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Linke Antisemiten: Zur „Kritischen Theorie des Zionismus“

Obwohl Linke nach eigenem Selbstverständnis Antirassisten und Internationalisten sind, also „gar nicht antisemitisch sein können“, gab es innerhalb der Linken immer schon eine starke antisemitische Strömung.

Die Traditionslinie reicht von Karl Marx, der den Wucher als Wesen des Judentums ausmachte und die kapitalistische Gesellschaft darum als „jüdisch“ bezeichnete – eine nicht sehr originelle Idee, die er von Martin Luther geklaut hatte – über die 68er, deren antisemitisch-antizionistische Verstrickungen etwa Götz Aly und Wolfgang Kraushaar bloßgelegt haben, bis hin zu Teilen der Linkspartei, der Grünen und der SPD in unseren Tagen.

Besonders Henryk Broder hat – beginnend mit seiner Kampfschrift gegen „Linke Tabus“ schon 1976 – den Antisemitismus der so genannten „Neuen Linken“ immer wieder angegriffen und gezeigt, dass der Antizionismus eine – vielleicht die gegenwärtig bedrohlichste – Form des Antisemitismus darstellt. Auch dafür hat ihm die Deutsch-Israelische Gesellschaft 2011 mit ihrem „Ehrenpreis“ ausgezeichnet; was in meinen Augen die DIG – deren Ortsgruppen oft eher ein betulicher Honoratiorenverein sind als ein aktiver Anwalt Israels in Deutschland – sehr aufgewertet hat.

Umso erstaunter war ich, als ich auf der Internetseite der Hochschulgruppe der DIG in Rostock die Ankündigung eines Schulungsseminars entdeckte, bei dem es um die Aneignung einer „kritischen Theorie des Zionismus“ geht; also um die Kritik des Zionismus:

 

http://dighochschulgruppe.wordpress.com/2013/05/21/kritik-des-antisemitismus-kritische-theorie-des-zionismus/

 

Wer sich durch das Elaborat quält, stellt fest, dass es sich um eine Zusammenfassung der Theorie der „Antideutschen“ (mit denen ich mich gelegentlich auch hier befasst habe, so etwa im Beitrag „Bahamas goes Bananas“) zu Israel handelt. Die Antideutschen haben nicht nur einige Orts- und Hochschulgruppen der DIG gekapert und zu Schulungs- und Agitationsplattformen umfunktioniert; sie beziehen sich zuweilen auch auf den DIG-Preisträger Henryk Broder, völlig zu Unrecht; denn obwohl sich die Sekte dezidiert, ja geradezu martialisch pro-israelisch gibt, stellt sie in Wirklichkeit nur eine neue Verkleidung jenes „beständigen Gefühls“ (Broder) dar: eine neue Ausprägung des Antizionismus, also des Antisemitismus. Schauen wir, wie Stephan Grigat seine „kritische Theorie des Zionismus ableitet“:

 

„Soll der Antisemitismus nicht als ein bloßes Vorurteil verharmlost werden, sondern im ideologiekritischen Sinne als wahnhafte Projektion dechiffriert werden, so gilt es, sich den Begriff der „antisemitischen Gesellschaft“ zu vergegenwärtigen, der von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer entwickelt wurde. Was sind die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen die beschädigten Subjekte sich immer wieder für das Ausagieren des antisemitischen Hasses entscheiden? Und inwiefern kann angesichts eines fremdbestimmten gesellschaftlichen Daseins überhaupt von einer freien Entscheidung gesprochen werden?“

 

Das ist der Kern der antideutschen Ideologie: Im Verblendungszusammenhang kann der einzelne nichts für seinen Antisemitismus, für den er sich ja nicht frei entscheiden kann. Er ist nicht ein „Ressentiment“, wie Broder das beschrieb, sondern nur ein Symptom. Die Gesellschaft ist schuld, die Subjekte sind „beschädigt“. Erst andere „gesellschaftliche Bedingungen“, also eine andere Gesellschaft, würde keinen Antisemitismus mehr hervorbringen.

Eine nicht sehr originelle Idee, der alle Linke huldigen: Um das „falsche Bewusstsein“ aufzuheben – Religion, Nationalismus, Egoismus, Misogynie, you name it – muss die Gesellschaft „aufgehoben“ werden.

In der Praxis bedeutet das: die Antideutschen müssen überall „Antisemiten“ entdecken, um zu beweisen, dass es sich in Deutschland tatsächlich um eine „antisemitische Gesellschaft“ im Sinne ihrer Hausheiligen Adorno und Horkheimer handelt. Da ganz gewöhnliche Antisemiten ein wenig rar geworden sind, obwohl nicht so rar, wie manche meinen, verfielen die Antideutschen vor etwa zehn Jahren auf den Clou, den Antizionismus anzugreifen. Ihr Prozionismus ist also nur eine Verkleidung; es geht ihnen eigentlich und immer nur darum, das Vorhandensein der „antisemitischen Gesellschaft“ und damit die Notwendigkeit einer Fundamentalrevolution nachzuweisen.

 

Doch damit kommen die Antideutschen wiederum in theoretische Schwierigkeiten.

 

„Der Zionismus ist die unmittelbare Antwort sowohl auf den europäischen als auch auf den arabischen und islamischen Antisemitismus. In ihm existiert zwangsläufig ein Spannungsverhältnis zwischen universalistischem Emanzipationsanspruch und notwendigerweise partikularer Organisation in Form eines Nationalstaates. Wie ist der Zionismus als nationale Befreiungsbewegung der Juden und Jüdinnen vor dem Hintergrund einer kritischen Theorie der Gesellschaft zu begreifen?“

 

Nun, „vor dem Hintergrund“ der Kritischen Theorie ist der Zionismus gar nicht zu begreifen. Er ist eben nicht die „unmittelbare Antwort“ auf den europäischen (und schon gar nicht auf den „arabischen und islamischen“) Antisemitismus, und er ist auch keine „nationale Befreiungsbewegung“.

Der Zionismus hat eine lange Geschichte, die Jahrhunderte zurückreicht. Immer wieder sind Juden – aus religiöser Sehnsucht heraus – nach Zion aufgebrochen. Jerusalem war unter den Osmanen eine Stadt, deren Bevölkerung mehrheitlich jüdisch war. Der moderne Zionismus Theodor Herzls war viel mehr als eine Antwort auf den Antisemitismus. Er war eine Kritik an der Daseinsform des Diaspora-Juden. Erst die Bildung eines „Judenstaats“ würde die Selbstemanzipation der Juden von dieser Diaspora-Existenz ermöglichen.

Übrigens hatte Herzl die Situation der Juden in den arabischen Ländern gar nicht im Blick; und er hätte wohl kaum vorgeschlagen, dass jener Judenstaat unter den Auspizien des türkischen Sultans und des Kalifats errichtet wird, wenn er wegen des islamischen Antisemitismus besorgt gewesen wäre.

Der Zionismus ist also weit mehr als eine Antwort auf den Antisemitismus. Weit mehr als eine Notmaßnahme. Er ist das Programm der Schaffung eines neuen jüdischen Menschen. Und was die Bezeichnung als „nationale Befreiungsbewegung“ angeht: Die Unterstellung, die Juden in der Diaspora seien eine eigene Nation, die etwas anderes sei als das „Wirtsvolk“, ist ein bevorzugtes Argument der Antisemiten aller Länder, die damit die Loyalität der jüdischen Staatsbürger in Frage stellen.

Entscheidend ist aber die Kritik der Antideutschen, im Zionismus existiere ein „Spannungsverhältnis zwischen universalistischem Emanzipationsanspruch und partikularer Organisation in Form eines Nationalstaates (sic)“.   Quatsch. In der Kritischen Theorie existiert dieses „Spannungsverhältnis“, sprich: Widerspruch.  In der Kritischen Theorie wäre es am besten, die Gesellschaft wäre derart „universalistisch emanzipiert“, dass es weder Antisemiten noch Zionisten gebe. Im Zionismus exisitiert dieser Widerspruch nicht. Im Zionismus ist die nationale Organisation, die Konstituierung zum Staat vielmehr Voraussetzung der Emanzipation. Wer das nicht kapiert, begreift den Staat Israel nicht und kann schlechterdings das Anliegen dieses Staats in Deutschland nicht vermitteln.

 

Das haben die Antideutschen auch nicht vor. Nach dem Mittagessen geht es auf der Schulungssitzung wie folgt weiter:

 

„Der kategorische Imperativ nach Auschwitz. Über die Geschichte des Zionismus und die aktuelle Bedrohung Israels. Adorno formulierte einen neuen kategorischen Imperativ: alles Handeln und Denken im Stande der Unfreiheit so einzurichten, dass Auschwitz sich nicht wiederholen kann. Der Zionismus hat versucht, diesem Imperativ auf seine Weise gerecht zu werden, indem sich die israelische Armee konsequent gegen jeden Vernichtungsversuch zur Wehr setzte und setzt – mitunter präventiv und aggressiv. Was waren dabei die entscheidenden Situationen in der israelischen Geschichte von der Staatsgründung bis zur gegenwärtigen Konfrontation mit dem iranischen Regime? Was ändert sich durch den arabischen „Frühling“ für Israel? Und wie ist die globale Delegitimierungskampagne gegen Israel einzuschätzen?“

Adorno wieder. „Im Stande der Unfreiheit“, also in der noch unerlösten Gesellschaft, müsse man vor allem eine Wiederholung von Auschwitz verhindern. Und zwar müsse „alles Handeln und Denken“ diesem Ziel dienen. Adorno meinte damit, wenn wir ihn einmal ernst nehmen wollen, dass der demokratische Rechtsstaat verteidigt werden müsse, sozusagen als zweitbeste Lösung gegenüber der umfassenden Erlösung des Menschen aus jeder Unterdrückung. Die Antideutschen aber weigern sich, die Bundesrepublik als demokratischen Rechtsstaat und darum als verteidigungswürdig anzuerkennen. Für sie besteht die Umsetzung des Adorno’schen Imperativs in der unablässigen Schnüffelei nach Belegen für die Existenz der „antisemitischen Gesellschaft“. Dabei bedienen sie sich einer zirkularen Logik. Weil die deutsche Gesellschaft antisemitisch ist, muss es Israel geben. Dass es Israel gibt, belegt den antisemitischen Charakter der deutschen Gesellschaft.

Typisch ist überdies, dass sich die Antideutschen für die konkreten Ergebnisse des Zionismus, für das real existierende Israel auch gar nicht interessieren. Nichts findet man bei ihnen etwa über die Kibbuzim, das einzige freiwillige kommunistische Experiment der neueren Geschichte; denn es kann ja laut Adorno „kein richtiges leben im Falschen“ geben, und das „partikularistische“ Israel ist ja letztlich Teil des Falschen. Nichts findet man bei ihnen über die Umwandlung des Staats und der Gesellschaft unter den Likud-Regierungen und besonders unter der Ägide von Binjamin Netanjahu von einer Kommandowirtschaft mit starken sozialistischen Elementen zu einer kapitalistischen Markt- und Konsumwirtschaft; denn das wäre ja nach Adorno ein Zurückfallen in der Entwicklung, kein Fortschritt. Weder findet man dort etwas über die Entwicklung Israels zu einer multikulturellen und hedonistischen Gesellschaft noch zu den Konflikten innerhalb der Gesellschaft zwischen europäischen und orientalischen Juden, religiösen und säkularen Juden, arabischen und jüdischen Israelis  usw. usf.; kurzum nichts über das, was Israel heute ausmacht und die heutigen Israelis interessiert und sicher sehr viele Deutsche interessieren würde und jedenfalls interessieren sollte.

Stattdessen wird die ganze Geschichte des Staates Israel reduziert auf die Erfüllung von Adornos „kategorischem Imperativ“, bei dessen Vollzug Israels Armee „mitunter präventiv und aggressiv“ vorgehe. Dass es zwischen Prävention (1967 etwa der Schlag gegen die ägyptische Luftwaffe, 1980 die Zerstörung des irakischen Atomreaktors bei Osirak, 2007 des syrischen Atomreaktors) und Aggression einen Wesensunterschied gibt, wird durch das „und“ unterschlagen. So wird die  angebliche„Aggressivität“ der israelischen Armee zum Bestandteil einer Schulung unter dem Deckmantel der DIG. Sich da unschuldig zu fragen, was „die globale Delegitimierungskampagne gegen Israel“ zu bedeuten habe, zeugt von, sagen wir: Chuzpe.

 

„Die antideutsche Kritik solidarisiert sich mit Israel aus der Erkenntnis, dass die Welt, so wie sie heute eingerichtet ist, den Antisemitismus immer aufs Neue hervorbringt.“ So brachte Stephan Grigat schon vor Jahren das Bekenntnis der Antideutschen auf den Begriff. Die Welt muss also „anders eingerichtet“ werden, darunter tun diese Linksradikalen es nicht, und nur darum geht es diesen Leuten, nicht um Israel. Ich habe eine Weile gedacht, die Antideutschen stellten gegenüber dem dumpfen Antiimperialismus der traditionellen Linken, die regelmäßig Israel als „aggressiv“ brandmarkt, einen gewissen Fortschritt dar; mittlerweile sehe ich das anders. Es sind falsche Freunde Israels, die unter dem Deckmantel der Israelsolidarität eine perfide, dogmatische Ideologie propagieren, die Israel, ein bewundernswertes Land, und die Israelis, ein liebenswertes Volk, auf eine imaginierte Rolle als  Exekutoren eines „kategorischen Imperativs“ des Heiligen Theodor reduzieren. Die Antideutschen schaden Israel, sie schaden der deutsch-israelischen Freundschaft, und sie stellen damit, auch wenn sie – wie alle Antisemiten – behaupten, nur Israels Bestes zu wollen, objektiv nur eine besonders skurrile Spielart des linken Antizionismus dar.

 

 

Zum Nachlesen:

https://starke-meinungen.de/blog/2012/08/07/bahamas-goes-bananas/

 

http://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article116823078/Falsche-Israelfreunde.html

 

http://freie.welt.de/2012/09/03/der-adorno-preis-und-die-wirrungen-der-dialektik/

 

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212 Gedanken zu “Linke Antisemiten: Zur „Kritischen Theorie des Zionismus“;”

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    @ Lyoner Also, wenn keine Landnahme, was ist es im besten Falle dann

    Eine postimperiale bzw. postkoloniale Staatenbildung.

    Dass ich die (rechte) „Politik der Stärke“ Israels, nicht zu trennen davon seine Siedlungspolitik, für wenig klug und aussichtsreich, für kontraproduktiv halte, habe ich mehrfach gesagt. Ich halte das für ausreichend. Israel und die Juden (Grrr! Grrr! – vielleicht sollten Sie sich zur Entlastung mal in diverse Körperteile beißen) sind Ihr Lebensinhalt. Meiner nicht!

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    @ Edmund Jestadt

    Sie täten besser daran, mal konkret darzustellen, welche Position Sie einnehmen als die Position und Hypothesen anderer blöde zu beäffen. Wenn ich Ihrem ersten Furz, der offenbar ein Schlachtruf sein soll, auf diesem thread folge

    „Jungs, Jungs! Stehen die paar Quadratkilometer Landnahme, wenn es – im schlimmsten Falle – eine ist, in irgendeinem Verhältnis zu den infantil-neurotischen Heils- und Unheils-Projektionen, mit denen der Frosch Israel von Freund und Feind zum weltpolitisch “entscheidenden” Elefanten aufgeblasen wird? Gruselig! – Man kann Israel zur Atombombe nur beglückwünschen!“(http://starke-meinungen.de/blo.....ment-21591)

    spucken Sie große Töne. Zur Sache verlautbaren Sie, daß das keine oder höchstens im schlimmsten Falle ein Landnahme ist, und wenn, dann eine Petitesse, die paar Quadratkilometer. Also, wenn keine Landnahme, was ist es im besten Falle dann, lieber Edmund? Also wenn keine Besatzung, was ist es im besten Falle dann? Treten Sie aus Ihren koketten „Beschränktheiten“ heraus. Ich würde gerne mal von einem modernen Katholiken wie Ihnen hören, was Sie konkret zur Sache zu sagen haben.

    Ist das eine Besatzung?
    Ist das eine Landnahme?
    Sie haben gehört, dass in diesem Landstrich außer den Juden noch eine andere Population lebt. Was soll mit dieser geschehen?
    Plädieren Sie dafür, diese als Staatbürger mit vollen Bürgerrechten anzuerkennen?
    Plädieren Sie dafür, diese in scheinautonomen Palistans sich selbst verwalten zu lassen?
    Plädieren Sie für einen Transfer?

    Also mal raus mit der Sprache, Sie Katholik mit den vornehmen Beschränktheiten. Anderswo gehen Sie doch auch zur Sache:

    „Ich wiederhole: Du hast der rkK _überhaupt_ und _jedes_ Recht zur Mission abgesprochen und dabei von „Rechtsverständnis“, „demokratischem Staat“, „Grundgesetz“, „Charta der Menschenrechte“ und „Religionsfreiheit“ gesprochen.
    Das, was Du jetzt schreibst, ist also Dein „Rechtsverständnis“ bzw. die rechtliche Begründung, nach der ich Dich mehrere Male gefragt habe.
    Zander, Du bist ein Schwätzer! EOD.

    Edmund“
    (http://newsgroups.derkeiler.co.....00099.html)

    Waren Sie mal Missionar?

    Ich glaube, Sie haben weder einen Begriff von Heidegger noch von Adorno. Wenn Sie glauben, Sie könnten Blumentritt als Heideggerianer abwatschen, weil Sie wissen, dass Adorniten kaum jemand anderen so diskreditieren wie Heidegger, sind Sie ein intellektueller Kasper.

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    Ich muss die Diskussion jetzt leider aus Zeitgründen abbrechen. Es sind Sommerferien; ich möchte es mir in meinem persönlichen Verblendungszusammenhang gemütlich machen. Herr Blumentritt, fühlen Sie sich bitte nicht geärgert oder beleidigt, sondern bedankt für die interessanten, aber für mich hier in der Ebene auch schwindelerregenden Einblicke in das Denken der Nachfolger Adornos, und ich hoffe, ich war umgekehrt auch für Sie auf dem mitunter etwas kippligen Hochstuhl ein interessantes, weil besonders verblendetes Studienobjekt 😉

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    @Parisien: Die frühere Einheit kann für einen Ex-Liebhaber noch immer präsent sein, ja. Das bedeutet, er erinnert sich an diese Einheit, er durchlebt sie vielleicht in der Phantasie noch einmal. Aber er weiß, solange er nicht verrückt ist, dass diese Einheit zwar früher einmal bestanden hat, aber jetzt nicht mehr besteht. Das ist ja gerade sein Problem. Genau dieser Umstand macht ihn so traurig.
    Ich hatte einmal ein Auto, einen Peugeot; ich erinnere mich an ihn, sehe ihn vor mir. Er ist längst verschrottet, seine Einheit gibt es nicht mehr. Trotzdem kann ich mich an ihn noch gut erinnern. Dann ist „für mich“, so wie Sie zutreffend sagen, mein guter alter Peugeot in gewisser Weise noch immer da: Er fährt nämlich in meiner Erinnerung. Aber NUR dort. Ich sollte meine Erinnerung an die Vergangenheit nicht mit der Gegenwart verwechseln. Wenn mich ein Bekannter fragt: „Wo ist denn eigentlich dein Renault?“, dann antworte ich: „Den gibt es nicht mehr.“ Und diese Antwort ist korrekt (lediglich Herr Blumentritt würde eine andere Antwort geben, behauptet er zumindest; ich nehme ihm das aber nicht ab. Er müsste sich mal im Alltag, beim Suchen nach etwas Verlorenem, selbstkritisch beobachten, dann wüsste er, wie er in Wirklichkeit antwortet. Vielleicht hilft ja eine Tonbandaufnahme in der Westentasche?).

    @EJ: Das ist zumindest eine totale Philosophie, aus der man nicht entrinnen kann. Und in dem Moment, wo damit konkretes politisches Handeln begründet wird, wird es schräg und auch totalitär. Auch mich erinnert das an Heidegger, aber auch an den Deutschen Idealismus. Wenig zur Kenntnis genommen hat Herr Blumentritt offenbar die Logik (Frege u. Co.), zumindest ist nicht viel haften geblieben.

    @Herr Blumentritt: Ich sprach von einer Ehe, die geschieden wurde, nicht von Liebe. Es gibt solche Ehen. Versuchen Sie sich das einfach mal vorzustellen: eine weiche Frau und ein harter Mann. Erst verheiraten sie sich, meinetwegen aus (vermeintlicher) Liebe; dann erweist sich die Liebe als zuende (oder als Irrtum). Daraufhin werden sie geschieden. Nun kommen Sie mit Adorno und analysieren messerscharf: „Dieser harte Mann, er war mit dieser Frau in einer eheähnlichen Einheit! Also muss die Frau wohl auch hart geworden sein.“ –

    Und hier wäre dann noch die Übertragung, die Sie nicht leisten wollen oder können: Die Nazideutschen waren in einem „Verblendungszusammenhang“. Das kann man sagen, das ist kaum zu bestreiten. Da sie mit den Engländern usw. aus einer Art abendländischen Ehe hervorgegangen sind, muss der Verblendungszusammenhang also auch auf Seiten der Engländer usw. bestehen. Dies ist Ihr Argument, und es ist falsch.

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    Was verdinglichtes Denken anrichtet, kann man hier gut studieren:
    „Nun gut, also “Ganzes in zerbrochener Form.” Diese Formel hilft Ihnen auch nicht weiter. Nehmen wir der Einfachheit halber eine Ehe: eine sanfte, gutmütige Frau und ein hartherziger, dominanter Mann heiraten erst und trennen sich wieder. Dann gibt es also die Ehe weiterhin, nur eben in zerbrochener Form. Meinetwegen. Der Punkt ist nun: die zerbrochene Form ist in zwei Teile zerbrochen: einerseits die sanfte, gutmütige Frau und andererseits der hartherzige, dominante Mann. Nur weil sie miteinander verheiraten waren, ist die Frau nicht zu einer hartherzigen, dominanten Frau geworden. Sondern die beiden Teile sind grundverschieden.“
    In einer Ehe werden nicht zwei Teile mechanische oder chemisch miteinander verbunden (obwohl man sicher auch im Sinne der Goethe-Zeit manchmal von Chemismus oder Affinität bei Paarungen spricht).
    Eine Ehe oder anderweitige Liebe ist kein Keks, der dann mal mit Knall zerbrochen wird.
    Im Bereich des Geistigen von Zerbrechen, Zersplittern usw. zu sprechen in hochgradig metaphorisch und bekanntlich gehört es zur Metaphorisierung, daß – jedenfalls bei analogischen Metaphern – am Bildspender etwas gewählt wird, das ein tertium comparationis zum Bildempfänger hat und daß sind eben wenn das Bereich des Materiellen Bildspender ist, nicht die Modalitäten materieller Dinge. Das zu tun, darüber hatte ja schon Aristoteles in der Rhetorik sich lustig gemacht. [Wenn man gegen eine Metapher: „Auf dem Kriegsherd gühten die Herdplatten den Einwand erhebt, in der Gegend wird mit Gas gekocht, ist es ja auch Nonsens]
    Liebe ist ja wohl kaum eine Verbindung wie zwei Flüssigkeiten in eine Glas schütten oder zwei Dinge zusammenstecken (auch wenn – wie Kant es nennt – es bei der wechselseitigen Nutzt der Geschlechtseigenschaften vorkommen mag). Liebe verändert vor allem den Horizont des Erlebens und Handelns, wobei Erleben und Handeln assymetrisch sich zueinander verhalten und Liebe dabei ein Medium ist, daß auch mit wenig sprachlicher Verständigung auskommt. Es ist auch kein absolutes, sondern ein universelles Verhältnis. Man muß nicht in allen möglichen Punkten eins und einig sein. Und ein Antialkoholier kann seiner Frau auch eine Flasche Wein mitbringen, weil er sie in seinem Leben berücksichtigt, ohne selber mitzutrinken.
    Liebende werden doch nicht wie Dinge zusammengestückt.

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    @ Roland Ziegler: Demnach ist also die teure Vase, die ich fallengelassen habe, gar nicht kaputt

    Anscheinend ist die antideutsche Philosophie so deutsch wie selten eine. Wenn Sie mal drauf achten – massenhaft Sätze, Passagen, die nicht unbedingt im Stil, aber in der „Logik“ schlichte Heideggerismen sind, à la: Identität und Differenz. Für mich ist das deutsche Gewaltphilosophie. Weil diese Philosophie auf dem Widerspruch „gründet“ – Heidegger: A ist nicht gleich A – ist Widerspruch gegen sie nicht möglich. Der Anspruch dieser „Philosophie“ ist totalitär.

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    @ Lyoner: Ich postuliere, dass die Juden sich etwas vormachen würden, wenn sie sich hier nur als Opfer gebärden.

    Das „postuliert“ jeder dumpfe Neonazi. Ohne sich dabei auf „virale Meme“ zu berufen zu können. Sie dagegen – die Juden! Grrr! Grrr! – wollen infiziert und Diagnostiker sein: kranker Diagnostiker. Kann ich – „jesuitisch geprägt“ – nur sagen: Gute Selbstbeschreibung!

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    @ Lyoner

    Sein Jefe hat Recht.
    Weder die jüdische noch die christliche Religion führt heute zu Knechtschaft.

    In Ihrem ersten Satz an mich ist das Wort „weil“ verkehrt. Ich habe den einen Aspekt und dann einen zweiten gebracht, die aber nicht in Zusammenhang stehen.

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    @ derblondehans

    ich meinte das Diesseits; wass das ewige Leben angeht, fühle ich mich nicht befugt, das zu entscheiden.

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    Lyoner: ‚Nun, das schätze ich mehr als das Schlingern “moderner Christen”, deren anmaßendes tönern Erz; gleichwohl halte ich Sie für eine zum Tode verurteilte Rasse.‘

    … nix für ungut, Sie irren (schon wieder) … meine Chefe in Johannes 5;24 – ‚Amen, amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben; er kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen.‘

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    Ach, Edmund Jestadt, ich habe hier doch schon genügend Hinweise auf persönliche Hintergründe gegeben, dass Sie doch auf Ihre mit Verlaub saublöde Denunzierung „Juden! Grrr“ verzichten könnten. Was meine langjährige Beschäftigung angeht, will ich nicht noch mal vortragen, was ich an anderen Stellen vorgetragen habe. Ich versuche, auch aus den Erfahrungen meiner katholischen Sozialisation und Prägung Hinweise zu bekommen auf das Verhängnis, das in unserer Kultur geschehen ist (dabei beanspruche ich nicht, die Fische im Wasser zu ersäufen). Bei Ihnen liegt die klassische Reaktion vor, dem Boten die Botschaft anzulasten. Als moderner Katholik, desperate christian (Sie kennen meinen Zusatz), wollen Sie suggerieren, dass ich als Ex-Katholik affizierter bin als die, die sich aus welchen Gründen auch immer auf ihre „Beschränktheiten“ zurückziehen. Sie sollten mit Ihrer taktischen bzw. strategischen Dummheit nicht so kokettieren; sind Sie jesuitisch geprägt? Christentum und Judentum sind siamesische Zwillinge, die vereint, mit und gegeneinander (Blumentritt „in der Einheit zerissen“), das Abendland indoktrinierten. In dieser Konstellation gibt es virale Meme, die Metamorphosen erfahren, und unter bestimmten förderlichen Bedingungen zu einer tödlichen Pandemie führen. Ich postuliere, dass die Juden sich etwas vormachen würden, wenn sie sich hier nur als Opfer gebärden. Bezüglich des Nationalsozialismus vermute ich, dass diese Bewegung für die Juden so tödlich wurde, weil diese in ihrem nationalreliösen Enthusiasmus das Mem eines ganz besonderen, exemplarischen, einzigartigen, auserwählten Volkes „kultivieren“ und für sich in Anspruch nehmen wollten. Das sind Verwesungserscheinungen eines Komplexes. Wie gesagt, ich behaupte nicht, dass ich damit die Fische im Wasser ertränke.

    Ich glaube, dass wir uns aus diesem jüdisch-christlichen Archipel emanzipieren müssen. Mit reiner Aufklärung á la Dawkins und Hitchens geht es nicht. Insofern sollten wir nicht versäumen, einen ungetrübten Blick auf den nationalreligiösen Enthusiasmus im Heiligen Land zu werfen.

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    Nachtrag zu KRITISCHE THEORE DER/DES( X )
    Die Identifizierungen, daß Kritische Theorie eines bestimmten Gegenstandes dessen Kritik im Sinne der Verwerfung sei, wird als absurd besonder hier deutlich, wenn von Kritische Theorie der Schrift die Rede ist. Nicht nur, daß die Abhandlung nicht mündlich, sondern in Schriftform stattfindet, müßte stutzig machen. Was soll denn eine Kritik der Schrift sein? Von dem Konzept Kritische Theorie ist dann folgendermaßen die Rede:
    „Er (derAutor) folgt damit einem Theorieverständnis, das die Wahrheit eines Begriffes oder einer Hypothese (um es sehr allgemein zu formulieren), niemals allein in ihrer bloßen Gegenwärtigkeit, im bloßen Übereinstimmen von Aussage und Ausgesagtem fasst, sondern das die Geschichtlichkeit des Phänomens als conditio sine qua non immer mit zu berücksichtigen versucht. Dieses Vorgehen ist dabei kein äußerliches, vielmehr sachlich geboten; die Geschichte des Phänomens – in unserem Fall der Schrift – ist keine rein kontingente und auch keine aus Freiheit, sie unterliegt der Logik eines Verhängnisses.“
    http://www.conne-island.de/nf/128/17.html
    Es ist nicht einmal ein Problem, dies auch auf eine Kritische Theorie des Zionismus zu beziehen. Daß sie eine Kritik des Zionismus in einem polemisch-verwerfenden Sinne sei, wäre ja so als ob man jemanden, der eine Kritik der Zahnarztpraxis schreibt für einen Antidentisten hält. Soviel zu @Stevanovic Aussage:
    „Philosophie zu Israel halte ich für unsinnig.“
    Zum Begriff Antidentismus siehe dort:
    http://youtu.be/mV7m6IIN_tI

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    @ Parisien

    Ich weiß nicht, was Sie genau meinen, dass die Israelis nicht empathisch sein können, weil die Palis politisch, sozial und kulturell so rückständig sind, oder die Palästiner nicht empathisch wegen ihrer Rückständigkeit? – Natürlich haben die alten Imperialmächte die Araber mit ihren Ambitionen verschaukelt. Egal wie die Geschichte verlaufen ist, möchte ich jedoch darauf beharren, dass es darum geht, einen modus vivendi – ewigen Frieden gibt es nicht – in diesem mit Verlaub gottverdammten Landstrich zu erreichen.

    @ derblondehans

    Nein, an Herz der Finsternis und Apocalypse now habe ich da nicht gedacht, eher an Romane wie Taifun, Lord Jim, Der Verdammte der Inseln, Schattenlinie, Spiegel der See. Ein Mann, der formulieren kann „Ich habe die See zu lange gekannt, um an ihren Respekt für Anständigkeit zu glauben.“, weiß wovon er spricht. Von daher kann ich verstehen, dass Sie in dieser Wasserwüste unbeirrt auf Ihren Meerstern sehen wollen, um nicht vom Kurs abzukommen. Nun, das schätze ich mehr als das Schlingern „moderner Christen“, deren anmaßendes tönern Erz; gleichwohl halte ich Sie für eine zum Tode verurteilte Rasse.

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    @ Martin Blumentritt

    Mußte unterbrechen. Ihre Zerissenheit in der Einheit respektive Einheit in der Zerissenheit könnte doch, sofern nicht reines Glasperlenspiel, ein Modell für die Lage und Beziehungen im „Heiligen Land“ sein. Nur kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass für Sie dieses Denkmodell gerade dort nicht gilt, dass Sie dort eine astreine Dichotomie zwischen den Israelis, die auf der Seite der Engel sind, und den Palis, Bestien, die auf der Seite des Teufels sind, konstruieren.

    Ich halte die Palästinenser keineswegs für Engel, glaube auch nicht, dass die Eule der Minerva dort ihren bevorzugten Wohnsitz hat. – Ein Kerl wie Sie hat doch irgendwann mal die Phänomenologie des Geistes gelesen. Sie scheinen nun zu postulieren, dass diese Knechte sich wie ein Phoenix aus der Knechtsgestalt emanzipieren müßten, damit der Herr sich nicht fürchten muss vor seinen Knechten, bei denen in jetzt über 45 Jahren Besatzungsherrschaft (was denn sonst? Zoo? Bärenzwinger? vorderasisatisches Erziehungsregiment?) mehr als ein Drittel aller Männer in den Gefängnissen des Shin Bet behandelt wurden, wie können Sie bei „The Gatekeepers“ erfahren, bei denen man die Gesellschaft durch gegenseitiges Mißtrauen, es sind dort genügend Informelle Mitarbeiter und Kollaborateure systematisch gespalten hat. Ein Kerl wie Sie kann doch mit dem Ausdruck „strukturelle Gewalt“ (http://www.welt.de/img/kultur/.....USALEM.jpg, http://1.bp.blogspot.com/-Tnr2.....ements.jpg, http://marius-blog.de/wp-conte.....100987.jpg) noch was anfangen? Und mit „assymmetrischem Krieg“ doch auch? Wenn die Israelis in der Lage sind, gezielt zu töten, muss man den himmelschreienden technologischen Rückstand in der Waffenführung der Palis nur beklagen, könnte allerdings auch verstehen, wenn diese sich nicht Auge in Auge in offener Feldschlacht bewähren wollen, sich wie Karnickel abschießen lassen wollen, sondern sich verstecken. Wissen Sie, ein Kerl wie Sie mußte eigentlich nie seinen Mut beweisen.

    @ Stevanovic

    Meinten Sie diesen Kommentar (http://starke-meinungen.de/blo.....ment-21728), als Sie Blumentritt „gesunden Menschenverstand“ attestierten? Im übrigen stimmen ich Ihnen zu, dass man auf eine Philosophie über Israel verzichten kann, dann, wenn man die Augen nicht vor der Empirie verschließt.

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    @ Martin Blumentritt

    Wenn man Ihre Extemporationen als Krankenbericht oder Dossier über Ihre psychophysische Verfassung, muss man bei Ihnen einen desolaten und beklagenswerten immunbiologischen Status diagnostizieren. Nun wähnen Sie, dass alle so krank sind wie Sie, das nur nicht merken – bis auf eine Ausnahme. Ich habe die Vermutung, dass Ihnen ein gnädiges Geschick nicht erlaubt, sich zu Tode zu adornieren, sondern dass verurteilt sind, bis in alle Ewigkeit Adorno wiederzukäuen, das in dem Kreise der Hölle, indem nach Dante den Einsässigen Pech und Schwefel eingeflösst und eingetrichtert werden. Wenn ich Borges wäre, würde ich Sie zum zweifelhaften Helden einer 10seitigen Geschichte machen.

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    @ Roland Ziegler

    Ich glaube, hier haben Sie Unrecht:
    „Nur ein Stalker würde behaupten, dass die Einheit, weil sie einmal da war, noch immer irgendwie da sein müsste oder sogar ewiglich bestünde. Die Person, auf die sich seine Impertinenz richtet, würde das weit von sich weisen. Sie würde versuchen, den Stalker abzuschütteln. Und sie hat dabei Recht, und der Stalker hat Unrecht.“

    Einer von beiden kann durchaus länger leiden. Auch die einstige Einheit kann noch für ihn präsent sein. Stalker ist er nur, wenn er den Anderen damit verfolgt.
    Der Andere dagegen hat oft etwas Neues. Wenn das nicht geht, kommt er nach einer Weile auf das Vorige zurück und bearbeitet das. So ist manche Beziehung schon wieder entstanden, das heißt, sie war gar nicht weg, siehe Liz Taylor/Richard Burton.
    Eltern, die ein Kind verlieren, haben trotzdem oft lebenslang eine Einheit mit dem Kind. Sie sind verdonnert zum Gläubigwerden, um es wiederzusehen.

    Was die Beziehung zu Israel betrifft, fehlt mir oft ein Aspekt: Die Beziehung zwischen Deutschen und deutschen Juden kam gerade über die gemeinsme Schule in Gang, da wurde sie abrupt beendet. Juden durften zunächst nicht mehr in die Schule, und dann verschwanden sie ganz. Die Anderen mussten an die Front. Aber ob die alte Einheit zwischen Schulkindern, so sie bestanden hatte, weiter bestand, muss überlegt werden. Und wenn ich an ein Buch denke, das ein jüdischer Autor (vielleicht hilft mir jemand mit dem Namen) über die zerbrochene Beziehung zu von Stauffenberg geschrieben hat, die vorher eine Jugendfreundschaft war, und wenn man an von Stauffenbergs Umkehr denkt, kommt man auf diesen Gedanken. Auch, wenn man bedenkt, wie viele deutschstämmige Israelis später wieder eine Beziehung zu Deutschland aufnahmen.
    Ich glaube, hier hat er Recht und Sie nicht.

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    Nun gut, also „Ganzes in zerbrochener Form.“ Diese Formel hilft Ihnen auch nicht weiter. Nehmen wir der Einfachheit halber eine Ehe: eine sanfte, gutmütige Frau und ein hartherziger, dominanter Mann heiraten erst und trennen sich wieder. Dann gibt es also die Ehe weiterhin, nur eben in zerbrochener Form. Meinetwegen. Der Punkt ist nun: die zerbrochene Form ist in zwei Teile zerbrochen: einerseits die sanfte, gutmütige Frau und andererseits der hartherzige, dominante Mann. Nur weil sie miteinander verheiraten waren, ist die Frau nicht zu einer hartherzigen, dominanten Frau geworden. Sondern die beiden Teile sind grundverschieden.

    Die Übertragung dieses Ergebnisses auf die Zivilisationsdebatte bekommen Sie bestimmt alleine hin.

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    „Sie sagen: “ohne die Einheit würden sie nicht leiden, das Disparate hätte nichts miteinander zu tun.” Wenn man nach eienr Trennung trauert, dann ist man traurig über die verlorengegangene Einheit. Eine Einheit, die früher einmal bestanden hat, aber nun nicht mehr da ist.

    Die Trauer wäre ohne diese Einheit nicht möglich, ja, aber daraus folgt nicht, dass die Einheit irgendwie & irgendwo noch da ist, sondern nur, dass sie früher einmal da war (oder: in der verklärenden Retrospektive einmal da schien), nun aber eben nicht mehr da ist. Es ist der Verlust der Einheit, der schmerzt.“
    Wenn die Einheit nicht mehr bewußtseinsmäßig präsent ist, dann würde ich nicht mehr von Trauer, sondern von Melancholige sprechen, d.h. von gescheiterter Trauerarbeit. Trauer hat die Funktion die Libido vom geliebten Objekt abzuziehen. Das kann auch scheitern, wie man das am pathologischen Stalking sehen kann, ein Festhalten am Objekt durch halluzinatorische Wunschpsychose („Sie will das doch auch.“) Es geht aber darum die Beziehung zu verändern, sonst verfällt man der Melancholie.
    Das Objekt der Trauer muß ja nicht unbedingt verstorben sein, wie z.B. die weglaufende Braut. Oder – wie man so sagt – wir sind uns fremd geworden. Die meisten zwischenmenschlichen Beziehung in einer Welt von Ware-Geld-Beziehungen ist das der Gleichgültigkeit und des Scheins. Beim Kauf eines guten Orangessaftes stehe ich in einer Beziehung zum Orangenpflücker und dejenigen die die Presse bedienen, schließlich erhalten sie ja einen Teil ihrer Arbeit durch den Arbeitslohn vergütet. Den habe ich in der Regel nie gesehen. Physisch, empirische haben wir nie Kontakt, aber es besteht dennoch eine Einheit.
    Nebenbei, Geld das man ausgegeben oder verloren hat, ist ja auch nicht weg, sondern nur in einer anderen Geldbörse. Da besteht ja zwischen Verlierer und Finder des Geldes auch eine Einheit. Wozu der unheilbar gesunde Menschenverstand es bringt, ist nun mal nicht mehr als ein verdinglichtes Bewußtsein.
    Beim Verkauf einer Ware, bezieht sie sich ja auch auf die Totalität des Geldes der prospektiven Käufer, auf die zahlungsfähige Nachfrage und wenn ein Vertrag geschlossen wird, verändert sich auch das Geld des Käufers, das dann vom Schatz zum Zahlungsmittel wird.

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    @Martin B. >Nachtrag zum Jaspergelaber.

    … vielleicht hätten Sie in Ihrem Philosophiestudium sich auch mit der Historie beschäftigen sollen.

    Dass bereits ’33 die bürgerlichen Grundrechte außer Kraft gesetzt und die Verfolgung und Ermordung Oppositioneller einsetzte, scheint Ihnen nicht bekannt zu sein. Viele Inhaftierte wurden in den bereits ab Februar 1933 errichteten Konzentrationslagern interniert, körperlich misshandelt und ermordet.

    Die unter diesen Aspekten erfolgte Reichstagswahl am 5. März 1933 kann schon daher nicht als freie Wahl bezeichnet werden. Trotzdem stimmten aber mehr als 56% der Deutschen gegen die National-Sozialisten.

    Der Reichstag löste sich durch das ‚Ermächtigungsgesetz‘ am 23. März 1933 selbst auf, die Gewerkschaften und Parteien wurden verboten und die Regierungen der Länder durch Reichsstatthalter ersetzt.

    Und noch was, selbst die, die 1933 A.H. gewählt haben, haben mit Sicherheit nicht Krieg und Holocaust gewählt.

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    @Dr. phil. Martin Blumentritt: Demnach ist also die teure Vase, die ich fallengelassen habe, gar nicht kaputt, wie es uns im Verblendungszusammenhang des Alltags erscheint, sondern in Wahrheit noch immer ein „Ganzes, aber in zerbrochener Form“? Das ist zwar beruhigend, aber leider nur vom Hochsitz aus gesehen so. Hier unten muss man für die kaputte Vaseneinheit bezahlen.

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    Martin B.: Was Schuld angeht, kann man nur wie Jaspers Schuldarten unterscheiden oder von Verantwortung sprechen. Erster unterschied vier Schuldarten:

    – die politische Schuld durch Handlungen der Staatsmänner, an denen der Einzelne durch seine Staatsbürgerschaft und durch seine Mitverantwortung, wie er regiert wird, beteiligt ist, …

    … wie hohl Jaspers Sprüche sind, können Sie weiter oben anhand der dort ‚gewünschten‘ Geständnisse ermessen. Auf solcher Grundlage verurteilen Sie ein ganzes Volk? Frauen, Kinder … Nachkriegs-geborene?

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    „Aber wenn man Philosophie sowieso für unsinnig hät, muß ich nicht unbedingt als Dr. phil. mich beleidigt fühlen.“

    Nicht Philosophie ist unsinnig, Philosophie zu Israel halte ich für unsinnig. Danke, dass sie sich der Diskussion stellen.

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    @ KJN (bzw. Nick-Name ;-)): aber was Sie [Blumentritt] da vertreten ist Sippenhaft

    Wollte man für ein Lexikon des Totalitarismus Beispieltexte sammeln, seine Schriebe wären die Fundgrube. Kannst du nur staunen!

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    @Roland Ziegler: Sie unterstellen, daß es nur einen Begriff von Ganzen gibt, etwa wie im atomistischen Verständnis von Ganzen und Teilen. Bis hinaus zu einer Organischen Einheit gibt es aber verschiedene Einheiten. Wenn man z.B. eine Hand eines Menschen abschlägt, ist es keine Hand mehr, sondern ein Stück totes Fleisch. Schon das mechanische Konzepte von Ganzen und seinen Momenten ist ein anderes Verhältnis. Wobei ich z.B. schon bei der Quantenmechanik einiges in Frage stellen würde, z.B. mit David Bohn etwa die Kopenhagener Deutung.

    Aber wenn z.b. eine Familie zerbricht, bleibt sie immer noch das Ganze, das sie war, aber eben in zerbrochener Form. Das Ganze hat in seinen Momenten auch seine Repräsentanzen, sofern sich z.B. Vater und Muter nicht nur aufeinander beziehen, sondern sich auch auf ihr Verhältnis beziehen. Das hört natürlich mit der Scheidung nicht auf. Manche Ehefrauen verzeihen dem Eheman nie, daß sie sich von ihm haben scheiden lassen.
    Andere haben dann Sex mit der Ex oder dergl. Da gibt es viele Komplexionen und die Einheit bleibt darin auch beim Wechsel der inneren Komplexion.
    Manchmal ist es noch komplizierter in der Betrachtung schon bei quantitativen Einheiten. Wenn man die 4 nimmt, dann ist sie eines, vier Eurostücke könnte man sagen also 4 Dinge oder auch das 4., wenn man zählt 1,2,3,4. Je nachdem ob die Kontinutiät oder der Bruch die Betrachtung dominiert.
    Aber wenn man Philosophie sowieso für unsinnig hät, muß ich nicht unbedingt als Dr. phil. mich beleidigt fühlen.

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    Sie sagen im Grunde: „Wenn man etwas zerreißt, dann ist es anschließend immer noch ganz.“ Und das ist (für Philosophie typischer) Unsinn.

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    Ähnlich, sogar drastischer auch der zurückgewiesene Verehrer, der glaubt, mit seiner Angebeteten „eigentlich“ zu einer Einheit zu verschmelzen. Der bezieht sich auf eine Einheit, die nie bestanden hat, nicht besteht und meist auch nie bestehen wird. Eine solche „Einheit“ nennt man auch Hirngespinst. Sie ist dadurch charakterisiert, dass es sie nicht gibt.

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    @Roland Ziegler: „Dass sie eben nicht “alle eins” sind, sondern miteinander konkurrieren und oft Krieg führen.“
    Konkurrenz leitet sich schon sprachlich von currere laufen ab und deutet ja die Einheit mit dem con an, als zusammenlaufen. Bei kriegerischen AUSEINANDERsetzungen ist man ja nicht auseinander, sondern mit ziemlicher Wucht BEISAMMEN. Konkurrenten wollen ja immer dasselbe.
    Das Problem ist ja schon vorab methodisch, mit einem methodischen Individualsmus oder Sozialnominalismus kann man es unmöglich überhaupt in den Blick bekommen, worum es hier geht. Auch beim Staat ist es ja nicht anders.
    Der Staat darf nicht unproblematisiert als Ausgangspunkt politischer Reflexion genommen werden, bei der die Welt als Summe von Nationalstaaten und deren Interaktionen erscheint. Die bestimmte nationelle Politik ist nicht ein bloß nationales Phänomen, sondern nur als Teil von Verschiebungen des globalen Zusammenhangs zu begreifen. Ausgangspunkt von Staatskritik hingegen kann nur die Einheit der Nationalstaaten, nicht die Trennung, sein.
    Ist das deutlich genug?

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    Sie sagen: „ohne die Einheit würden sie nicht leiden, das Disparate hätte nichts miteinander zu tun.“ Wenn man nach eienr Trennung trauert, dann ist man traurig über die verlorengegangene Einheit. Eine Einheit, die früher einmal bestanden hat, aber nun nicht mehr da ist.

    Die Trauer wäre ohne diese Einheit nicht möglich, ja, aber daraus folgt nicht, dass die Einheit irgendwie & irgendwo noch da ist, sondern nur, dass sie früher einmal da war (oder: in der verklärenden Retrospektive einmal da schien), nun aber eben nicht mehr da ist. Es ist der Verlust der Einheit, der schmerzt.

    Analog der Verlust von Geld. Wenn Sie kein Geld mehr haben, weil Sie Ihr ganzes Geld ausgegeben haben, dann schmerzt Sie das (u.U.). Sie hatten früher mal Geld, aber jetzt haben Sie keines mehr. Ihrer Logik nach hätte man immer genügend Geld, denn ohne Geld gäbe es keine Schmerzen. (Aber nun bin ich wohl vollends in den Verblendungszusammenhang gerutscht.)

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    Meine Güte, Martin Blumentritt – ich habe diese thread versucht zu meiden, weil ich mich nicht aufregen wollte, es ist mir nicht gelungen. Alles habe ich aber nicht gelesen und will es auch nicht – aber was Sie und die Antideutschen da vertreten ist Sippenhaft. Kommen Sie doch mal aus dieser Denke raus. Die Israelis z.B. haben in überwiegender Mehrheit „den“ Deutschen doch schon längst verziehen (wofür wir m.E. und u.a. auch etwas mehr Solidarität zeigen könnten), und die, die nicht verziehen haben – da kann man es auch verstehen..
    Empathie (danke Stevanovic) ist etwas, daß man normalerweise allen Menschen zukommen lässt – auch deutschen Frauen und Kindern, die Bomber Harris in und seine Terroristen nicht nur in Hamburg und Dresden massenweise lebendig verbrannt haben.
    Wenn Sie und die Antideutschen diese Empathie nur selektiv zeigen können, sollten Sie sich mal persönlich überlegen woran das liegt und die Antideutschen sollten sich mal der Verantwortung darüber bewusst sein, dass ihr Schmarren den Hass in zukünftige Generationen weitertragen könnte. Und die anti- sowie philosemitischen Projektionen auf Israel emfinde ich mittlerweile schon als unanständig. Kleiner Hinweis zum Nachdenken: Der Riss geht durch so einige Familien und verwandschaften..

    Beste Grüße Klaus J. Nick (von wg. „anonym“)

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    Es gibt Partnerschaften (ich selber kenne solche), bei denen der Partner nach der Trennung sagt: „Endlich bin ich wieder frei, juchhu!“ – Wenn der andere dann käme und was von Einheit faseln würde, dann würde der befreite Partner sagen: „Mach, das du wegkommst, verpiss dich!“ – Und nun kommen Sie und sagen, dieser Ex-Partner irrt sich, er lebt nach wie vor in einer Einheit, ohne es selber zu ahnen? Was, glauben Sie, würde dieser Ex-Partner wohl dazu sagen?

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    Herr Blumentritt, wir drehen uns im Kreis, aber das ist einfach Unsinn, was Sie sagen. Wenn wir nach einer Trennung leiden – z.B. bei einer Ehe – dann leiden wir nicht an der Einheit, sondern an der Trennung. Am Getrenntsein vom geliebten Partner. An der Distanz. Hier gibt es keine Einheit mehr, und die Einheit im Bewusstsein, von der Sie reden, ist Träumerei. Wir wünschen uns dann vielleicht die verloren gegangene Einheit zurück bzw. erträumen sie uns sentimentalerweise. Aber sie besteht nicht mehr.

    VOR der Trennung haben wir an der Einheit gelitten. Danach ist dieses Leiden vorbei. Deshalb haben wir uns ja getrennt. (Oder hat sich der eine vom anderen getrennt.) Nach der Trennung sind die ehemaligen Eheleute dann zwei separate Leute mit wieder separaten Lebensläufen. Geschieden, das bedeutet: keine Einheit mehr!

    Nur ein Stalker würde behaupten, dass die Einheit, weil sie einmal da war, noch immer irgendwie da sein müsste oder sogar ewiglich bestünde. Die Person, auf die sich seine Impertinenz richtet, würde das weit von sich weisen. Sie würde versuchen, den Stalker abzuschütteln. Und sie hat dabei Recht, und der Stalker hat Unrecht.

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    Wir reden hier über die abendländische Zivilisation und das 3.Reich. Inwieweit hier vor den Weltkriegen überhaupt eine Einheit bestand, ist eine Frage für sich.
    Bevor wir aber alle Zivilisationen in einen gemeinsamen Topf werfen, solllten wir uns bewusst machen, dass es verborgene Zivilisationen gibt, die (fast) noch nie Kontakt mit dem Rest der Welt hatten. Schade, dass Jan Z. Volens aufgrund von Abwesenheit uns an dieser Stelle nicht mehr sein übliches Beispiel mit den Infantiziden bei den Dschundelvölkern geben kann. Daran könnte man sehen, wie groß die Unterschiede/“Uneinheitlichkeiten“ zwischen den Zivilisationen tatsächlich sind. Dass sie eben nicht „alle eins“ sind, sondern miteinander konkurrieren und oft Krieg führen.

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    @Ronald Ziegler: „Und eine zersplitterte Familie bildet keine Einheit mehr; sie leidet oft darunter, dass sie keine Einheit mehr bildet.“
    Exakt das ist falsch. Denn ohne die Einheit würden sie nicht leiden, das Disparate hätte nichts miteinander zu tun. In Bezug auf das Verhältnis der Ehe ist das auch ein Unterschied, ob man nie verheiratet war oder ob man geschieden ist. Nur an einer Zersplitterung würde man nicht leiden, dazu bedarf es der Einheit, an der man auch bis zum Ende des Lebens leiden wird. Wenn man die Freudsche Psychoanalyse als materialistische Sozialisatinstheorie interpretiert, in der Psyche also ständig ein Niederschlag von Interaktionen, angefangen von der Mutter-Kind-Dyade, über die Mutter-Vater-Kind-Triade, bis zur sekundären und tertiären Sozialisation, darstellt, haben wir sogar – auch im Gedächtnis – eine Einheit, die sich auch im Besondern darstellt. Individuen sind eben nicht letzte, gar bloß gegeben Einheiten, menschliches Leben ist wesentlich und nicht etwa zufällig Zusammenleben. Ein Individuum existiert nur durch andere, es ist Mitmensch bevor es überhaupt Individuum wird, es verhält sich zu anderen, bevor es zu sich selbst sich verhält.
    Die deutsche Sprache ist in der Lage Gedächtnis und Erinnerung durch verschiedene Worte auseinanderzuhalten. Nicht alles, was im Gedächtnis ist – als der Speicher des ganzen Leben – kann auch erinnert werden. Die Psychologie thematisiert dies als Abwehrmechanismen wie Verdrängung und Verleugnung.
    Waran leidet man bei einer Trennung? An der Einheit, an der die Psyche unerbittlich festhält, auch und gerade dann – wenn der Einzelne das verleugnet. Das kann bis zu gefährlichen Psychosen gehen. Wenn in Kontaktanzeigen oder dergl. jemand Personen „ohne Altlasten“ suchen, kann man ihm das auch schon vorher sagen, daß gerade diejenigen, die diese verleugnen, ihn finden werden oder er sie. Einst wurde es in der Abtreibungsdiskussion auch diskutiert, daß es auch pränatale, vorgeburtliche, Interaktionen gibt, die sich niederschlagen und daß bei Kindern, die vor der Geburt abgelehnt wurden oder die Mutter sich ambivalent verhielt, schon früh Schädigungen auftraten, so daß erzwungene Geburten Säuglinge auf die Welt bringen, die ihr Leben lang leiden.
    Leibnitzs Monaden, die fensterlos seien, spiegeln alle die ganze Welt, so daß er die prästabilierte Harmonie einführte und das Bild fand, daß der Urmeister alle Uhren aufgezogen hatte, so daß sie alle gleichliefen. Das ist natürlich eine Illusion, die Hegel mit der Dialektik von Repulsion und Attraktion auflöste. Adorno sprach dann mit leichter Ironie von prästabilierter Disharmonie.

    Was Schuld angeht, kann man nur wie Jaspers Schuldarten unterscheiden oder von Verantwortung sprechen. Erster unterschied vier Schuldarten:
    – die kriminelle Schuld aufgrund objektiv nachweisbarer Gesetzesverstöße,
    – die politische Schuld durch Handlungen der Staatsmänner, an denen der Einzelne durch seine Staatsbürgerschaft und durch seine Mitverantwortung, wie er regiert wird, beteiligt ist,
    – die moralische Schuld durch Handlungen, deren Charakter nicht allein dadurch nicht verbrecherisch wird, daß sie befohlen sind,
    – die metaphysische Schuld aus der Mitverantwortung für alles Unrecht und alle Ungerechtigkeit in der Welt

    Das Gericht, die Gewalt und der Wille des Siegers, das eigene Gewissen und schließlich Gott sind ihm Zufolge die Instanzen dieser Schuldarten.
    Das hatte Jaspers 1946 in Vier Schuldarten formuliert. Es geht dabei ja sogar bis zur metaphysischen Schuld, die aufs Ganze geht.

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    @Lyoner

    „Mir scheint, dass sich die Israelis (ich meine den Strom, den Netanyahu, Lieberman und Bennett verkörpern, offenbar eine wachsende Mehrheit) durch ihre Gedenkpolitik, gegen die keine andere Gedenkpolitik anstinken kann, sich gegen Empathie immunisieren.“

    Das beobachte ich auch. Nach der Publizistik zu urteilen, haben viele Freunde Israels in Deutschland diesen Schritt bereits vollzogen. Das Bild in Israel ist viel differenzierter.

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    Eine „Zivilisation“ ist in diesem Sinne mit einem sehr komplexen Molekül vergleichbar. Es kann in einfachere Moleküle zerfallen. Aus einer Zivilisation, die zerfällt, entstehen (mind.) zwei einfachere Zivilisationen, die sich u.U, bekiegen. Aber der Zerfallsprozess kann nicht endlos fortgesetzt werden:
    Irgendwann gibt es keine Zivilisation mehr, nur noch unzivilisierte Menschen (jeder gegen jeden).

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    @ Martin Blumentritt

    Ihre letzte Antwort an Lyoner hätte von mir sein können.

    Sie haben den Begriff „Gesunder Menschenverstand“ im einen vorigen Beitrag leider diskreditiert, aber das, was sie gerade schreiben, klingt sehr danach. Das wird umso klarer, je weniger man davon ausgeht, dass Juden (Judentum, Zion, Israel) Elfenstaub furzen können.

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    Jenseits der Naturwissenschaft wird der Begriff „Einheit“ viel schwammiger benutzt. Dies ermöglicht auch Ihr merkwürdiges Verständnis von diesem Begriff. Da werden in bestimmten Hinsichten ähnliche Sachen einfach zu Einheiten zusammengepackt. Der versteht zwei Dinge als „Einheit“, weil er ihre Ähnlichkeiten betont; der andere meint, es gäbe hier keine Einheit, weil er die Unterschiede hervorhebt. So kommt wohl auch unser langer Disput hier zustande.

    Ich jedenfalls meine, der Begriff „Einheit“ ist schon anspruchsvoll. Um als „Eines“ gelten zu können, muss man schon eine starke Bindung, die eine besondere Qualität erzeugt, besitzen. Bei „einer“ Zivilisation sollte diese Gemeinsamkeit zumindest in einer gemeinsamen Moral bestehen. D.h. die Leute sollten sich im Prinzip einig sein über „gut“ und „böse“ (z.B. Mord/Diebstahl/Sex mit Minderjährigen ist schlecht, Ehe/Liebe/Freiheit/Demokratie ist gut). Wenn hier deutliche Unterschiede bestehen, bilden die betreffenden Zivilisationen NICHT eine Einheit. Und das Dritte Reich hatte eine völlig andere Moral als die Alliierten; es bildete mit ihnen also KEINE gemeinsame Zivilisation. Deutschland ist aus der gemeinsamen Zivilisation ausgeschert und hat mit dem 3. Reich einen Sonderweg begangen. Das, was ich hier die ganze Zeit erzähle.)

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    Zum Begriff „Einheit“: Fangen wir mal beim Menschen an (um nicht von vornherein in den inhumanen Verblendungsverdacht zu geraten). Der setzt sich bekanntlich zusammen aus Fleisch & Blut. Die wiederum bestehen aus komplexen organischen Molekülen, die nach dem genetischen Bauprinzip gebildet werden. Ein Molekül besteht nun weiter aus Atomen; größere Atomkerne lassen sich in kleine zerspalten, wie wir an der Kernkraft sehen (dabei wird als Trennungsschmerz Atomenergie frei). Ganz unten, als Allerkleinste, sind die Elemetarteilchen, die das Atom ausmachen und sich nicht weiter zerlegen lassen.

    Hier, in der naturwissenschaftlichen Theorie, haben wir es überall mit Einheiten zu tun. Wenn z.B. ein Elektron (Elemntarteilchen) aus einem Atomverbund ausschert, nennt man es „frei“. Das bedeutet, es wird in keiner höheren Einheit mehr eingebunden. Der frühere Zusammenhang ist nun aufgelöst; die vorherige Einheit, d.h. das spezifische Atom, besteht nicht mehr. (Das bedeutet natürlich nicht, dass die Einheit als Kategorie nicht mehr besteht.)

    Jede Einheit kann auf jeder Stufe zerstört werden. Wenn ein Mensch stirbt, bleiben Fleisch & Blut, aber den Menschen, den es gab, gibt es nicht mehr.

    Und so ist es auch sonst. Wenn eine Familie sich auflöst, gibt es ihre Teile noch immer, aber die Familie als solche ist aufgelöst; es gibt ggf. Teilfamilien (so wie aus komplexeren organischen Molekülen einfachere werden).

    Wenn eine Zivilisation zerrissen wird, gibt es ihre ursprüngliche Einheit nicht mehr. Sie ist dann in zwei Teile zerspalten.

    Eigentlich doch ganz einfach; wieso stolpern Sie so darüber?

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    @ Roland Ziegler
    „Aber was wollten Sie damit ausdrücken? Dass die Einheit der Menschen auch ihre Verbrechen bedingt? Ja. Dass deshalb alle Menschen gleichermaßen an den Verbrechen schuldig sind? Nein.“

    „Nein“ finde ich gut. Die Schuld wird von Generation zu Generation weitergegeben über die Einheit Staatsangehörigkeit. Das bedeutet für mich inzwischen auch, dass man einem Staat gehört, also nicht frei ist.
    Dieser arbeitet mit Erbsünde. So kann nie etwas daraus werden. Erbsünde ist antik.

    @ Lyoner

    Was Sie dort mit David Grossmann beschreiben – mangelnde Empathie – halte ich für ein klassisches Freud’sches Instrument: Abspaltung. Empathie mag vorhanden sein, kann aber aus naheliegenden Gründen nicht zum Ausdruck gebracht werden. Die lange bestehende Rückständigkeit der Araber, die dort wohnten, ist m.E. daran schuld. Sie ließen sich besetzen und regieren erst von den Türken, dann von den Engländern. Dann kam Israel. Sie hatten die Chance auf einen Staat. Ich glaube, es ist die Rückständigkeit, die sie unfähig machte, zu begreifen, dass das möglicherweise recht freie Leben in der vernachlässigten Region zu Ende war und sie keine Wahl hatten. Hätten sie angenommen, wären sie heute besser dran.
    Zusätzlich bestand und besteht noch eine starke Bl..-und Boden-Mentalität. Der Araber: Ich und meine Familie, mein Grund, mein Haus. Es wäre zuviel verlangt, zu erwarten, dass eine solche Mentalität einfach so, ohne große Bildung damals, aufgegeben werden konnte.
    Ich sehe das so: Weder die Israelis noch die Palästinenser sind in irgendeiner Form wirklich schuld. Schuld sind die Weltmächte, die damals mit dem nahen Osten und mit ganz Afrika umgegangen sind wie mit Spielfiguren auf Spielbrett. Viele afrikanische Konflikte sind nur entstanden durch die Schachbretteinteilung mitten durch Ethnien, mitten durch Landschaften. Afrika ist nicht Manhattan, sieht aber auf einer Landkarte so ähnlich aus.
    Der Fehler liegt bei der Mentalität der Weltmächte, vor allem einer, die sie den Leuten dort überstülpen wollten wie eine Mütze. Die Bewohner hatten überhaupt kein Mitspracherecht, höchstens vordergründig. Man nahm sie doch gar nicht ernst.

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    @ Lyoner: so naiv und dumm, wie Sie sich jetzt geben, sind Sie doch nicht?

    Na? Weiß man’s? – Es mag ja sein, dass Christen (und Muslime) an ihr eigenes Auserwähltsein nicht so recht glauben und sich durch die Existenz von Juden und Israel verunsichert fühlen. Aber was hat das mit Ihnen zu tun?

    Taucht Israel oder irgendein Jude auch nur entferntest am Rande des Gesprächs auf, stehen auch Sie sofort parat, fließt es auch Ihnen nur so aus der Feder. Über Jahre haben Sie ein Blog betrieben, das kein anderes Thema hatte.

    Sie wollen im Ernst behaupten, Israel und die Juden seien deshalb Ihr, sagen wir, „bevorzugtes“ Thema, weil auch Ihnen, Christ und/ oder ausgetretener Katholik, der Sie sind, das Auserwähltsein Israels so ganz furchtbar schrecklich auf den Senkel geht?

    Das einschlägig konditionierte HB-Männchen („Juden! Grrr! Juden! Grrr!“) ist eben einfach drin in Ihnen? (Epigenetisch?) Auch in Ihnen? Sie können sich von diversen erfahrenen Sozialisationen durchaus emanzipieren, auch etwa von Ihrer katholischen weitgehend? Von dem schrecklichen Zweifel an Ihrem (allerchristlichsten, allerkatholischsten) Auserwähltsein aber nicht?

    Die Juden und deren Auserwähltsein („Grrr! Grrr!“) sind auch Ihr, weil unausweichlich unser aller christliches (und muslimisches) Schicksal?

    Können Sie sich (vielleicht in einschlägig weniger erregten Momenten) vorstellen, dass ich Ihnen darin nicht folge und mich stattdessen (sehr viel) lieber auf meine – s. o. – Beschränktheiten zurückziehe? 🙂

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    Herr Blumentritt, das ist ja alles schön und gut (wenn auch leider nicht wahr; das Denken differenziert z.B. die ursprüngliche Einheit, die ein Säugling/Kind noch hat, fortschreitend in die berühmte „Mannigfaltigkeit“. Und eine zersplitterte Familie bildet keine Einheit mehr; sie leidet oft darunter, dass sie keine Einheit mehr bildet. Ich kenne zersplitterte Familien; ihre Ex-Mitglieder SAGEN explizit, dass sie keine mehr bilden, und sie müssen nicht von Ihnen eines Besseren belehrt werden. Das Leiden beweist nicht, dass es eine Einheit gibt, sondern zeigt im Gegenteil, dass es keine mehr gibt. Der Verlust der Einheit erzeugt oft Leiden (Trennungsschmerz).)

    Aber was wollten Sie damit ausdrücken? Dass die Einheit der Menschen auch ihre Verbrechen bedingt? Ja. Dass deshalb alle Menschen gleichermaßen an den Verbrechen schuldig sind? Nein.

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    Martin B.: Natürlich nicht. Israel hat keinen fremden Staat besetzt. Und vermeintliche Grenzen erweisen sich näher historisch besehen als bloße Waffenstillstandslinien aus Kriegen, die die arabischen Staaten angezettelt haben. Um die eigenen Bürger vor Gewalt zu schützen, ist Israel verpflichtet auch notfalls Gewalt auszuüben … Die Gewohnheit der Djihadisten sich gern Unbeteiligte als lebendes Schutzschild zu suchen, im Vertrauen darauf, daß Juden das Leben lieben und im Wissen, daß Juden versuchen werden unbeteiligte Opfer zu vermeiden, verursacht mehr Opfer, als unvermeidlich wären. Schlitzohrig der, …

    … werter M.B., meine Zustimmung zu den ersten drei Sätzen. Nur, was unterscheidet Sie, Ihre Auffassung, von den Gewohnheiten der Djihadisten … im Vergleich zur ‚Harrisdiskussion‘ … Dresden, Hamburg … u.s.w…

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    @Lyoner:
    „Sind Sie in der Lage, auf die Fragen einzugehen, die ich Ihnen gestellt habe bezüglich der konkreten Macht- und Gewaltpolitik Israels in den besetzten Gebieten?“
    Natürlich nicht. Israel hat keinen fremden Staat besetzt. Und vermeintliche Grenzen erweisen sich näher historisch besehen als bloße Waffenstillstandslinien aus Kriegen, die die arabischen Staaten angezettelt haben. Um die eigenen Bürger vor Gewalt zu schützen, ist Israel verpflichtet auch notfalls Gewalt auszuüben. So what? Die Gewohnheit der Djihadisten sich gern Unbeteiligte als lebendes Schutzschild zu suchen, im Vertrauen darauf, daß Juden das Leben lieben und im Wissen, daß Juden versuchen werden unbeteiligte Opfer zu vermeiden, verursacht mehr Opfer, als unvermeidlich wären. Schlitzohrig der, der Raketenbasen in der Nähe von Krankenhäusern und Kindergärten aufzubauen, in der Hoffnung auf eine win-win-Situation, daß entweder auf Verteidigungshandlungen verzichtet wird oder Kollateralschäden entstehen, auf die man sich besonders wegen des damit verbundenen Propaganda-Erfolgs freut. Und dann schwadroniert man bei den Opfern der palästinensischen Propaganda, oft Palywood gennant, von Gewalt- und Machtpolitik des israelischen Staates.
    Darauf falle ich doch nicht herein.

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    @Roland Ziegler: „Ja, die Menschheit bildet eine Einheit. Da jeder Mensch in irgendeine Art Zivilisation hineingeboren wird (von Caspar Hauser mal abgesehen), bilden auch die Zivilisationen insgesamt eine Einheit. Trotzdem kann jede Zivilisation – auch jede Familie – zerrissen werden. Das bedeutet nichts anderes, als dass sie vorher eine Einheit gebildet hat und jetzt keine mehr bildet. Dass die Einheit verloren gegangen ist.“
    Auch das Beispiel Familie zeigt gerade das genaue Gegenteil, was sich ja auch darin zeigt, daß die Einheit in der Zerrissenheit gerade die psychischen Probleme bedingt.
    Am Frühstückstisch, die Nachrichten aus aller Welt vernehmend, Tee, Kaffee, Orangensaft, Kiwis, kalifornischer Wein, Hummus, Öl oder Gas, um zu heizen und und … wird man zwar nicht unmittelbar wahrnehmen, daß man mit dem Arbeitern der Tee- und Kaffeeplantage, den Weinbauern, den Arbeitern der extraktiven Industrie usw. überall verstreut auf der Welt in EINEM Produktionsverhältnis steht, weil handlungstheoretisch oder unmittelbar kein Verhalten unmittelbar zwischenmenschlicher Art besteht. Aber man steht offenkundig in einem Verhältnis, das sich systemtheoretisch oder systemkritisch begreifen läßt. Sicher eine Zersplitterung oder um auch Philosophen verständlich zu bleiben Entfremdung. Ideologisch existiert nur ein gleichgültiges Verhältnis, aber eben doch ein Verhältnis der Einheit des zersplitterten. Ich weiß, daß eine Freundin sich in einer Kneipe in Colorado/USA in der Schwingtür der Toilette zwei Finger gebrochen hat, weil wir regelmäßig skypen. Im Prinzip könnte ich auch von den Arbeiter rund um die Welt, die an den vielen Produkten meines Haushalts beteiligt waren wissen, ihren Namen, was sie verdienen usw. Allerdings hätte ich da viel zu tun und so bleibt der Bissen nicht im Halse stecken, wenn ich in den Nachrichten vom Elend oder Reichtum jener Arbeiter höre. Solange alles funktioniert ist es so wie mit dem Strom, der aus der Steckdose kommt. Bei einer Störung oder Krises wird jeh die Unmittelbarkeit in der es scheint zerstört, die sich dann als äußerst vermittelt erweist. Wenn die Energieversorgung nicht mehr stattfindet, wird man schlagartig brutal von der Einheit, die vorausgesetzt ist, eingeholt.
    Menschliche Arbeit und der Genuß der Güter findet auf der Basis der globalen Natur statt und wo auch immer etwas ausfällt, ist auch alles andere tangiert. Wäre die Sonne nicht mehr da oder auch nur ein Planet, würden sich auch auf unseren Planeten die Verhältnisse merklich verändern. Der Naturzusammenhang geht durch uns durch, durch die globale Gesellschaft, die alle Individuen tangiert, ohne daß das bewußt sein muß.
    So haben wir eine Weltzivilisation, eine Einheit selbst dann, wenn sie nicht unmittelbar erscheint, sondern nur wesenslogisch erfaßbar ist. In der abstrakten Vergesellschaftung über den Wert und Tausch verbirgt es sich zwar noch mehr, weil alles anonym erfolgt. Wesenslogik läßt sich nur denken, so wie wir das Verhältnis zum Tabackbauern, den wir nie sehen, wenn wir Geldstücke in einen Zigarettenautomaten stecken, nur denken können und Denken vereint immer eine Mannigfaltigkeit zur Einheit. Die Einheit der Natur, die Einheit der globalen Gesellschaft läßt sich nur denken. Wer nur unmittelbare Bezüge zu erkennen vermag, wird meinen, daß die verschiedenen Momente nichts miteinander zu tun haben. Aber ohne die Tabackarbeiter irgendwo in Amerika würden die „Sargnägel“ nicht im Zigarettenautomaten zu bekommen sein. Eine zerrissene Einheit, aber sie bleibt Einheit. Wenn für etwas Dialektik vonnöten ist, dann, um das zu begreifen.
    Die zersplitterte Insellage der alten Griechischen Welt erzwang, als die technischen Produktivkräfte eine Kombination von Stoffen, die verteilt waren auf verschiedene Inseln, den Tausch aus dem dann die Verwendung von Geld entsprang, die auch das Denken jener Zeit mitbestimmte und ohne das schließlich die antike aber auch spätere moderne Wirtschaft gar nicht denkbar wäre. Die moderne Zivilisation hat in sich Jahrtausende Tradition aufgehoben, negiert und bewahrt und noch in jeder Ontogenese lassen sich Spuren finden von der prämagischen, magischen, animistischen, mythischen und mythologischen Phasen, sie selber schon ein Stück Aufklärung, Anfänge der Zivilisation darstellen. Phasen, die die Menschheit mitgemacht haben, finden sich in jeder frühkindlichen Sozialisation, so wie auch die Entwicklungsstufen der Intelligenz, von eine aus der andern hervorgehen. Dem Instinktverlust des Menschen entsprach die Heranbildung eines Symbolvermögens, das so etwas wie Gefühle, aber auch die Bildung von Sprache ermöglichete. Menschliche Geschichte schlägt sich auch nieder in der Verteilung von sprachlichen Sachverhalte, die Trennung von Populationen kann sprachgeschichtlich, aber auch in den Genen gedanklich fixiert werden. Paradoxerweise war ja der Rassismus ein Bastard der Vereinheitlichung der Welt, er entstand mit der Entdeckung für die Europäer neuer Kontinente.
    Auch bei den Nazis, die soviel Wert auf Rassereinheit legten, hieß es Ausländer rein, als die verschleppten und ermordeten Juden durch Fremdarbeiter ersetzt wurden. Und man hüte sich nicht zu erkennen, daß an der deutschen Kriegsproduktion durchaus weltweit verdient wurde.
    Was zersplittert ist, nennt sich so, weil es in einem Zusammenhang steht, der nicht bloß gleichgültig ist. Psychisch macht sich die Notwendigkeit der Einheit in kaputten Familienmitglider geltend. Obwohl räumlich getrennt, doch in einer Einheit, unter deren Abstraktheit gelitten wird.
    Ist das alles so unplausibel? Plausibilität – kommt ja von plaudere Beifall klatischen – ist zwar kein Wahrheitskriterien, aber was wahr ist, kann auch schließlich erkannt werden.

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    Damit will ich sagen: Wir müssen unsere eigene Zeit angehen. Der Holocaust ist kein Problem unserer Zeit. Wenn wir die ganze Zeit nur auf den Holocaust starren in der Bemühung, nichts anderes zu denken und zu handeln als potentielle Holocauste zu verhindern, dann verpassen wir unsere Zeit. Dass wir dabei die Israelis als moralisch aufgeblasene Puppen und Israel als Bühne für unser Welttheater missbrauchen, wie EJ zurecht sagt, ist dabei nur das kleinste Problem.

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    Sagen Sie mal, lieber Edmund Jestadt, so naiv und dumm, wie Sie sich jetzt geben, sind Sie doch nicht? Die ethnozentrischen Phänomene, die Sie schildern, sind doch begrenzter und lokaler Natur? Den Unterschied zu der Bedeutung der Juden in der Geschichte können Sie nicht sehen? Lesen Sie doch mal Notes „Historische Existenz“, das würde Ihrem Brain gut tun, wäre ein gutes Training gegen einen ängstlichen Verstand. Sagen Sie, was projeziere ich auf die Juden? Werden Sie genau, Sie haben ja meine Ausführungen vor sich, meine Fragen zur Anerkennung und der Politik Israels im Heiligen Land. Auf gehts, in medias res, machen Sie nicht in die Hosen, ein paar Argumente zu Sache werden Sie doch haben, auch wenn Sie gerne stiller Komplize des „status quo“ bleiben wollen! Ich habe den Eindruck, dass Sie als desperate christian einiges mehr auf Israel projezieren, nämlich dass sie das Volk Gottes sind – das verlange ich weder von den Juden noch den Israelis. Dass Sie über diese Problematik am liebsten den Mantel des Schweigens legen würde, sehe ich schon. Da haben Sie ein Vorbild in einem anderen ungelenken Akrobaten, Alan Posener, der das zwar ganz in Ordnung findet, wenn sich die Juden als Am Israel, als Volk Israel definiert haben, jedoch Bauchschmerzen bekommt, wenn dies die Goyim bemerken.

    @ Martin Blumentritt

    Sie schlingern in ihrem adornitischen Treibsand (gesetzt, Sie würden realisieren, dass Sie nicht mit eigener Sprache gesegnet sind, sondern verdammt, mit fremder Zunge zu sprechen, würde Sie das erschüttern?). Sind Sie in der Lage, auf die Fragen einzugehen, die ich Ihnen gestellt habe bezüglich der konkreten Macht- und Gewaltpolitik Israels in den besetzten Gebieten?

    @ Stevanovic

    Mir scheint, dass sich die Israelis (ich meine den Strom, den Netanyahu, Lieberman und Bennett verkörpern, offenbar eine wachsende Mehrheit) durch ihre Gedenkpolitik, gegen die keine andere Gedenkpolitik anstinken kann, sich gegen Empathie immunisieren. Vor jetzt 25 Jahren hat David Grossman in seinem großartigen Büchlein „Der gelbe Wind – die israelisch-palästinensiche Tragödie“ folgende Beobachtung beschrieben:

    „Ich schilderte Ihnen [den Siedlern von Ofra] meine Begegnungen mit den Arabern dieser Gegend und sprach auch von dem aufgestauten Hass, den ich bei einigen von Ihnen erlebt habe. Dann erzählte ich noch von meinen Besuchen in den Flüchtlingslagern. Sofort protestierte einer, als sei das ein bedingter Reflex bei ihm: Habt bloß nicht zuviel Mitleid. Haben Sie nicht ihre Villen an der Straße nach Ramallah gesehen? …
    bat ich sie um etwas guten Willen. Um ihre Mitarbeit in einer Frage, die mich sehr beschäftigte.
    Eigentlich eine Frage von nebensächlicher Bedeutung, sagte ich, nicht einmal Bestandteil der Diskussion darüber, wer nun eher im Recht sei, wir oder die Araber. … Ich sei einfach neugierig zu erfahren, ob sie sich in die Lage ihrer arabischen Nachbarn versetzen und mir sagen könnten, was ihrer Meinung nach für die Araber das Schlimmste an der Besetzung sei.
    Ich kann mich nicht erinnern, wer die Antwort gab … jedenfalls sagte einer sofort „Wir sind nicht schuld an der Situation.“ Andere murmelten zustimmend.
    Ich sagte: Das war nicht die Frage. Nehmen wir an, ihr habt Recht. Nehmen wir an, eure Meinung ist hundertprozentig richtig und die Geschichte wird das mit der Zeit auch bestätigen. Ich möchte Euch jetzt nur um etwas gedankliche Beweglichkeit bitten und wiederhole meine Frage: In welcher Beziehung spürt ein Araber in Silwad oder Ain Jabrud eure – in euren Augen gerechtifertigte – Anwesenheit am meisten, in einer Gegend, die er als seine Heimat betrachtet, wo erlebt er eurer Meinung nach diesen Einfluss am stärksten in seinem Alltag, in seinen Gedanken, im Verhältnis zu seinen Kindern? …
    waren die Leute nicht in der Lage … den Standort zu wechseln; sie gestatteten sich nicht ein Sekunde des Mitgefühls und der Anteilnahme am Leben der Menschen, deren Schicksal mit dem ihren so eng verbunden ist. Es gelang ihnen nicht, sich von den Fesseln zu befreien, deren Existenz sie noch nicht einmal zugeben würden. Sie waren wie versteinert. …
    Es zweifelt heute [1998] niemand man daran, dass sich die Anhänger der Gusch Emunim sehr weit von der Mitte des politischen Konsenses in Israel entfernt haben.“

    So David Grossman 1998. Es scheint, dass die Anhänger der Gusch Emunim sich inzwischen in der Mitte des politischen Konsenses in Israel aufhalten. So ist das, wenn man alles sub specie holocaust wahrnimmt.

    @ derblondehans

    ich schätze die christliche Seefahrt (kennen Sie die Romane Joseph Conrads?). Deshalb nichts für ungut.

    @ Parisien

    Sie haben recht, mich an sans/ici zu erinnern. An solchen Hundstagen ist mein Platz am Heiligen See. So habe ich gänzlich verpasst, die Worte und Taten Obamas zu verfolgen. Es gibt besseres, n´est pas?

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    @Martin Blumentritt: Ja, die Menschheit bildet eine Einheit. Da jeder Mensch in irgendeine Art Zivilisation hineingeboren wird (von Caspar Hauser mal abgesehen), bilden auch die Zivilisationen insgesamt eine Einheit. Trotzdem kann jede Zivilisation – auch jede Familie – zerrissen werden. Das bedeutet nichts anderes, als dass sie vorher eine Einheit gebildet hat und jetzt keine mehr bildet. Dass die Einheit verloren gegangen ist.

    Auch gibt es fragile Einheiten, mit inneren Widersprüchen und Spannungen, an denen sie im Lauf der Zeit in zwei Teile zerreißen können. In diesem Sinne meinte ich, dass die Zivilisation, über die wir hier sprechen, facettenhaft war und deshalb auch nicht als Ganzes zu be- bzw. verurteilen ist. Sie ist entlang eines Risses in zwei Teile zerrissen und befand sich danach im Krieg. Natürlich sind die beiden einander bekriegenden Teile noch immer miteinander verwandt, so wie alle Menschen miteinander verwandt sind. Aber nur (oder zumindest vor allem) der eine Teil schuldig geworden, der andere nicht.

    Richtig ist aber, dass der Holocaust alle angeht, auch die auf der „unschuldigen Seite“. Was für die einen möglich war und Wirklichkeit wurde, kann für die anderen grundsätzlich ebenfalls Wirklichkeit werden. Da sich aber eine Geschichte nie wiederholt, muss man sich nicht Sorgen machen, dsss irgendwer erneut KZs aufstellt – dies wird sich in absehbarer Zeit nicht wiederholen. Aber anderes, ebenfalls Schreckliches, kann passieren, das man bei solchen Betrachtungen nicht im Blick hat, und wenn man die vielen Waffen sieht, ahnt man, was das sein könnte.

    An dieser Stelle kann man die leidige Schuldfrage, die die ganze Zeit über mit im Gepäck war und die Gedanken hemmte, komplett vergessen. Es interessiert schlicht nicht, wer an einem Atomkrieg schuldig gewesen wäre – ob Iran oder Israel beispielsweise – und wer sich lediglich verteidigt hätte. Hier interessiert ausschließlich, einen solchen Krieg zu verhindern.

  48. avatar

    EJ: Hat es je eine deutsche Expedition in Richtung Nordpol oder in Richtung Afrika gegeben, um diesen absolut diskriminierenden Exklusivitätsanspruch zu eliminieren? Wurde dergleichen evtl. für “nach dem Endsieg” geplant? Oder können Sie sich, umgekehrt, einen Reim darauf machen, warum das keinen Hitler und keinen Himmler je interessiert hat?

    … EJ, wie wunderbar Sie den Sozialismus ‚herausgearbeitet‘ haben … sozialistische Planwirtschaft sozuschreiben. Nix funktioniert.

    Wären A.H. und seine Genossen keine Genossen, hätten sie den ‚Exklusivitätsanspruch‘ einfach in Hamburg oder Dresden, beispielsweise, wohnen lassen. Oder? Ob ’s den Harris interessiert hätte?

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    @ Stafanovic

    Worauf ich hinaus will? Gute Frage? Auf mehr und anderes als Philo- und Antisemitismus, die Sie – als ultima ratio und trotz allem wahrscheinlich zu Recht – schon in der ersten Zeile nennen? – Ich habe den Thread aus Zeitgründen nicht sukzessive, sondern in größeren Blöcken gelesen. Unheuer, was auf Israel projiziert wird!

    (Die Schaubühne als eine moralische Anstalt? Quark! Schiller würde heute Israel zur moralischen Anstalt, und zur moralischen Anstalt schlechthin erklären. Jedermann exerziert da sein hochdramatisch hochmoralisches Welttheater durch. Und die Israelis – allesamt Schauspieler, Masken-Menschen, Puppen-Menschen offenbar – haben, ob sie wollen oder nicht, dabei mitzuspielen. Basta!)

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