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Religionskritik und Menschenrechtsfundamentalismus

Die Diskussion um die religiös verordnete Beschneidung will und will nicht verstummen. Nicht, wie manche vermuten, in erster Linie wegen eines voyeuristischen Impulses des Publikums, das selbst kaum davon betroffen ist. Und auch nicht, wie oft unterstellt wird, wegen eines latenten Antisemitismus, oder wegen Islamophobie, obwohl, wie ich zu zeigen versucht habe, auch dieses meist zusammen auftretende Motiv hier und da eine Rolle spielt.

Sondern vor allem, weil viele Diskussionen, die in den letzten  Jahren hierzulande und anderswo über das Verhältnis des säkularen und demokratischen Staats zur Religion – meistens anhand des Themas Islam – geführt worden sind, sich in dieser Frage zuspitzen. So ist den Befürwortern der Beschneidung das Buch des früheren FAZ-Feuilletonchefs Patrick Bahners, „Die Panikmacher“ zu empfehlen, wo – vom Standpunkt eines Katholiken, der den „Kulturkampf“ Bismarcks nicht vergessen hat – am klarsten herausgearbeitet wird, dass sich die Argumente der von ihm zitierten Islamkritiker auch gegen andere Religionen richten könnten.

Das Argument, die Debatte sei antisemitisch motiviert, versucht Matthias Küntzel in einem längeren Essay zu belegen:

 

http://www.perlentaucher.de/essay/kontaminiertes-terrain.html

 

Freilich enthält der Essay zwar Belege für den christlichen Antijudaismus als Urquelle für die Beschneidungsphobie, die auch der der „Kult der Vernunft“ in der Französischen Revolution pflegte; jedoch bleibt Küntzel den Nachweis schuldig, dass diese Motive auch heute wirksam sind. Zum Beleg führt er nur die zwei unappetitlichen Karikaturen an, die ich auch zitiere; er beschäftigt sich nicht einmal mit den eindeutig antisemitischen und antiisraelischen Aussagen zur Beschneidung, die auf „PI“ erschienen. Über seine Motive, diese Website zu verschonen, möchte ich nicht spekulieren.

 

Deutsche Beschneidungskritiker weisen auf innerjüdische Debatten darüber, ob die Beschneidung wirklich religiös vorgeschrieben sei. Küntzel schreibt „von dem merkwürdigen Beigeschmack, der aufkommt, wenn deutsche Nicht-Juden bestimmen wollen, wer unter welchen Bedingungen zum Judentum gehört“. Aber diesen Einwand hat man weder von ihm noch von prominenten „Islam-Kritikern“ gehört, als hierzulande die Frage breit diskutiert wurde, ob Kopftuch oder gar Burka notwendig zum Islam gehören. Da wurde munter auch von nicht-islamischer Seite mit Koran-Suren und Hadith-Stellen um sich geworfen. Übrigens, wie ich meine, zu recht. Es gibt zum Glück kein Gesetz, in dem das Recht zur Diskussion religiöser Fragen auf Angehörige der jeweiligen Religionen beschränkt wird.

 

Gegen die Islamkritiker wurde der Vorwurf des „Menschenrechtsfundamentalismus“ erhoben. Der Begriff stammt nicht, wie die Islamkritiker glauben, von Apologeten eines blauäugigen Gutmenschentums, und auch nicht, wie ich zuerst annahm, von Vertretern eines konservativen Kulturrelativismus, sondern vom Systemtheoretiker Niklas Luhmann, der in „Die Religion der Gesellschaft“ (2000) feststellt: „An diesem Punkte spalten sich die Weltvorstellungen des modernen Individualismus und der Religion mit der Folge, dass heute religiöser Fundamentalismus und Menschenrechtsfundamentalismus in einen Konflikt geraten, für den keine Lösungen in Sicht sind.“ Kaum  ein Begriff empörte die Islamkritiker mehr als dieser, ich meine zu Recht. Denn das Gegenteil von Menschenrechtsfundamentalismus wäre wohl Menschenrechtsrelativismus, das heißt die Auffassung, die Menschenrechte würden für die Angehörigen bestimmter Religionen oder Kulturen nicht vollumfänglich gelten. Meine Kollegin  Cora Stephan hat in einem auch auf der „Achse des Guten“ veröffentlichten Radio-Essay am 27. Januar 2010 darauf erwidert:  „Jelänger ich dieses Wort („Menschenrechtsfundamentalismus“, A.P.) anschaue, desto fremder schaut es zurück. Denn was kann damit gemeint sein? Die bloße Unart, anderen triumphierend und selbstgerecht die eigenen Tugenden vorzuhalten? Oder das eiserne Beharren darauf, dass die individuelle Freiheit und die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen über allem steht?“ (Meine Hervorhebung, A.P.)     

 

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/politischesfeuilleton/1113314/

 

Unversehrtheit, Unversehrtheit „über allem“, und zwar „eisern“. Das wurde gegenüber dem Islam reklamiert, aber gegenüber dem Judentum ist das für manche so eine Sache. Tatsächlich ist der Konflikt zwischen der Religion, die in ihrem letzten Grund immer „fundamentalistisch“ ist, weil die Autorität Gottes über jener des Staates steht, und den „Menschenrechtsfundamentalisten“,  wie Luhmann vermutet, nicht lösbar. Man muss also Modi finden, mit ihm zu leben. Das heißt, der säkulare Staat muss im Interesse anderer Werte – wie Religionsfrieden und Religionsfreiheit, Pluralismus und Multikulturalismus – Kompromisse in der Frage der individuellen Rechte  eingehen, möglichst ohne sich zu kompromittieren. Der Kemalismus hingegen, der im Interesse der Homogenisierung und Modernisierung der Nation nicht nur die Armenier und Kurden, die Alewiten und Christen unterdrückt, sondern auch den Sunniten das Kopftuch an Schulen und Universitäten verboten hat, ist hier eindeutig zu weit gegangen, und man sollte deshalb nicht der Forderung des kemalistisch inspirierten „Zentralrats der Ex-Muslime“ folgen, das Kopftuch auch an deutschen Schulen zu verbieten, auch wenn er „menschenrechtsfundamentalistisch“ begründet wird: „Dieser Schritt sei notwendig, um Mädchen aus streng muslimischen Familien in ihrem Emanzipationsstreben zu unterstützen.“ Denn gerade die Erfahrung der Türkei (und des Kulturkampfs in Preußen) zeigt, dass der Versuch, Emanzipation zu diktieren, das Gegenteil bewirkt.

 

http://www.kritische-islamkonferenz./index11207.htm

 

Was gar nicht geht, ist der Angriff auf einen religiösen Brauch auch dort, wo man nicht einmal unterstellen kann, er verletze die Rechte von Individuen, so zum Beispiel beim Verbot des Minarettbaus in der Schweiz. Mein kluger Freund und Kollege Henryk Broder hat dafür eine originelle Rechtfertigung gefunden:  

„Die Schweizer sind die erste europäische Nation, die sich in einer freien Abstimmung gegen die Islamisierung ihres Landes entschieden hat. Nicht gegen die Religionsfreiheit, nicht gegen Lokale, in denen halal gegessen wird, nicht gegen den Islam als Religion. Nur gegen eine Asymmetrie, die auch in anderen Ländern als naturgewollt hingenommen wird. Moslems dürfen in Europa Gebetshäuser bauen, Christen in den arabisch-islamischen Ländern dürfen es nicht (von den Juden und anderen Dhimmis nicht zu reden). In Afghanistan und Pakistan droht Konvertiten die Todesstrafe, Touristen dürfen nach Saudi-Arabien nicht einmal Bibeln im Gepäck mitführen. Das sind Zustände, die nicht toleriert werden können. Ab jetzt werden Geschäfte nur noch nach dem Tit-for-tat-Prinzip gemacht. So wie zwischen den Regierungen Slots für die Fluggesellschaften ausgehandelt werden, werden jetzt auch ‚Landerechte’ für den Bau von religiösen Einrichtungen vereinbart. Natürlich nicht im Verhältnis eins zu eins, aber grundsätzlich.“

 

http://www.welt.de/politik/deutschland/article5376864/Einer-muss-den-Anfang-machen.html

 

Nun stimme ich mit Henryk absolut darin überein, dass das Bibelverbot in Saudi Arabien „nicht toleriert werden“ sollte, weiß aber ehrlich gesagt nicht, was dagegen getan werden kann. Gemäßigten türkischen Muslimen hierzulande den Bau eines Minaretts zu verbieten, erscheint mir nicht wirklich zielführend, ganz abgesehen davon, dass – wie die Befürworter der Beschneidung nicht müde werden zu betonen – alle Menschen hier (und sogar in der Schweiz!) Religionsfreiheit genießen. Da bin ich denn doch, wenn ich schon nicht gegenüber Saudi Arabien „Menschenrechtsfundamentalist“ sein kann, allein weil mein Auto nicht mit Biogas fährt, sondern mit Benzin, wenigstens zuhause für die Einhaltung der Verfassung. Ganz davon abgesehen, dass dieses Tit-for-Tat-Prinzip, das hiesige Angehörige einer Minderheitenreligion haftbar macht für das Verhalten ausländischer Regierungen, ihre antisemitischen Tücken hat: So könnte einer auf die Idee kommen, die Forderung zu stellen: „Wir erlauben die Beschneidung, und Israel erlaubt die zivilrechtliche Scheidung“ (die es zurzeit nicht gibt: Scheidungsprozesse finden für Juden vor dem Rabbinat und für Muslime nach Scharia-Recht statt).

 

Kluges zum Versuch Matthias Küntzels, die Beschneidungsdebatte selbst als Ausdruck des Antisemitismus – und nicht des von Luhmann vorhergesehenen Konflikts zwischen verschiedenen Fundamentalismen – darzustellen, schreibt Thierry Cherval im „Perlentaucher“:

 

http://www.perlentaucher.de/blog/276_die_dialektik_der_gegenaufklaerung

 

Worauf Cherval nicht hinweist, und das finde ich schade, ist Küntzels letzte Fußnote. Dort schreibt derselbe Autor, der einen unangenehmen Beigeschmack empfindet, wenn Nichtjuden „bestimmen“ wollen, was zum  Judentum gehört, das heißt, sich in innerjüdische Debatten einmischen: „Inzwischen rufen Muslime dazu auf, das Kölner Urteil zum Anlass einer umfassenden Debatte über Sinn und Form der muslimischen Kinderbeschneidung zu nutzen – eine Forderung, die in meinen Augen Unterstützung verdient. Das Ziel einer solchen Diskussion sollte der Verzicht auf eine Beschneidung von Muslimen oder deren Durchführung im frühesten Babyalter sein.“  „Two legs good – four legs bad!“ rufen die Tiere auf der Farm bei George Orwell. „Muslimische Beschneidung schlecht – Jüdische Beschneidung gut!“ ruft Küntzel. Was ja sein kann; aber man sollte doch seiner eigenen Argumentation so weit folgen können, dass man nicht in solche Widersprüche hineinstolpert.

 

Wenn das Kölner Urteil bei den Muslimen eine „umfassende Debatte“ auslöst, ist das gut: Sollte es nicht auch gut sein, wenn die schon lange geführte Debatte unter Juden über „Sinn und Form“ der Beschneidung durch das Urteil auch intensiviert wird?

Gut wäre es auf jeden Fall, wenn die Verteidiger des Menschrechtsfundamentalismus anhand dieses Urteils und der Debatte darüber die simple Wahrheit erkennen würden, dass alles nicht ganz so eindeutig und klar und vor allem so einfach ist, wie sich die Schulweisheit träumen lässt.


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55 Gedanken zu “Religionskritik und Menschenrechtsfundamentalismus;”

  1. avatar

    @ Alan Posener

    Nachdem ich gerade einen sehr undifferenzierten Kommentar von Herrn Prantl in der SZ gelesen habe, habe ich versucht, den Wortlaut der Pressekonferenz von Oberrabiner Metzger im Internet zu finden. Leider vergebens. Haben Sie, Herr Posener, eventuell den gesamten Wortlaut oder wissen, wo man ihn findet?

    Das starre Festhalten am Gebot der Beschneidung ohne Narkose am 8 Tage nach der Geburt erinnert mich als katholisch Getauften doch stark an den Starrsinn der katholischen Amtskirche zu den Themen Zölibat, Abtreibung, Wiederverheiratung etc.

    Zitate wie:

    „Wir geben dem Säugling einen Tropfen süßen Weins, dann schläft er ein.“

    tragen dabei sicherlich nicht zur Versachlichung der Diskussion bei.

    Die Reaktionen in Teilen der Ärzteschaft, die man hier nachlesen kann:

    http://www.aerztezeitung.de/po.....assen.html

    sind, soweit auf den Namen des Oberrabiner Bezug genommen wird, möglicherweise antisemitisch motiviert, inhaltlich jedoch beachtenswert.

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    @ Alan Posener
    „Alles eben nicht so leicht, wie sich der Fundamentalist das vorstellt.“

    Nein, es ist gar nicht leicht, und was sie über andere Arten von Verletzungen schreiben, ist zweifellos richtig, auch dass der Staat nichts besser macht.
    Aber ich kann mir kaum vorstellen, dass viele jüdische Väter und Mütter an dieser Diskussion Anstoß nehmen, weil sie ohnehin darüber nachdenken, ob sie das Ritual weiterführen oder nicht. In den USA ist diese Überlegung sehr stark vorhanden.
    Wer daran Anstoß nimmt, sind Funktionäre, Imame, Rabbiner und christliche Funktionsträger, jawohl, die Morgenluft wittern. Alle zusammen die Diva, die RZ meinte. Es ist eine gute Zeit für sie (selig, die da arm sind), denn die Armut nimmt zu, und Staaten beugen sich zunehmend religiösen Forderungen und Zumutungen.
    Dass Eltern darüber befinden sollen, ist dagegen m.E. richtig. In den USA, wo Bozic die Circumcisionsrate mit 50% angab, geht die Praxis deutlich zurück und liegt derzeit zwischen 30 und 40%, in Kalifornien um 10%:
    http://well.blogs.nytimes.com/.....e-decline/

    Aber da USA-Kritik und religiöse Zumutungen in Europa Hand in Hand gehen,wird sich wohl niemand davon beeinflussen lassen.
    Noch was: Vor mehreren Jahren erwog ich einen Übertritt mit allen Kindern. Meine Söhne wiesen das aus zwei Gründen von sich:
    Der eine war Antisemitismus-Angst.
    Der andere war die Circumcision.
    Damit war die Sache für mich erledigt.

    P.S: Es ist mir übrigens ein Rätsel, wie man das zur Abgrenzung haben wollen kann, wo die Nazis im Zweifel die Unterhose ausziehen ließen und der Antisemitismus und Pogrome keineswegs erledigt sind.

  3. avatar

    Lieber Herr Brosche,
    ich habe keinen Artikel über die Beschneidung geschrieben, sondern über ein dahinter liegendes – wenn Sie so wollen philosophisches oder rechtsphilosophisches, aber auch politisch-praktisches – Problem. Zu sagen, darum geht es nicht, es geht um die Kinder, ist nicht hilfreich. Dass es um die Kinder geht, ist ja Ausgangspunkt der Diskussion; aber nicht der endpunkt, denn es ist ja eben die Frage, wer der beste Anwalt der Kinder ist; und im GG steht, ob es Ihnen passt oder nicht, dass zuvörderst den Eltern deren Erziehung und Schutz obliegt.

    Sie verweisen ja in Ihrem Beitrag darauf, dass Kindern in der Familie vielfach schreckliches Leid angetan wird. So ist es. Wäre es anders, wenn der Staat die Kinder in seiner Obhut hätte? ich glaube es nicht. Aber das ist eine andere, wenn auch verwandte, Geshichte. Ob sich die Beschneidung – die, auch da haben Sie völlig Recht, eine Geste der Unterwerfung unter das Gesetz-des-Vaters ist – mit Erscheinungen der ständigen häuslichen Gewalt, mit dem sexuellen Missbrauch, mit dem Anschtreien, Herabsetzen, mit dem psychologischen Herabwürdigen usw. usf. auf eine Stufe stellen lässt, weiß ich nicht, wage ich aber zu bewzeifeln. Ich glaube, dass es in vielen Familien, besonders jüdischen, aber natürlich auch muslimischen und christlichen, wo die männlichen Kinder beschnitten sind, äußerst harmonische und liebevolle Beziehungen zwischen Eltern und Kindern gibt, während es umgekehrt in vielen Familien, wo die Kinder unbeschnitten sind, so zugeht, wie Sie sagen.

    Ein Argument von Ihnen kann ich so nicht stehen lassen. Sie bezeichnen die Verteidigung der Beschneidung durch die Beschnittenen eine Identifikation mit dem Aggressor. Deshalb könne man deren Zeugnisse nicht gelten lassen. Ich gebe zu, dass mir der Gedanke des öfteren gekommen ist. Aber jenseits der Polemik und der Psychoanalyse haben sie nichts zu suchen, weil sie unwiderlegbar sind. Sagt einer: Ich bin froh, beschnitten zu sein, so sagen Sie: Das beweist, wie schlimm die Wunde ist. So verfährt zwar die Freund’sche Schule – der die bewundernswerte Alice Miller anhing – zwar immer. Sagt einer, er habe keinen Ödipuskomplex, er liebe ja seinen Vater, wird diese Aussage als Anzeichen einer tiefen Verdrängung gedeutet, die Verdrängung als Beleg eines extremen Hasses. Das sind im Grunde religiöse Techniken der Immunisierung der Theorie vor Kritik.
    Ich bin, ich wiederhole es, ein Gegner der Zirkumzision. Aber da die Religionsgemeinschaften daran festhalten und glaubwürdig versichern, dieser Akt der Gewalt sei nun einmal zentraler Bestandteil ihrer Art, ihre Religion zu leben, muss ich meine Ablehnung im vermuteten Interesse des Kindes gegen andere Werte abwägen, darunter das Interesse und Recht jüdischer und muslimischer Kinder, hier in Deutschland leben zu können. Alles eben nicht so leicht, wie sich der Fundamentalist das vorstellt.

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