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Was ich der KPD verdanke (1)

Es bleibt nicht aus,  wenn irgendjemand meint, mir eins auswischen zu müssen, dass er oder sie nach einem kurzen Blick in Wikipedia mir meine maoistische Vergangenheit um die Ohren haut. Das ist auch ganz OK so, und die Tatsache, dass ich selbst nie den Versuch gemacht habe, diese Vergangenheit zu verschweigen oder kleinzureden, dass ich mir selbst vielmehr nach meinem Austritt aus der KPD vor nunmehr 36 Jahren eine über zehnjährige Politik- und Publikationsabstinenz verordnet und als Lehrer gearbeitet habe, entkräftet nicht unbedingt die Argumente derjenigen, die meinen, im Herzen sei ich immer noch Kommunist, oder dass ich mit meinem Hang zu politischen Fehden immer noch, wie es ein Freund, Kollege und intellektueller Sparringpartner neulich im Zorn ausdrückte, ein „maoistischer Platzanweiser“ geblieben bin.

Nun, was die Lust am politischen Streit und die Schärfe der politischen Auseinandersetzung angeht, so kann man die Frage nach Henne und Ei stellen. Fühlte sich eine streitlustige Persönlichkeit besonders von einer streitlustigen Sekte angezogen, oder ist die Streitlust Ergebnis der Sektenerziehung?

Ich neige zur ersten Interpretation. Wobei ich nicht wesensmäßig streitlustig bin, sondern – geboren im Sternzeichen der Waage – eher zum Ausgleich neige. Jedoch bedeutet dieser beinahe zwanghafte Wunsch nach Ausgleich, dass ich mich oft der in meiner Umgebung herrschenden oder von mir als vorherrschend empfundenen Meinung mit einiger Emphase entgegensetze. Man kann mir immerhin zugute halten, dass das mir nicht immer zum persönlichen Vorteil geraten ist, übrigens schon nicht in der KPD, wo ich verschiedentlich als Abweichler gemaßregelt wurde.

Da ich aber der Meinung bin, dass ich oft genug theoretisch – und, wie gesagt, als Lehrer auch praktisch – meine Treue zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung unter Beweis gestellt habe, beginnend übrigens gleich 1977 in Gestalt eines Briefwechsels mit einem mit der Partei sympathisierenden Professor in den „Berliner Heften“, der mir recht unverblümt Verrat vorwarf; da ich also nicht ernsthaft glaube, dass mir irgendjemand aus den folgenden Ausführungen einen haltbaren Strick drehen kann, will ich doch im folgenden anzudeuten versuchen, was ich – bei aller Abscheu gegen den Leninismus – persönlich der KPD verdanke.

Das Abitur machte ich 1969. Als Schüler eines Reform-Internats war ich nicht sehr gut auf die Anforderungen der größeren Welt außerhalb der Schulfarm Insel Scharfenberg vorbereitet. Weder war mir klar, was ich studieren wollte, noch, wo ich politisch stand. Gut, links war klar. Aber es war nicht wirklich klar, was das bedeuten sollte. Auf der Schule hatte ich zwar mit radikalen Ideen gespielt, Kontakt zur Kommune I und zu einer noch radikaleren Gruppe von Feministinnen gehabt, hatte überdies den sommerlichen Ernteeinsatz auf der Insel als leninistischen Subbotnik mit roten Fahnen zelebriert, was auch nicht so gern gesehen wurde, darüber schrieb der Direktor Wolfgang Pewesin sogar einen Aufsatz in einer pädagogischen Fachzeitschrift, aber es war eben alles unernst gewesen.

Mindestens ebenso wichtig waren mir auf der Schule meine Band, der Rock’n’Roll und die Subkultur gewesen. Zwar hielt ich mich von den Drogen fern, die in unseren letzten beiden Schuljahren die Insel überschwemmten und dazu führten, dass zwei Klassenkameraden die schule verließen, um in Frankfurt Dealer zu werden. Aber eher aus Berechnung – ich hatte politisch genügend Schwierigkeiten – denn aus Überzeugung.

Nach dem Abgang von der Schule ließ ich meine Hemmungen fallen. Politisch war ohnehin, so schien es, nichts los; „68“ war in sich zusammengefallen, die „Bewegung“ in zahlreiche Gruppen und Grüppchen diffundiert. Die Schulband hatte sich aufgelöst, und die Beatles hatten sich auch verabschiedet. Ich wusste immer noch nicht, was ich mit mir anfangen sollte, und nach einer Zeit als Regieassistent beim SFB-Fernsehen, die ausreichte, um mir klar zu machen, dass ich das jedenfalls nicht wollte, verfiel ich in eine Zeit des ziellosen Vor-mich-hin-Dämmerns, bei dem der Konsum von LSD, der Droge meiner Wahl, eine immer größere Rolle spielte. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass ich im Herbst 1969 auf dem besten Weg war, Junkie zu werden.

In dieser Situation suchte mich ein früherer Mitschüler auf. Er war Perser, heftiger Gegner des Schah-Regimes, und wir hatten auf der Insel gemeinsam Bahman Nirumands Buch über Persien, Friedrich Engels’ „Ursprung der Familie“ und andere Bücher gelesen und viel miteinander diskutiert. Er war es gewesen, der mich wegen meines damaligen Pazifismus hart angegriffen und das als eine Luxuseinstellung gegeißelt hatte, die man sich halt im bequemen Schoß der imperialistischen Metropole wohl leisten könne, während man blutenden Herzens zusah, wie in Vietnam oder eben im Iran gekämpft und gestorben wurde. Dieser Freund hat mich in meiner etwas heruntergekommenen Wohnung voller Verachtung angesehen. Was ich täte, mit meinem intellektuellen Potenzial, sei Verrat am antiimperialistischen Kampf. Mein schwacher Einwand, es gebe doch gar keine Organisation, in der ich diesen Kampf unterstützen könnte, wischt er beiseite. Er habe gehört, dass sich eine Kommunistische Partei gegründet habe. Ich solle gefälligst clean werden und mich nach ihr umsehen.

Es mag heutigen Lesern kaum glaubhaft erscheinen, aber genau das tat ich. Von den Drogen kam ich „cold turkey“ runter und habe seitdem außer Alkohol nie etwas angerührt, von ein paar nicht ernstgemeinten Zügen an diesem oder jenem Joint – wie Bill Clinton habe ich als Nichtraucher nicht inhaliert – einmal abgesehen. Und dann fragte ich bei denjenigen von meinen ehemaligen Klassenkameraden, die schon studierten, wo denn diese KP zu finden sei.

Ich verdanke der KPD – oder der Nachricht von ihr – zum Einen also, dass ich von den Drogen und dem Gefühl existenzieller Nichtigkeit losgekommen bin. Für andere in einer vergleichbaren Situation mag Gott  oder Buddha die Rettung sein, oder eine neue Liebe. Bei mir war es die Partei.

Nächste Woche geht es weiter.

 

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62 Gedanken zu “Was ich der KPD verdanke (1);”

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    @ Stevanovic: Was Sie zum Bedürfnis nach „Wir“ schreiben, ist absolut richtig. Darüber will ich gelegentlich einen Essay für die „Welt“ schreiben.
    @ Lyoner: Schön beschrieben, Ihre Jugendirrfahrten. ein gutes Wort übrigens, das ich irgendwo (bei der klugen Katharina Ruthschky?) aufgeschnappt habe. „Jugendirresein“. Gehört dazu. Rictig auch, was Sie über die Familie schreiben. Sage ich als begeisterter Großvater.
    Ansonsten sind alle off topic. Über den Verrat an sich und den Verräter Snowden im besonderen schreibe ich vielleicht ein andermal.

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    68er ‘Was Sie schreiben oder lesen wollen, ist alles brauner Speculatius.‘

    … zu viel der Ehre, werter 68er. ‚Spekulatius, speculator, speculari, Spekulator war der Beiname des hl. Nikolaus, der nach der Legende bes. den Kindern wohlgesinnt war und sie das Jahr über beobachtete; zu seinem Gedenken wurden (und werden noch) jährlich an seinem Festtag (6. Dezember) und an Weihnachten Gebildbrote mit seiner Gestalt gebacken,…‘

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    Werter 68er, ich zitiere aus den von Ihnen verlinkten Artikel in Wiki: ‘Die Konferenz von Évian fand vom 6. Juli 1938 bis zum 15. Juli 1938 im französischen Évian-les-Bains am Genfersee statt. Vertreter von 32 Nationen trafen sich auf Initiative des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, um die Möglichkeiten der Auswanderung von Juden aus Deutschland und Österreich zu verbessern.‘

    … meine Frage war ob Sie konkret ‘Deutschlands historische Aufgabe‘ benennen können. Da Sie in vorangegangenen Diskussionen sich gegen die Zirkumzision, d.h. für deren Strafbarkeit ausgesprochen haben, wollen Sie nun ‘die Möglichkeiten der Auswanderung von Juden aus Deutschland und Österreich verbessern‘ ???

    … ich meine, das sollte nicht Deutschlands Aufgabe sein.

    Sie sind ein Sozialist – links. Oder? Und‚ schnüffeln‘ o.ä. tun Sie womöglich auch noch … waaas?

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    @ Parisien: ob man eine kurzfristige Psychopharmakagabe bedenkt, damit er wieder auf Vernunft reduziert wird

    Sicher. Muss ja nicht immer gleich waterboarding sein.

    Sie sind/ waren Arzt, wenn ich richtig verstanden habe? Nicht im zivilen Sektor, sondern in irgendwelchen „Diensten“?

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