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Zornige Alte

 Vor einiger Zeit bekam ich von einem  alten Freund eine Mail, die mich verstörte.  Er bat mich,  die angehängte Petition gegen CETA und TTIP zu unterzeichnen. Als ich den Text  las, wurde mir klar, dass hier politische Geisterfahrer unterwegs sind.  Es wimmelte nur so von Halbwahrheiten, Verleumdungen und Verschwörungstheorien. Die amerikanischen Konzerne wurden pauschal  beschuldigt, alle sozialen und ökologischen  Errungenschaften Europas ihren Profitinteressen opfern zu wollen. Meine Erinnerung schweifte zurück: Mit dem alten Freund hatte ich in den rebellischen 68er Jahren an Demonstrationen teilgenommen, bei denen die dümmliche Parole „USA: SA – SS“ skandiert wurde. Der Freund ist nun auch schon im Rentenalter, steht aber immer noch fest in der alten Kampffront. Antiamerikanismus kann einen  ein Leben lang begleiten.   Es ist offenbar ein wärmendes Gefühl.

Zum Thema CETA und TTIP ist eigentlich alles gesagt. Wer dagegen sein will, wird sich durch Argumente nicht überzeugen lassen. Deshalb hier nur ein einziges – freilich bemerkenswertes – Zitat. Es stammt von Michael Vassiliadis, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE): „Ich finde es erschreckend, welche Ängste die Freihandelsgegner haben aufbauen können und mit welcher Radikalität jetzt im Netz darüber diskutiert wird. Das trägt fast fundamentalistische Züge.“ (SPIEGEL 30/2016). Im selben Interview nennt der Gewerkschaftsführer Punkt für Punkt die Vorteile, die das CETA-Abkommen für die deutschen Arbeitnehmer (!) bedeutet und empfiehlt es als Blaupause für die Verhandlungen um  TTIP.

Bei der großen Anti-TTIP-Demonstration vom Oktober 2015 haben neben vielen Jugendlichen erstaunlich viele Menschen  im Rentenalter teilgenommen. Man kann wohl vermuten, dass sie vor allem von der  antiamerikanischen Stoßrichtung der Demo angelockt wurden. Wenn die ergrauten Protestler den Kapitalismus schon nicht abschaffen können, wollen sie zumindest seine windgeschützte deutsche Variante gegen die Globalisierung, für die die Freihandelsidee der USA steht, verteidigen. Dass sie dabei die Chancen der  jungen Generation mindern, ficht sie nicht an. Eine ähnliche Frontlinie konnte man beim Brexit-Referendum erleben. Die über 50-Jährigen stimmten mit großer Mehrheit für den Ausstieg aus der EU, die unter 30-Jährigen mit großer Mehrheit dagegen. Auch bei den Alten in Großbritannien war das entscheidende Motiv die Sehnsucht nach der alten, als sicher und überschaubar  empfundenen  Zeit, der Schutz vor den Zumutungen der modernen Welt.

Nach dem Brexit-Votum wurde in den Medien ausgiebig über den Egoismus der Alten diskutiert. Dies rief natürlich auch Verteidiger auf den Plan. So den FAZ-Autor Lorenz Jäger, selbst auch schon in den 60ern. In seinem Kommentar  „Die Greisenfresser kommen“  vom 30. 06. 2016 leistet er sich  einen  haarsträubenden Trugschluss. Er behauptet, die Alten würden  kritisiert, weil sie alt sind. Da dieses Merkmal zwangsläufig eintrete und  nicht revidierbar  sei, könne man das Alten-Bashing mit dem Rassismus vergleichen, der sich ja auch an unveränderlichen ethnischen Merkmalen festmache. Der Autor hat leider den entscheidenden Punkt der Alten-Kritik übersehen: Die Alten werden nicht kritisiert, weil sie alt, sondern weil sie  verbohrt und  egoistisch sind.

Der Augenschein und auch die soziologische Evidenz sprechen eine eindeutige Sprache. Überall in der Republik, wo es etwas zu blockieren gilt – Windräder, Straßen, Bahn-Trassen, Fracking usw. – sind die Silbergeschwader zur Stelle. Man schaue sich nur die alten Bilder vom Protest gegen Stuttgart 21 an. Rüstige Rentner bildeten damals  die  aggressivste  Phalanx. In Berlin, wo ich wohne, kann keine Baulücke geschlossen werden, ohne dass die Silberlocken nicht zur Stelle wären. Die hässlichste Brache erklären sie – beredt und sachkundig, wie sie sind – zum wertvollen Biotop, um die Bebauung zu verhindern. Sie selbst wohnen gerne in der Innenstadt. Anderen –  Neu-Berlinern und  jungen Familien – missgönnen sie dieses Privileg. Schwer zu glauben, dass diesen Menschen, als sie jung waren, einst  das Wort Solidarität flüssig  von den Lippen ging.

Seit 1976 findet in dem kleinen Städtchen Brokdorf an der Elbe in Schleswig-Holstein immer am sechsten Tag des Monats eine Mahnwache statt. Zehn inzwischen hochbetagte Damen und Herren zelebrieren immer dasselbe Ritual, um gegen die todbringende Atomkraft zu protestieren. Sie stellen ein kleines Kreuz auf, zünden Kerzen an, singen Kirchenlieder und lesen sich aus den Manifesten vor, die  sie seit ihrer letzten Zusammenkunft  ins Netz gestellt haben. Mit dabei ist auch der evangelische Pfarrer, der schon vor 40 Jahren mit  von der (Protest-)Partie war. Er war damals von der Evangelischen Landeskirche suspendiert worden, weil er während der „Schlacht von Brokdorf“ im Talar einen Feldgottesdienst zelebriert hatte. Eisern hält die  Oldie-Truppe  an ihrer Zeremonie  fest, obwohl der Ausstieg aus der Kernkraft längst beschlossen ist und auch die Tage des Kernkraftwerks Brokdorf gezählt sind. Wie man sieht, kann man sich in einer Protesthaltung kuschelig einrichten, lebenslang – egal, was in der Welt um einen herum passiert. Der Schriftsteller Maxim Biller kritisiert die Haltung der „Ur-68er“, wie er  sie nennt, mit sarkastischen Worten. Er hasse ihren „totalitären, undemokratischen Idealismus, ihre 110-Dezibel-Besserwisserei, ihre offenbar fast schon genetisch bedingte Unfähigkeit, ein Argument zu analysieren und dann selbst ein Gegenargument zu entwickeln, um so der Lösung eines real existierenden Problems ganz pragmatisch ein wenig näher zu kommen.“ (ZEIT-Magazin, Juli 2016)

Wenn man über zornige Alte redet, darf  man die AfD nicht vergessen. Diese  Partei der Intoleranz und des Ressentiments  lebt von männlichen Wutbürgern im fortgeschrittenen Alter. Mit ihrer Gehässigkeit und ihrer Besserwisserei geben sie  den Ton an. Früher waren sie in der CDU oder begnügten sich mit akademischen Meinungsäußerungen, vor allem zum Euro und zur Wirtschaftspolitik. Seit der Spaltung der AfD und dem Auszug des Lucke-Flügels lassen die alten Herren ihren  fremdenfeindlichen, manchmal auch offen rassistischen Affekten freien Lauf. Nachdem der bürgerliche Lack ab ist, können  sie  ungeschminkt vom Leder ziehen. Unter dem in Rechtskreisen beliebten scheinheiligen Motto „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen…“ hetzen sie gegen Flüchtlinge, schwadronieren über die Abschaffung des Asylrechts für Muslime und verunglimpfen die Politiker der „Kartellparteien“ (AfD-Slogan) als unfähig, korrupt und volksfeindlich. Wenn das Wort aus dem Volksmund „Alter schützt vor Torheit nicht“ irgendeine Berechtigung hat, dann bei den alten Herren in der AfD.

Die Alten haben auch bei unseren Volksparteien  CDU und SPD gute Karten.  Es ist sicher kein Zufall, dass die  Große Koalition in der ablaufenden Legislaturperiode explizit die Rentner bedient hat: Die SPD hat  die „Rente mit 63“ durchgesetzt, die CDU die „Mütterrente“. Und für den Wahlkampf werden schon wieder neue „Rentenpakete“ geschnürt. Dabei zählen nach dem letzten Armutsbericht vor allem junge Familien und alleinerziehende Mütter zu den Personen mit dem größte Armutsrisiko. Sie haben freilich bei der Bundestagswahl  qua Zahl ein geringeres Durchsetzungspotential als die Rentner.

Die Alten, zu denen ich mich auch zähle,  hätten es in der Hand, das negative Image, das ihnen anhaftet, zu  ändern. Sie müssten aufhören, immer noch die Kämpfe von gestern zu kämpfen. Und sie müssten  von   ihrem Egoismus lassen. Sie könnten die Tugenden leben, die man früher den Alten attestiert hat: Gelassenheit und Weisheit – und die Bereitschaft, den Jungen etwas zu gönnen. Dabei könnten sie sich an dem großen Lyriker Friedrich Hölderlin orientieren, der das Alter als sanften Lebensabend verherrlicht:  „Friedlich und heiter ist dann das Alter“.

 

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6 Gedanken zu “Zornige Alte;”

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    Ach Herr Weller, was Sie sagen, ist doch altbekannt. 🙂

    Linke dienen der linken Ideologie – also sich selbst, sagen die einen. Das Wohl der Arbeiter oder der Armen hat sie schon seit vielen Jahrzehnten, seit 1917 oder spätestens seit 1933, nicht mehr interessiert.

    Ich sage: Linke dienen weniger sich selbst als dem Satan, der sie gemacht hat und dessen Ideologie – tu, was du willst – sich „rein zufällig“ mit der der Linken zu 100% deckt. Das Phänomen des Linken ist mMn ganz einfach metaphysisch zu erklären.

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    Nehmen Sie mir nicht übel, Herr Werner, wenn ich in das Senioren-Bashing nicht einstimme. Denn dies hat nichts mit meinem Nickname als Opa Krempel zu tun, sondern liegt in der Sache begründet.
    In einer freien Gesellschaft steht es schließlich jedem Einzelnen und jeder Gruppe zu, egoistisch zu sein und die eigenen Interessen auch lautstark vorzutragen – den Senioren ist ihr Werben für eine Rentenerhöhung billig, was den Vermögenden das Werben für eine Nichteinführung der Erbschaftssteuer recht ist. Einer Gruppe die Formulierung ihrer Interessen zum Vorwurf zu machen (und ihr damit praktisch das Recht darauf abzusprechen) und sie verbohrt zu nennen, ist unredlich. Zu einer freien Gesellschaft gehört es eher, die Diskussion in der Sache zu suchen und dafür zu werben, daß die Politik nicht auf die Wünsche dieser Gruppe eingeht, und die Frage in den Raum zu stellen, ob die Gruppe tatsächlich so benachteiligt wird, wie sie es vorgibt.

    Der Vorwurf des Egoismus ist auch in anderer Hinsicht unangebracht: Er verstellt nämlich den Blick auf die Ursachen.
    Wenn man sich vor Augen hält, wer mit den Senioren gemeinsam auf die Barrikaden geht, fallen recht bunte Koalitionen ins Auge. Gerade die von Ihnen ins Feld geführte Brexit-Abstimmung läßt nämlich noch ganz andere Interpretationen zu:
    – In England haben sich nur in drei kleineren Universitätsstädten knappe Mehrheiten für den Ausstieg aus der EU gefunden, in traditionellen und größeren Universitätsstädten haben teilweise zwei Drittel der Wähler für einen Verbleib in der EU gestimmt.
    – Mehrheitlich für den Ausstieg aus der EU waren die ländlichen Gegenden und diejenigen Regionen, die ihre industrielle und wirtschaftliche Blütezeit schon lange hinter sich haben. Für den Verbleib haben eher die Metropolregionen gestimmt. In London selbst verlief die Verteilung der Pro- und Contra-Brexit-Stimmen entlang der Teilung in ärmere und reichere Wohngegenden.
    Diese Ergebnisse sind durchaus korreliert und legen den Schluß nahe, daß für den Ausstieg aus der EU in erster Linie diejenigen gestimmt haben, die sich bei dem Zusammenwachsen Europas und der Globalisierung auf der Verliererseite wähnen – sei es, weil ihre Häuser in der Provinz zusehends an Wert verlieren, sei es, weil das Gesundheitssystem immer mehr Zuzahlungen verlangt. Sie finden sich damit in bester Gesellschaft mit einem Teil der jungen Generation, die ebenso gestimmt hat.
    Analoges trifft auf Deutschland zu. Die AfD-Wähler, die Sie als Beispiel anführen offenbaren eines: in BaWü alte Leute, in Sachsen-Anhalt war die AfD stärkste Partei bei den Jungwählern. Auch diese beiden Gruppen haben gemeinsam, daß sie sich auf der Verliererseite der EU sehen: die Südwestdeutschen, weil sie der Meinung sind, die EU ziehe ihnen nur das Geld aus der Tasche, und durch die Windräder würden ihre Eigenheime entwertet, die junge Generation in Sachsen-Anhalt spürt den Druck durch Billiglöhner aus Osteuropa.

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      @Opa
      Juden haben seinerzeit auch nicht für die NSDAP gestimmt, die waren auch auf der Verliererseite der neuen sozialistischen Gemeinschaft. Wenn eine Union soviel Verlierer produziert, dann nix wie raus aus dieser Union. Zumal die Eliten ja in Wandlitz, auch gated Communities genannt, in einer teuren Fantasie-Welt hausen.

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      Sie haben recht, Opa Krempel! Der Ratschlag, weniger egoistisch zu sein läßt sich beliebig auf alle gesellschaftlichen Gruppen übertragen, und welches „negative Image“ den „Alten“ anhaften soll, ist mir auch nicht klar. Es sei denn, man argumentiert: pars pro toto. Aber das funktioniert bei den „Alten“ ebensowenig wie bei „Ossis“ oder „Wessis“.

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    Was ist alles schlecht für den deutschen Arbeiter und Verbraucher? EU, Euro, Islamismus, kriminelle Moslems, kriminelle ZiRoma, Asylflut, Antonio-Stasi, Antifa-SA, etc.. Wieso interessiert das die Linken nicht, wenn sie angeblich um das Wohl des deutschen Arbeiters und Verbrauchers besorgt sind? Im Gegenteil, die Linken machen den Deutschen das Leben aktiv zur Hölle, und sind verantwortlich für das Leid in der BRD.
    Also was soll jetzt dieser TTIP-Kram, von dem keiner weiß, ob er gut oder schlecht ist, aber bestimmt nicht so grausam wie die bisherigen Plagen. Linke sind verlogen, von der Sandale bis zur Kopflaus.

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      „Wieso interessiert das die Linken nicht, wenn sie angeblich um das Wohl des deutschen Arbeiters und Verbrauchers besorgt sind?“
      .
      Es interessiert sie nicht, weil das nur ein Pickel im Gesicht ist …
      Zeitgleich versuchen nämlich die Neoliberalen dieser Welt, dem einfachen Volk weltweit das Bein abzusäbeln. Bei den „Freihandelsabkommen geht es um SEHR VIEL MEHR Rechte und auch um SEHR VIELE MEHR Geld als bei 2 Millionen Flüchtlingen auf 500 Millionen EU-Bürger …
      Die Linken haben also einfach nur die schlaueren und effektivieren Prioritäten …
      .
      .
      „Also was soll jetzt dieser TTIP-Kram, von dem keiner weiß, ob er gut oder schlecht ist“
      .
      Au contraire! Auf der Seite der Gegner stehen zwei Wirtschaftsnobelpreisträger (Krugman, Stiglitz) und die London School of Economics (LSE), die wohl renommierteste Wirtschafts-Hochschule dieses Planeten …
      Und auf der Seite der Befürworter? Welche Experten stehen dort? Und wie lauten deren Antworten auf die Argumente der eben genannten Gegner? Es hat nämlich NOCH NIE sowas wie Auseinandersetzungen damit gegeben – weder in schriftlichen Gutachten noch in persönlichen Podiumsdiskussionen … sie werden einfach wegignoriert und totgeschwiegen. Und das in der Hoffnung, dass dann in Folge kaum einer noch darüber redet und somit auch keiner mehr davon erfährt.
      Und wie wir an Ihnen sehen, war diese Strategie ja auch überaus erfolgreich …

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