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Judenreine Jugend

Ein Betrunkener sucht verzweifelt unter einer Laterne nach seinem Schlüssel und bittet einen Passanten um Mithilfe. Nach einer Weile fragt der Passant: „Sind Sie sicher, dass Sie ihn hier verloren haben?“ „Nein, da drüben“, lallt der Betrunkene, „aber hier ist das Licht besser.“
Der Betrunkene kommt mir ein wenig vor wie die Autoren der neuesten „Shell-Jugendstudie“.
Die Studie meint, „eine Generation im Aufbruch“ zu erkennen. Aber nur, weil sie sich auf diejenigen konzentriert, die im Licht stehen. Die im Dunkeln sieht die Studie nicht.

Auf einige zentrale Aspekte der Studie – insbesondere das Auseinanderklaffen „der Jugend“ in eine Ost- und eine West-Jugend, in eine privilegierte, optimistische und weltoffene Mehrheit und eine unterprivilegierte, pessimistische und ressentimentgeladene Minderheit – habe ich neulich in der „Welt am Sonntag“ hingewiesen, wie auch Rainer Werner kürzlich hier,  deshalb wiederhole ich das jetzt nicht.

Mir geht es um die Frage, was man beleuchtet und was nicht. Oder wo man sucht (und wonach), und wo nicht. Und in diesem speziellen Fall um die Frage des Antisemitismus.
Toleranter Westen – intoleranter Osten
So untersucht die Shell-Studie verdienstvollerweise , welche Vorbehalte es gegen bestimmte gesellschaftliche Gruppen gibt, und unterscheidet dabei – sinnvollerweise, denn die Unterschiede sind relevant – zwischen Ost und West (S. 183ff). Die gestellte Frage lautete: „Ich fände es nicht so gut, wenn in die Wohnung nebenan folgende Menschen einziehen würden: …“ Es folgten die Kategorien: Türkische Familie, Deutsche Familie mit vielen Kindern, Aussiedlerfamilie aus Russland, Deutsche Familie mit Sozialhilfe, Homosexuelles Paar, Familie aus Afrika, Altes Rentnerehepaar.
Diese Art der Fragestellung ist auch deshalb interessant, weil sie die Frage der persönlichen Einstellung in den Mittelpunkt rückt, anders als etwa die – auch interessante und auch gestellte – Frage: „Sollte Deutschland mehr Zuwanderung zulassen?“ Und die Unterschiede zwischen Ost und West sind eklatant. So fänden es 18 Prozent der Westjugendlichen nicht so gut, wenn eine türkische Familie nebenan einziehen würde, aber 30 Prozent der Ostjugendlichen. Interessanterweise sind die Vorbehalte unter Ostjugendlichen gegen eine deutsche Familie mit vielen Kindern, gegen Russlanddeutsche und (natürlich) gegen eine Familie aus Afrika signifikant höher als unter Westjugendlichen – nicht aber die Vorbehalte gegen Sozialhilfeempfänger, Schwule oder Rentner.

Die Unterschicht: Nur noch 52 Prozent biodeutsch
Warum aber wurde (erstens) nicht danach gefragt, wie es wäre, wenn Juden nebenan einziehen würde, und dabei (übrigens auch bei den anderen Fragen, etwa nach der Einstellung zu schwulen Nachbarn) nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch zwischen Jugendlichen mit Migrationshintergrund und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund unterschieden?
Die Relevanz des Faktors „Migrationshintergrund“ kann man wohl kaum leugnen, erfährt man doch (allerdings nur in einer Fußnote auf S.228), dass „Nichtdeutsche und andere Migranten“ zehn Prozent der gesamten Jugend ausmachen, aber 23 Prozent der „unteren Schicht“. Die besteht überhaupt nur noch zu 52 Prozent aus „Deutschen ohne Migrationshintergrund“, die immerhin noch 72 Prozent der gesamten Jugend ausmachen, das heißt in der „oberen Schicht“ überrepräsentiert sind.
Die ethnische Herkunft (sagen wir es so) wird zwar berücksichtigt, wenn es um die Frage des Nationalstolzes geht – 69 Prozent der jugendlichen, bei denen beide Elternteile in Deutschland geboren sind, sagen, sie seien „stolz, ein Deutscher zu sein“; bei den Jugendlichen mit nur einem in Deutschland geborenen Elternteil sind es noch 54 und bei den Jugendlichen, deren Eltern beide nicht in Deutschland geboren sind, immerhin noch 36 Prozent, noch 12 Prozent „teils, teils“ und 22 Prozent „weiß nicht, keine Angabe“, was nicht wirklich erstaunlich ist, da viele dieser Jugendlichen nicht Deutsche sind. Nur 21 Prozent sind explizit „nicht stolz“, Deutsche zu sein, was ähnliche Gründe haben kann.
Welche Werte vermittelt die Religion?
Ebenfalls berücksichtigt wird die ethnische Herkunft bei der Frage nach „Religiosität und Kirche“ (sic!). Unter anderem dokumentiert dieser Abschnitt der Studie (S. 251ff) die relative Stabilität des viel gescholtenen Evangelischen Bekenntnisses unter den Jugendlichen (gleichbleibend 35 Prozent), aber den starken Abfall der Katholiken (von 32 auf 29 Prozent in der Ära Ratzinger). Trotz des hohen Anteils der Jugendlichen mit Migrationshintergrund an der Gesamtjugend bekennen sich 2015 nur acht Prozent zum Islam. (Das ist aber eine Verdoppelung des Anteils gegenüber 2002.) Alle anderen Religionen, darunter auch das judentum, machen weniger als ein Prozent aus.)
Insgesamt ist der Anteil der Jugendlichen, die den Glauben an Gott für „unwichtig“ halten leicht gestiegen, von 45 auf 46 Prozent, und ist damit weiterhin viel größer als der Anteil, derjenigen, die den Gottesglauben für „wichtig“ halten (Abfall von 37 auf 33 Prozent seit 2002). Unter den muslimischen Jugendlichen freilich beträgt der Anteil derjenigen, die ihren Glauben als „wichtige Wertorientierung“ empfinden 76 Prozent – gegenüber nur 37 Prozent der nominell evangelischen Jugendlichen. Da stellt sich denn schon die Frage, welche Werte denn vom Islam vermittelt werden; aber diese Frage wird nicht gestellt.
Antisemitismus ohne Juden
Man könnte nun meinen, da Juden – ob religiös oder nicht – nicht einmal 0,5 Prozent der Bevölkerung ausmachen, und Muslime nur acht Prozent der Jugendlichen, sei die Frage des Antisemitismus – und zumal des muslimischen Antisemitismus – schlicht und einfach irrelevant. Freilich machte der jüdische Bevölkerungsanteil in Deutschland vor 1933 ebenfalls weniger als ein Prozent aus. Das hinderte die Deutschen nicht, in Adolf Hitler den Erlöser vor den Gefahren des Weltjudentums zu erblicken und ihm die Macht zu geben. Als die vom Deutschen Bundestag 2008 eingesetzte Antisemitismuskommission 2012 ihren Bericht vorlegte, stellte sie fest, dass „jeder fünfte Deutsche latent antisemitisch“ sei und dass 90 Prozent aller antisemitischen Straftaten von Deutschen begangen werden, die dem rechten Spektrum zuzuordnen sind.
Unter diesen Bedingungen kann man kaum davon ausgehen, dass die Frage nach dem Antisemitismus unter Jugendlichen irrelevant wäre. Aber sie liegt außerhalb des Lichtkegels der Shell-Studie; was nicht sein soll, darf und kann auch nicht sein. Da sucht man erst gar nicht.
Zwar mag es angesichts der von der Bundestags-Kommission dokumentierten Tatsachen wie eine Ablenkung und Exkulpierung der Mehrheitsdeutschen erscheinen, wenn man die Frage nach dem Antisemitismus unter Muslimen stellt; angesichts der muslimischen Angriffe auf Juden von Malmö über Berlin, Brüssel und Paris bis Toulouse, der Mordparolen gegen Juden auf den so genannten „Al-Quds-Demos“ und der weit verbreiteten Benutzung von „Jude“ als Schimpfwort unter muslimischen Jugendlichen scheint es aber unumgänglich auch in diese wenig unappetitliche Ecke der „Generation Aufbruch“ hineinzuleuchten. Dass die AutorInnen des Berichts – Mathias Albert, Klaus Hurrelmann und Gudrun Quenzel – diese Fragen gemieden haben wie der Teufel das Weihwasser, ist leider symptomatisch.

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2 Gedanken zu “Judenreine Jugend;”

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    Meine streng objektive eigene Beobachtung sagt mir folgendes: Der Antisemitismus eines IS oder der Palästina-Fraktion (Hamas, Hisbollah), ein Antisemitismus, der auf das tatsächliche Töten von Juden ausgerichtet ist und der durchaus mit dem Antisemitismus der Nationalsozialisten vergleichbar ist, wird von der muslimischen Gemeinden abgelehnt. Zu verrückt. Und das ist das, was Vertreter der muslimischen Gemeinden unter Antisemitismus verstehen und deswegen redet man auch regelmäßig aneinander vorbei. Hätte Himmler eine Mehrheit in der Community? Wohl nicht.

    Darunter gibt es aber noch einen anderen Antisemitismus und der funktioniert eben anders. Die muslimische Mitte der Gesellschaft, wie ich sie kenne: Keiner kennt einen Juden, was in Palästina los ist, weiß eigentlich keiner, den Koran hat auch niemand gelesen, man geht auch nicht in die Moschee, man isst kein Schwein, aber trinkt natürlich Bier. Konservativ vielleicht, aber nicht weil der Koran es fordert, sondern weil Mama Druck macht. So ziemlich wie alle anderen, bis auf eines: man mag keine Juden. Aus Prinzip. Weil es so ziemlich das einzige einigende Band zwischen Muslimen, die den Koran nie gelesen haben und Muslimen, die ihn gelesen, aber nicht verstanden haben (weil sie kein Arabisch verstehen), ist. Muslim sein bedeutet, Juden nicht zu mögen. Das eint Marokkaner, Türken, Afghanen und Perser. Alle die, die hier zweite Klasse sind und nicht von anderen erklärt werden wollen, sondern die die Toastbrote mal wirklich auf die Palme bringen wollen. Antisemitismus als Identität und Abgrenzung. Muslim ist man ja nicht wirklich, wenn ja, versteht man sich trotzdem nicht. Und über diesen schmutzig/traurigen Aspekt der muslimischen Palästina-Solidarität (dem Schachmatt für die Selbstreflexion) will keiner der Funktionäre sprechen. Hat alles weder mit Koran, noch mit Palästina und schon gar nichts mit Juden zu tun. Und in das Bild der Islamkritiker passt es deswegen auch nicht. Die Mehrheitsgesellschaft hört auch nicht gerne, dass die Integrationsprogramme und guter Wille nicht gereicht haben, die Löcher in den Herzen zu stopfen.

    Ich glaube, die Funktion des Antisemitismus der muslimischen Jugendlichen ist ein anderer, als der Rassismus und Antijudaismus von Rechts oder der Antiimperialismus von Links. Deswegen prallt auch die Aufklärung von ihnen ab. Was will man einem von Auschwitz erzählen, für den der Antisemitismus die Funktion eines Irokesen-Haarschnitts hat? Ein Gespräch über Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen wäre ein Gespräch über die muslimischen Gemeinschaften selbst und irgendwie hat keine Interessengruppe zurzeit so richtig Lust darauf. Als Beispiel die türkischen Gruppen: man Grenzt sich untereinander ab, so viel es geht. Laizisten/Gläubige, Linke/Rechte, Ost/West, Stadt/Land, wenn alles passt, dann trennt wenigsten der Fußball. Nur in einem sind sich alle einig und das unterscheidet von den Toastbroten. Fällt doch auf.

  2. avatar

    Es wäre auch spannend zu untersuchen, welche Funktion der Antisemitismus in der muslimischen Community hat und welche Funktion bei deutschen Antisemiten. Nicht, dass einer besser wäre, aber es wäre eine Erklärung warum das eine besser wirkt als beim anderen.

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