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Kann Karlsruhe das Imperium stoppen?

Mittwoch also entscheidet das Bundesverfassungsgericht darüber, ob der „Europäische Stabilitätsmechanismus“ (ESM) mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Voreilig hatte der selbst ernannte „Demokratielehrer“ (Gauck über Gauck) im Schloss Bellevue bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel vor Monaten schon versichert, die Verfassungsrichter würden das Ding schon durchwinken, obwohl er bei späterer Gelegenheit zugab, er würde die Politik der Bundeskanzlerin in Sachen Europa selbst gar nicht verstehen, weshalb er sie öffentlich um Nachhilfeunterricht bat.

Bekanntlich ist der ESM ein Kernpunkt der Merkel’schen Europa-Politik. Und bekanntlich haben sich die Verfassungsrichter, die es gar nicht komisch finden, wenn die Politik ihnen vorgibt, wie und wie schnell sie sich zu entscheiden haben, eine Menge Zeit genommen, um den Vertrag genau zu prüfen. Nun ja. Politik ist eben mehr als bei jedem sich bietenden Anlass allgemein über Freiheit reden. Am Mittwoch geht es nun wirklich um die Freiheit. Winken die Richter tatsächlich den ESM-Vertrag durch, wovon Gauck ausging, ich aber nicht ausgehe, hätte das Imperium einen wichtigen Sieg über die Freiheit errungen.

In den letzten Monaten bin ich oft gefragt worden, ob ich noch zum Titel und zum Inhalt meines Buchs „Imperium der Zukunft“ stehe. Nach Imperium sieht es auf der Oberfläche nicht aus, was gerade in Europa passiert. Doch das fortwährende Drama um Staatsschulden und Rettungspakete hat genau jene Institution hervorgebracht, die bisher fehlte:  die imperiale Wirtschaftsregierung.

Das wurde spätestens am letzten Donnerstag sichtbar, als EZB-Präsident Draghi in Frankfurt seine Strategie zur Bekämpfung der internationalen Finanzmärkte enthüllte: Die Europäische Zentralbank wird in unbegrenzter Höhe zu einem politischen Preis die Schulden der Euro-Mitglieder finanzieren, wenn sich diese im Gegenzug bereit erklären, ihre Wirtschaftspolitik, insbesondere ihre Fiskalpolitik, vom „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ ESM diktieren zu lassen. 

Was in Frankfurt passierte, ist nicht in erster Linie, dass „Schulden-Staaten ein Blanko-Scheck“ erhalten, wie das Leitmedium „Bild“ kommentierte und mit ihm – je nach politischem Standpunkt klagend oder jubelnd – der Rest der deutschen Presse. Vielmehr entsteht hier mit dem Zusammenspiel von EZB- und ESM-Direktorium eine nicht gewählte Euro-Wirtschaftsregierung, die jedem Staat die Fiskalpolitik diktieren kann und damit die nationalen – gewählten – Parlamente entmachtet.

Die können für den Fall, dass der Markt ihnen allzu hohe Zinsen aufdrückt,  sich entweder an die EZB wenden und die vom ESM beschlossenen Maßnahmen als Paket akzeptieren, oder nein sagen und aus dem Euro fliegen. Von parlamentarischer Mitwirkung and der Fiskalpolitik – durch Ausschüsse, Anhörungen, Deals, Kompromisse usw. usf. – ist keine Spur mehr.

Damit haben die nationalen Parlamente der verschuldeten Länder faktisch ihre wichtigste Aufgabe – die Kontrolle der Finanzen – verloren. Entstanden ist dafür neben dem Rat der Regierungschefs und der aus Abgesandten der Regierungen gebildeten Kommission ein weiteres nicht gewähltes Machtzentrum in der EU.

Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um sich auszumalen, wie sich EZB-Chef Draghi und ESM-Chef Regling treffen, um die künftige Euro-Fiskalpolitik und natürlich auch die monetäre Politik festzulegen, und sich anschließend mit Ratschef Rompuy und  Kommissionschef Barroso einigen. Das EU-Parlament hat dagegen nicht einmal ein Einspruchsrecht, ganz abgesehen von dessen fehlender Legitimation aufgrund des bei jeder Wahl zu Tag tretenden schallenden Desinteresses der Wähler.

Das imperiale Europa nimmt also institutionelle Gestalt an.

In meinem Buch nahm ich fälschlicherweise an, dass der Euro, wie im Maastrichter Vertrag vorgesehen, ganz ohne politisches Leitungsgremium eine bestimmte – wie ich meinte: die vom Imperium gewünschte – Politik sozusagen per Sachzwang durchsetzen würde. Die harte Gemeinschaftswährung, schrieb ich, ersetze die Eiserne Lady. „Tina“ war Maggie Thatchers Schlachtruf: „There is no alternative.“ Und auch die Eiserne Kanzlerin nannte ihre Austeritätspolitik „alternativlos“.

Das war sie in der Tat, so lange der Euro so funktionierte, als habe man den Goldstandard wieder eingeführt. Die Märkte selbst sollten die Regierungen zu Reformen zwingen, das Verbot von Bail-Outs bedeutete, dass die Eurozone den Marktzwang offiziell zum Reformmotor erhob.

Doch indem unter Merkels Führung die gesamteuropäische Geldpolitik zunehmend politisiert worden ist, durch ESFS und ESM, durch die – künftig auch unter Aufsicht der EZB stehende – Bankenunion, durch das der Kommission zugestandene Recht der Kontrolle der nationalen Haushalte, durch die faktische Einsetzung eines Sparkommissars als Regierungschef in Italien und anderes mehr, alles unter der falschen Losung, „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“ – indem also der Euro zu einer politischen Währung gemacht wurde, legte Merkel selbst die Grundlage dafür, dass die Frage, welche Politik mit dieser Währung gemacht würde, ihr weitgehend aus der Hand genommen wurde.

Das zeichnete sich bei der EU-Ratssitzung Ende Juni ab, als sich Hollande und Monti mit Rajoy gegen Merkel verbündeten, um eine Lockerung der ESM-Kritierien zu erreichen, das ist mit Draghis Ankündigung, durch Ankäufe von Regierungsschuldscheinen in beliebiger Höhe die Marktzwänge außer Kraft zu setzen, besiegelt worden.

Das kann man zunächst einfach als Sieg der Südländer sehen. Wie mir ein bekannter Publizist schrieb: „Jedes Land kann so viel Schwachsinn machen wie es will, es muss nur einen finden, der das durch den Kauf von Staatsanleihen finanziert. Und wenn er keinen findet, dann ist eben Schluss mit Schwachsinn. 

Das Schlimme jetzt ist: Der Blankoscheck der EZB hebelt diesen Mechanismus aus. Jetzt können die Länder wieder Schwachsinn machen, weil sie darauf hoffen dürfen, dass die EZB leichter von Käufen ihrer Staatsanleihen zu überzeugen ist als private Investoren. Im Sinne Ihres ‚Imperiums“ hat die EU sich also ein Eigentor geschossen, denn gerade die Schulden-Staaten sind wieder ein Stück freier geworden.“

Es stimmt natürlich, dass zunächst die Schuldenstaaten Gewinner der neuen Linie der imperialen Institutionen sind. Meine Analyse bezieht sich jedoch nicht auf den Inhalt der Politik, sondern auf die Form. Man sieht an der Überstimmung des deutschen Vertreters bei der EZB, dass diese Politik inhaltlich durchaus – sagen wir – französisch geprägt sein kann.

Das Imperium benutzt also den deutschen Steuerzahler, um seine Südstaaten zu alimentieren und die imperiale Währung zu retten. Die kann ruhig, ja soll sogar weich sein, um mit Chinas unterbewerteter Währung und den amerikanischen und britischen Gelddruckmaschinen mithalten zu können. Eine milde Inflation – also die Enteignung von Sparern und Schuldnern – wird in Kauf genommen, um den Konsum anzuregen und die Schulden schmerzlos abzubauen. Und niemand kann etwas dagegen tun. Der Bundestag jedenfalls scheint machtlos. Und das soll nicht imperial sein?

Vielleicht wehrt sich das Bundesverfassungsgericht. Hoffen wir’s.

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