Trotz oder gerade wegen der dramatischen Weltlage bringt die Wahl kein klares Ergebnis. Das starke Abschneiden der Rechts- und Linkspopulisten zwingt die Union als bescheidene Gewinnerin zur Koalition mit der Rest-SPD. Das behindert den notwendigen Politikwechsel behindern und wird die Extremisten noch stärker machen.
Markus Söder hat manchmal recht. Bei den Bürgern gebe es eine gewisse Verunsicherung, las er am Wahlabend aus den vorläufigen Ergebnissen. Das ist noch stark untertrieben. Obwohl die Ampelregierung krachend gescheitert war, holten CDU/CSU weniger als 30 Prozent. Offensichtlich trauten die Wähler auch ihnen und ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz nicht zu, das Ruder herum zu reißen. Oder sie wollen es gar nicht. Sie möchten, dass alles so bleibt, obwohl völlig klar ist, dass kaum etwas so bleiben wird und kann, wie es war. Was kann und wird Merz als designierter Kanzler aus dem Wahlergebnis machen – in einer Lage, in der das Land und Europa dringend auf eine entscheidungs- und handlungsfähige Bundesregierung angewiesen sind?
Merz will und muss schnell eine Koalition bilden. Das wird jedoch äußerst schwierig werden. An der SPD kommt er dabei nicht vorbei, obwohl sie die krachende Wahlverliererin ist und sie nach ihrem existenzbedrohenden Ergebnis und der völlig verkorksten Kanzlerschaft von Olaf Scholz eigentlich in die Opposition gehörte. Doch eine Alternative hat er nicht, da es für Schwarz-Grün nicht reicht und er eine Zusammenarbeit mt der Partei, die sich nur so nennt, zurecht ausschließt.
Die SPD muss sich nach ihrem historischen Debakel – einem weiteren in einer langen Kette des Niedergangs (auch 2021 war ein historisch schlechtes Egebnis, nur dass die Union da noch etwas schwächer war) – nun erst mal komplett neu sortieren und aufstellen. Wird Klingbeil alllein oder zusammen mit Pistorius und der saarländischen Ministerpräsidentin Rehlinger das Sagen haben? Was bedeutet das inhaltlich? Wird die neue Führung bereit sein, die Einwanderung zu begrenzen, was Merz zur Bedingung gemacht hat, und kräftig in die Aufrüstung zu investieren – auch zu Lasten von Sozialleistungen?
Ähnliche Fragen stellen sich an die Grünen, auch wenn sie zur Regierungsbildung wohl nicht benötigt werden. Zwar haben sie nicht soviel verloren wie die SPD. Mit ihrer Konfrontation gegen Merz und die Union in der Migrationspolitik, ohne aber eine Zusammenarbeit auszuschließen, haben sie Wähler zur Linken und wohl auch zur AfD getrieben. Deshalb werden sie nachdenken müssen, welche Konsequenzen sie aus ihren Fehlern ziehen, und ob sie bereit sind, ihren Kurs zu ändern, auch in der Klimaschutzpolitik.
Keine Zeit zu verlieren
Die dramatische Lage erlaubt allerdings keine monatelangen Selbstfindungsprozesse. Merz, dessen Union ebenfalls deutlich unter den Erwartungen und seinen Ansprüchen blieb, muss die SPD deshalb rasch zu Entscheidungen zwingen. Seine Druckmittel sind indes begrenzt. Da er eine Zusammenarbeit mit der AfD auch nach der Wahl völlig zurecht ausgeschlossen hat und er deswegen auch keine Minderheitsregierung will, die auch nur begrenzt handlungsfähig wäre, hat er kaum eine Wahl.
Es ist zu hoffen, dass SPD und Grüne erkennen, dass sie mit einer Verweigerungshaltung bei einer dann fälligen weiteren Neuwahl nur AfD, Linke und BSW noch stärker machen würden, sodass Deutschland überhaupt nicht mehr regierungsfähig wäre. Aber selbst wenn sie sich zu Koalitionsgesprächen und Mitregieren bereit erklären, wird es keinen wirklichen Politikwechsel geben. Vielmehr ist zu befürchten, dass sich das Gewürge der vergangenen drei Jahre fortsetzt, zumal ja die CSU auch noch quer schießen wird. Putin, Trump und ihre Fans in Deutschland warten nur darauf, dass sich die Parteien der Mitte im wichtigsten Land Europas weiter zerlegen. Sehr schlechte Aussichten.
Ludwig Greven ist freier Autor. Er hat zahllose Wahlkämpfe begleitet und Wahlergebnisse kommentiert. So ratlos wie die Parteien diesmal war er auch noch nicht.