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„Wir wählen die Freiheit“

Wer „Einigkeit und Recht und Freiheit“ im Wappen führt, muss sich damit auseinandersetzen können, dass diese Begriffe auch vom politischen Gegner okkupiert oder von der Regierung umgedeutet werden können.

Im ersten deutschen Bundestag gab es sieben Parteien – CDU/CSU, SPD, FDP, DP (Deutsche Partei), FU (Föderalistische Union), KPD (Kommunistische Partei Deutschlands), WAV (Wirtschaftliche Aufbauvereingung; aus der Bayern Partei und dem Zentrum hervorgegangen) – und 20 fraktionslose Abgeordnete. Einige dieser Parteien fristeten ein eher kurzes Dasein in der politischen Landschaft, andere haben bis heute überlebt.  Die CDU/CSU koalierte in der ersten deutschen Bundesregierung mit FDP und DP und hatte damit eine Mehrheit von 51%.

Die 240. Sitzung des Bundestages am 03.12.1952 verlief stürmisch. Es ging, neben anderen, weniger wichtigen Tagesordnungspunkten, um den sogenannten „Generalvertrag,“ der die „Beziehungen der Bundesrepublik und den Drei Mächten“ regelt und um den „Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft.“ Die hitzige Debatte ist im Protokoll dieser Sitzung dokumentiert: Zwischenrufe, Ordnungsrufe der Bundestagspräsidenten und sogar Verlassen des Sitzungssaals unter Protest. Durch das Ziel der Verträge, die Westbindung der Bundesrepublik entscheidend voranzutreiben, würde ein „geeintes, freiheitliches Deutschland“ (Willi Brandt) nahezu verunmöglicht werden. Konrad Adenauer war als Regierungschef fest dazu entschlossen, diese Verträge zu unterzeichnen. Denn er war der Meinung, dass, gäbe es das Modell eines „neutralen Staates Deutschland,“ dieser sehr schnell in den Einflussbereich Moskaus geraten würde, was die Westalliierten nicht zulassen könnten. Adenauer glaubte, dass dadurch ein neuer Krieg vorprogrammiert sei. Doch allein schon die ideologischen Implikationen, die mit einer „Neutralität“ einhergehen würden, hielt Adenauer für äußerst gefährlich.

Seine Rede, die auf den Seiten 11132 c/d bis 11144 c des Protokolls dokumentiert ist, endet mit den Sätzen:

„Es ist die Schicksalsfrage Deutschlands Wir stehen vor der Wahl zwischen Sklaverei und Freiheit. Wir wählen die Freiheit.“

Die DNA der Bundesrepublik

Adenauer hatte damit die gesamtgesellschaftliche DNA der Bundesrepublik implementiert. Es war eine klare Absage an jede Form von Totalitarismus und ein Plädoyer für eine wehrhafte Demokratie, betrachtet man die Verbindung zum Diskussionsgegenstand. Und die Bundesrepublik folgte dieser Disposition, beispielweise mit dem Radikalenerlass oder dem Verbot der KPD, wobei die Auslegung und Anwendung oft fehlerbehaftet war.

Obwohl in der jungen Bundesrepublik zahlreiches Personal des untergegangenen NS-Staates, einer ganz und gar antifreiheitlichen Diktatur, wieder zu Amt und Würden kamen, war Adenauers Freiheitsbegriff in der Tradition von Aristoteles, Hobbes, Kant und Voltaire gefasst, sowohl die positive Freiheit als auch die negative Freiheit einschließend: Freiheit zu etwas und Freiheit von etwas. Dagegen steht die Freiheit im marxistischen aka totalitären Sinn. Laut Friedrich Engels, wie er im „Anti-Dührung“ schreibt, soll Hegel Freiheit als „Einsicht in die Notwendigkeit“ definiert haben. Aber das ist, wie man sehr leicht nachlesen kann, gelogen. Engels hat sich Hegel zurechtgebogen, bis er ihm ideologisch passte und er Hegel für seine Demagogie nutzen konnte. Subsumiert sagte Hegel in seinen „Vorlesungen über die Philosophie der Religionen“, dass absolute Notwendigkeit Freiheit bedeutet. Engels‘ unverhohlene Aufforderung einer demagogischen Moral zu folgen und sie damit in den Stand einer Religion des Totalitarismus zu erheben, hat über Lenin und Stalin, Hitler und Mussolini, Mao, Pol Pot, Enver Hodscha, Idi Amin und Kim Jong Un bis heute überlebt. Freilich kommt sie heute in einer anderen daher.

Dialektisch betrachtet, muss zwangsläufig zu jedem Phänomen ein Gegenphänomen existieren. In der realen Geschichte, also nicht als bloße Idee, existiert Freiheit frühestens seit der „Glorius Revolution“ von 1688/1689. Und bei allen nachfolgenden Umwälzungen in Richtung einer aristotelisch-voltairschen Freiheit gab es Gegenbewegungen, also das, was man als „reaktionär“ bezeichnet. Die Gegenfreiheiten etablierten sich manchmal in der Geschichte, manchmal nicht, je nachdem, was die reaktionäre Gegenfreiheit zu versprechen in der Lage war oder moralisch erzwingen konnte. Entscheidend ist allerdings, wie eine vermeintlich freie Gesellschaft mit dem Phänomen umgeht. Denn der Grad der Freiheit des Individuums muss sich an der nichtverhandelbaren Gewährung demokratischer Grundrechte messen lassen.

Grundrechte

Die Grundrechte, wie sie vom Grundgesetz der Bundesrepublik vom 23.05.1949 in den Artikeln 1 bis 13 festgeschrieben wurden, beinhalten auch die Bedingungen, die zur Einschränkung dieser freiheitlichen Grundrechte führen können. Allgemein gilt, dass es einer besonderen Notlage UND eines Gesetzes bedarf, um die Grundrechte außer Kraft setzen zu können. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes waren, schlägt man diese Artikel nach, offensichtlich nicht in der Lage vorauszusehen, dass auch eine demokratisch legitimierte Regierung die „Freiheit“ grundgesetzkonform umdeuten könnte. Die jüngste Vergangenheit hält dafür ein besonderes Beispiel bereit, das in die Geschichtsbücher als „Anschlag auf die Freiheit“ eingehen könnte: Die Corona-Maßnahmen. Hier wurde das exekutiert, was Orwell als Dystopie in seinem Roman „1984“ entworfen hat. Die Grundrechte wurden teilweise oder ganz außer Kraft gesetzt. So existierte beispielsweise das Recht auf Freizügigkeit im gesamten Bundesgebiet, wie es in Artikel 11 festgeschrieben ist, plötzlich nicht mehr. Die Unverletzlichkeit der Wohnung – Artikel 13 – war keinen Pfifferling mehr wert, wenn ein misslauniger Nachbar im Denunziationsmodus meinte, in der Wohnung nebenan würden sich mehr Personen zu Weihnachten aufhalten, als erlaubt.  Dass sich selbst der Ethikrat unter seiner damaligen Vorsitzenden dazu verpflichtet sah, die Aushebelung der Grundrechte – und damit der Freiheit – zu begrüßen, ist ein besonders dunkle Episode.

Begründet wurde die zeitweise Abschaffung der Freiheit stets moralisch. Es war moralisch geboten, eine Impfpflicht zu fordern, es war moralisch geboten, alte Menschen einsam, ohne ihre nächsten Angehörigen, sterben zu lassen, es war moralisch geboten, die Bevölkerung in ihren Wohnungen einzusperren. Er war moralisch geboten, zu lügen und es war moralisch geboten, an den Maßnahmen keinerlei Kritik zu üben. Angela Merkels Formel der „Alternativlosigkeit,“ der alte Wein des „Durchregierens“ von Gerhard Schröder in einem neuen Schlauch, war das Podest, von dem aus Gegenfreiheit auf die Untertanen niederprasselte. Dass Merkel ausgerechnet ihre langweiligen, nichtssagenden und von Selbstherrlichkeit nur so triefenden Memoiren mit „Freiheit“ betitelt, spiegelt die zynische Denkweise der Autorin perfekt wieder. Moral als Ideologie zur barrierefreien Durchsetzung der Regierungspolitik kennt die Geschichte sonst nur von oben genannten Diktaturen. Und wenn man dann noch die Ereignisse um die freigeklagten RKI-Protokolle in Rechnung stellt, hat die bundesrepublikanische Demokratie versagt.

Noch einmal: Moral

Wenn beispielsweise Wirtschaftsminister Robert Habeck auf der Konferenz des Zentrums Liberale Moderne unter dem Titel „Ökologie und Freiheit“ 2023 ausführt, dass Freiheit durch „ökologische Krisen eingeengt“ wird, eine Behauptung mit lediglich anekdotischer Evidenz, dass die „vielen Krisen“ nicht gleichbedeutend sind mit einem „ein Mangel an Dynamik, an Fortschritt, an Geschwindigkeit, an neuen Innovationen, sondern ein Mangel an Vertrauen, an befriedigtem Sicherheitsbedürfnis, an Anerkennung für viele Menschen.“ Was das eine mit dem anderen zu tun hat, dafür bleibt er den Beweis schuldig. Er benutzt Schlagworte wie „Hoffnung“ und „dass alles am Ende gut werden kann.“ Was gut werden kann, verrät er uns auch nicht. Es wird ein Gebäude gebaut, in dem das wohnt, was man Gegenfreiheit nennen muss. Der Ruf nach immer mehr Regulierung, Habeck nennt es ein „neues Denken,“ euphemistisch „gesellschaftliche Unterstützung“ und „Solidarität,“ was nichts weiter als ebendiese Gegenfreiheit bedeutet, ist der Wille, ein Paradies auf Erden zu errichten. Dieses Bestreben hat in der Geschichte der Menschheit schon oft den Weg in die Hölle gepflastert.

Das alles mag, für sich genommen, noch gar nicht so gravierend sein, wie man denken könnte. Man kann durchaus dieser Meinung sein. Gefährlich ist dabei der moralische Anspruch auf der Straße der Sieger zu gehen und in ebendiesem Sinne der Moral gesellschaftlichen Diskurs immer weiter einzuschränken. Wer heute beispielsweise die Erkenntnisse zum menschengemachten Klimawandel kritisch hinterfragt, gilt als „Klimaleugner,“ wer sich nicht impfen lassen wollte, war „Coronaleugner“ und „Schwurbler,“ wer die Rolle der USA und der NATO bei Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hinterfragen will, gilt als „Putinversteher.“

Da gibt es plötzlich die „Grenzen des Sagbaren“ und Freiheit verkommt zur hohlen Phrase. Freier, gesellschaftlicher Diskurs ist damit nicht mehr die Grundvoraussetzung unserer Demokratie. Die Flut der Strafanzeigen von Politikern, die sich gegen kritische Äußerungen von Bürgern richten, illustriert die Beschädigung der Freiheit deutlich und erinnert an diktatorische Zeiten unserer Geschichte. Wer in der DDR z.B. von einer „Gerontokratie“ sprach, das Durchschnittsalter des Politbüros der SED betrug vor der 10. Tagung des ZK vom 08.-10.November 1989 67,3 Jahre, fand sich schnell vor Gericht wieder. Der berühmteste Witz der DDR erzählt sich so:

Walter Ulbricht fährt in seiner Limousine nachts durch ein Dorf. Sein Fahrer passt nicht auf und überfährt eine aus den Stallungen ausgebrochene Sau. Ulbricht schickt seinen Fahrer in die Dorfkneipe, um den versammelten Bauern dort Bescheid zu sagen. Nach Stunden erscheint der Fahrer wieder. Er ist sturzbetrunken. Ulbricht fragt, was denn los gewesen sein. Der Fahrer lallt: „Ich hab‘ gesagt, ich wäre der Fahrer von Ulbricht und die Sau ist tot.“

Der Mao Zedong zugeschriebene Satz: „Bestrafe Einen, erziehe Hundert“ – tatsächlich gibt es keinen Beleg für dessen Urheberschaft – könnte der Titel für die Durchsetzung der Strategie sein, Freiheit Stück für Stück im Namen einer höheren Moral zu eliminieren. Spätestens seit den Maßnahmen während der Pandemie hat „Einigkeit und Recht und Freiheit“ seine Allgemeingültigkeit in der bundesrepublikanischen Realität verloren.

Daniel Anderson: Regiestudium an HFF „Konrad Wolf“ in Babelsberg. Berufsverbot als Filmregisseur in der DDR. Oberspielleiter, Autor und Schauspieler am Theater Senftenberg. Nach dem Mauerfall freier Regisseur, Autor (TV-Serie, Theater, Synchron), Schriftsteller und Musiker. Studium Vergleichende Religionswissenschaften in Bonn. Gründer und Leiter der „Theaterbrigade Berlin.“ Anderson lebt in Berlin und immer mal wieder in Tel Aviv.

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