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Dublin Story I & das Altern

„In a bar Johnny drinks
Johnny drinks Johnny Walker
Runs up a bill the Pope couldn’t pay
He’s drinking to the memory
Of a prince in a paupers grave“ 
(Carter USM 1991)

Nun ist das mit dem Altern nicht leicht, klar. Das ist eine Sache, die passiert eben. In Dublin ist es ebenso. Einmal dort angekommen, lass alle Hoffnung fahren, die nächsten Stunden, Tage, Wochen zu planen. Alles passiert dort und nimmt womöglich jedem Besucher das ohnehin nur eingebildete Steuerrad des Lebens aus den Händen.

Neulich speiste ich dort bei Burger King. Sitze am Tisch, wie ihr mich so optisch kennt. Während ich Stück für Stück die ganzen Ringe abnehme vor dem Kampf mit Whopper, Soße und Co, schauen mich ein paar deutsche Jungs aus Ostwestfalen um die 17 an, als käme ich vom Mars.

Da sie mich nicht für deutsch hielten, legten sie untereinander los. Ich verstand jedes Wort.

Ich: Meine Herren, ihr könnt schon direkt mit mir reden. Moin Jungs!

Wir setzen uns zusammen.
Total junge Hiphop-Generation, herausfordernd und sympathisch.

Kids: „Mein Vater ist jetzt 39. Du siehst aber aus wie…. bestimmt schon 40.“

Während mein Herz noch zu Hüpfen begann, ob des gütigen Kompliments, traf mein Hirn bereits der Schlag: Fuck, das sagen sie nicht, weil ich mich so gut gehalten hätte, weit gefehlt. Sie können sich schlichtweg kaum vorstellen, dass Menschen noch älter sind als Mum & Dad. Ich rangiere bei ihnen im Niemandsland zwischen Ötzi und Tut Ench Amun – heute!

….fuuuuck….

Von meiner Seite war es natürlich genauso. Die waren aus meiner beschränkten Sicht eben Teenager und bemühten sich, erwachsen zu wirken.

Und ich null Ahnung, wie die drauf sind. Jetzt sitzen wir da, zwischen Neugier und Mißtrauen, zwischen Abchecken und Vertrauen, zwischen Sympathie und Scheu, zwischen Henry Street und Liffey, lovely Liffey.

Sie erzählten, dass sie – von der Familie abgesehen – keinen privaten Kontakt zu sooo unfassbar viel älteren Menschen haben und da auch keine coolen Leute vermuten. „Erfahrung und so, sollte klar sein. Was können die uns schon erzählen? Wir leben in einer ganz anderen Welt als die früher.“

Ich dachte an Gottschalks damals aktuelle Tiraden des hochnotpeinlichen Grauens, konnte ihnen nur Recht geben und hoffte, zumindest nicht komplett auf allen Ebenen zu versagen. Doch so leicht wollte ich mich nicht geschlagen geben.

Ich: „OK, verstehe ich total. Ist leider viel dran. Aber hey: Stellt euch vor, einer eurer Ur-Helden würde mit euch sprechen. Tupac zum Beispiel. Würde er heute leben, wäre er auch fast 54 Jahre alt. Würde trotzdem klappen oder?“

Kids: „Klar, Ehrenmann!“

Ich: „Tupac und ich sind beide am 16. Juni 1971 in den frühen Morgenstunden geboren.“

…Stille…

Ich: „Und was macht ihr hier? Party des Jahrhunderts?“

Kids: „Schön wär’s. Wir schwänzen gerade den Sprachkurs. In den Pubs muss man 18 sein. Keiner von uns sieht alt genug aus.“

Ich: „Unser Neffe ist im selben Alter wie ihr. Es wäre mir eine Ehre, euch euer erstes Guinness zu spendieren. Dann wäre ich in meinem Alter wenigstens nicht komplett überflüssig.“

Well, it was fun.
Was ich gleichwohl nicht bedachte: Als die Jungs einen im Tee hatten, gingen die ans Eingemachte.

„Können Leute in Deinem Alter überhaupt noch Sex haben?“

„Wie ist das Feeling allgemein, wenn man länger zusammen lebt als wir überhaupt leben? Langweilt man sich nicht nach so langer Zeit?“

„Wenn Du schon über vieles geschrieben hast und Pioniere kennst, wie kannst du der neuen Generationen überhaupt noch aufgeschlossen sein?

usw

Wow….
Als Anwalt habe ich früher folgenden Rettungssatz bei Gericht erprobt:

„Leute, das kommt alles für jeden ja nun echt mal stets auf den Einzelfall an.“

Klappt.
….auch im Pub.

Dazu passend:

Carter USM aka Carter The Unstoppable Sex Machine waren eine Zierde der englischen Rockszene zwischen 1988 und 1998. Das Duo nutzte Synthies ohne Elektropop zu sein, nutzte bratzig-harten Rocksound ohne explizit Postpunk, Hardrock oder Punk zu sein. Sänger James Robert Morrison alias „Jim Bob“ und Gitarrist Les Carter alias „Fruitbat“ gelten in Großbrittannien und Irland zu Recht als ehrenwerte Kultband. Sogar jenen, denen das Wort „Kult“ sonst mit einiger Berechtigung suspekt ist, rollen Carter USM den verdient roten Teppich der Ehrerbietung aus.

Das liegt zum einen an ihrer songwriterischen und dramaturgischen Klasse, die in ihrer Zeit die große tragische Hymne und das erdige Partyfeeling melodisch zu vereinen wusste. Zum anderen an der grundsympathischen, sehr humorvollen Art beider Hauptakteure, deren Shows emotional und ironisierend ebenso zu überzeugen wussten wie songwriterisch.

Für euch habe ich heute als echtes Tavernen- und Pub-Lied einen jener Momente ausgegraben, in denen Drama, Tragödie und Komödie sich im typischen Takt des Lebens, am Tresen zum Nadelöhr verengen.

Photo: in Dublin, Pic by Zizino

Ulf Kubanke ist Jurist mit Befähigung zum Amt des Familienrichters, war Anwalt und Mitglied der deutsch-israelischen Juristenvereinigung (DIJV). 2008 Neuerfindung als Autor im Bereich Musik und Feuilleton, als Kritiker, Kurzbiograf und Kommentator für laut.de, verschiedene Tageszeitungen und ab 2016 als Gründungsmitglied des Autorennverbunds „Die Kolumnisten“. Er interviewte u.a. Alice Cooper, Gary Numan, Kraftwerk, Scorpions, Gabi Delgado (DAF), Billy Idol, Bryan Adams, Peter Murph. Daneben juristische wie politische Fachartikel, Essays und Kurzgeschichten.

 

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