Ein Rechtsextremist wird in Österreich Kanzler – fast 100 Jahre, nachdem dort schon einmal Austrofaschisten regierten: Kann so etwas auch bei uns wieder passieren? Ja, wenn wir alle, vor allem die demokratischen Parteien nicht aufpassen.
Drei Parteien der Mitte, die sich nicht zusammenraufen und beschimpfen, statt die gewaltigen Probleme gemeinsam entschlossen anzugehen; die Rechtsextremen frohlocken, dem Land drohen Unregierbarkeit und echte Gefahren für die Demokratie. Das bekommt einem bekannt vor. Es spielt aber so (noch) nicht in Deutschland, sondern im Nachbarland. Doch wenn Union, SPD, Grüne und FDP keine Lehren aus den Ereignissen dort und dem Ampel-Aus ziehen, könnte es hierzulande nach der Neuwahl ähnlich kommen.
In Österreich geschieht manches früher: Faschisten kamen dort schon in die Regierung, bevor in Deutschland Hitler und die Nazis die Macht übernahmen und 1938 Österreich ans Dritte Reich anschlossen. Die junge Republik starb hier wie dort auch an eigener Schwäche. In ihrer Nachfolge und gegründet vor allem von ehemaligen Faschisten setzte die rechtspopulistische und inzwischen großteils rechtsextreme FPÖ bereits zu ihrem Siegeszug an und regierte zweimal in Wien mit, bevor es die AfD überhaupt gab und auch sie immer stärker und radikaler wurde. Begünstigt dadurch, dass die alten Volksparteien SPÖ und ÖVP, die sich in Österreich seit dem Krieg über Jahrzehnte die Macht teilten und abwechselnd den Kanzler stellen, noch in ganz anderer Weise ausgezehrt und verrottet sind als SPD und Union.
Und auch eine schwere Regierungskrise erlebten die Nachbarn schon 2019, als der damalige ÖVP-Kanzler Kurz (der nun wieder Morgenluft wittert) infolge der Ibizia-Affäre FPÖ-Innenminister Herbert Kickl entließ, er selbst kurz darauf wegen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen zurücktreten musste und die türkis-blaue Koaltion zerbrach. Danach regierte bis zur Wahl im Oktober die ÖVP mit den Grünen mehr schlecht als recht.
Mit sich selbst beschäftigt
Vergleiche hinken bekanntlich. Geschichte wiederholt sich nicht eins zu eins. Aber Vieles, was sich beim kleinen südlichen Nachbarn jetzt offenbart, hat Parallelen zu uns. Und zu früher: Die Wirtschaft steckt schon lange in Krise, die Arbeitslosigkeit steigt. Bürokratie und Überregulierung lähmen, die Angst vor Fremden und Migranten, geschürt von den Rechten, ist stark, das Land nicht verteidigungsfähig. Die Parteien der Mitte sind mehr mit sich selbst beschäftigt als mit den großen Problemen, die das Land und die Bürger drücken.
Einen entscheidenden Unterschied gibt es jedoch – noch: Die FPÖ, die die Demokratie offen in Frage stellt, ist dort schon stärkste Kraft, ihr Vorsitzender Kickl könnte nun Kanzler werden und das Land in seinem radikalen Sinne und dem seiner vielen Anhänger umgestalten. Die ebesnso putinhörige, EU- und ausländerfeindliche AfD dagegen ist bislang in den Umfragen „nur“ zweitstärkste Kraft. Aber das muss nicht so bleiben. Im Osten liegt sie bereits an der Spitze, in Thüringen wurde sie stärkste Partei, in Sachsen und Brandenburg lag sie nur knapp hinter der CDU bzw. der SPD. Mit der Folge, dass in Thüringen und Brandenburg das kaum weniger extreme BSW nun mitregiert, in Sachsen eine Minderheitsregierung.
Wird die AfD zu stärkten Kraft?
Im Bund sind wir davon zum Glück noch ein Stück entfernt. Wenn die Neuwahl am 23. Februar in etwa so ausgeht, wie es die derzeitigen Umfragen vorhersagen, dürfte der mutmaßliche neue Kanzler Friedrich Merz die Wahl haben, ob er mit der SPD oder den Grünen regiert; ggfs. auch mit der FDP, falls die den Wiedereinzug in den Bundestag schafft. Von denen und seiner Union wird dann abhängen, ob sich die abschreckende Beispiele der gescheiterten Jamaika-Verhandlungen 2017 und der an inneren Widersprüchen und Dauerstreit zerbrochenen Ampelregierung wiederholen. Oder ob sie sich auf vernünftige Kompromisse verständigen, um das Land wieder voranzubringen und die Extremisten rechts wie links in Schach zu halten.
Das setzt voraus, dass die beteiligten Parteien bereit sind, mit dem Blick aufs Ganze, um das es geht, von ihren jeweiligen Positionen abzugehen. Woran es in Wien offensichtlich vor allem bei ÖVP und SPÖ trotz des dramatischen Wahlergebnisses mangelte, in Berlin vor allem bei SPD und FDP. Sich von einander abzugrenzen ist im Wahlkampf wichtig, damit die Bürger eine klare Wahl haben. Aber das darf nicht in einer wechselseitigen Verteufelung und einer Ausschließeritits enden, wie es der bayerische Möchte-gern-Kanzler Markus Söder gegenüber den Grünen betreibt.
Ein Kernprogramm für die künftige Regierung
Nach der Wahl und in einer Regierung geht es jedoch darum, die Probleme zu lösen und sich dafür auf tragfähige Kompromisse zu verständigen – Kern einer parlamentarischen Demokratie. Bei guten Willen müssten die sich nach der Neuwahl finden lassen, ob in einer schwarz-roten oder schwarz-grünen Koalition. Denn die Aufgaben liegen auf der Hand und werden von den maßgeblichen Parteien in ihren Wahlprogrammen benannt, wenn auch in unterschiedlicher Weise:
1. Die Wirtschaft muss gestärkt und von unnötiger Bürokratie und Überregulierung und bei den Energiekosten entlastet werden, damit sich vor allem die vielen kleineren Unternehmen und Betriebe sowie Start-ups wieder entwickeln können und Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden. Absterbende Industrieunternehmen wie die Auto- und Stahlbranche sollten nicht um jeden Preis erhalten werden, wie es die SPD fordert. Ihr Rück- und Umbau muss jedoch staatlich unterstützt und sozial abgefedert werden, um soziale Brüche mit schweren gesellschaftlichen und politischen Folgen zu verhindern, so wie es im Ruhrgebiet alles in allem gelungen ist.
Das wiederum ist ökonomische Voraussetzungen, damit 2. die Verteidigungsfähigkeit angesichts der massiven Bedrohung durch Putin-Russland rasch wiederhergestellt und die Ukraine in ihrem Abwehrkampf weiter und stärker als bisher unterstützt werden kann. Erst recht, wenn wie zu befürchten Trump nach seinem Wiederamtsantritt Europa den US-Schutz entzieht und die Ukraine zu einem Waffenstillstand zwingt.
3. müssen viele Milliarden in die marode Infrastruktur, die Bildung, die Energiewende und den Wohnungsbau investiert werden, allesamt große auch soziale Fragen. Mit neuen Schulden allein wird das nicht gehen, selbst wenn sich die künftigen Regierungspartner auf eine Reform der Schuldenbremse einigen sollten. Es wird daher auch Umschichtungen im Haushalt geben müssen, also auch Einschnitte bei den Sozialleistungen, dem allergrößten Posten. Vor allem das Bürgergeld muss wieder auf das zurückgestutzt werden, wozu es unter dem Namen Hartz IV von der rot-grünen Regierung einst geschaffen wurde: Fördern und Fordern für die, die sich selbst nicht helfen können, Arbeit zu finden. Nicht bedingungsloses Einkommen für viel zu Viele.
4. In der Migrations- und Asylpolitik muss ein Mittelweg gefunden werden zwischen der humanitär und vom Völkerrecht gebotenen Aufnahme wirklicher Flüchtlinge auf der einen Seite – unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integerationsmöglichkeiten in den Kommunen, und dem Bedarf an ausländischen Fachkräften auf der anderen. Ohne Hass und Hetze gegeben Migranten, aber auch ohne Verniedlichung der schon jetzt großen Probleme.
5. Nicht zuletzt muss die Klimaschutzpolitik weiter energisch vorangetrieben werden und die Umstellung der Wirtschaft und des Verkehrs auf CO2-freie Energien, was angesichts der anderen großen Aufgaben in den Hintergrund zu rücken droht. Das alles jedoch mit mehr Augenmaß und sozialer Flankierung, als es die Grünen zeitweise vorangetrieben haben.
Wenn die neue Bundesregierung ein solches Kernprogramm anpackt und umsetzt, müssen wir nicht fürchten, dass es bei uns eines Tages wie in Österreich heißt: Weidel ante portas.
Der Twitter-User @JohannesKoepl schrieb am 5. Januar zu Österreich:
Ganz so optimistisch bin ich nicht. Es sind mehr als bloß Duftmarken, die eine solche Regierung setzen kann, zumal, wenn sie nicht vom Verfassungsgericht wieder kassiert werden.
– Personalbesetzung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ORF (hier hat die Bundespolitik, insbesondere die Bundesregierung entscheidenden Einfluss);
– Schulwesen – ebenfalls im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland nicht Länder-, sondern Bundesangelegenheit;
– Auch die Polizei ist vor allem Bundes- statt Länderangelegenheit.
In diesen drei Bereichen kann die Regierung prinzipiell das komplette Personaltableau austauschen und durch Parteigänger ersetzen.
Orban hat es vorgemacht.
Warum wohl kommt mir bei solchen Texten ‚Comical Ali‘ in den Sinn?
Keine Ahnung. Erklären Sie es mir.