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Der Frieden muss bewaffnet sein

„Speak softly and carry a big stick“ (Theodore Roosevelt)

Am 5. Dezember 1994 wurde in Budapest auf der im Rahmen der dort stattfindenden KSZE-Konferenz das „Budapester Memorandum“ unterzeichnet. Darin verpflichteten sich die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und Russland gegenüber den ehemaligen Mitgliedsstaaten der Sowjetunion Kasachstan, Weißrussland und der Ukraine die Souveränität und die bestehenden Grenzen dieser Länder zu achten. Dafür mussten  sie auf ihre  Nuklearwaffen  verzichten, die danach in russische Depots verbracht  wurden. Der Verbleib der aus der ehemaligen SU stammenden Nuklearwaffen war dringend zu regeln, da diese Waffen den drei Staaten nach der Auflösung der SU „vererbt“ worden waren. Die Ukraine hatte so plötzlich das drittgrößte Atomwaffenarsenal der Welt. Nach Abschluss des  „Budapester Memorandums“ konnte der Atomwaffensperrvertrag von allen Ländern, die ihn unterzeichnet hatten, ratifiziert werden. China und Frankreich gaben zur Sicherheitsgarantie der Ukraine eigene Erklärungen ab.

Im Frühjahr 2014 startete Russland auf der zur Ukraine gehörenden Halbinsel Krim eine verdeckte Intervention, die in eine militärische Aggression einmündete  und schließlich mit der  vollen Annexion der Insel durch Russland endete. Kurze Zeit danach wiederholten russische Spezialkräfte diese Operation im Osten der Ukraine, im Donbass, wo in den beiden Distrikten Donezk und Luhansk sog. „Volksrepubliken“ entstanden, die sich bis heute  als russische Satellitenstaaten gerieren. Durch das Minsker Abkommen, das hauptsächlich von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel vermittelt wurde, konnten die weitere Ausdehnung des bewaffneten Konflikts und die Annexion der besetzten Gebiete ins russische Staatsgebiet (vorläufig) verhindert werden. Zur Zeit ist der Konflikt eingefroren. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Die Zeit arbeitet aber für Russland, da die beiden „Volksrepubliken“ militärisch, wirtschaftlich und finanztechnisch immer mehr mit Russland verschmelzen.

Mit den beiden Aggressionen hat Russland das „Budapester Memorandum“, aber auch die Grundsätze des Gewaltverzichts aus der KSZE-Schlussakte von Helsinki (1975) und der „Charta von Paris“ (1990) gebrochen. Russland hat dadurch zu erkennen gegeben, dass es nicht länger gewillt ist, sich an die Regeln des internationalen Völkerrechts zu halten. Putin hat offen das Ziel ausgegeben, möglichst viel von dem verloren gegangenen Territorium der ehemaligen Sowjetunion wiederzuerlangen. Grenz-Revisionismus ist unverhofft auf die Tagesordnung der europäischen Politik zurückgekehrt.

Für die Ukraine ist der russische Angriff bitter, weil es sich um die Attacke einer der Mächte handelt, die in Budapest die territoriale Integrität des Landes ausdrücklich garantiert haben. Der Bruch dieses Abkommens zeigt, dass ein Land letztlich schutzlos ist, wenn es sich nicht selbst verteidigen kann. Die konventionelle Armee der Ukraine war und ist in einem erbärmlichen Zustand. Die Ausrüstung ist so schlecht, dass die Zivilgesellschaft  Geld für Schutzwesten und bessere Verpflegung sammelt. Die Armee war zu keiner Zeit in der Lage, den schlagkräftigen Verbänden der russischen Armee Widerstand zu leisten. Deshalb wird unter Militärexperten diskutiert, ob es Putin gewagt hätte, die Ukraine anzugreifen, wenn diese über einsatzfähige Atomwaffen verfügt hätte. Wie wir aus der Geschichte des Kalten Krieges  wissen, sind diese Waffen, von denen sich kein vernünftiger Mensch wünscht, dass sie jemals eingesetzt werden, doch die beste Lebensversicherung gegenüber abenteuerlustigen und aggressiven Staaten. Die Sowjetunion hat gewiss viele Aggressionen begangen (Ungarn, CSSR, DDR, Afghanistan). Sie hat aber peinlich darauf geachtet, nie auch nur einen Zipfel eines Landes anzugreifen, das durch einen Atomschirm – den eigenen oder den der NATO – geschützt war. In der Kuba-Krise 1962 schreckte die sowjetische Führung vor der ultimativen Zuspitzung des Konflikts zurück.

Die Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten wirft die Frage nach den Sicherheitsgarantien auf, die alle Vorgängerpräsidenten selbstverständlich gegenüber den Verbündeten der USA gewährleistet  haben. Trump hat nicht nur die NATO als „obsolet“, also entbehrlich bezeichnet. Er hat auch angekündigt, dass die amerikanischen  Sicherheitsgarantien im Rahmen der NATO   künftig einen Preis haben werden. Sie würden nur noch für die Staaten gelten, die bereit sind, ihre Verteidigungsausgaben auf  2% des BIP zu erhöhen, wie es eine Selbstverpflichtung innerhalb der NATO vorsieht. Deutschland liegt zur Zeit bei 1,2 %. Vor allem die  Staaten an der neuralgischen Ostgrenze der NATO (Polen, Lettland, Estland, Litauen, Slowakei) befürchten, dass sich die USA und in ihrem Gefolge Staaten mit ausgeprägten  pazifistischen Neigungen (Deutschland) bei einem möglichen Konflikt mit Russland passiv verhalten könnten. Meinungsumfragen in Deutschland haben ergeben, dass nur eine Minderheit bereit wäre, diesen kleinen Staaten im Falle eines militärischen Konflikts beizustehen. Die Garantie durch den NATO-Schutzschirm stünde dann nur auf dem Papier und wäre im Ernstfall wertlos.

Deshalb ist die Frage legitim, ob es nicht opportun wäre, wenn sich alle Staaten, die sich von  Russland bedroht fühlen,  heimlich Atomwaffen zulegen, wie das schon vor Jahrzehnten Israel getan hat, ohne dies an die große Glocke zu hängen. Keine Regierung eines Staates im Nahen Osten, die bei Sinnen ist,  würde es heute wagen, Israel direkt anzugreifen, weil sie   befürchten müsste, einen hohen militärischen Preis – den höchstmöglichen – dafür zu bezahlen. Das Einlenken Irans im Atomkonflikt und seine Bereitschaft, ein Abkommen zum Verzicht auf Atomwaffen zu unterzeichnen, verdankt sich mit Sicherheit auch dem israelischen Drohpotential. Israel hat stets zu erkennen gegeben, dass es nicht gewillt ist, iranische Atomwaffen zu tolerieren. Eine solche Abschreckung ist allerdings nur dann  glaubwürdig, wenn ein Staat bereit und dazu  fähig ist, das Äußerste zu tun: Atomwaffen gegen einen Aggressor einzusetzen. Wie man an diesem Beispiel sehen kann, muss der Frieden bewaffnet sein, wenn er garantiert sein will. Israel kann es sich nicht leisten, bei der Sicherung seiner Existenz auch nur  zu „wackeln“.

Bedroht können sich von Russland all die Staaten fühlen, in denen heute noch russische Minderheiten leben. Russland hat zu Zeiten der Sowjetunion eine strategisch angelegte (völkerrechtswidrige) Russifizierung all der Länder  des Imperiums betrieben, die potentiell als unsichere Kantonisten galten. Das waren vor allem die Länder an der Grenze zum kapitalistischen Westen und die Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit. Durch eine starke russische Minderheit sollten sie eng an das Mutterland des Sozialismus, Russland, gebunden werden. Politische und technische Eliten wurden im großen Stil samt ihren Familien in diesen Ländern angesiedelt. Ihre Gehälter waren deutlich höher als die im russischen Mutterland.  In manchen Republiken der SU bildeten Russen bald respektable Minderheiten von bis zu 30 %, die bis heute in diesen Ländern leben.  Da Putin die Losung ausgegeben hat, Russland sei überall dort, wo Russen leben, fürchten die Regierungen dieser Länder zu Recht  russische  Einflussnahmen, z.B. durch Desinformationskampagnen,  und auch hybride  Interventionen nach dem Vorbild der Krim, die in eine offene „Landnahme“  münden könnten.

In der DDR gab es in den 1980er Jahren einen Streit zwischen der autonomen Friedensbewegung, die von Dissidenten getragen wurde, und der offiziellen „Friedensbewegung“, die von der Staatsführung gelenkt wurde. Die Dissidenten machten sich die stilisierte Abbildung eines Denkmals des sowjetischen Bildhauers Jewgeni Wutschetitsch „Schwerter zu Pflugscharen“  zu eigen, was die SED maßlos ärgerte. Sie denunzierte die alternative, staatsferne Friedensbewegung  als von den „imperialistischen Kreisen des Westens“ gelenkt und gab die Losung aus: „Der Frieden muss bewaffnet sein!“ – Atomraketen der NATO-Staaten sollten bekämpft, Atomraketen des Warschauer Pakts sollten verteidigt werden. Das nannte sich dann „parteilicher Friedenskampf“. Heute kann es opportun sein, die Losung der DDR-Führung aufzugreifen und gegen den Aggressor von heute – Russland – zu wenden. So ändern sich die Zeiten.

Die  weltpolitischen Lage ist  von  zwei autoritären Mächten  – Russland und China – geprägt, die sich nicht an die Spielregeln des Völkerrechts halten, weil ihr Vormachtstreben groß und ihre Skrupel bei der Anwendung von Gewalt klein sind. Sie rechnen  mit der Friedfertigkeit der westlichen Welt. Sie wissen, dass in Demokratien die Bevölkerung, wenn sie kriegsmüde ist,  eine Regierung daran hindern kann, militärische Aktionen – und seien es nur Verteidigungsmaßnahmen – zu unternehmen. Deshalb gilt für diese beiden Mächte die Devise: Tatsachen schaffen und in Ruhe abwarten, wie die westliche Welt, der sie  Schwäche und Dekadenz unterstellen, darauf reagiert. Bei der Besetzung ukrainischen Territoriums durch Russland und bei der Besetzung von Inseln im südchinesischen Meer durch China  hat diese Methode bestens funktioniert.

Wenn der Frieden nur aufrechterhalten kann, wenn er bewaffnet ist, könnte das heißen, dass sich die  Länder, gegen die sich die aggressiven Handlungen der beiden aggressiven Mächte richten, Atomwaffen zulegen.  Sie müssten dies heimlich tun, um keine Präventivschläge zu riskieren.  Danach sollten sie den Gegner aber über informelle Kanäle wissen lassen, dass ihre militärische Abwehrkapazitäten eine völlig neue Dimension erreicht haben. Wenn der russische Geheimdienst Wind davon bekommt, dass Raketen mit Atomsprengköpfen in unterirdischen Silos schlummern, in deren Steuerungssysteme die GPS-Koordinaten des Kreml einprogrammiert sind, wird er den machtbesessenen Kreml-Herrn vielleicht von weiteren Abenteuern abhalten können. Putin ist zwar ein zynischer Spieler, ein Selbstmörder ist er nicht.

Deshalb muss der Frieden (ausreichend)  bewaffnet sein.

Dass man den Schalmeienklängen der hochgerüsteten „Friedensfreunde“ misstrauen sollte, wusste schon Wilhelm Busch:

Bewaffneter Friede

Ganz unverhofft, an einem Hügel,
Sind sich begegnet Fuchs und Igel.
»Halt«, rief der Fuchs, »du Bösewicht!
Kennst du des Königs Ordre nicht?
Ist nicht der Friede längst verkündigt,
Und weißt du nicht, dass jeder sündigt,
Der immer noch gerüstet geht? –
Im Namen Seiner Majestät,
Geh her und übergib dein Fell!«
Der Igel sprach: »Nur nicht so schnell!
Lass  dir erst deine Zähne brechen,
Dann wollen wir uns weitersprechen.«
Und also gleich macht er sich rund,
Schließt seinen dichten Stachelbund
Und trotzt getrost der ganzen Welt,
Bewaffnet, doch als Friedensheld.

 

 

 

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19 Gedanken zu “Der Frieden muss bewaffnet sein;”

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    Man muss beide Seiten betrachten, und der Link zu atimes ist hilfreich dabei, zumal man in diesem sieht, dass die Meinung in den USA geteilt ist und Generäle wie Flynn, die diese nicht teilten, gefeuert wurden. Übrigens dürfte E. Snowdon eine der Schlüsselfiguren sein. Er sah etwas, dass ihm so gegen den Strich ging, dass er nach Russland! abhaute. Was das wäre, wissen die Götter, wir nicht.
    Ist Ihnen nie aufgefallen, wie laut die von Spengler erwähnte immer gleiche Clique aus McCain, Clinton und ein paar anderen Gestalten wie L. Graham etc. säbelrasselt? Die Pauls dagegen, Vater wie Sohn, sind ganz anderer Meinung.

    Sie wünschen sich Atomwaffen in den muslimischen ehemaligen Teilrepubliken der SU oder Rumänien? Prost Mahlzeit. Oder dachten Sie nur an Finnland? In Finnland wurde auch schon über „FiExit“ nachgedacht. Man muss vorsichtig sein, was man sich heute wünscht. Allein dass Pakistan Atombomben hat, ist ein Skandal.

    Schreiben Sie solche Einseitigkeit gern oder auf Bestellung?
    Außer Stevanovic, erklärter Feind Russlands verständlicherweise, falls Bosnier oder Kosovare, scheint das hier niemand zu kaufen.

    1. avatar

      @Stevanovic

      … die Grenzen Polens sind in Jalta ’45, unter Vorbehalt einer (späteren) Friedenskonferenz [sic!], von der SU, den USA und GB festgelegt worden. Auf der Potsdamer Konferenz ’45, wurde die Frage – endgültige Festlegung der polnischen Westgrenze – zurückgestellt. Wo ist Ihr Problem?

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      @Stevanovic
      Es ist doch auffällig, dass BRD-Linke sich um jeden Scheiß in der Welt scheren, nur nicht um deutsche Interessen. Und wenn es um die ungerechten Grenzen in Osteuropa geht, dann wurde eben nicht nur Russland gelinkt, sondern auch Deutschland. Ewige, unveränderbare Grenzen, warum nicht, aber wie wärs mit der Grenzziehung von 1914?

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        … 1914? … das könnte dem Gen. Stevanovic sogar gefallen. Dann wäre er nämlich Österreicher. 😉

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        Naja, geht es Ihnen um historische Gerechtigkeit oder um deutsche Interessen? Das muss nicht unbedingt das gleiche sein. Russland gelinkt? Vom Reich Iwan des Schrecklichen bis nach Polen ist es ein langer, langer Weg. Und was Grenzen angeht…warum nicht die von 1866? Eigentlich geht es doch nicht um Grenzen, sondern um Gerechtigkeit, Gefühle, also so Margot Kässmann, nur in Rechts, nicht wahr?

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        Sehr geehrter Herr Weller,
        Sie haben es erfaßt. Linke sind schon immer Ausländer in deutschen Körpern gewesen.

        In einem normal handelnden Staat wäre Stevanovic längst nach Hause nach Serbien geschickt worden, wo seine Ahnen lebten und wo seine natürliche Heimat ist. Aber dort könnte er nicht in einer Xenokratie wie der BRD leben, wo alle Migranten die tollsten Privilegien über die Einheimischen genießen…

        Aber die Ausländer hassen uns Deutsche nun einmal, weil sie nun einmal ahnen, daß wir etwas Besseres sind als sie.
        Aus diesem Gefühl der Unterlegenheit, dem Haß auf den Höherstehenden, sind alle linken Bewegungen entstanden; und bei allen ging es nur um eins: Ermächtigung der Minderwertigen oder, drastischer gesprochen, die natürliche Ordnung auf den Kopf zu stellen, die sich Jahrtausende bewährt hat.

        Feministinnen hassen Männer – hier ist der gleiche Mechanismus am Werk: welches Geschlecht ist körperlich schwächer, hat einen Durchschnitts-IQ, der 4-5 Punkte niedriger ist und meist keine Ahnung von Technik? Dazu paßt, daß dieses Geschlecht praktisch nicht spatial denken kann? Welches Geschlecht hat diese Welt geschaffen?
        Ja, die Feministinnen. Interessanterweise haben sie auch keinerlei Dankbarkeit gegenüber der westlichen Hochkultur, die die Frau, das mindere Geschlecht, geachtet und geehrt hat wie keine Kultur sonst auf Erden (Damen haben Vortritt usw.)…daran mag man bei den Betroffenen auch eine ganz besondere charakterliche Minderwertigkeit erkennen.

        Ja, es ist Zeit zur Rückkehr zum Altbewährten: Frauen unters Joch, untere Gesellschaftsschichten an die Arbeit, Ausländer ins Ausland und die Männer (ohne Mihigru) an die Spitze!

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        An „Linkenhasser“
        Ich habe Ihren Kommentar nicht freigeschaltet, weil er die Spielregeln, die in diesem Blog gelten, verletzt. Wir haben und darauf verständigt, dass wir anständig miteinander umgehen. Es gehört sich nicht, einem Leser und Kommentator indirekt nahe zu legen, das Land zu verlassen. Sie sollten sich künftig auf diese Regeln einlassen oder den Blog verlassen.
        Rainer Werner

  2. avatar

    @Opa Krempel
    Wenn sich nach vollzogenem Brexit die Nordiren, vielleicht auch die Schotten aus dem Vereinigten Königreich verabschieden wollen, würden sie dies nach den dafür vorgesehenen Regeln tun: in Volksabstimmungen nach britischem Gesetz. Alle würden dieses Votum anerkennen: die Queen, das britische Parlament, Regierung und Opposition. Ich sähe keinen Grund, weshalb wir Deutschen dies nicht auch tun sollten. Ganz anders verlief die „Volksabstimmung“ auf der Krim. Sie fand erst n a c h (!) der militärischen Intervention durch Russland statt, und sie verlief nach russischem (!) Recht, nahm also das gewünschte Resultat schon vorweg. Das ist der Grund, weshalb weder die UN noch die EU dieses Votum jemals anerkannt haben. Anerkennung fand die Abstimmung nur bei neofaschistischen und linksradikalen Gruppen in Europa, die auf der Gehaltsliste Putins stehen (Front National und – und wie man jetzt erst erfahren hat – auch AfD).
    Wir sollten bei solchen Diskussionen den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur nicht verwischen. Diese Differenz dürfte in den nächsten 10 Jahren wichtig werden – weltweit.

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      Zugegebenermaßen hat der Modus der Abstimmung auf der Krim bezüglich der Segregation und des Anschlusses an Rußland nicht den Maßstäben genügt, die man an eine solche Abstimmung stellt. Ob das Ergebnis wesentlich anders ausgefallen wäre, hätte es wirklich freie Wahlen gegeben (d.h. auch ohne Druck seitens der Ukrainischen Behörden, die die Loslösung der Krim für illegal erachten), darf aber angesichts der schon lange vorher bestehenden Separationsbestrebungen auf der Krim bezweifelt werden.

      Die Frage nach der Anerkennung eines Votums zur Unabhängigkeit eines Landesteils ist darüber hinaus hochgradig von der politischen Opportunität abhängig. Osttimor, Südsudan oder Eritrea hat die Weltgemeinschaft anerkannt. Berg-Karabach nicht. Nachdem die Volksrepublik China als Handelspartner wichtig geworden ist, wird auch Taiwan offiziell die Anerkennung versagt und Tibet nicht mehr auf die Tagesordnung gesetzt.
      Demnach ist es fraglich, ob eine Unabhängigkeit Schottlands oder Nordirlands von der EU anerkannt würde. Zumindest Spanien, dessen Militär verkündet hat, die Einheit des Königreichs mit allen Mitteln zu verteidigen, und damit gegenüber der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung vernehmlich mit dem Säbel gerasselt hat, dürfte kaum einen Präzedenzfall innerhalb der EU befürworten.

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    @ Opa Krempel,
    im Klartext heißt Ihr erster Kritikpunkt: Wenn in einem Land ein Staatschef „rechtlich nicht ganz astrein“ abgesetzt wird, hat das Nachbarland das Recht, militärisch zu intervenieren und diesem Land einen Teil seines Territoriums wegzunehmen. Wenn diese Rechtsauslegung Schule machte, hätten wir auf der ganzen Welt ständig Interventionskriege. Und wir hätten weltweit das Recht des Stärkeren. Es führt kein Weg daran vorbei zu sehen, dass Russland dabei ist, die Länder wieder einzusammeln, die nach der Auflösung der Sowjetunion 1990 verloren gegangen sind. Putin hat das öffentlich mehrfach zugegeben.
    Gegen den UN-Sicherheitsrat Politik zu machen (gegebenenfalls auch militärische Interventionen zu unternehmen), kann im Sinne der Menschlichkeit ratsam sein. Wenn zwei Diktaturen (Russland und China) jede Politik im Sinne der Menschlichkeit (Stichwort Aleppo) durch ihr Veto verhindern, delegitimieren sie sich selbst. Ich habe in diesem Portal vor einiger Zeit in einem Planspiel angeregt, eine UN der demokratischen Staaten zu gründen und die Diktaturen sich selbst zu überlassen. Irgendwann wird es vielleicht dazu kommen.

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      @ Herr Werner
      Na dann aber mal – hopp!!! – Intervention in Saudi-Arabien! Da ist es doch auch nicht so weit her mit der „Menschlichkeit“. … Wäre die „Menschlichkeit“ das Kriterium für Interventionen – es wäre des Intervenierens kein Ende. Nur geht es nicht um „Menschlichkeit“, zumindest nicht in erster Linie. Umso mehr um politischen und ökonomischen Einfluss. Fragen Sie mal nach in Chile, wo die Führungsmacht der westlichen Welt einen faschistischen Putsch ins Werk setzte, um eine ihr nicht genehme, demokratisch gewählte Regierung zu beseitigen. Russland und China sind Weltmächte – mit denen „der Westen“ im Übrigen liebend gern ökonomisch kooperiert (bzw. kooperieren würde). Und sie benehmen sich auch so. Sie stecken ebenso wie die USA ihre politischen, militärischen und ökonomischen Einflussgebiete ab und sichern diese mit allen Mitteln, gegebenenfalls auch militärisch. Das war in Russland unter Jelzin nicht so, sehr wohl aber jetzt unter Putin (warum die Russen den aber auch immer wieder wählen – anstatt „unserer“ Leute?). Die Idee, potentielle „Opfer“ (alles bloß arme Igel im Sinne W.Buschs?) eines Hegemons atomar zu bewaffnen, ist gefährlicher Unsinn. @ Opa Krempel, Sie haben vollkommen recht!

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      Der besoffene Jelzin hat alles unterschrieben, und deshalb muß Russland für immer auf seine Gebiete verzichten? Das finde ich nicht gerecht. Wenn man historische Landkarten mit den heutigen vergleicht, dann fällt auf, dass die beiden stärksten Mächte Osteuropas, nämlich Deutschland und Russland, die größten Gebietsverluste erlitten haben. Da ist ja wohl was schiefgelaufen und gehört korrigiert.

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      Nur noch einmal zur Verdeutlichung, Herr Werner: Rußland hat offene Türen eingetreten. Janukowitsch hat als Präsident eine Annäherung an Rußland verfolgt (wenn auch nicht derart weitgehend, daß er die Souveränität der Ukraine aufgeben wollte; dafür gibt es keine Anhaltspunkte). Die Übergangsregierung, die unmittelbar auf seinen Sturz folgte, vollzog eine Kehrtwende. Für die russischsprachige Minderheit in der Ukraine (die die Mehrheit auf der Krim bildeten), war dies der Anlaß, die Unabhängigkeit zu erklären.
      Womöglich steht uns in Westeuropa in den nächsten Jahren ein analoges Szenario bevor: Die Nordiren haben mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt. Was ist, wenn es in Nordirland zu einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung vom Vereinigten Königreich kommt, weil die Fördertöpfe aus Brüssel besser gefüllt sind als die aus London, und die Irische Republik erklärt, daß der Norden der Insel stets willkommen sei? – Ich bin gespannt, wie das Szenario in diesem Forum bewertet wird.

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    Es war wieder einmal an der Zeit für ein Rußland-Bashing, nicht wahr? – Gemäß Radio Eriwan könnte man nun sagen, daß es im Prinzip korrekt ist, bis auf folgende Punkte:

    1. Bei der Annexion der Krim wird in dem Artikel die Wirkung genannt, die Ursache aber unterschlagen: Die rechtlich ebenfalls nicht ganz astreine Absetzung des amtierenden Präsidenten der Ukraine. Rußland hat bei der kurz darauf erfolgenden einseitigen Unabhängigkeitserklärung der Krim bestenfalls noch offene Türen eintreten müssen.
    2. In der Kuba-Krise hat Chruschtschow hoch gepokert – und gewonnen, da im Gegenzug zum Abzug der sowjetischen Atomraketen von Kuba auch die amerikanischen Raketen aus der Türkei abgezogen wurden. Nur hat Washington darauf gedrängt, dies im Westen nicht publik zu machen.
    3. Die Russifizierung des Landes hat schon zur Zarenzeit stattgefunden. Stalin (Georgier) sprach mit der größten Selbstverständlichkeit russisch wie der Armenier Artjom Mikojan (Flugzeugkonstrukteur), der lettische Regisseur Sergej Eisenstein oder der Kirgise Michail Frunse (Militär).
    4. Die Weltpolitische Lage ist von drei Mächten geprägt, die sich nicht an das Völkerrecht halten, wenn es opportun ist. – Oder haben Sie schon vergessen, daß der Angriffskrieg der USA unter der Bush-Administration explizit gegen das Veto des Weltsicherheitsrats der UNO stattfand? Haben Sie vergessen, welche Verachtung ein Donald Rumsfeld der UNO gegenüber geäußert hat? – Obama hat sich an die Regeln gehalten, nicht zuletzt, um das US-Veto im Weltsicherheitsrat nicht zu entwerten.
    5. Auch beim Iranischen Nuklearwaffenprojekten sollten Ursache und Wirkung nicht verwechselt werden. Es nahm Fahrt auf, als die US-Administration den Iran auf die „Achse des Bösen“ setzte und bei dem einen Eintrag auf dieser Liste (Irak) einen gewaltsamen Regime Change durchführte, einen anderen Eintrag (Nordkorea) jedoch mit Samthandschuhen anfaßte.

    Aber der Rest stimmt.

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      Die Schlesier haben auch deutsch gesprochen, wieso stört sie diese Grenzverschiebung nicht?
      Die (anti)deutsche, selbsthassende Linke mit ihrer fanatischen Russlandparteinahme ist ein jämmerlicher Witz.

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        Fühlen Sie sich jetzt auf den Schlips getreten, weil ich die Vertreibung infolge von Kriegen nicht aufgeführt habe? – In erster Linie deshalb, weil ich nicht Äpfel mit Birnen vergleichen möchte.
        Um Analogien zu dem Vorgehen Rußlands auf der Krim zu finden hätte folgendes passieren müssen:
        1. In Schlesien wohnt eine mehrheitlich deutsch sprechende Bevölkerung, die sich auch als Deutsche sieht. Das war schon vor der Gründung der beiden deutschen Staaten nicht mehr der Fall, da kurz nach der Potsdamer Konferenz die Menschen aus dem Teil Polens, den die Sowjetunion sich einverleibte vertrieben und in den ehemals deutschen Gebieten angesiedelt wurden.
        2. Die Schlesier erklären einseitig ihre Unabhängigkeit von der Volksrepublik Polen.
        3. Die Bundesrepublik tritt in Verhandlungen mit der Schlesischen Republik und nimmt sie als Bundesland auf.
        Auf der Krim, die schon seit der Zarenzeit mehrheitlich von muttersprachlich russisch Sprechenden bewohnt war, passierten die Punkte 2 und 3 in Zeitraffer, aber garantiert nicht von langer Hand geplant: Solange Janukowitsch Präsident der Ukraine war, bestand dazu kein Anlaß, da er einen moskaufreundlichen Kurs verfolgte.

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