avatar

Ralf Meyer-Ohlenhofs Buch „Non Finito“

Im Weglassen erst wird die Essenz sichtbar. Ralf Meyer-Ohlenhofs Buch „Non Finito“

Né terra né acqua“, „Weder Land noch Wasser“, war der Titel einer Ausstellung von Ralf Meyer-Ohlenhof, die im Jahr 2023 in der Galerie Rottmann Fuenf in München zu sehen war. Hier breitete sich die Kunst des Münchner Künstlers vor dem Auge des Betrachters aus – eine Kunst, die seit Dekaden wächst, die sich um einen Kern zu drehen scheint, seit Anbeginn.

Nach einer Ausbildung an einer Schule für Grafikdesign in München, noch in den 1960er Jahren, studierte Ralf Meyer-Ohlenhof in Florenz und später an der Akademie in München. 1980 hat er die erste Einzelausstellung in der Galerie von Braunbehrens – der Anfang war gemacht.

Seitdem hat der Künstler an vielen Orten, in Galerien, Museen und Kunstvereinen ausgestellt und seine Kunst weiterentwickelt. In seinen Arbeiten – in Werkreihen wie terra amphibia“, „canto primo (selva obscura)“ oder „preistoria“ –, meinen wir einen italienischen Zug zu erkennen. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn wir durch einen jetzt erschienenen, opulenten Band blättern, der seine Kunst umfassend, in vielen Bildern und Texten vorstellt.

Schon der Titel des Buchs, „Non Finito“, führt uns auf diese italienische Fährte. Der Begriff wird mit Michelangelo verbunden, doch es war ein Franzose, der die im 15. Jahrhundert entstandene Idee des Non finito auf den Punkt gebracht hat: „Alle wesentlichen Formen sind da, und sie wären nicht mehr da, wenn ich die Arbeit dem äußeren Anschein nach mehr vollendete.“ So formulierte es der Bildhauer und Zeichner Auguste Rodin.

Für die Kunst von Ralf Meyer-Ohlenhof bedeutet das: Im Weglassen erst wird die Essenz sichtbar. Werke Michelangelos haben ihn beeinflusst, haben ihn veranlasst, die Idee des Non finito in die Malerei zu übertragen. Damit überträgt er eine wichtige Aufgabe auch an uns Betrachter: Man darf, man soll seine Bilder im Kopf vollenden, oder besser: weiterdenken.

Wir haben es hier zu tun mit „offenen“ Kunstwerken, im Sinne der 1962 entstandenen Schrift „Opera aperta“ von Umberto Eco: einem Schlüsseltext der Avantgarde-Ästhetik. Wir sehen offene, transparente Kunstwerke, die sich jeder Eindeutigkeit auf vielfältige Weise entziehen. Mehrdeutigkeit, Rekombination, Dialog, Collage, Dynamik, nicht zuletzt auch die Rolle des Betrachters – das sind Begriffe, die hier bedeutsam werden.

Das Non finito ist auch ein Topos der Moderne. Schon früh mag sich der Künstler – vielleicht in seiner Studienzeit in Florenz – damit befasst haben. Und auch die Farben Italiens, eines alten Italien, eines Italien der würdevoll abgeblätterten Fassaden, diese Farben finden wir in den Werken des Schwabinger Künstlers.

Das Buch gliedert sich durch die Namen der verschiedenen Serien der Gemälde, Zeichnungen und Papierarbeiten. Ihnen allen ist gemeinsam: Der Künstler versteht sich als Spurensucher, als malender Archäologe. Er hat Totholz gemalt, im Moor an seinen „Torfstichen“ gearbeitet, ist den Spuren der Gegenwart in der Landschaft gefolgt. Stets hält seine Kunst (gegeben in subtilen, gedeckten Grün-, Braun-, Grau- und Rottönen) die Waage zwischen Figuration und Abstraktion. Die Serie „fine della preistoria“ ist ein wenig anders. Hier überwiegt die Figuration. Frühe ethnologische Fotografie aus Afrika und archäologische Grabungsfotos bilden die Grundlage für den Bilderzyklus.

Ausführliche Texte von Wilhelm Christoph Warning, Andreas Kühne und Michael Farin enthält der von Aimée Dornier gemeinsam mit dem Künstler herausgegebene Band. Viel auch zur Biografie des Künstlers, der seine Kindheit in Chile verbrachte. Die Monografie bietet die Möglichkeit eines tiefen Verstehens einer Kunst, deren Subtilität, deren Schwere sich immer mit Eleganz paart. Es ist gleichermaßen Kunst für den Kopf und für die Augen, setzt Gedanken in Gang. Es ist ein Vergnügen, in diesem Buch zu blättern.

Marc Peschke

Dornier, Aimée / Meyer-Ohlenhof, Ralf (Hg.) Non Finito. Ralf Meyer-Ohlenhof: Gemälde – Zeichnungen – Papierarbeiten. 252 Seiten. Verlag Iudicum. München 2025. ISBN 978-3-86205-662-0. 42 Euro

Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384
avatar

Über Marc Peschke

Marc Peschke, 1970 geboren, lebt in Wertheim am Main, Wiesbaden und Hamburg. Er hat in Mainz Kunstgeschichte, Komparatistik und Ethnologie studiert, arbeitet als Kunsthistoriker, Journalist und Texter, auch als Kurator und Kunstberater für Print- und Online-Medien, PR- und Werbeagenturen, Künstler und Künstlerinnen, Museen, Galerien und Büros. Seine Themen sind Kunst, Kultur, Pop, Reise, Tourismus, Design, Architektur, Literatur, Film und Fotografie. Er wirkt auch als freier Kurator, war Mitinhaber und Mitbegründer der Fotokunst-Galerie KUNSTADAPTER in Wiesbaden und Frankfurt am Main – sowie der Kultur-Bar WAKKER in Wiesbaden. In Wertheim am Main war er Mitkurator des Kunstraum ATELIER SCHWAB. Seit 2008 zahlreiche eigene Ausstellungen im In- und Ausland. Marc Peschkes künstlerische Arbeiten entstehen zumeist auf seinen zahlreichen Reisen und sind in verschiedenen nationalen und internationalen Sammlungen vertreten. Von 2020 bis 2022 realisierte Marc Peschke unter dem Namen MASCHERA zusammen mit anderen Künstlern und Künstlerinnen ein vielbeachtetes Musik-Video-Projekt. Seit 2022 ist er Mitkurator der Wiesbadener Fototage – Festival für aktuelle Fotokunst und Dokumentarfotografie. Seit 2022 Mitarbeit bei der Aufarbeitung des Nachlasses des Künstlers Leo Leonhard. Seit 2024 Mitarbeit bei der Aufarbeitung des Nachlasses der Künstlerin Edith Hultzsch.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top