BUDAPEST 30. Januar – 2. Februar 1989
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Es ist 8 Uhr morgens, als ich aus dem Zug von Prag nach Budapest steige und ich bin todmüde. Aber erst einmal geht es zum Reisebüro „Ibusz“.
Das Ticket für die Fahrt nach Osten ist noch abzuholen. Ja , die Reservierung für die Transsibirische Eisenbahn ist O.K. . Auch die Rückfahrkarte kann ich schon jetzt kaufen.
Um die Platzkarte für die Rückfahrt muss ich mich dann dort in Chabarovsk kümmern.
Dass es billig ist, von hier nach dem Amur und zurück zu fahren ( ca. 22 000 km ), habe ich ja gewusst. Aber so billig ? Noch einmal frage ich beim Bezahlen.
Ja ja, stimmt schon 126,- DM (=65 Euro). Die Fahrt von Bonn nach Bremen ist teurer. –
Bei der sowjetischen Fluggesellschaft Aeroflot hole ich mein Flugticket ab. Chabarovsk – Japan und zurück, etwa 1600 km, kosten DM 800. – ( = 410 Euro ). Das sind schon wieder andere
Preise…
Auch die Rechnung für die Übernachtung in Budapest wird mich noch überraschen. Das Leben ist teuer hier.
Einschub 2024:
Zunächst suche ich nach Wegen, wie ich die drei Seiten mit den Daten der Prager und Bratislavaer Verhafteten in den Westen bekomme. Das Diktat von Vaclav Maly habe ich zweimal ausgedruckt.
Einen Ausdruck habe ich an Tilman von der Osteuropa – Co – Gruppe amnesty internationals nach München gerichtet. Den anderen Ausdruck richte ich an das Internationale Sekretariat in London.
Dann klingele ich an der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Ungarischen Hauptstadt. Ich möchte einen Mitarbeiter des Auswärtigen Amts sprechen.
Kann er mir bitte diese beiden Briefe mit der Diplomatenpost nach Deutschland transportieren und dort in den nächsten Briefkasten werfen ? Der Mann, mit dem ich an einem Tisch sitze, könnte schon, aber wollen darf er nicht. Nein, er darf das wirklich nicht.
Warum ich die Briefe nicht selbst nach Deutschland mitnehmen kann ? Das ist schnell erklärt.
„Sie müssen verstehen.“ sagt der Diplomat. „Ich kenne Sie nicht. Ich weiß nicht, ob Sie ein Provokateur sind. Darf ich die Briefe lesen ?“ Er darf, sage ich.
Und dann kann ich auch „Danke“ sagen.
Erst in zwei Monaten werde ich wieder in Deutschland sein.
Tilman wird mir dann berichten können, dass alles geklappt hat.
In den folgenden zwei Tagen sitze ich in dem gemieteten Zimmer, tippe lang aufgeschobene Briefe in meine Schreibmaschine und wasche zum letzten Mal meine Sachen durch. Es wird eine lange Fahrt.
Budapest bleibt mir fremd. Die Sprache ist mir ein Rätsel und außerdem kenne ich niemanden hier. Nur soviel bekomme ich mit: Ab ersten Februar werden die Preise für den städtischen Nahverkehr verdreifacht. Gas- und Stromkosten werden sich verdoppeln und eine Reihe von Gebühren wird erhöht. Der Staat als Wohltäter ist bankrott.
Gas, gerade das des Monopolisten, hat seinen Preis. Und dass das mein Gastgeber nicht gut findet, ist klar. Die Gasrechnung ist ihm völlig unverständlich. „Der Gasherd ist ein Spekulant.“ So sagt er, während er mir die Bedienung des Gerätes erklärt. Ich merke es selbst: Abends und um die Mittagszeit, wenn alle im Haus kochen, gibt das kümmerliche Flämmchen den Geist auf.
Im Zimmer hinter der Küche wohnen zwei ungarische Mädchen. Sie arbeiten in der Stadt. Nein, besser zu wohnen können sie sich nicht leisten. Und man ist ja froh, überhaupt etwas gefunden zu haben in der Riesenstadt.
Am Ende haste ich noch durch dieselbe und kaufe Essen für die Reise. Dann muss ich auf den Bahnhof, zum Zug. „Plätze habe ich nicht mehr zu verkaufen“ sagt die Waggon-Schaffnerin mechanisch. Ja, ja. Ich habe doch schon … AIso, ade Budapest. Ich hieve die Taschen hinein und suche mein Abteil.
Es geht nach Moskau.