisen, mehr Flucht geben. Und Menschen lassen sich nicht aufhalten, wenn sie ihr Leben retten wollen. Jetzt können wir den Versuch starten, aus Deutschland eine DDR 2.0 zu machen, mit Mauer und Stacheldraht. (Okay, schiefes Bild – aus der DDR sind die Menschen mit Recht abgehauen. Vielleicht doch kein schräges Bild: Konnten sie aufgehalten werden? Nope.) Wir können also eine Festung Deutschland hinfrickeln. Wird nicht klappen. Also pragmatisch, praktisch, gut: Machen wir das Beste draus. Dazu gehört auch, dass diejenigen, die das Land ins Wachkoma verwalten, aufhören zu predigen und endlich mal in den Modus „Machen“ kommen. Ohne dauernd daran zu denken, wie sie ihre eigenen Pfründe bewahren.

Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top