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Eine Runde Krieg bitte

Als gelernter DDR-Bürger habe ich den Satz: „Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen“ verinnerlicht. Als Nachkomme von Shoa-Überlebenden in der ersten Generation waren sich das offizielle Dogma des totalitären Regimes und ich ausnahmsweise absolut einig. Und ich wusste mich einig mit der Friedensbewegung im Westteil Deutschlands. Die Ostermärsche, die man im Westfernsehen sehen konnte, machten Hoffnung, dass das tatsächlich nicht mehr passiert: Krieg. Diese Hoffnung ist vorbei.

Frieden schaffen ohne Waffen

Nach dem Sieg über Hitlerdeutschland waren sich die Alliierten einig: Deutschland muss militärisch kontrolliert werden. Zwar gab es ehemalige Nationalsozialisten im Osten wie im Westen im Generalsrang in den Armeen, aber auf beiden Seiten gab es das Korrektiv der Kontrolle durch die Siegermächte. Der Kalte Krieg änderte daran nichts. Auch nicht die Hardliner links und rechts der Mauer. Beide Deutschlands waren in Kriegsbündnisse eingebunden und konnten nicht eigenständig über ihre Streitkräfte verfügen.

Als sich die Spirale des Wettrüstens im Kalten Krieg immer schneller zu drehen begann und mit der Stationierung von SS 20 im Osten und Pershing im Westen ein atomares Schlachtfeld in Deutschland möglich machte, wurden sich viele Menschen der tatsächlich realen Gefahr bewusst, dass die USA und die Sowjetunion Deutschland als kriegerischen Austragungsort ihrer ideologischen Auseinandersetzung benutzen konnten.

Nach dem Untergang des Kommunismus und dem damit verbundenen Ende des Kalten Kriges fühlten sich die meisten Menschen in Europa wie auf einer Insel der Glückseeligen. Die allgemeine Wehrpflicht wurde in Deutschland abgeschafft, die Bundeswehr in eine Berufarmee umgewandelt und Krieg war in weite Ferne gerückt, wenn nicht sogar ein für alle mal ausgeschlossen. Dieser Traum scheint ausgeträumt.

Schwerter zu Pflugscharen

Die kuschelige Gemütlichkeit unter dem vom amerikanischen Steuerzahler errichteten militärischen Schirm der USA, die Europa 30 Jahre lang proserierenden Wohlstand bescherte, existiert nicht mehr. Deutschland gefiel sich eigentlich in der Rolle des nicht ganz erwachsenen Kindes, das von einem großen Bruder im Notfall beschützt wird. Das ist jetzt vorbei. Der Krieg findet vor unserer Haustür statt. Es sei mal dahingestellt, welche Gründe dazu geführt haben und was ihn letztendlich ausgelöst hat. Die aggressive Natoosterweiterung, die Regimechangepoltik des Westens in der Ukraine, das dadurch entstandene Bedohungsgefühl in Russland, die Diskriminierung der russischen Minderheit in der Ukraine, Putins Paranoia oder das amerikanische Ärgernis, dass Deutschland Energie hauptsächlich aus Russland importierte – sicher von allem etwas, das eine bedingte wahrscheinlich das andere und umgekehrt. Das spielt jetzt nach der Ankündigung von Trump, die Militärhilfen für die Ukraine einzustellen, keine Rolle mehr. Denn im Angesicht der Gefahr, dass Russland den Krieg nach Westeuropa tragen könnte, scheint es notwendig, Deutschlands Militär massiv aufzurüsten. Dazu kommt, dass Merz in vorauseilender Angst – gegenüber seiner Partei äußerte er, dass er zuverlässige Hinweise hätte, Trump würde aus der NATO aussteigen, was man als Verschwörungstheorie bezeichnen kann – nun das Geld unserer Kinder und Enkel für ein gigantisches Aufrüstungsprogramm ausgibt.

Frieden ist das Meisterstück der Vernunft (Kant)

„Ich mahne unablässig zum Frieden; dieser, auch ein ungerechter, ist besser als der gerechteste Krieg.“ (Cicero) Als die Regierung Schröder/Fischer sich dem Irakkrieg verweigerte, war das mutig. Man hielt die Schelte der Verbündeten aus und positionierte sich auf der Seite der Vernunft. Und die Geschichte gab Deutschland recht. Man fand im Irak keine Massenvernichtungswaffen. Die Bush-Administration entlarvte sich selbst. Es war ein Krieg für Öl.

Europa muss verteidigungsfähig sein, schallt es durch die Medien. Wer hätte noch vor 10 oder 15 Jahren vermutet, dass Parteien, die sich immer als Friedensparteien verstanden, jetzt nach immer mehr Waffen rufen? Dass die aktive Vorbereitung auf einen Krieg plötzlich progressiv sein soll? Dass jeder, der sich gegen den Krieg stellt, als reaktionär geframed wird und wahrscheinlich ein Rechter ist? Das klingt absurd, und doch ist es das, was die öffentliche Meinung bestimmen. Müssen wir uns jetzt tatsächlich kriegstüchtig machen und Unmengen von Ressourcen dafür aufwenden, die woanders besser und humanistischer angelegt wären?

Schwitzen im Frieden ist besser als bluten im Krieg (Vijaya Lakshmi Pandit)

Mir erscheinen diese Diskussionen um die Kriegstüchtigkeit Deutschlands wie eine Massenpsychose, bei der alle nur verlieren können, Mütter ihre Söhne, Kinder ihre Väter, Frauen ihre Männer, Schwestern ihre Brüder. Nur die Rüstungskonzerne verlieren nichts, wie auch schon im Irak/Iran-Krieg, bei dem beide Seiten mit Waffen des sowjetischen militärisch-industriellen Komplexes beliefert wurde. In den Führungsetagen von Rheinmetall, Krauss-Maffai et al. knallen wahrscheinlich seit Tagen die Sektkorken.  Wenn Roderich Kiesewetter (CDU) dazu auffordert, den „Krieg nach Russland zu tragen,“ Anton Hofreiter (GRÜNE) den letzten Rest Vernunft aufgibt und den Bundeskanzler für seine zögerliche Haltung bei der Lieferung der Taurus-Marschflugkörper scharf kritisiert und Robert Habeck (GRÜNE) bereits vor dem Überfall Russlands forderte, die Ukraine mit deutschen Waffen zu beliefern, fragt man sich, wer eigentlich noch bei gesundem Menschenverstand ist. Jeder und jede, die daran erinnern, dass Frieden die Grundvoraussetzung für gesellschaftlichen Fortschritt ist, wird als „Altlinke“ diffamiert. „Altlinker“ – ist der neue Nazi. Und was ist aus der guten alten Diplomatie geworden, um Konflikte gar nicht erst entstehen zu lassen oder diese Konflikte durch Diplomatie beizulegen?

Meine Söhne kriegt ihr nicht (Reinhard Mey)

Die Aufrüstungshysterie ist erschreckend und besorgniserregend. Wohnungsnot, Altersarmut, marode Infrastruktur, marode Schulen, die Bewältigung der Integration von Millionen Migranten und Flüchtlingen, Energiekosten, Minuswachstum – all das müsste angegangen, dafür müsste viel Geld in die Hand genommen werden. Stattdessen wird die Staatsverschuldung in schwindelerregende Höhen getrieben um Waffen anzuschaffen? Übrigens, nochmal, ist das das Geld unserer Kinder und Enkel, das wir da verschwenden.

Und, wer kämpft am Ende und verliert sein Leben? Kein Herr Kiesewetter, kein Herr Hofreiter, keine Strack-Zimmermann und keine Annalena Baerbock, die Deutschland bereits jetzt im Krieg mit Russland sieht. Nein, sie alle werden nicht marschieren. Sie werden in der Etappe in Bunkern hocken, warm und trocken, während draußen Kinder, Frauen, Ehemänner und Brüder sterben.

Das, was Helmut Schmidt mit „Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln, als eine Minute schießen“als Weg beschrieb, den Frieden zu bewahren, ist wahrlich in Vergessenheit geraten.

Natürlich, man mag einwenden, dass man mit niemandem verhandeln kann, der nicht verhandeln will. Aber man wird niemanden mit auf ihn gerichteten Waffen an den Verhandlungstisch bekommen, um einen gerechten Frieden zu schaffen. Dann muss man es eben weiter und anders versuchen. Punkt.

„Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.“ (Brecht)

 

Daniel Anderson: Berufsausbildung zum Flugzeugmechaniker. Regiestudium an HFF „Konrad Wolf“ in Babelsberg. Berufsverbot als Filmregisseur in der DDR. Oberspielleiter, Autor und Schauspieler am Theater Senftenberg. Verhaftung. Nach dem Mauerfall freier Regisseur, Autor (TV-Serie, Theater, Synchron), Schriftsteller und Musiker. Studium Vergleichende Religionswissenschaften in Bonn. Gründer und Leiter der „Theaterbrigade Berlin.“ Anderson lebt in Berlin und immer mal wieder in Tel Aviv.

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3 Gedanken zu “Eine Runde Krieg bitte;”

  1. avatar

    Brecht: „Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.“

    Tja, und hätten die bösen Römer sich nicht bewaffnet gewehrt, sondern sich erobern lassen, hätten sie anschließend friedlich und nett den karthagischen Baal angebetet und ihre Erstgeborenen dem Moloch geopfert. Und alle wären glücklich und zufrieden gewesen. – Drehbuch für den „Abendgruß“ des DDR-Sandmännchens?

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    Danke, Daniel Anderson,
    es mag andererseits sein: „Wenn Du den Frieden willst, rüste Dich für den Krieg.“ … Aber….

    Aber danke für den Cicero dass der ungerechteste Friede besser ist als der gerechte Krieg.

    Krieg zerstört die innere Ordnung in einem Staat. Wieviel Demokratie will sich der Krieg führende Staat überhaupt noch leisten ?

    Wie geht im Krieg eine Regierungspartei mit ihren Gegnern um?

    Und auch eine Erkenntnis aus dem Ukraine – Krieg: Um „effektive“ Waffen zu schmieden muss man sie auf dem Schlachtfeld einer „Qualitätskontrolle“ unterziehen.

    „Die Ukrainer“ sind selbst Waffenschmiede und haben hineingegriffen in die Büchse der Pandora.

    Sie haben Drohnen entwickelt, die wirkungsvoller sind als alle diese westlichen Waffen-Lieferungen.

    Das wird ein Exportschlager Kiews werden.

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