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Linke Antisemiten: Zur „Kritischen Theorie des Zionismus“

Obwohl Linke nach eigenem Selbstverständnis Antirassisten und Internationalisten sind, also „gar nicht antisemitisch sein können“, gab es innerhalb der Linken immer schon eine starke antisemitische Strömung.

Die Traditionslinie reicht von Karl Marx, der den Wucher als Wesen des Judentums ausmachte und die kapitalistische Gesellschaft darum als „jüdisch“ bezeichnete – eine nicht sehr originelle Idee, die er von Martin Luther geklaut hatte – über die 68er, deren antisemitisch-antizionistische Verstrickungen etwa Götz Aly und Wolfgang Kraushaar bloßgelegt haben, bis hin zu Teilen der Linkspartei, der Grünen und der SPD in unseren Tagen.

Besonders Henryk Broder hat – beginnend mit seiner Kampfschrift gegen „Linke Tabus“ schon 1976 – den Antisemitismus der so genannten „Neuen Linken“ immer wieder angegriffen und gezeigt, dass der Antizionismus eine – vielleicht die gegenwärtig bedrohlichste – Form des Antisemitismus darstellt. Auch dafür hat ihm die Deutsch-Israelische Gesellschaft 2011 mit ihrem „Ehrenpreis“ ausgezeichnet; was in meinen Augen die DIG – deren Ortsgruppen oft eher ein betulicher Honoratiorenverein sind als ein aktiver Anwalt Israels in Deutschland – sehr aufgewertet hat.

Umso erstaunter war ich, als ich auf der Internetseite der Hochschulgruppe der DIG in Rostock die Ankündigung eines Schulungsseminars entdeckte, bei dem es um die Aneignung einer „kritischen Theorie des Zionismus“ geht; also um die Kritik des Zionismus:

 

http://dighochschulgruppe.wordpress.com/2013/05/21/kritik-des-antisemitismus-kritische-theorie-des-zionismus/

 

Wer sich durch das Elaborat quält, stellt fest, dass es sich um eine Zusammenfassung der Theorie der „Antideutschen“ (mit denen ich mich gelegentlich auch hier befasst habe, so etwa im Beitrag „Bahamas goes Bananas“) zu Israel handelt. Die Antideutschen haben nicht nur einige Orts- und Hochschulgruppen der DIG gekapert und zu Schulungs- und Agitationsplattformen umfunktioniert; sie beziehen sich zuweilen auch auf den DIG-Preisträger Henryk Broder, völlig zu Unrecht; denn obwohl sich die Sekte dezidiert, ja geradezu martialisch pro-israelisch gibt, stellt sie in Wirklichkeit nur eine neue Verkleidung jenes „beständigen Gefühls“ (Broder) dar: eine neue Ausprägung des Antizionismus, also des Antisemitismus. Schauen wir, wie Stephan Grigat seine „kritische Theorie des Zionismus ableitet“:

 

„Soll der Antisemitismus nicht als ein bloßes Vorurteil verharmlost werden, sondern im ideologiekritischen Sinne als wahnhafte Projektion dechiffriert werden, so gilt es, sich den Begriff der „antisemitischen Gesellschaft“ zu vergegenwärtigen, der von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer entwickelt wurde. Was sind die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen die beschädigten Subjekte sich immer wieder für das Ausagieren des antisemitischen Hasses entscheiden? Und inwiefern kann angesichts eines fremdbestimmten gesellschaftlichen Daseins überhaupt von einer freien Entscheidung gesprochen werden?“

 

Das ist der Kern der antideutschen Ideologie: Im Verblendungszusammenhang kann der einzelne nichts für seinen Antisemitismus, für den er sich ja nicht frei entscheiden kann. Er ist nicht ein „Ressentiment“, wie Broder das beschrieb, sondern nur ein Symptom. Die Gesellschaft ist schuld, die Subjekte sind „beschädigt“. Erst andere „gesellschaftliche Bedingungen“, also eine andere Gesellschaft, würde keinen Antisemitismus mehr hervorbringen.

Eine nicht sehr originelle Idee, der alle Linke huldigen: Um das „falsche Bewusstsein“ aufzuheben – Religion, Nationalismus, Egoismus, Misogynie, you name it – muss die Gesellschaft „aufgehoben“ werden.

In der Praxis bedeutet das: die Antideutschen müssen überall „Antisemiten“ entdecken, um zu beweisen, dass es sich in Deutschland tatsächlich um eine „antisemitische Gesellschaft“ im Sinne ihrer Hausheiligen Adorno und Horkheimer handelt. Da ganz gewöhnliche Antisemiten ein wenig rar geworden sind, obwohl nicht so rar, wie manche meinen, verfielen die Antideutschen vor etwa zehn Jahren auf den Clou, den Antizionismus anzugreifen. Ihr Prozionismus ist also nur eine Verkleidung; es geht ihnen eigentlich und immer nur darum, das Vorhandensein der „antisemitischen Gesellschaft“ und damit die Notwendigkeit einer Fundamentalrevolution nachzuweisen.

 

Doch damit kommen die Antideutschen wiederum in theoretische Schwierigkeiten.

 

„Der Zionismus ist die unmittelbare Antwort sowohl auf den europäischen als auch auf den arabischen und islamischen Antisemitismus. In ihm existiert zwangsläufig ein Spannungsverhältnis zwischen universalistischem Emanzipationsanspruch und notwendigerweise partikularer Organisation in Form eines Nationalstaates. Wie ist der Zionismus als nationale Befreiungsbewegung der Juden und Jüdinnen vor dem Hintergrund einer kritischen Theorie der Gesellschaft zu begreifen?“

 

Nun, „vor dem Hintergrund“ der Kritischen Theorie ist der Zionismus gar nicht zu begreifen. Er ist eben nicht die „unmittelbare Antwort“ auf den europäischen (und schon gar nicht auf den „arabischen und islamischen“) Antisemitismus, und er ist auch keine „nationale Befreiungsbewegung“.

Der Zionismus hat eine lange Geschichte, die Jahrhunderte zurückreicht. Immer wieder sind Juden – aus religiöser Sehnsucht heraus – nach Zion aufgebrochen. Jerusalem war unter den Osmanen eine Stadt, deren Bevölkerung mehrheitlich jüdisch war. Der moderne Zionismus Theodor Herzls war viel mehr als eine Antwort auf den Antisemitismus. Er war eine Kritik an der Daseinsform des Diaspora-Juden. Erst die Bildung eines „Judenstaats“ würde die Selbstemanzipation der Juden von dieser Diaspora-Existenz ermöglichen.

Übrigens hatte Herzl die Situation der Juden in den arabischen Ländern gar nicht im Blick; und er hätte wohl kaum vorgeschlagen, dass jener Judenstaat unter den Auspizien des türkischen Sultans und des Kalifats errichtet wird, wenn er wegen des islamischen Antisemitismus besorgt gewesen wäre.

Der Zionismus ist also weit mehr als eine Antwort auf den Antisemitismus. Weit mehr als eine Notmaßnahme. Er ist das Programm der Schaffung eines neuen jüdischen Menschen. Und was die Bezeichnung als „nationale Befreiungsbewegung“ angeht: Die Unterstellung, die Juden in der Diaspora seien eine eigene Nation, die etwas anderes sei als das „Wirtsvolk“, ist ein bevorzugtes Argument der Antisemiten aller Länder, die damit die Loyalität der jüdischen Staatsbürger in Frage stellen.

Entscheidend ist aber die Kritik der Antideutschen, im Zionismus existiere ein „Spannungsverhältnis zwischen universalistischem Emanzipationsanspruch und partikularer Organisation in Form eines Nationalstaates (sic)“.   Quatsch. In der Kritischen Theorie existiert dieses „Spannungsverhältnis“, sprich: Widerspruch.  In der Kritischen Theorie wäre es am besten, die Gesellschaft wäre derart „universalistisch emanzipiert“, dass es weder Antisemiten noch Zionisten gebe. Im Zionismus exisitiert dieser Widerspruch nicht. Im Zionismus ist die nationale Organisation, die Konstituierung zum Staat vielmehr Voraussetzung der Emanzipation. Wer das nicht kapiert, begreift den Staat Israel nicht und kann schlechterdings das Anliegen dieses Staats in Deutschland nicht vermitteln.

 

Das haben die Antideutschen auch nicht vor. Nach dem Mittagessen geht es auf der Schulungssitzung wie folgt weiter:

 

„Der kategorische Imperativ nach Auschwitz. Über die Geschichte des Zionismus und die aktuelle Bedrohung Israels. Adorno formulierte einen neuen kategorischen Imperativ: alles Handeln und Denken im Stande der Unfreiheit so einzurichten, dass Auschwitz sich nicht wiederholen kann. Der Zionismus hat versucht, diesem Imperativ auf seine Weise gerecht zu werden, indem sich die israelische Armee konsequent gegen jeden Vernichtungsversuch zur Wehr setzte und setzt – mitunter präventiv und aggressiv. Was waren dabei die entscheidenden Situationen in der israelischen Geschichte von der Staatsgründung bis zur gegenwärtigen Konfrontation mit dem iranischen Regime? Was ändert sich durch den arabischen „Frühling“ für Israel? Und wie ist die globale Delegitimierungskampagne gegen Israel einzuschätzen?“

Adorno wieder. „Im Stande der Unfreiheit“, also in der noch unerlösten Gesellschaft, müsse man vor allem eine Wiederholung von Auschwitz verhindern. Und zwar müsse „alles Handeln und Denken“ diesem Ziel dienen. Adorno meinte damit, wenn wir ihn einmal ernst nehmen wollen, dass der demokratische Rechtsstaat verteidigt werden müsse, sozusagen als zweitbeste Lösung gegenüber der umfassenden Erlösung des Menschen aus jeder Unterdrückung. Die Antideutschen aber weigern sich, die Bundesrepublik als demokratischen Rechtsstaat und darum als verteidigungswürdig anzuerkennen. Für sie besteht die Umsetzung des Adorno’schen Imperativs in der unablässigen Schnüffelei nach Belegen für die Existenz der „antisemitischen Gesellschaft“. Dabei bedienen sie sich einer zirkularen Logik. Weil die deutsche Gesellschaft antisemitisch ist, muss es Israel geben. Dass es Israel gibt, belegt den antisemitischen Charakter der deutschen Gesellschaft.

Typisch ist überdies, dass sich die Antideutschen für die konkreten Ergebnisse des Zionismus, für das real existierende Israel auch gar nicht interessieren. Nichts findet man bei ihnen etwa über die Kibbuzim, das einzige freiwillige kommunistische Experiment der neueren Geschichte; denn es kann ja laut Adorno „kein richtiges leben im Falschen“ geben, und das „partikularistische“ Israel ist ja letztlich Teil des Falschen. Nichts findet man bei ihnen über die Umwandlung des Staats und der Gesellschaft unter den Likud-Regierungen und besonders unter der Ägide von Binjamin Netanjahu von einer Kommandowirtschaft mit starken sozialistischen Elementen zu einer kapitalistischen Markt- und Konsumwirtschaft; denn das wäre ja nach Adorno ein Zurückfallen in der Entwicklung, kein Fortschritt. Weder findet man dort etwas über die Entwicklung Israels zu einer multikulturellen und hedonistischen Gesellschaft noch zu den Konflikten innerhalb der Gesellschaft zwischen europäischen und orientalischen Juden, religiösen und säkularen Juden, arabischen und jüdischen Israelis  usw. usf.; kurzum nichts über das, was Israel heute ausmacht und die heutigen Israelis interessiert und sicher sehr viele Deutsche interessieren würde und jedenfalls interessieren sollte.

Stattdessen wird die ganze Geschichte des Staates Israel reduziert auf die Erfüllung von Adornos „kategorischem Imperativ“, bei dessen Vollzug Israels Armee „mitunter präventiv und aggressiv“ vorgehe. Dass es zwischen Prävention (1967 etwa der Schlag gegen die ägyptische Luftwaffe, 1980 die Zerstörung des irakischen Atomreaktors bei Osirak, 2007 des syrischen Atomreaktors) und Aggression einen Wesensunterschied gibt, wird durch das „und“ unterschlagen. So wird die  angebliche„Aggressivität“ der israelischen Armee zum Bestandteil einer Schulung unter dem Deckmantel der DIG. Sich da unschuldig zu fragen, was „die globale Delegitimierungskampagne gegen Israel“ zu bedeuten habe, zeugt von, sagen wir: Chuzpe.

 

„Die antideutsche Kritik solidarisiert sich mit Israel aus der Erkenntnis, dass die Welt, so wie sie heute eingerichtet ist, den Antisemitismus immer aufs Neue hervorbringt.“ So brachte Stephan Grigat schon vor Jahren das Bekenntnis der Antideutschen auf den Begriff. Die Welt muss also „anders eingerichtet“ werden, darunter tun diese Linksradikalen es nicht, und nur darum geht es diesen Leuten, nicht um Israel. Ich habe eine Weile gedacht, die Antideutschen stellten gegenüber dem dumpfen Antiimperialismus der traditionellen Linken, die regelmäßig Israel als „aggressiv“ brandmarkt, einen gewissen Fortschritt dar; mittlerweile sehe ich das anders. Es sind falsche Freunde Israels, die unter dem Deckmantel der Israelsolidarität eine perfide, dogmatische Ideologie propagieren, die Israel, ein bewundernswertes Land, und die Israelis, ein liebenswertes Volk, auf eine imaginierte Rolle als  Exekutoren eines „kategorischen Imperativs“ des Heiligen Theodor reduzieren. Die Antideutschen schaden Israel, sie schaden der deutsch-israelischen Freundschaft, und sie stellen damit, auch wenn sie – wie alle Antisemiten – behaupten, nur Israels Bestes zu wollen, objektiv nur eine besonders skurrile Spielart des linken Antizionismus dar.

 

 

Zum Nachlesen:

https://starke-meinungen.de/blog/2012/08/07/bahamas-goes-bananas/

 

http://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article116823078/Falsche-Israelfreunde.html

 

http://freie.welt.de/2012/09/03/der-adorno-preis-und-die-wirrungen-der-dialektik/

 

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212 Gedanken zu “Linke Antisemiten: Zur „Kritischen Theorie des Zionismus“;”

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    @ Martin Blumentritt

    Staaten sind eine Frage der Gewalt. Immer und überall. Was sie mit Kant versuchen, ist israelische Staatsgewalt zu legitimieren. Es ist ein moralisches Konstrukt, das die Faktenlage schmackhafter machen soll: Die Araber in diesem Gebiet haben keinen Staat und haben auch keinen verdient, weil ihre Führung aus korrupten Hohlköpfen besteht. Von korrupten Hohlköpfen geführt werden hatte schon zu allen Zeiten seinen Preis. Wären die Führer keine Hohlköpfe, würde sich die Frage ob für oder gegen Israel so gar nicht stellen. Hohlkopf + keine Macht = kein Recht auf Staat. Das ist die normative Kraft des Faktischen. Und diese nutzen die Siedler für weitere Siedlungen aus, mit Unterstützung der israelischen Regierung. Die jüdischen Siedler sind in der Westbank auf über 300.000 angewachsen. Das macht eine „Rückgabe“ oder eine „Grenze von 67“ so lächerlich wie das „Rückkehrrecht“. Gab es nicht bei Adorno was zu Quantität und Qualität? Die Siedler siedeln, weil sie es können und die Araber haben keinen Staat, weil sie Staat nicht können. Wenn also eine arabische Familie zu leiden hat, dann sollten wir uns nicht hinter Relativierungen (hey, ihr habt die beste Besatzung der Welt! Gaudete!) und Konstrukten (Adorno findet Straßensperren für 20.000 Araber um 5 Siedler zu schützen dialektisch irgendwie gut) verstecken: Sie leiden, weil es gut ist für die, die wir mehr mögen. Kurz: Pech gehabt. Jetzt könnten wir noch im Bauchnabel puhlen, warum wir die einen mehr mögen als die anderen. Sie haben Adorno, ich habe Psytrance, Posener seine Familie. An der Stelle: bitte Ideologiekritik. Aber alle Diskussionen ob Araber nun Palästinenser sind, wie Kants Staat aussehen könnte oder ob es schlimmeres als eine israelische Besatzung gibt, laufen auf das gleiche hinaus: Der Araber, der in Hebron geboren wurde, zur Schule ging, eine Familie auf dem Landbesitz seines Vaters gründen wollte, hat Pech gehabt, wenn neben ihm Siedler einen Container aufstellen. Und uns ist es scheißegal. Ihnen nicht?

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    @derblondehans: „was ist denn deutsche Ideologie? … nie gehört/gelesen.“
    Alle Bildungslücken kann ich hier nicht schließen, aber schon Marx und Engels schrieben eine an einer bestimmten am Junghegelianismus sich festmachende Kritik der Deutschen Ideologie, im Bezugsrahmen des 19.Jh., Adorno ebenso den Jargon der Eigentlichkeit. Zur Deutschen Ideologie. Dies bezieht sich dann auf das 20.Jh. und nimmt viel vom 21. vorweg.
    Nach 1945 hieß es mal so schön: Es sind genug Bomben gefallen, wer immer noch lebt, hat selber schuld. Der Bombenkrieg – damals eine junge Erscheinung – der bei den britischen Bomberbesatzungen viele Leben kostete war eines der legitimen Mittel des Sieges über das Deutsche Unrechtsregime. Das Bomber Command zu ehren, ist bei der Queen wohl selbstverständlich. Ein Ausdruck höchster Moralität wäre es, wenn es in Deutschland geschähe. Wenn Arthur Harris – sagen wir in Dresden – ein Denkmal bekäme oder zumindestens die Deutschen dagegen keine Einwände dagegen hätten, dann könnte man sagen, daß sie von einem guten Stück Irrsinn befreit wären.

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    @ Roland Ziegler
    Ist auch noch zu groß:
    „Vielleicht können wir uns ja darauf einigen: Der Holocaust begründet für jeden Menschen gleichermaßen die Verantwortung, darauf zu achten, dass sich so etwas Schreckliches in der Zukunft nicht wiederholt.“

    Oder auch nicht, aber ich würde es gern aus meiner Sicht spezifizieren:

    Ich meine festgestellt zu haben, dass es hilft, den ganz normalen Menschen verbunden zu bleiben, egal wer sie sind, denen, die arbeiten, aber auch denen, die keine Arbeit haben, der Jugend und vor allem auch denen, die auf der Straße ihr Augenlicht riskieren oder ihr Leben. Misstrauen gegenüber Salafisten ist durchaus angebracht, aber nicht generalisiertes Misstrauen gegenüber Muslimen. Die Mächte dagegen haben aus dem Auge verloren, dass sie auch auf Vertrauen angewiesen sind. Diesen gegenüber ist inzwischen gesteigertes Misstrauen eher zeitgemäß. Außerdem ist Misstrauen gegenüber einer Struktur in uns selbst angebracht: Dem Unterbewusstsein, das sich von außen steuern lässt. Wir müssten also alles, das wir meinen zu wissen, in Frage stellen und viele Male von allen Seiten neu beleuchten und uns darüber im Klaren sein, dass wir gefiltertes Wissen bekommen und müssen letztlich lernen, Fakten von Glauben und Ideologie zu unterscheiden, was schwer ist aufgrund der Informationsfülle. Nur, wenn man normalen Menschen aller Art verbunden sein kann oder sich darum zumindest bemüht, kann man für sich verhindern, dass man teilnimmt, wenn eine Gruppe selektioniert wird. Es hilft zweifellos auch, vorsichtig Missstände zu kritisieren, in der Hoffnung, dass vielleicht nur wenige das sinnvoll finden, diese aber mehr werden. Aber es hilft keineswegs – wie wir gesehen haben -, eine ganze Gruppe an den Pranger zu stellen, indem man ihren Propheten als Rakete darstellt. Ich glaube, das würde auch heute kaum noch jemand tun. Es würgt nur das Gespräch ab.
    Außerdem hilft es extrem, nicht bekannt oder berühmt werden zu wollen, also nicht zu schreiben, um damit bei einer Zeitung zu landen, sondern nur, um ein Sandkorn umzudrehen. Kleiner Anspruch, davon viele. Die VIP’s und ihre Worthülsen ignorieren.
    Wegen dieser manchmal wertvollen Sandkörner lese ich ganz gern interessantere Kommentarbereiche.

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    @Ronald Ziegler: „“Gegenrationalität” gibt es nicht. Das Dritte Reich war kein Ergebnis falschen Denkens, sondern einer fatalen Moral, die das Denken im Gegenteil herabstufte und das blinde Handeln feierte.“
    Antisemitismus – das konträre Gegenteil davon Rassismus auch – ist eine bestimmte Denkform, die bereits die Konstitution ihres Gegenstandes bestimmt. Jede Praxis, weil sie zweckgerichtete Tätigkeit ist, ist Ausdruck von Rationalität – wenn auch manchmal Vernunft in unvernünftiger Form – das gilt auch für eine kollektive Praxis, in der aus vielen europäischen, asiatischen und afrikanischen Ländern Menschen aufgegriffen, transportiert und in Konzentrationslager und in der Regel vernichtet wurden oder vor Ort – oft bestialisch – umgebracht wurden. Nun ist der Antisemitismus notwendige Bedingung und nicht zureichender Grund der Massenvernichtung der Juden und anderen Gruppen, sondern es kommt das Moment der Euthanasie, Vernichtung lebensunwerten Lebens hinzu, die sich nicht zureichend aus Wissenschaft und /oder Ideologie herleiten läßt, weil aufgrund der antisemitischen Weltanschauung die Umstände und Folgen der gesellschaftlichen Praxis hergestellt wurden, in denen beide Momente nationalsozialistischer Weltanschauung zu einer unheilvollen Praxis der Vernichtung synthetisiert wurden. Von Gegenrationalität oder Zivilisationsbruch ist nicht nur in der Hinsicht die Rede, daß – obwohl man die Opfer auch ausplünderte – die Praxis der Vernichtung auch wider alle ökonomische Rationalität erfolgte.
    Auch rationale Handlungen der prospektiven Opfer waren aussichtslos angesichts der Ausrottungspraxis, die Menschen konnten tun was sie wollten oder das Gegenteil, sie wurden vernichtet. Der Betreuer der Arbeit von Raul Hilberg, der einen Teil der NS-Praxis untersuchte, waren die Teile der Arbeit, die zeigen, wie sehr die Opfer in eine gegenrationale Praxis eingebunden wurden, sogar unerträglich und er bat sie herauszunehmen. Daß eine grundlose Vernichtung von Menschen möglich ist, das wollte so mancher gar nicht begreifen, dies ist ein universeller Zivilisationsbruch, der die ganze Welt betrifft, natürlich auch die praktisch-moralischen und -rechtlichen Standards der Menschheit tangiert. Kein mit westlicher Vernunft ausgestatteter Mensch konnte sich vor diesem Zivilisationsbruch auch nur näherungsweise vorstellen, daß er möglich ist. Daher wird auch jede affirmative Geschichtsphilosophie damit außer Kraft gesetzt, dies ist ein welthistorischer „Wendepunkt der Geschichte“(Adorno/Horkheimer) – in diesem Kontext wird auch von „antisemitischer Gesellschaft“ gesprochen, die einer „Umwendung“ bedarf, so daß in ihr überhaupt davon gesprochen werden kann, daß der Jude ein Mensch ist. In der nationalsozialistischen Weltanschauung ist der Jude so wenig Mensch wie in der islamistischen und damit sind alle zivilisatorischen Standards außer Kraft gesetzt. Die Juden sind in einer solchen antisemitischen Gesellschaft nicht bloß „böse Menschen“, sondern wurden so behandelt wie Tiere, also untermenschliche species. Der Antisemit verfolgt niemanden, weil er etwas Böses getan hätte, er verfolgt ihn auch, täte er das Gegenteil, er verfolgt auch, wenn jemand ihm nützlich sein könnte. Und er ist stolz darauf beim Auftürmen von Leichenbergen „anständig“ (Himmler) geblieben zu sein.
    Im Brief an Gemlich sprach Hitler daher auch von „Antisemitismus der Vernunft“, der den des „Gefühls“ ersetzt.
    http://www.welt.de/kultur/hist.....aucht.html
    Genau diese Gegenrationalität ist es, von der die Forschung spricht. Ernst Bloch sprach mal davon, daß der Mensch nicht dicht sei, in diesem Sinne ist es ja ein Lob, wenn jemand nicht ganz dicht ist, nämlich offen dafür einen Gedanken aufzunehmen, nicht lernresistent. Metaphern machen sprachlich ja oft den innovativen Charakter von Wissenschaft aus, so daß schon Aristoteles über Leute, die Metaphern wie Gift und Gegengift, durch ihre literale Bedeutung ersetzen, in Verfehlung ihres analogischen Charakters.

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    Vielleicht können wir uns ja darauf einigen: Der Holocaust begründet für jeden Menschen gleichermaßen die Verantwortung, darauf zu achten, dass sich so etwas Schreckliches in der Zukunft nicht wiederholt.

    Das würde ich unterschreiben. Der Satz sieht aber schon wesentlich angenehmer aus – viel weniger umfassend, großkotzig, abstrakt, gebieterisch – als der von Adorno u. Co.

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    Potentiell, sagen, Sie, nicht aktuell, müsse jeder Gedanke den Test von Adorno bestehen. Was soll das heißen? Wir prüfen de facto nicht, aber WENN wir prüfen würden, dann sollte jeder Denkende hoffen, den Test zu bestehen und nicht in Richtung Holocaust gedacht zu haben? Welchem Holocasut – dem echten der Vergangenheit, an dem nichts zu ändern ist, oder einem imaginären Holocaust in der Zukunft? Wird man so – durch potentiell falsches Denken – an einem Verbechen schuldig, das in der Zukunft erst noch stattfindet? –

    Nein, niemand ist an einem Verbrechen schuldig, das noch gar nicht stattgefunden hat. Er setzt sich allenfalls dem Vorwurf der Verantwortungslosigkeit aus.

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    Martin Blumentritt: Und das ist ja noch nicht alles, wenn man bedenkt, daß über alle Befehle und äußerst kreativ nicht nur lustlos gemordet wurde, sondern mit Vergnügen und stolz die Photographien Frauen und Kindern von der Front geschickt wurden. Deutsche Ideologie war zu allerlei gut. Grund genug, Kritiker der Deutschen Ideologie – und für was sonst hält man “Antideutsche” – mindestes für notwendig – wenn auch nicht für hinreichend, was diese selber gut wissen – zu halten.

    … was ist denn deutsche Ideologie? … nie gehört/gelesen.

    Übrigens war es mein Onkel, der im Alter von 6 Jahren mittels einer englischen Phosphorbombe auf die Größe von etwa 50 cm geschrumpft ‚wurde‘ und dies nicht überlebt hat. In dem Haus, in dem mein Onkel wohnte, befanden sich weder Soldaten, die waren – unfreiwillig – an der Front und es wurde im Haus, eine normales Wohnhaus, auch keine Kriegsproduktion betrieben. Das hat den Bewohnern nix genutzt. Alle tot. Selber schuld?

    … nun hat die Queen London ein Denkmal zu Ehren der britischen Bomberflotte geweiht. Was für ein ‚Stolz‘ hat die Queen und die britische Armee? Von Ehre möchte ich nicht schreiben.

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    Mich überrascht aber, dass Sie sich entgegen Ihrer Ankündigung doch noch vom Hochsitz herabbequemt haben, um sich mit unseren überflüssigen Kommentaren auseinanderzusetzen?

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    …bzw. die Gedanken sollten schon überprüft werden, ja. Aber nicht hinsichtlich ihrer Holocausttauglichkeit, sondern hinsichtlich ihrer Wahrheitn. Wir wollen normalerweise nicht wissen, ob ein Gedanke zum Holocaust führt, sondern ob er wahr oder falsch ist. (Im Satz wird ein Sachverhalt probehalber zusammengestellt, heißt es bei Wittgenstein.)

    Führt der Gedanke: „Es gibt Abendrot; morgen ist bestimmt gutes Wetter!“ zum Holocaust? Eine absurde Frage. An solchen einfachen Gedanken aber muss sich jede Theorie mit fundamentalem Anspruch bewähren. Wenn hier eine Absurdität entsteht, ist etwas grundsätzlich verkehrt.

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    @Martin Blumentritt: hier ging es ja zunächst um den Imperativ dieser DIG-Gruppe. Der wurde etwas anders formuliert. Ich bin wie gesagt äußerst skeptisch gegenüber Imperativen aller Art. Das aktuelle „Denken und Handeln“ der gesellschaftlichen Mehrheit hat hierzulande dazu geführt, dass liberaldemokratische Verhältnisse eingekehrt sind, unter denen der Holocaust sich nicht wiederholen kann. Womit sich der Imperativ erledigt hat.

    Mein Kopf mag hohl sein, aber er ist halbwegs dicht. Mein Denken ist kein Gift und bedarf auch keines Gegengifts, das von besonders gut gefüllten Köpfen gewonnen und in den undichten Kopf injiziert wird.
    Das Denken ist eine lobens- und schützenswerte Praxis. „Gegenrationalität“ gibt es nicht. Das Dritte Reich war kein Ergebnis falschen Denkens, sondern einer fatalen Moral, die das Denken im Gegenteil herabstufte und das blinde Handeln feierte. Im Dritten Reich fehlte das Denken. Das Dritte Reich war keine rationale Angelegenheit; es kam über primitive Zweckrationalität nicht hinaus und war irrational-„moralistisch“ (durch die ebenso unsinnige wie zentrale Unterscheidung in „schlechte Menschen“, die man glaubte vernichten zu müssen, und „gute Menschen“.)

    Dementsprechend widerspreche ich, dass jeder Gedanke überprüft werden kann oder sogar müsste. Das wäre eine Anmaßung, eine Gedankenkontrolle. Die Gedanken sind im Gegenteil frei, wie es so schön heißt. Gedanken sind Möglichkeiten, aus denenen andere Möglichkeiten und manchmal auch Wirklichkeiten entstehen können (aber nicht müssen). Irgendein Weg findet sich im Gewirr der exponential ansteigenden Möglichkeiten immer, der nach Auschwitz führen würde. Wenn man ihn beschreiten würde. So ist eben das Risiko des Denkens und Lebens, das sich mit keinem Imperativ abschneiden lässt. Solange aus diesen Möglichkeiten nicht schrittweise Wirklichkeit wird, dürfen Sie sich entspannen.

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    ad Roland Ziegler:
    Der neue kategorische Imperativ heißt im Wortlaut anders, als hier verfälschend zitiert wird:
    „Hitler hat den Menschen im Stande ihrer Unfreiheit einen neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen: ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe. Dieser Imperativ ist so widerspenstig gegen seine Begründung wie einst die Gegebenheit des Kantischen. Ihn diskursiv zu behandeln, wäre Frevel: an ihm läßt leibhaft das Moment des Hinzutretenden am Sittlichen sich fühlen. Leibhaft, weil es der praktisch gewordene Abscheu vor dem unerträglichen physischen Schmerz ist, dem die Individuen ausgesetzt sind, auch nachdem Individualität, als geistige Reflexionsform, zu verschwinden sich anschickt.“

    Ihn Analogie zu Kant transzendetaler Apperzeption kann man sagen, daß es um ein „Ich Denke Auschwitz, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“. Wie bei Kant, nicht ständig gedacht werden muß, daß ich denke, so kann bei Adorno ebensowenig die Rede sein davon, daß man ständig an Auschwitz bzw. dessen Verhinderung denken solle.

    @Roland Ziegler:“Was ist denn das für ein neuer kategorischer Imperativ? Herr Posener hat diesen Punkt zurecht hervorgehoben: “Alles Denken und Handeln” soll man auf etwas ausrichten. Nein, ich zumindest werde nie all mein Denken und Handeln auf irgendetwas ausrichten. Man soll es auf eine Verhinderung der Wiederholung des Holocaust ausrichten. Nun ist die Wiederholung des Holocaust zumindest hier in Deutschland so unwahrscheinlich wie eine Invasion der Außerirdischen. Auf so etwas soll ich all mein Denken und Handeln ausrichten? Was für ein Quark.“
    Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt wohl, muß es – da stimme ich Schopenhauer zu – nicht am Buch liegen.
    Der neue kategorische Imperativ hat die „Dialektik der Aufklärung“, eine Schrift, die aus der Perspektive des Unheils, in dem das abendländische Denken (und Handeln) mündete, als Hintergrund. Wenn nun das Denken nicht einfach mit dem falschen Schluß enden soll:
    „Totalitäre Herrschaft, die ihre ultima ratio in Auschwitz hatte, soll nicht sein.
    Das Denken mündete in totalitärer Herrschaft.
    Also soll Denken nicht sein.“
    Dann bedarf es auch für das Denken ein Gegengift, daß es vor dem Umschlag in Gegenrationalität bewahrt. Und nichts anderes ist im Grunde mit allen Auschwitz-Sätzen Adornos intendiert und formuliert.
    Potentiell – nicht aktuell, wohingehend es verdreht wird – muß jedes Denken, jeder Gedanke, überprüfbar sein in Hinsicht, ob er nicht die Voraussetzung von Auschwitz oder ähnlichem sein könnte. Empirisch ließe es sich leicht feststellen, indem man bedenkt, wieviele Bücher über Musik, Philosophiegeschichte Adorno schrieb und kaum etwas über Auschwitz im Vergleich.
    Natürlich bestünde auch jedes dieser Bücher den potentiellen Test, ob es auf eine erneute Massenvernichtung hinausliefe.
    Auch die zum Opfer erkorenen Überlebenden bedürfen im Übrigen „der Kälte als Grundprinzip bürgerlicher Subjektivität, ohne das Auschwitz nicht möglich gewesen wäre“.(Adorno) Und das ist ja noch nicht alles, wenn man bedenkt, daß über alle Befehle und äußerst kreativ nicht nur lustlos gemordet wurde, sondern mit Vergnügen und stolz die Photographien Frauen und Kindern von der Front geschickt wurden. Deutsche Ideologie war zu allerlei gut. Grund genug, Kritiker der Deutschen Ideologie – und für was sonst hält man „Antideutsche“ – mindestes für notwendig – wenn auch nicht für hinreichend, was diese selber gut wissen – zu halten.

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    @Edmund Jestadt
    „Jungs, Jungs! Stehen die paar Quadratkilometer Landnahme, wenn es – im schlimmsten Falle – eine ist, in irgendeinem Verhältnis zu den infantil-neurotischen Heils- und Unheils-Projektionen, mit denen der Frosch Israel von Freund und Feind zum weltpolitisch “entscheidenden” Elefanten aufgeblasen wird? Gruselig! – Man kann Israel zur Atombombe nur beglückwünschen!“
    Meine Güte – JA! (EJ? Geoutet?)

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    Aus Bergers drittem link, Marx haarsträubend:

    „Die haarsträubende Bemerkungen von Karl Marx zu Juden als Kapitalisten, die konträren Thesen Werner Sombarts, Georg Simmels und Max Webers werden gestreift, die absurde Gleichsetzung vom Juden als Kapitalisten und Kommunisten. Zuletzt steht man, trotz allem Vorwissen entsetzt, vor den Bildern des Massenmords, der unter dem aberwitzigen Motto „wie du mir, so ich dir“ noch die Toten ihrer letzten Wertgegenstände beraubte.“

    Und apropos Shylock:
    Er kommt immer wieder. Der Hauptprotagonist in „Eyes wide shut“, Gegen- und Mitspieler von Cruise, Victor Ziegler, wird von einem Juden gespielt. Das Long Island House, wo sich die Orgie abspielt, die Fassade zumindest, ist Mentmore Castle, ein Rothschild-Mansion in Buckinghamshire.
    In Sherlock Holmes gibt es auch Andeutungen. Das Unterbewusstsein wird beständig mit den Shylocks konfrontiert.
    Aber: Die FED erscheint heute als schlechte Idee. Die FED wird hundert. Fast hundert Jahre hat dieses System so funktioniert, dass mehr Menschen davon profitierten als darunter litten. Das wird vergessen.
    Im Internet kursieren klassische alte Shylock-Sachen auf englisch. Wer bringt die in Umlauf? Es gibt jedenfalls zahlreiche Beispiele dafür, dass man, wenn es nicht mehr lief, in diversen Ländern, nicht nur in Deutschland, den Shylock aus dem Hut gezaubert hat. Schließlich braucht man einen Sündenbock.

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    @Stevanovic: „Israel würde nur dann Sinn machen, wenn der Antisemitismus überall präsent und mörderisch wäre.“
    Israel existiert und bedarf auch nicht der Legitimation dadurch, daß man es eliminiert, um zu beweisen, daß es Sinn macht, daß es dann doch existieren sollte, wenn man die mörderische Gewalt dann präsentiert. Ein solcher Versuch wäre ein unsittliches Angebot.
    Darauf läuft ja das „Argument“ wohl doch hinaus.
    @Stevanovic:“Wenn es um den Schutz der eigenen Nation geht, ist Israel praktischer als ein Staat in den USA oder Europa – mehr jedoch nicht. Wäre es mehr, dann hätte Ahmadinedschad wieder Recht, Israel als Belohnung oder Entschädigung für den Holocaust. Dann könnte es ja durchaus langsam auch mal gut sein.“
    Ausgehend davon, daß es ein Faktum ist, daß Israel vermittelt ist über das Gründungsverbrechen der Bundesrepublik Deutschland: Auschwitz -, was nicht heißt, daß es im Prinzip auch ohne die Massenvernichtung an den europäischen Juden formell möglich ist – das ein welthistorisches nicht bloß nationelles Ereignis war, stellt sich die Frage gar nicht, sofern Israel existiert. Und die Frage nach einem Existenz Recht ist genauso absurd wie wenn man bei allen seinen Nachbarn fragen würde, ob sie ihr Recht zu existieren doch bittesehr begründen könnten.
    Kant begründete die „Hospitalität (Wirtbarkeit) das Recht eines Fremdlings, seiner Ankunft auf dem Boden eines andern wegen, von diesem nicht feindselig behandelt zu werden. Dieser kann ihn abweisen, wenn es ohne seinen Untergang geschehen kann; so lange er aber auf seinem Platz sich friedlich verhält, ihm nicht feindlich begegnen. Es ist kein Gastrecht, worauf dieser Anspruch machen kann (wozu ein besonderer wohltätiger Vertrag erfordert werden würde, ihn auf eine gewisse Zeit zum Hausgenossen zu machen), sondern ein Besuchsrecht, welches allen Menschen zusteht, sich zur Gesellschaft anzubieten, vermöge des Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde, auf der, als Kugelfläche, sie sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich doch neben einander dulden zu müssen, ursprünglich aber niemand an einem Orte der Erde zu sein mehr Recht hat, als der andere.“
    Daß letzteres gilt, sofern es nicht den eigenen Untergang bedeutete, begründet auch die Modalitäten Israels diejenigen auf ihren Boden, die sich friedfertig verhalten oder eben nicht zu unterscheiden und entweder abzuweisen oder Aufenthalt zu gewähren. Daß nur ein jüdischer Staat dazu in der Lage ist, hatte schon Herzls politischen Zionismus begründet.
    Der Psalm 137, wohl einer der bekanntesten, weil oft genug vertont, formuliert den Anspruch auf Israel, ist ja nicht desse universalistische Begründung des Besitzanspruchs. Daß im Gebiet, das geographisch in der Antike Palästine genannt wurde, seit alten Zeiten immer Juden lebten, und bis heute die meisten nicht aus Europa oder USA kamen, sondern dort ansässig waren, teilweise allerdings im Zuge der Gründung Israels aus arabischen Staaten vertrieben wurde, ist wohl nur Kennern bekannt und widerspricht den hierzulande gepredigten Vorurteilen, die Juden hätten Land gestohlen. Daß die zionistische Einwanderung im Übergang vom 19. zum 20. Jh. auch – in der Hoffnung auf eine Renaisance des Orients – arabische Einwanderung nach sich zog und nicht wenige arabische Intellektuelle den Zionismus begrüßten, endete ja erst mit den antizionistischen Bewegungen, die auch in Arabien unter dem Einfluß der NSDAP/AO standen, man denke an Hasan al Banna, Haj Amin al Husseini und andere Genossen Hitlers und Himmlers. Die antisemitischen und faschistischen Elemente des Islam wurden von diesen islamistischen Bewegungen betont und die mörderischen Gegner der muslimischen Aufklärung, die Schluß mit dem menschlichen Fortschritt machten, haben im Islamismus ihr Erbe gefunden. Sie haben heute mehr Einfluß als ihre Quantität vermuten ließe und sie nutzen die Mehrheit der friedlichen Muslime als lebendes Schutzschild.
    @Stevanovic:“Eine antisemitische Welt, die Israel unersetzlich macht.“ darauf ist Israel gar nicht angewiesen, auch wenn diese antisemitiche Welt existiert. Auch in den USA hat es – mittlerweile könnte es sich herumgesprochen haben – noch nicht lange eine Unterstützung Israels gegeben, wie Plagiate der „Protokolle der Weisen von Zion“, die eine mächtige zionistische Lobby halluzinieren. Belege liefert T.Tarach, Ewiger Sündenbock, im 14.Kap.USrael zugenüge. Der Kuschelkurs gegenüber dem Iran zeugt genauso davon, wie Israel der Gewalt ausgeliefert bleibt.
    Und: @Stevanovic:“Die Juden haben trotz Antisemitismus 2000 Jahre ohne Israel überlebt, was nicht für ein Konzept der Eigenstaatlichkeit spricht. “
    Das würde doch wohl eher stimmen, wenn an Stelle des „trotz“ „wegen“ stünde, was aber noch gröberer Unfug wäre. Daß sie trotz des Antisemitismus – wenn man einen so abstrakten Antisemitismus-Begriff hat, der auch den religiösen Antijudaismus mit einbegreift – solange – weit mehr als 2000 Jahre – überlebten, spricht zwar für den Geist des Judentums, die Überlebensfähigkeit der jüdischen Prinzipien, die schon die modernen Rechte des Menschen antezipierten, aber – wegen der Kontinuität der Verfolgung – gerade für einen Staat, in der Juden die Mehrheit darstellten.

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    Jungs, Jungs! Stehen die paar Quadratkilometer Landnahme, wenn es – im schlimmsten Falle – eine ist, in irgendeinem Verhältnis zu den infantil-neurotischen Heils- und Unheils-Projektionen, mit denen der Frosch Israel von Freund und Feind zum weltpolitisch „entscheidenden“ Elefanten aufgeblasen wird? Gruselig! – Man kann Israel zur Atombombe nur beglückwünschen!

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    @ Moritz Berger

    Ich hab’s gelesen.
    „Ein Hofjude war auch Mayer Amschel Rothschild.“

    Das Einfachste, was man über ihn sagen kann, ist das: Der Mann war einfach genial.

    Man findet nur negative Bücher über diese Familie. In der heutigen Zeit gehen die vermutlich besser.
    Ebensogut könnte man ihn bewundern. Schließlich haben genug Leute davon profitiert. Aber bewundern ist nicht drin. Futterneid.

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    … übrigens … wer Marx ‚versteht‘ – wird nicht Marxist … ohne Verstand allerdings ganz schnell Sozialist. Etwa wie der österreichische Migrant Adolf Hitler in einer öffentlichen Rede 1941: ‚Nationalsozialismus und Marxismus sind im Grunde dasselbe‘ Quelle: F. A. Hayek, ‚Der Weg in die Knechtschaft‘, 1952

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    Lieber Herr Posener!

    Ich kann verstehen, dass Sie nicht jede Äußerung von Marx prüfen und daran was beweisen wollen. Ich gestehe sogar ohne Prüfung ein, dass man da bestimmt an unwesentlichen Stellen fündig werden kann.

    Ich streite aber ab, dass in der wissenschaftlichen Theorie irgendetwas antisemitisches drinsteckt. Im Gegenteil, das Begreifen des Kapitalismus und seiner Tücken als System statt als Abweichung ist ein Einspruch gegen jede personalisierende Kapitalismuskritik, wie sie für den Antisemitismus ganz wesentlich ist.

    Was Ihren Satz angeht, dass Linkssein nicht vor Antisemitismus schützt, kein Einspruch! Da stimmt Ihnen auch mit Freude jeder Antideutsche zu. Das ist, weil Marx da ja wirklich nur als Ahnherr der Tradition gefeiert wird, ohne dass man noch groß weiß, was der überhaupt gesagt hat. Aber gerade deshalb hat man den Antisemitismus auch nicht von ihm. Außer irgendjemand kramt die Judenfrage aus weil er eh schon Antisemit ist und die nicht verstehen, sondern ausschlachten will. Dafür taugt die mit Sicherheit.

    Zur Beschneidungsdebatte, keine Meinung irgendwie.

    Ich möchte zuletzt darauf hinweisen, dass ich Martin Blumentritts Beitrag zustimme. Auch wenn ich mir gerne über Adorno das Maul zerreiße, wenn eine Kritik auf den Jargon beschränkt bleibt, trifft sie eben den Inhalt gar nicht. Darauf beschränkt ist sie ja nicht bei jedem Kommentator, und ich wäre auch über weniger Aura erfreut, aber das macht keine inhaltliche Differenz aus.

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    @ Stevanovic

    Ich glaube, Sie vergessen hier etwas: Wenn der Staat Israel in Arkansas oder Schonen gegründet worden wäre, hätte das in den USA oder Schweden zu fulminantem Antisemitismus geführt. Daher haben die USA, Schweden oder auch Norwegen das nie angeboten. Es war einfach nur praktisch nach dem Krieg, dass die Juden schon immer zurück zur Tochter Zion wollten. Praktisch war auch der Aspekt, dass man den Briten die Region ohnehin wegnehmen wollte. Nein? Doch. Suez. Sie vergessen außerdem, dass es sowohl in den USA als auch in Schweden Antisemitismus gibt. Ich selbst halte Antisemitismus für Futterneid. Sie kennen doch gewiss die Geschichte mit Jesus und den Silberlingen. Der eine machte was daraus, der andere nicht. Der eine war ein Jude, wetten? Das ist genetisch oder Mem oder beides zusammen.
    Setzen Sie einen Juden und einen beliebigen Goy mit Waffen zusammen auf einer Insel aus, ist der Jude tot. Setzen Sie beide in ein kompliziertes Labyrinth, ist der andere tot, weil er dort verhungert. Das ist sowas wie Kopf oder Zahl.
    Doch bitteschön, das darf man nicht sagen (siehe Sarrazin), weil es viel zu einfach ist. Man nimmt dann allen ihr Spielzeug weg. Antisemitismus ist schön. Er ist ein Spielzeug für Intellektuelle aller Art und bringt haufenweise clicks. Man sollte ihn nicht Futterneid nennen, das ist zu simpel. Sorry. Mich kotzt er an.

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    @ Stevanovic

    nun ja, ich bin nicht das Glatteis, mache nur auf das Glatteis aufmerksam, auf dem die Kühe schliddern, taumeln und auf dem Allerwertesten landen, wenn sie sich darauf begeben. Slapstick. Der Gebrauch eines elaborierten Sprach- und Analyse-Modells täuscht darüber hinweg, dass die Herrschaften sich im Zustand der Panik befinden, der sie glauben Herr werden zu können, indem sie Formeln repetieren und nochmals repetieren. Für die Adornisten unter ihnen sei gesagt, dass gegenüber ihrer uneigentlichen Eigentlichkeit oder eigentlichen Uneigentlichkeit Heidegger ein wahrer Leuchtturm sprachlicher Klarheit war. Egal wie, das sind wahlweise in der Wolle gewaschene Ideologen oder Gläubige.

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    @Lyoner

    Sie sind das Glatteis auf dem man schliddert, wenn man versucht, dem jüdischen Partikularismus ein gesondertes Recht zuzuschreiben. Danke für ihren Einsatz zum richtigen Zeitpunkt. Eine Diskussion über das Vorliegen der begründenden Merkmale wird so auch nie ein Ende nehmen, Israel wird über diese Argumentation am Ende immer delegitimiert werden. Oder auch nicht, kommt auf eben auf anti oder philosemitische Neigungen an.

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    „Mit letzterem hat er Recht behalten und somit wird das Recht auf einen Staat als Maßnahme gegen die antisemitische Raserei universell.“

    Ein Staat als Zufluchtsort gegen antisemitische Raserei macht mehr Sinn, als ein Staat für beliebte Völker, da bin ich bei ihnen. Wo innerhalb der antisemitischen Raserei jedoch ein Anspruch auf einen eigenen Staat begründet wird, womöglich in genau dieser Form, das sehe ich nicht. Das hätte sich auch in der Zusammenarbeit in Organisationen universalistischen Anspruchs ausdrücken können, zB der Sowjetunion, und das hat es ja auch. Bereits mit der Gründung der USA gab es eine Versicherungsanstalt, die bis heute vielen verfolgten Völkern und Religionen Zuflucht gewährt, Europa hat seit 45 auch einiges dazugelernt. Auf der Basis hat Ahmadinedschad vollkommen Recht. In Schweden oder Arkansas wären Juden sicherer, ein Staat der Juden in der antisemitischen Umgebung würde keinen Sinn machen. Wenn es um den Schutz der eigenen Nation geht, ist Israel praktischer als ein Staat in den USA oder Europa – mehr jedoch nicht. Wäre es mehr, dann hätte Ahmadinedschad wieder Recht, Israel als Belohnung oder Entschädigung für den Holocaust. Dann könnte es ja durchaus langsam auch mal gut sein.

    Israel würde nur dann Sinn machen, wenn der Antisemitismus überall präsent und mörderisch wäre. Damit wären die Unterstützer Israels, die ihre Freundschaft auf Schutz vor Antisemitismus bauen, in der ständigen Beweispflicht, dass die sicheren Häfen keine sicheren Häfen sind. Damit dürften sie auch keinem westlichen Land zumindest eine Zähmung des Antisemitismus zugestehen. Eine antisemitische Welt, die Israel unersetzlich macht. In der Falle sehe ich weite Teile der Israel Solidarität. Es darf keinen Fortschritt geben, weil die Legitimität sonst wackelt. Was weder für die Verfassung der Welt heute stimmt, noch jemals gestimmt hat, sonst würden die Juden das Schicksal vieler verschwundener Völker und Nationen teilen und nicht einen Staat haben. Der Holocaust und der Antisemitismus sind einleuchtende Beweggründe, sie normieren aber an keiner Stelle einen Staat Israel, schon gar nicht in der heutigen Form. An welcher Stelle ein Partikularismus begründet wird, gäbe es denn einen Universalismus, sehe ich hier nicht. Die Juden haben trotz Antisemitismus 2000 Jahre ohne Israel überlebt, was nicht für ein Konzept der Eigenstaatlichkeit spricht.

    Womit wir beim Philosemitismus wären. Der handelsübliche Philosemit, wie ich ihn kennengelernt habe, sieht Juden als etwas auserwähltes, heiliges, mit einer eigenen Leuchtkraft ausgestattetes. Was es, um es abzukürzen, zum positiven Antisemitismus und für mich unheimlich macht. Dann folgt oft Psalm 137. Das Weinen nach der alten Heimat, sei es so schön wie Psalm 137, begründet ein Recht auf Taschentücher, aber keinen auf einen Staat. Es gibt Völker, die weinen schöner, rührt Philosemiten aber weniger. Das ist der unheimliche Teil. Zusammengefasst: sollte es eine negative Obsession geben, dann gibt es eine positive, die bleibt, was sie ist, eine Obsession.

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    Liebe Gnostiker, spricht etwas gegen eine Komplexitätsreduktion? Worüber Ihr Euch von Blumentritt bis Posener einig seid, ist doch, dass der Casus Israel ein ganz besonderer ist, ein singulärer Fall in geschichtlicher, heilsgeschichtlicher, theopolitischer, geschichtsphilosophischer etc. Hinsicht, Posener: „Israel bleibt ein besonderes Land, ein besonderes Volk“, nach Blumentritt: „Aber eben durch die mögliche und wirkliche universalistische Begründung, steht nicht mehr bloß Recht gegen ein anderes Recht, sondern Israel ist universalistisch legitimiert. Eine Legitimität, von der Nationalisten nur so träumen können, die sie aber niemals erreichen, …“, wieder Posener: „Im Zionismus ist die nationale Organisation, die Konstituierung zum Staat vielmehr Voraussetzung der Emanzipation“ – so verständnisinniges würde er im Blick z.B. auf eine deutsche Emanzipation oder gar mit Blick auf die Emanzipation der Population, die zusammen mit den Juden die „disputed territories“ im Nahen Osten bevölkert, nicht formulieren können. Und wenn wir, die Goyim, die Völker, eher kritisch bis allergisch auf diesen geschichtspolitischen Sonderfall reagieren, reagieren wir, von Posener bis Blumentritt gesehen, mit falschem Bewußtsein bzw. Ressentiment, während Zionismus dann wohl zweifelsfrei die höchste Form des wahren Bewußtseins, das summum bonum ist und Antizionismus „eine – vielleicht die bedrohlichste – Form [des falschen Bewußtseins] des Antisemitismus.“

    Von Posener (mit seiner eher gekünstelten als naiven Kindlichkeit) bis Blumentritt (mit seiner pseudoreligiösen Seligkeit) verklären die selbsernannten wahren Freunde Israel bzw. die Etappenhengste Zions mit beschränkter Haftung Israel.

    Können wir von dem Muff bzw. uralten Zopf eines belief system (zu mehr bringen Sie es doch nicht, lieber Blumentritt, lieber Posener) loskommen?

    Ich glaube, die Nagelprobe für den Zionismus, seine universelle Anerkennung, liegt in der Interpretation eines Diktums von Jeshayahu Leibowitz, ich zitiere aus dem Kopf, dass das Wesen des Zionismus darin bestünde, dass die Juden die Schnauze voll hätten, von Goyim regiert zu werden – und das unabhängig von der Qualität deren Herrschaft. Interpretiert man das als partikularistisches Projekt oder kann das die Grundlage der Anerkennung der Ambition einer anderen Nation, nicht von Juden beherrscht zu werden, sein? Vollzieht sich die jüdische Emanzipation gegen und auf dem Rücken einer anderen Emanzipation oder wird die jüdische Emanzipation sich zusammen mit der Emanzipation jener Population, der Posener noch vor kurzem ihre nationale Grundlage abgesprochen hat, vollziehen? Wenn man die derzeitige politische Konstellation in Israel sieht (Achse Netanyahu, Lieberman, Bennett mit dem Feigenblatt Livni) sieht, ist zu befürchten, dass der nationalreligiöse Elan, m.E. der Dybbuk der israelischen Gesellschaft, autistisch nur seine Emanzipation im Auge hat. Mir scheint Israel z.Z. nicht willens, den Nutzen und den Schaden seiner langen und großen Geschichte auf das Leben abzuwägen.

    P.S. für die Einschätzung einer gnostischen Sinnhuberei danke ich Stevanovic.

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    Herr Posener, Sie schreiben: „Anhand der Beschneidungsdebatte konnte man weiters sehen, wie die Unterscheidung zwischen jüdischem Partikularismus und Adorno’schem Universalismus einen Teil dieser Gruppierung ins Lager der Judenfeinde trieb.“

    Ich nehme an, Sie beziehen sich damit auf Zitate wie dieses:

    „In Sachen Kopftuch und Burka haben übrigens manche, die nun das Recht auf Beschneidung verteidigen, ähnlich argumentiert wie ich in Sachen Beschneidung. Die Frau verhülle sich ja nicht freiwillig, sondern unterwerfe sich dem Druck einer patriarchalischen Gesellschaft. Das mag auch so sein. Immerhin kann aber eine Frau das Kopftuch oder die Burka ablegen, wenn ihr danach sein sollte. Sie braucht nur Mut. Die Vorhaut ist aber weg. Die rührende Gemeinsamkeit der ansonsten verfeindeten monotheistischen Religionen, wenn es darum geht, kleinen Jungen am Penis wehtun zu dürfen, weist allerdings auf ein grundsätzliches Problem hin: auf die frühkindliche Indoktrination, vermittels derer sich die Religionen fortpflanzen.“

    Oder dieses:

    „Würde man, wie die Bundesregierung es vorhat, den Religionsgemeinschaften ein Recht auf Beschneidung ihrer Kinder einräumen, hieße das eben nicht, dass man gegen eine vermeintliche Diskriminierung von Juden und Muslimen vorgeht, wie sie durch das Kölner Urteil entstanden sei. Im Gegenteil. Man würde die Grundrechte aus Artikel 1 und 2 für männliche muslimische und jüdische Kinder in Teilen außer Kraft setzen. Man würde muslimische und jüdische Kinder diskriminieren. Ich wüsste nicht, woher die Bundesregierung das Recht nehmen sollte, das zu tun. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Bundesverfassungsgericht ein solches Lex Iudorum passieren lassen könnte.“

    Oder dieses:

    „Eine Kritik der frühkindlichen Zirkumzision etwa ist nicht notwendig antijüdisch, wie manche Verteidiger dieses Brauchs behaupten; … Das Kölner Urteil hat lediglich festgestellt, dass die Entfernung der Vorhaut bei einem religionsunmündigen Kind ohne zwingende medizinische Indikation objektiv den Tatbestand der Körperverletzung darstellt, definiert als eine Verletzung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit. Das Grundrecht der Eltern auf freie Religionsausübung kann nach Meinung der Kölner Richter dieses Grundrecht des Kindes nicht aufheben.
    Ich halte die Logik der Richter für unanfechtbar, trotz der Resolution des Bundestages zugunsten der Beschneidung. Im Mittelpunkt aller Überlegungen sollten nicht die Religionen stehen, sondern die Kinder. Das Kölner Urteil stellt das Kindeswohl über die religiösen Empfindungen der Eltern, die es nicht beurteilt. Ich halte den Brauch der Beschneidung für falsch, das habe ich deutlich geschrieben und begründet.“

    Doch Sie wissen natürlich selbst, dass diese Zitate nicht von Antideutschen stammen, sondern von Ihnen, nachzulesen in Ihren Artikeln zum Beschneidungsurteil auf Welt Online und Starke Meinungen. Nun kann ja jeder seine Meinung ändern, aber so zu tun, als habe man nie eine andere Meinung gehabt und denen, die noch immer denken, was man selber vor gar nicht langer Zeit noch dachte, Judenfeindlichkeit vorzuwerfen, ist zumindest intellektuell unredlich.

    Oder sehe ich das falsch?

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    Mal weiter:
    „Besonders Henryk Broder hat – beginnend mit seiner Kampfschrift gegen „Linke Tabus“ schon 1976 – den Antisemitismus der so genannten „Neuen Linken“ immer wieder angegriffen und gezeigt, dass der Antizionismus eine – vielleicht die gegenwärtig bedrohlichste – Form des Antisemitismus darstellt.“

    Natürlich hat Broder hier oft Recht.
    Nur hat er nicht immer Recht.
    Im Prinzip kann man Antisemitismus vom Gefühl her erkennen, man merkt, wenn Antizionismus ein Ressentiment ist und Antiisraelismus ein Deckmantel für Antisemitismus. Nur müsste man erstmal in vielen Fällen sog. Antiamerikanismus, sprich Kritik an den USA, und Antikapitalismus von Israel abtrennen und sehen, was im Endeffekt vom Antisemitismus übrig bleibt. Es wird in einer Tour Systemkritik und Antisemitismus vermischt, sowohl bei Linken als auch bei deren Kritikern.
    „Ein liebenswertes Volk“. Ja, natürlich. Und sehr divers in seinen Meinungen. Die besten Israelkritiker leben in Israel.
    Man sollte festhalten: Die Hauptkritik von Israelkritikern, die mal zu Recht, mal zu Unrecht zu Antisemiten erklärt werden, richtet sich gegen AIPAC etc. Eine Großmacht versteckt sich hinter Israel und würgt Kritik an sich und ihrem System ab. Ich möchte noch irgendwann mal erleben, dass herausgearbeitet wird, welche Kritik tatsächlich Juden oder Israel gilt (und welche davon David Grossmann berechtigt fände) und welche nur dem mit Israel vernetzten Kapitalismus. Soll heißen, Antisemitismus ist längst umgedeutet worden. Echter Antisemitismus wäre z.B. Friedhofsschändung, Synagogenschändung, Attacken auf Rabbiner und Kippaträger auf der Straße, der Mord in Toulouse etc. Alles andere finde ich sehr komplex und unübersichtlich.
    Der Holocaust ist seit 1945 unübersichtlich viele Male instrumentalisiert worden, um Systemkritik abzuwürgen. Das halte ich für schädlich. Man schreit dauernd Wolf, und wenn der Wolf kommt wie in Toulouse, ist man schier überrascht. So sollte das besser herausgearbeitet werden, wer Antisemit ist. Es kann nicht angehen, dass Systemkritiker als Antisemiten bezeichnet werden, einfach so.
    Dasselbe gilt natürlich für die Systemkritiker selbst. Sie halten Israel hin als Zentrum der Kritik. Das ist im Grunde ein kleines Land, und das ist extrem leicht. Dabei ist das außerordentlich unfair, weil dieses kleine Land einen Haufen Feinde hat, die ihm schaden können. Auch die USA haben einen Haufen Feinde, die dem Land aber nur bedingt Schaden zufügen können. Der Maximalschaden war Nineleven.

    @ Alan Posener

    Schön gesagt:
    „Den wirklichen Zionismus, das wirkliche Israel, aber auch das wirkliche Deutschland, das keine “antisemitische Gesellschaft” im Sinne Adornos ist, sondern – auch wenn Parisien jetzt die Nase rümpft – ein liebens- und lebenswertes Land ist.“

    Sie unterstellen also, dass es denn so viele Antisemiten auch nicht gibt. Danke. Es gibt ein paar Stammtischantisemiten, unheilbar ungebildet. Ohne Einfluss. Ab und zu tauchen sie leider in polls auf. Gebildete Leute nehmen übrigens an telefonischen Umfragen selten teil, so dass Umfragen von Anfang an ein bias haben.
    Zynisch ausgedrückt: Tut uns furchtbar leid, wir können noch nicht genug Antisemiten bieten, um einen neuen Krieg gegen uns zu rechtfertigen. Vielleicht schafft die uniforme Einwanderung aus den ländlichen Gebieten nichtchristlicher Länder ja Abhilfe. Wow, böse, oder. Aber die deutsche Autoindustrie etc. ist ein attraktiver Schinken, an dem sich mancher gesundstoßen könnte.

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    … ich weiß, ich wiederhole mich noch einmal Bismarck … ist Ihnen bei den langen Reden (der Sozialisten*, meine Anmerkung …) auch nur eine einzige in Erinnerung, wo auch der leiseste Schatten eines positiven Gedankens, eines Vorschlags über das, was künftig werden soll, nachdem sie das Bestehende in Bresche gelegt haben – ist Ihnen etwas derartiges erinnerlich? Ich wäre dankbar, darauf aufmerksam gemacht zu werden.

    … mein Hamster und ich, schließen sich dieser Frage Bismarcks vorbehaltlos an.

    Freunde, es gibt die Alternative für Deutschland

    Schluss mit lustig!

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    „Mein Anliegen ist: Die wirklichkeit ansehen. Den wirklichen Zionismus, das wirkliche Israel, aber auch das wirkliche Deutschland, das keine “antisemitische Gesellschaft” im sinne Adornos ist, sondern – auch wenn Parisien jetzt die Nase rümpft – ein liebens- und lebenswertes Land ist.“

    Aber mit dieser Aussage fallen Sie doch noch hinter positivistische Wissenschaften zurück, während selbst diese doch den Antisemitismus nicht einmal vollständig „begreifen“ können.
    Was Sie offenbar tun ist Israel vom Antisemitismus sogar völlig lösen zu wollen- Herzl würde sich im Grabe drehen.

    Des Weiteren scheint ja Tuvia Tenenboms „Allein unter Deutschen“ auch Ihre These vom nicht mehr antisemitischen Deutschland zu großen Stücken zu widerlegen. Wobei ich hier auch Ihnen unterstellen muss, dass Sie das, was Adorno bzw. die sogenannten „Antideutschen“ unter einer antisemitischen Gesellschaft verstehen offenbar nicht wirklich verstanden haben.

    Zu guter Letzt noch einmal zum „Linkssein“: Dies wurde zwar hier schon einmal von jemand anderes gesagt, aber gerne nochmal: es sind und waren doch gerade „Antideutsche“, die immer und immer wieder auf den Antisemitismus in der Linken hinweisen/hinwiesen, was doch auch meiner Meinung nach DER entscheidende Hauptgrund dafür ist, dass sich wohl kein „Antideutscher“ der Linken zugehörig fühlt.

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    Lieber Herr Posener,

    vor was könnte Linkssein schützen ? 🙂

    Wichtig ist doch, dass man/frau “ versucht “ selbstkritisch zu sein und nicht auf einem “ Denkgleis “ verharrt.

    Das Konzept für technische Innovationen ist letztlich auch im gesellschaftlichen Bereich praktizierbar.

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    @ Parisien: „Philosemitsches Durchgangssyndrom“ – Oje. Der Philosemitismus ist die Pest, da gebe ich Ihnen Recht. Israel bleibt aber ein besonderes Land, die Israelis ein besonderes Volk. Waren Sie schon mal da?
    @ Hugo Noack: Ich will nicht auf Teufel komm raus alle Äußerungen von Marx auf ihren eventuelle antisemitische Grundierung abklopfen. Täte ich das, würde ich ja in die Falle laufen, in der die Antideutschen bereits sitzen. Meine Hauptaussage war und bleibt, dass Linkssein nicht vor Antisemitismus schützt, „Antideutschsein“, eine Spielart des Linksseins, auch nicht, und dass – siehe oben – vermeintliche (oder echte ) Philosemiten sich oft nur auf dem Durchgang zu einem anderen, nicht unbedingt besseren „Syndrom“ befinden.
    So bei den Antideutschen. Sie haben die Islamophobie eines Teils dieser Gruppierung angesprochen. So, als gäbe es einen guten Rassismus – Islamfeindlichkeit – und einen schlechten – Antisemitismus. Anhand der Beschneidungsdebatte konnte man weiters sehen, wie die Unterscheidung zwischen jüdischem Partikularismus und Adorno’schem Universalismus einen Teil dieser Gruppierung ins Lager der Judenfeinde trieb. Dass in Israel jeder (also 99 Prozent der männlichen Bevölkerung) beschnitten ist, scheint sie nicht weiter anzufechten. Mein Anliegen ist: Die wirklichkeit ansehen. Den wirklichen Zionismus, das wirkliche Israel, aber auch das wirkliche Deutschland, das keine „antisemitische Gesellschaft“ im sinne Adornos ist, sondern – auch wenn Parisien jetzt die Nase rümpft – ein liebens- und lebenswertes Land ist.

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    „@Alan Posner: Das ist doch alles Wortgeklingel. Alle die von Ihnen zitierten Denker der Aufklärung sehen die Möglichkeit, im Partikularen das Universalistische zu verwirklichen; nein, ich korrigiere mich: die Notwendigkeit, das zu tun. Griat jedoch betont den Gegensatz. und er hat über das partikularistische Projekt Israel denn auch gar nichts zu sagen. Wie überhaupt man bei den Antideutschen nie etwas anderes lesen wird als Kritik des Bestehenden.“
    Das kann doch schwerlich ein Vorwurf sein, zumal ja Kritik in diesem Zusammenhang nicht Verwerfen, gar bloßes Nörgeln ist oder wie man aus dem antisemtischen Mund Richard Wagners etwa vernehmen kann; Kritteln.
    Woher wollen Sie eigentlich das Positive hernehmen, aus dem Offenbarungsglauben, wie es im 18. Jh. geschah, was allerdings völlig andere Bedeutung hätte, wenn man es heute nachtun wollte. Wenn man das für eine zureichende Ethik hält, dann hätte es im eltzten Jahr keine Diskussion über die Beschneidung am achten Tage gegeben, sondern nur ein Thorazitat. Für Juden ist das klar, es wird beschnitten und wer es verhindern will, macht sich zum Todfeind. Aber mindestens negativ muß ja eine universalistische Ethik möglich sein, wenn auch eben nicht positiv.
    Da, wie in dem Beispiel Beschneidung, dann nur die Freiheit des jüdischen Volks gemäß ihrer Gesetze zu leben, begründbar ist, wie diese begründet werden geht andere nichts an, bedarf es auch gar nicht des Lobs, so wenig wie Israel des Lobs bedarf, wenn auch es genug Gründe für ein Lob gäbe, daß Israel die Palästinenser nicht so behandelt wie jeder andere Staat, etwa Rußland oder China seine Feinde behandelt, sondern nur das legitime Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch nimmt und obendrein noch an sich selbst höhere Maßstäbe anlegt und sich für unvermeidbare Kollateralschäden sogar noch entschuldigt und das nicht einmal auf Drängen der Feinde oder der Weltöffentlichkeit, sondern weil es zur Ethik, dem alten Brauch, gehört.
    Immanente Kritik mißt sich immer auch an den Versprechen, das der kritisierte Gegenstand enthält. Zu Marxens Zeiten enthielt die Politische Ökonomie des Liberalismus eine Utopie, die allerdings durch sich selber wiederum hintertrieben wurde. Da hatte Marx es leichter, während Kritische Theorie heute auf Ideologien oder gar und schlimmer noch auf bloße Weltanschauung trifft, dem postmodernen oder neoliberalen Glauben, der keinen Widerspruch, sondern nur noch Widerstreit kennt und schon längst resgniert hat. Gesellschaft als ganze kann da nicht mehr begriffen werden, obwohl sie auch da noch – in Form eines auch so deklarierten Glaubens – immer noch vorausgesetzt ist.
    Wenn etwas zu begreifen ist, daß die Begründungen heute, entweder irrationaler Glauben ist, so im negativen Positivismus Poppers oder in der Postmodernen Ideologie oder eben nur eine negative Moralphilosophie begründet zuläßt. Alles andere ging immer sehr schnell zu Protest.
    Daß in den 60ern – wie im späten 19.Jh. – die Leute Sehnsucht nach Weltanschauung hatten, Friedrich Engels wollte sie ebeno bedienen wie die späteren Maoiste oder MLer – erklärt so manches an dieser schließlich autoritären Bewegung.
    Den Antideutschen dies anzukreiden, daß sie dies irrationale Weltanschauung aufgekündigt haben und dann aber auch stetig an den Konsequenzen laborieren müssen und laborieren,halte ich für ein unsittliches Angebot. Dieser Wechsel ging eben zu Protest. Daß Aufklärung ein negatives Recht hat, aber totalitär wird, wenn man sie positiv in Anspruch nennt, hätte man von den Alten – Adorno und Horkheimer – lernen können. Wie Kraushaar aber richtig sieht, debattierten sie wie Kunzelmann über Orgasmusprobleme und planten den nächsten Judenmord, um den Deutschen den „Judenknacks“ auszutreiben, nicht eingedenkt, daß sie den damit ja gerade ausagierten. Die Antideutschen jedenfalls rennen nicht mit einer engelistischen Weltgeisttheorie des Proletariats, die schon beim jungen Lukacs den Ertrag seiner Theorie vorenthielt, durch die Gegend. Man lese Adornos Marginalien zu Theorie und Praxis, dann könnte man begreifen, daß er als Autoritätsfigur gar nicht taugt. Dieser Simplifikation hat er bei aller Simplifikation in den exoterischen Beiträgen in Rundfunk und anderen Medien sich verweigert. Daß er schon vor fast 50 Jahren Recht hatte und Recht behielt gegenüber denen, die heute immer noch ein Ressentiment gegen ihn schüren, weil sie nur Bahnhof verstanden, mag ja sein. Die Vorlesungen, die nun nach und nach veröffentlich werden, sind aber so klar und verständlich auch für Viele, daß man es nur als Denkfaulheit bezeichnen kann. Seine praktische Intervention in Hinsicht einer Ampel für die befahrene Straße vor dem Institut für Sozialforschung, hatte möglicherweise eine zu optimistische Voraussetzung, als er meinte, die Studenten, die sich in ihrem natürlichen Zustand – in Gedanken – befinden, könnten deswegen da ums Leben kommen.

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    @Stevanovic

    „Kein Antisemitismus = kein Grund für Israel
    Habe ich was übersehen?“

    Ja, sicher. Die Differenz von Allgemeinen und Besonderen, Universalismus und Partikularismus, die sich jeweils antinomisch sich verhalten. Herzl hatte schon Israel als „Versicherungsanstalt gegen die antisemitische Raserei“ konzipiert. Damit wird das Recht auf einen staat universell begründet.
    Jeder Staat basierte bislang – man nenne es Gründungsverbrechen – auf grundloser Gewalt, das als Ergebnis überhaupt erst Recht positiviert.
    das bürgerliche Naturrecht hat dies rationalisiert. Aber die Juden waren von dem schutz ausgenommen und daher konnte Herzl feststellen:
    „Wir haben überall ehrlich versucht, in der uns umgebenden Volksgemeinschaft unterzugehen und nur den Glauben unserer Väter zu bewahren. Man läßt es nicht zu. Vergebens sind wir treue und an manchen Orten sogar überschwengliche Patrioten, vergebens bringen wir dieselben Opfer an Gut und Blut wie unsere Mitbürger, vergebens bemühen wir uns, den Ruhm unserer Vaterländer in Künsten und Wissenschaften, ihren Reichtum durch Handel und Verkehr zu erhöhen. In unseren Vaterländern, in denen wir ja auch schon seit Jahrhunderten wohnen, werden wir als Fremdlinge ausgeschrien; oft von solchen, deren Geschlechter noch nicht im Lande waren, als unsere Väter da schon seufzten. Wer der Fremde im Lande ist, das kann die Mehrheit entscheiden; es ist eine Machtfrage, wie alles im Völkerverkehre. Ich gebe nichts von unserem ersessenen guten Recht preis, wenn ich das als ohnehin mandatloser einzelner sage. Im jetzigen Zustande der Welt und wohl noch in unabsehbarer Zeit geht Macht vor Recht. Wir sind also vergebens überall brave Patrioten, wie es die Hugenotten waren, die man zu wandern zwang. Wenn man uns in Ruhe ließe. …
    Aber ich glaube, man wird uns nicht in Ruhe lassen.“

    Mit letzterem hat er Recht behalten und somit wird das Recht auf einen Staat als Maßnahme gegen die antisemitische Raserei universell. Somit gibt es wohl keinen Staat außer Israel, der einen so hohen Grad an Legitimität besitzt über die normative Kraft des Faktischen hinaus.
    Das Recht dort zu leben, wo sie gerade leben, haben die Juden freilich auch schon ohne diese zusätzliche Legitimation, weil ein jeder andere Staat es auch in Anspruch nimmt, wenn auch dieses Recht nur partikularen Charakter hat, weil es kein Völkerrecht gibt, das mehr als zufälligen Charakter hat, wie Hobbes oder Hegel nachwiesen, ein Weltsouverän war und ist Fiktion oder wenn man ihn voraussetzt Wahn.
    Als Gegengewalt gegen die schon von Herzl erwartete Gewalt gegen Juden allerdings besitzt Israel sogar universelle Legitimität, was nur bestreiten kann, wer Universalismus nicht einmal negativ zugesteht.
    Den Zionismus findet man allerdings schon in Urzeiten, ewa im Psalm 137:
    An den Strömen Babylons, da saßen wir und weinten, als wir Zions gedachten.
    An die Weiden im Lande hängten wir unsere Harfen.
    Denn dort hießen sie uns singen, die uns hinweggeführt, hießen uns fröhlich sein, unsere Peiniger: “Singt uns eins der Zionslieder!”
    Wie sollten wir des Herren Lieder singen auf fremder Erde?
    Wenn ich dein vergesse, Jerusalem, verdorre meine Rechte!
    Es klebe meine Zunge am Gaumen, wenn ich deiner nicht gedenke, wenn ich Jerusalem nicht setze über meine höchste Freude!
    Gedenke, Herr, den Söhnen Edom am Tage Jerusalems, die da sprachen: Legt bloß, legt bloß – bis auf den Grund!
    Tochter Babel, Vergewaltigerin! Glücklich, der dir vergilt dein Tun, das du uns angetan hast.
    Glücklich, der deine Kinder ergreift und am Felsen zerschmettert!“
    Aber eben durch die mögliche und wirkliche universalistische Begründung, steht nicht mehr bloß Recht gegen ein anderes Recht, sondern Israel ist universalistisch legitimiert. Eine Legitimität von der Nationalisten nur so träumen können, die sie aber niemals erreichen, was ein Moment des Ressentiments ist, daß gegen Israel, also den Juden der Staaten, sich richtet.

  32. avatar

    Hugo Noack: Den Nachweis des Antisemitismus in der ökonomischen Theorie müsste man aber trotzdem noch zeigen. Das ist immerhin die Theorie, auf die Marxisten sich berufen, nicht seine Privatgespräche.
    Es müsste gezeigt werden, inwiefern aus seiner Anklage der Klassenverhältnisse eine Anklage der Juden zustandekommen soll.

    … nun werte/r Genossin Hugo Noack, die Theorie, auf die Marxisten sich berufen, ist, in der Konsequenz der daraus geforderten Weltrevolution (Voraussetzung für den Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus) nicht nur eine Anklage gegen Juden, sie ist auch eine Anklage gegen die Schöpfung insgesamt.

    Insoweit ist Antisemitismus, vergleichbar mit ‚Humanophobie‘ – eine Wortschöpfung meines Hamsters – ebenso eine Anklage gegen Polen, gegen Russen, gegen Türken, gegen … die Völker. Ja sogar, werte Genossin Hugo Noack, in der ’sogenannten Moderne‘ gar gegen die Geschlechter.

    Die Historie hat ’s bewiesen.

  33. avatar

    Lieber Herr Posener, Danke für ihre Geduld!

    Wenn man sich Marx zum Gegenstand macht, kann man wohl durchaus feststellen, dass er ein selbstverliebtes, gehässiges Arschloch war und kein gutes Haar an seinen Gegnern lassen wollte.
    Den Nachweis des Antisemitismus in der ökonomischen Theorie müsste man aber trotzdem noch zeigen. Das ist immerhin die Theorie, auf die Marxisten sich berufen, nicht seine Privatgespräche.
    Es müsste gezeigt werden, inwiefern aus seiner Anklage der Klassenverhältnisse eine Anklage der Juden zustandekommen soll.
    Ich kann nur nochmal wiederholen, das ist leider in meinem vorherigen Wortschwall untergegangen: In der Kritik d.p. Ökonomie hat er sich weit von der Judenfrage entfernt. Zinsfetisch und Zirkulationskritik, also die Erklärung der Ausbeutung aus Wucher, hat er da längst hinter sich gelassen und kritisiert und stattdessen die kapitalistische Form der Arbeit kritisiert, die bei Antisemiten immer hochgehalten wird.

    Mir fällt übrigens auch ein Witz von Marx im Kapital über Juden und Geld ein. Den könnte man daraus streichen und hätte immernoch die selbe Theorie. Juden haben in seiner Theorie überhaupt keinen Platz, die scheinen ihm in der Hinsicht völlig egal zu sein.

    Das ist auch der Unterschied zu Luther, dessen Antisemitismus ist ihm ausgesprochen wichtig.
    Ihre Vermutung ist doch, dass das Camouflage war. Aber darauf scheint Marx gar keinen Wert gelegt zu haben, wenn er gegen Freiheit und Gerechtigkeit polemisiert hat, war er dabei doch auch ganz offen. Man kann Leute auch nicht zu Antisemiten machen wenn man ihnen niemals sagt dass man das von ihnen will, es nichtmal andeutet. Außer man unterstellt, dass die Kritik am Kapital in der Tat eine Kritik an Juden wäre, weil Judentum und Kapital identisch wären – seh ich ganz und gar nicht so.

    Wenn er keine Ökonomie, sondern Soziologie betrieben hätte, könnte man ihm sein fehlendes Verständnis für den Antisemitismus vielleicht als eigenständigen Mangel ankreiden. Seine privaten Ausfälle kann man ihm privat übel nehmen. Seine Ökonomie berührt das aber wirklich gar nicht, und um die geht’s mir.

    Jedenfalls ist Ihre Behauptung, dass diejenigen, die sich auf Marx‘ Theorie berufen, sich auf antisemitische Theorie berufen, falsch.

    Im übrigen rennen sie bei den Antideutschen was den Antisemitismus gängier Marxverwurstung angeht wahrscheinlich offene Türen ein. Ich wundere mich wirklich, warum Sie denen ausgerechnet Antisemitismus unterstellen wollen. Ich finde deren Hang zur Leugnung von antiislamischem Rassismus, den es bei aller berechtigten Islamkritik eben wirklich und in erheblichem Umfang gibt, viel wichtiger. Ihr Einleitungssatz, dass die Linke von sich selbst glaubt, niemals antisemitisch sein zu können, das wird von den Antideutschen richtiger und wichtigerweise genauso kritisiert wie von Ihnen.

    Noch kurz zu Ihrem Maoismus: Der gehört sicherlich wesentlich zu Ihrer Entwicklung dazu. Den haben Sie aber mittlerweile komplett aufgehoben und daraus etwas ganz anderes entwickelt. Wenn ich den Maoismus kritisiere, kritisiere ich damit eben nicht Ihren Liberalismus. Genauso müsste man den Marxisten ihren Antisemitismus an dem nachweisen was die sagen, und nicht einfach auf „Tradition“ verweisen ohne da eine Notwendigkeit vorweisen zu können.

    Übrigens, ich war früher auch mal liberal. ^^
    Und die Kommentare Ihres Fanclubs finde ich recht, naja, überflüssig.

    Mit freundlichen Grüßen!

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    Apo ./. M. Blumentritt Das ist doch alles Wortgeklingel. Alle die von Ihnen zitierten Denker der Aufklärung sehen die Möglichkeit, im Partikularen das Universalistische zu verwirklichen; nein, ich korrigiere mich: die Notwendigkeit, das zu tun.

    … genauso ist es, meine Zustimmung. Nix als sozialistisches Geschwurbel.

    Frei nach Orwel auf den Punkt gebracht: Was dir gehört – gehört auch mir, aber was mir gehört – gehört dir noch lange nicht.

  35. avatar

    @ Alan Posener
    „die Israel, ein bewundernswertes Land, und die Israelis, ein liebenswertes Volk“

    Da dürfen Sie sich nicht wundern, wenn das kritisiert wird. Das hätte ich noch vor zwei Jahren während meines philosemitischen Durchgangssyndroms, das von Israelis/Juden immer das Doppeltgute dachte und leicht für antisemitische Viren anfällig hätte werden können, schreiben können. Da ging eine Träne auf Reisen. Die läuft auf Adorno-Gestählte auf. Das ist eher lustig.

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    @ Roland Ziegler: So isses.
    @ KJN: Ich erröte. Aber es stimmt.
    @ Hugo Noack: Das ist ein langer Text. Puh! Man könnte Marx‘ Antisemitismus sozusagen als doppelbödige Ironie abtun, so wie Sie es versuchen. Nach dem Motto: Was regt Ihr Christen euch über die Juden auf, eure ganze Gesellschaft ist doch nach euren eigenen Maßstäben verjudet! Freilich gibt es genügend Stellen etwa in der privaten Korrespondenz mit Engel über Lassalle, den Marx den „Itzig“ nannte, die belegen, dass er Antisemit war. Das muss man, finde ich, in Rechnung stellen, wenn man ihn zitiert; ähnlich ist es ja auch mit Martin Luther. Man kann das jedenfalls nicht einfach abtrennen. Und selbstverständlich kann man meinen früheren Maoismus nicht von mir trennen. Weil die Erfahrung der Anfälligkeit für totalitäres Denken für mich konstitutiv gewesen ist und bleibt. Daher auch meine Verärgerung über die Antideutschen.
    Womit ich bei Ihnen wäre, lieber Elchjäger:
    @ M. Blumentritt: Das ist doch alles Wortgeklingel. Alle die von Ihnen zitierten Denker der Aufklärung sehen die Möglichkeit, im Partikularen das Universalistische zu verwirklichen; nein, ich korrigiere mich: die Notwendigkeit, das zu tun. Griat jedoch betont den Gegensatz. und er hat über das partikularistische Projekt Israel denn auch gar nichts zu sagen. Wie überhaupt man bei den Antideutschen nie etwas anderes lesen wird als Kritik des Bestehenden. Nie Lob des Bestehenden. Hier zum Beispiel wurde mein Lob Israels als „folkloristisch“ abgetan. Es handelt sich um eine furchtbar blutleere Veranstaltung, dieses ewige Kritteln, deren Hauptzweck im Totreden des Gegners besteht. Wobei man durch den Klang der eigenen Stimme – das gilt, denke ich, auch für Sie – die eigenen Zweifel ausblenden will. Auch das kenne ich von früher.

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    „Ihr sehr wortreicher Beitrag soll nur das Einfache kompliziert erscheinen lassen: Die kritische Theorie der Gesellschaft ist Gesellschaftskritik. Die kritische Theorie des Zionismus ist Zionismuskritik. Das behaupte ich ja nicht nur, das begründe ich im konkretn Fall des Zionismuskritikers Stephan Grigat, der einen Widerspruch zwischen zionistischem “Partikularismus” und der erstrebten “universalistischen” Emanzipation der Menschheit konstruiert.“
    Gerade in diesem Fall tut man dem Kritischen Theoretiker Girat Unrecht. Wenn man es genau nimmt, ist ja de Genitiv sogar amphibolisch, gen. subj. und obj. Kritik durch den Zionismus und eine am Zionismus. D.h. aber gerade nicht: antizionistisch.
    Eine Kritische Theorie kommt nicht darum herum, universalistisch zu argumentieren, auch gerade dann, wenn sie prozionistisch argumentiert. Da ist Grigat auch nicht der einzige. Das Recht des Partikularismus ist nur universalistisch begründbar. Dies könnte schon die Lektüre von Lessings Erziehung des Menschengeschlechts beleuchten, die ein Partikularismus um des Universalismus bei der Auswahl des jüdischen Volkes feststellt. Ähnlich auch Hermann Cohens Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, der ja gerade die Erwähltheit des jüdischen Volkes als eine nachweist, die in engen Kontext mit der Fremdenliebe stehend nachweist.
    Jeder Universalismus – jedenfalls beim Stande der historischen Entwicklung bis heute – ist antinomisch. (Vgl. auch G.Schweppenhäuser Die Antinomie des Universalismus) Da befindet sich Grigat durchaus auf dem avancierstesten Stand der Diskussion.
    Oft genug wurde ja gezeigt, daß Israel selbst noch seine abgefeimtesten Feinde nach universalistischen Prinzipien behandelt, wenn diese es zulassen und nicht Israel und seine Staatsbürger gefährdet.
    Selbst Kant überschreitet eine abstrakten Universalismus deontologischer Art, wenn er im Ewigen Frieden folgendes schreibt:
    „Es ist hier, wie in den vorigen Artikeln, nicht von Philanthropie, sondern vom Recht die Rede, und da bedeutet Hospitalität (Wirtbarkeit) das Recht eines Fremdlings, seiner Ankunft auf dem Boden eines andern wegen, von diesem nicht feindselig behandelt zu werden. Dieser kann ihn abweisen, wenn es ohne seinen Untergang geschehen kann; so lange er aber auf seinem Platz sich friedlich verhält, ihm nicht feindlich begegnen. Es ist kein Gastrecht, worauf dieser Anspruch machen kann (wozu ein besonderer wohltätiger[214] Vertrag erfordert werden würde, ihn auf eine gewisse Zeit zum Hausgenossen zu machen), sondern ein Besuchsrecht, welches allen Menschen zusteht, sich zur Gesellschaft anzubieten, vermöge des Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde, auf der, als Kugelfläche, sie sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich doch neben einander dulden zu müssen, ursprünglich aber niemand an einem Orte der Erde zu sein mehr Recht hat, als der andere.“
    Grigat folgt hier sogar – diesbezüglich vergleichbare Aussagen J.Bruhns folgend – dieser Kantischen Einsicht. Eine Antinomie formuliert Kant auch hier, um sie dahingehend aufzulösen, daß ein Prinzip einzuhalten nicht zum eigenen Untergang führen darf. Und genau das liegt vor, wenn Israel sein Recht auf Selbsterhaltung in Anspruch nimmt. Grigat wäre nur dann zu kritisieren, wenn er das nicht teilte. Aber genau das habe ich in Vorträgen – teilweise auch in Internet zugänglich – von ihm vernehmen können.
    Wenn man etwas von dialektischen Denkern lernen kann. dann daß man – wenn man jemand kritisieren will – sich auf den Boden seiner Stärke stellen muß.
    Sonst macht man sich nur über eine difizile Argumenttion lustig, so wie jemand, der sich über eine Deutung von Schillers Wilhelm Tell lustig macht, weil doch alles klar ist, da wird nur auf Äpfel geschossen.
    Im Übrigen: Kritische Theorie – sei es die Kants, sei es die Marxens oder schließlich Adornos – rechtfertigt überhaupt nicht ein Verhalten, eine Ideologie – oder was auch immer – mittels eines Verweises auf die Determiniertheit eines Individuums oder einer Gruppe oder der Menschheit, sondern treibt diese in die Selbstreflexion. Kritik stellt sich da nicht nur in Relation zu seinem Gegenstand, sondern unterwirft auch diese Relation der Kritik. Das macht seit Jahrhunderte den Kritizismus aus.
    Viele Feinde der Elche, waren früher selber welche, fällt mir auch beim Anit-D-Bashing ein.

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    Nachtrag Parisien: Man kann das auch anders sehen Individualismus, zu früh ausgelebt mündet in Oberflächlichkeit – im wahrsten Sinne des Wortes: Ausgelebt durch Tatoos, schrilles Outfit, „Dienstwagen“ etc.. Sie kennen bestimmt die einschägigen TV-Formate. Bitte um Verzeihung für wiederholtes o.t. beim Autor sowie bei den Adorno-Anhängern, denen ich sowieso die akademische Teilnahmeberechtigung am „geisteswissenschaftlichen Blog“ schuldig bleiben müsste. Bei mir blogfreie 7 Tage!

  39. avatar

    Lieber Herr Posener,

    Danke für Ihre Antwort! Wenn ich mich auf Sie beziehe, beziehe ich mich dann auch auf den Maoismus Ihrer jungen Jahre? 🙂
    Ich verstehe durchaus dass es viel unkritische Marxrezeption gibt, insbesondere der junge Marx ist ja unter Philosophen sehr beliebt. Ich hoffe, Sie sehen trotzdem ein, dass man da sehr genau zwischen dem unterscheiden muss, was die Marxisten so sagen, genauso wie man Sie nicht an ihrer Vergangenheit zu kritisieren hat. Wenn die Antideutschen Antisemiten sind, dann sollte es Ihnen ein leichtes sein, das auch ohne Verweis auf die Judenfrage nachzuweisen. Genauso ist eine Kritik an Ihnen ohne eine Kritik des Maoismus zu machen. Zugegeben, das ist nicht ihr einziges Argument, aber dieses Argument halte ich ganz und gar für untauglich. Gerade die Judenfrage wird sowieso von so gut wie keinem gelesen und von fast jedem abgelehnt. Also bezieht sich auch so gut wie niemand darauf.

    Ich habe mir gestern Nacht einmal die Mühe gemacht. Im übrigen komme ich zu einem anderen Ergebnis. Wie gesagt, von mir aus sei die Judenfrage geschenkt, wer von Marx nichts wissen und über Marx nicht reden will, kann sich den Post ab dieser Stelle gerne sparen und ggf unter dem Doppelstrich weiter unten weitermachen, ich möchte weder Marx noch die Schrift verteidigen, möchte aber schon anmerken, dass sie falsch wiedergegeben wird. Ganz am Ende habe ich noch eine Frage an Sie, die Ihre Antwort an Herrn Blumentritt betrifft.

    Der Antisemitismus in dieser Schrift liegt darin, dass Marx die Bezeichnung „Judentum“ gar nicht für Religion, völkische Identität oder sowas benutzt, sondern für das, was _Marx‘ Zeitgenossen_ als „empirisches Judentum“ wahrgenommen und kritisiert haben, Geschäftemacherei. Wenn er schreibt: Die Emanzipation der Gesellschaft ist ihre Emanzipation vom Judentum, dann ist damit nicht gemeint, die Religion zu verbieten oder die Juden zu verfolgen.
    In der Tat, diese Gleichsetzung von Juden mit der Zirkulationsspähre ist die selbe wie im Antisemitismus, aber Marx macht daraus überhaupt keine Aussage über das Wesen der Juden, sondern über das Wesen des Kapitalismus. Auch das macht er übrigens falsch, in seiner Kritik der politischen Ökonomie kritisiert er die Erklärung des Mehrwerts aus Zins und Wucher, hat sich von seiner dünnen Ökonomiekritik in der Judenfrage also weit entfernt. Er sagt jedenfalls: Schon in der bürgerlichen Gesellschaft verallgemeinert sich dieses „Judentum“, also die Geldmacht, auf die ganze Gesellschaft. Das ist – schon in der Judenfrage! – eine Absage an die heute übliche antisemitische Lesart. Wenn das Judentum sich aber verallgemeinert, dann ist dem Antisemitismus auch die Grundlage entzogen, und das schon in der bürgerlichen Gesellschaft – ja, das hat sich als falsche Einschätzung erwiesen, der Antisemitismus blüht immernoch. Marx hatte die Hoffnung, dass sich die Judenfrage mit dem entwickelten, säkularen, kapitalistischen Staat von selbst erledigt, weil die Geldmacht in diesem Staat nicht auf die Juden und die Juden nicht auf die Geldmacht beschränkt sind. Es hat sich später gezeigt, dass dieser strenge Materialismus, nach dem die Leute schon darauf kommen würden, dass der „Kapitalismus“ nicht an den Juden liegt, wenn jeder „Kapitalismus“ betreibt, falsch war. Die Anführungszeichen, weil Kapitalismus keinesfalls identisch mit Geldgeschäften ist. Wenn ich mal bei „Judentum“ keine setze, bitte mitdenken. 🙂

    Sie zitieren die letzten Sätze. Hier ist in der Tat die Rede davon, dass die wahre Emanzipation der Gesellschaft dann erst die Emanzipation vom Kapitalismus wäre. „Judentum“ wird hier in dem Sinne benutzt, nicht im Sinne einer Unterdrückung der Religion.

    Zur Religion sagt Marx so viel: Erstens, dass Religion im säkularen Staat Privatsache wird und man sich damit nicht mehr politisch zu beschäftigen braucht. Leider war auch das zu optimistisch, Religion ist weiterhin ein Politikum.

    Zum religiösen Wesen des Judentums sagt Marx, dass man ihnen einen Materialismus und Egoismus attestieren kann. Wenn man Marx‘ Werk kennt, wird man wissen, dass das ein Lob auf diesen Materialismus ist. Er appelliert selbst oft genug an diesen Materialismus. Er charakterisiert das Judentum damit als fortschrittlich gegenüber dem Christentum. Die Kritik ergibt sich nur daraus, dass die Interessen gegensätzliche Interessen sind, weil die Gesellschaft eine kapitalistische ist. Das liegt, weder in der Welt noch bei Marx, an den eigennützigen Menschen, sondern an der Gesellschaft.

    Nun nochmal meine Frage, wenn ich die Schrift von Marx in dieser Form auffasse und kritisiere, mache ich da schon den Übergang zum Antisemitismus oder verharmlose ich das, was da als Antisemitismus aufgefasst werden kann? (Und ja, das kann es, ich kann die Judenfrage heute keinem mehr empfehlen, in diesem Fall ist die Einschätzung wirklich mal berechtigt, dass die Geschichte Marx widerlegt hat – was die Ökonomiekritik angeht, sieht das ganz anders aus, aber nur nebenbei.)

    —————————
    —————————

    Jetzt nochmal zu Herrn Blumentritt, Sie schreiben:

    „Adorno geht von Marx aus und landet mittels der Dialektik wieder beim deutschen Idealismus. Aber das ist keine neue Feststellung, sondern seit Jahrzehnten sozusagen das Graubrot der Philosophie. Nur diejenigen, die Adorno quasi-religiös von der Kritik ausnehmen, selbst von der immanenten Kritik mittels der Adornoschen Dialektik, haben das nicht begriffen.“

    Nach meiner Einschätzung versteht Adorno weder von Marx noch von Hegel viel und fällt in seinem radikalen Skeptizismus sogar noch hinter Kant zurück.
    Aber vielleicht verstehe ich auch nicht viel von Adorno, ich finde das zu mühselig und lese vor allem Sekundärquellen, meistens gutmeinende, naja.

    Aber trotzdem: Man kann überhaupt nicht sagen, dass Adorno sich selbst von dieser Selbstkritik ausnimmt. Adorno bleibt in Aporien gefangen in denen er dem Denken nicht mehr trauen möchte, also auch seinem eigenen nicht. Auch die Kritische Theorie, die man übrigens von den Antideutschen unterscheiden muss, übt sehr wohl eine grundsätzliche Selbstkritik an der Möglichkeit von Theorie, auch der eigenen. Finde ich falsch, aber die Aussage, die KT würde sich von dieser Selbstkritik ausnehmen, ist auch falsch.

    Was den Elitarismus von einigen Antideutschen angeht, da könnten Sie recht haben. Ich wäre auch sehr froh, konkret zu hören, was Adorno denn alles so gesagt hat anstelle immer nur auf ihn verwiesen zu werden. Wenn er richtige Sachen gesagt hat, und das hat er ohne Frage auch, viele seiner Analysen in der Einzelheit sind ganz richtig, nur im Erkenntnistheoretischen wirds falsch, dann müsste man das auch ohne jedes Autoritätsargument sagen können.
    Wenn Sie aber sagen, dass Adorno außerhalb der Kritik steht, irren Sie sich aber. Zumindest in den höheren gnostischen Zirkeln wird der durchaus von der kritischen Theorie kritisiert. 😉

    Tut mir Leid dass der Beitrag ohnehin schon so lang ist, aber eine Sache fällt mir da noch ein. Ihre Kritik an den Antideutschen ist auch an anderer Stelle falsch, sie unterstellen Ihnen da Positionen, die in antideutschen Publikationen ganz anders vorkommen. Sie sagen, dass Antideutsche den deutschen Rechtsstaat nicht verteidigen. Das stimmt definitiv nicht. Antideutsche tun sich schwer darin, den _deutschen_ Staat zu loben, das stimmt schon, aber den Rechtsstaat allgemein, und als solchen bestimmen sie auch den deutschen, nehmen sie ständig vor dem Faschismus und vor falschen linken Projekten in Schutz. Dann sagen sie noch, dass die Antideutschen in zirkulärer Logik die Existenz von Israel als Beweis des deutschen Antisemitismus heranziehen. Das kommt auch nirgendwo in antideutschen Publikationen vor, das unterstellen Sie den Antideutschen. Die beweisen den Antisemitismus nicht anhand der Existenz Israels, sondern durch Ideologiekritik der „deutschen“ Ideologien. Ich stimme übrigens zu, dass der Begriff der „deutschen“ Ideologie irreführend ist und meistens nur in polemischer Absicht verwendet wird. Trotzdem ist festzuhalten, dass die Ideologien, wie sie etwa in Deutschland und im Islam entstanden, sich ganz wesentlich von den liberalen Ideologien Englands und der USA unterscheiden.

    Mit freundlichen Grüßen, und falls Sie es bis hierhin geschafft haben, Danke für Ihre Geduld.

  40. avatar

    @Parisien 13. Juni 2013 um 23:27 (o.t.)
    Lieber Parisien, haben Sie auch die letzten Sätze im Artikel gelesen? Der Artikel ist für mich jedenfalls das intelligenteste, was ich seit geraumer Zeit gelesen habe..

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    @ Roland Ziegler

    Nur nebenbei, denn hier geht es ja um etwas anderes: Ich nehme das schon ernst, wenn ich über diese s°h“iss* lese, die das am.gov. produziert und dann kommt einer und propagiert den überaus braven Bürger hinter einheitlicher Fassade. Was wir brauchen, sind mehr verbal unbrave Bürger mit einem Bedürfnis, wieder sie selbst zu sein und ihre Stimme bei Bedarf zu erheben. Er aber, Posener, bewegt sich in seinem WO-Stück eindeutig in Richtung überaus braver Bürger, der am besten nicht mehr draußen rauchen darf, wie in den USA, keine Flasche in der Hand haben darf, aus der er trinkt, und der mit 65 miles hinter Baby an Bord herschleicht, dann kann nix passieren.

  42. avatar

    @Martin Blumentritt

    Danke für die Erklärung!

    Das “also”, das einen gültigen Schluß suggeriert, hat daher gar keine Berechtigung. Sonst wäre es ja so, daß die Psychoanalyse als Kritische Theorie des Subjekts das Subjekt verwerfen würde, obgleich sie dieses ja nur analysiert.

    Was ich in der Praxis erlebt habe ist jedoch genau das nicht. Die kritische Theorie ist in der Praxis eine argumentative Gesprächspartnervernichtungswaffe, ob im Sinne des Erfinders weiß ich schlicht nicht. Es stellt sich fast immer raus, dass die Pointe der kritischen Analyse eben doch das „also“ ist, die kritische Theorie damit als argumentatives Hütchenspiel gebraucht, von mir aus missbraucht, wird, um Meinungen und Standpunkte des Gegenüber zu marginalisierten. Es ist vollkommen weltfremd zu glauben, dass die kritische Theorie als ergebnisoffene Wissenschaft betrieben wird, zumal diejenigen, die sie einsetzen, meistens genau das möchten: das Subjekt der Analyse verwerfen. Im politischen Kontext ist sie ein Getränkeautomat, der Auswahlmöglichkeit suggeriert, aber dann doch nur die gleiche Cola Dose ausspuckt, weil ich mit meinem falschen Bewusstsein ja doch nur das falsche Wähle. Das könnte man auch autoritär nennen. Und (autsch!) genau das sind diese Gruppen. Da schließt sich dann auch der Kreis zu der konservativen Revolution. Wir sind durch den Liberalismus von unserem Eigenen entfremdet, was in der Praxis wieder auf eine Marginalisierung des Gegenübers hinausläuft.
    Nochmal: was Adorno und Horkheimer unter beschädigten Subjekten verstehen, weiß ich nicht. Ich verstehe aber auch ohne ihre Hilfe, was mein politischer Gesprächspartner damit meint. Und das ist autoritär.

    Rostock:
    Ich müsste schon Kleber schnüffeln, um das hier als ein nettes Kaffeekränzchen zu verstehen:
    „Wie ist der Zionismus als nationale Befreiungsbewegung der Juden und Jüdinnen vor dem Hintergrund einer kritischen Theorie der Gesellschaft zu begreifen?“
    Wenn zwei Sätze vorher das steht:
    „Der Zionismus ist die unmittelbare Antwort sowohl auf den europäischen als auch auf den arabischen und islamischen Antisemitismus.“
    Na, zu welchem Ergebnis werden wir dann, in einer Welt des falschen Bewusstseins, wohl kommen? Dass wir kein „also“ formulieren werden, das Subjekt der Kritik nicht verwerfen wollen? Das wir nur mal so schauen werden, mal so ganz Judenknacks-frei? Tröstlich ist es zu wissen, dass die Zionisten die letzten sind, die plattgemacht werden sollen. So Freunde wünscht man sich doch.

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    …wobei, Parisien, Ironie hin oder her, die Forderung, sittliche Konventionen zu stärken, ist schon ernst zu nehmen. Und sittliche Konventionen bedeuten definitiv Einschränkungen der Freiheit.
    Bei der Kindererziehung muss man z.B. dafür sorgen, dass ein komplexes Gefühl für Rücksichtnahme, individuelle (auch sinnlose) Sensibilitäten der anderen, Taktgefühl (in mehreren Hinsichten) usw. entsteht. Erst wenn solche Strukturen aufgebaut sind, kann die Pubertät dagegen anrennen und sie wieder umstoßen. Später werden sie dann zunächst geprüft und zu großen Telen mit eigener Hand wieder aufgebaut. So soll es sein. (Klar besteht die Gesellschaft nicht aus Kindern, insofern ist es da etwas anders.)

  44. avatar

    @Parisien: Das Stück sollten Sie nicht so bierernst nehmen. Spätestens am Ende können Sie sehen, dass die Forderung nach Einschränkungen der Lümmelfreiheit ironisch sind: Nur wer Konventionen aufgebaut hat, heißt es dort sinngemäß, kann sich den Spaß erlauben, sie wieder einzureißen.

    @Martin Blumentritt: Die eigenen Grundlagen kritisch reflektieren, sagen Sie. Reflektiert denn die Kritische Theorie (in ihrer hier präsentierten Ausprägung) ihre eigenen Grundlagen? Oder nicht vielmehr die Grundlagen „der anderen“, der Verblendeten, der Leute, die im falschen gesellschaftlichen Leben falsche individuelle Leben führen; die geprägt sind von struktureller Gewalt, welche ihnen nur Antisemitismus als Ausdruck übrig lässt?

    Mir erscheint das als wie eine Beobachtung mit dem Fernglas, vom würdigen Hochsitz der Soziologie. Wenn die Kritische Theorie wirklich so kritisch wäre, würde sie zunächst mal nachsehen, ob der alte, morsche Hochsitz denn überhaupt noch stabil ist oder nicht bei einem etwas schärferen Blick zusammenkracht. Was ist denn das für ein neuer kategorischer Imperativ? Herr Posener hat diesen Punkt zurecht hervorgehoben: „Alles Denken und Handeln“ soll man auf etwas ausrichten. Nein, ich zumindest werde nie all mein Denken und Handeln auf irgendetwas ausrichten. Man soll es auf eine Verhinderung der Wiederholung des Holocaust ausrichten. Nun ist die Wiederholung des Holocaust zumindest hier in Deutschland so unwahrscheinlich wie eine Invasion der Außerirdischen. Auf so etwas soll ich all mein Denken und Handeln ausrichten? Was für ein Quark.

  45. avatar

    Lieber Hugo Noack,
    gute Frage. Ich beziehe mich selbst oft auf die politische Ökonomie des Karl Marx, etwea auf sein Lob der Globalisierung oder des Freihandels.Aber ich berufe mich nicht auf ihn. Da gibt es einen nicht nur semantischen Unterschied, sondern das ist Ergebnis einer politischen Haltung.
    Lieber Martin Blumentritt,
    Ihr sehr wortreicher Beitrag soll nur das Einfache kompliziert erscheinen lassen: Die kritische Theorie der Gesellschaft ist Gesellschaftskritik. Die kritische Theorie des Zionismus ist Zionismuskritik. Das behaupte ich ja nicht nur, das begründe ich im konkretn Fall des Zionismuskritikers Stephan Grigat, der einen Widerspruch zwischen zionistischem „Partikularismus“ und der erstrebten „universalistischen“ Emanzipation der Menschheit konstruiert.
    Ein Widerspruch, der in der „Kritischen Theorie“ angelegt ist. Denn die angebliche Selbstkritik des kritisierenden Subjekts, von der Sie schreiben, ist ja Kritik seiner eigenen Beschränktheit und Bedingtheit, vollzieht sich also vor der Folie einer postulierten nicht beschränkten, nicht bedingten Subjektivität, einer Identität von Partikular- und Allgemeininteresse, was ein rein idealistisches Konstrukt ist.
    Adorno geht von Marx aus und landet mittels der Dialektik wieder beim deutschen Idealismus. Aber das ist keine neue Feststellung, sondern seit Jahrzehnten sozusagen das Graubrot der Philosophie. Nur diejenigen, die Adorno quasi-religiös von der Kritik ausnehmen, selbst von der immanenten Kritik mittels der Adornoschen Dialektik, haben das nicht begriffen. Aber ihr religiöser Furor ist noch lange kein Grund, sie ernst zu nehmen.

  46. avatar

    Eigentlich erweist sich Posener mit dem unten verlinkten Stück als der wahre Antideutsche. Das geht so weit, dass er Kameras verteidigt in Zusammenhang mit Spucken und Alkohol. Außerdem diese spießigen englischen terraces – das Halbrund in Bath ist ziemlich singulär als schöne Fassade. Ein typisches deutsches Charakteristikum, fehlende Geschwindigkeitsbegrenzung, deutet er um zu Rasen. Dass Prohibition oder die öffentliche Ächtung von Alkohol dazu führen, dass man in England und Skand. Leute sturzbesoffen sieht wie in Deutschland nur selten, also das Gegenteil bewirken, geht ihm nicht auf. Es lebe doch der angepasste, überwachte Bürger mit einheitlicher Fassade vorn und Suff hinten. Und möge er bitte vor der einheitlichen Fassade nicht abaschen. Selten so ein antideutsches Stück gelesen:
    „Weder in Amerika noch in Skandinavien – in beiden Fällen zutiefst bürgerliche Gesellschaften – darf man, wie hierzulande, in Bussen und Bahnen oder auf öffentlichen Plätzen aus mitgebrachten Flaschen Alkohol konsumieren. Und dort wie in Großbritannien ist es längst selbstverständlich, dass öffentliche Plätze mit Kameras überwacht werden.“
    http://www.welt.de/kultur/arti.....ssung.html

    Nun ist er ja kein Antisemit, obwohl seine Israelverniedlichung was hat.
    Also gehe ich davon aus, dass die sog. antideutsche Fraktion auch nicht antisemitisch ist.
    Zum Kotzen wäre eher ihr Antideutsches. Aber ehrlich gesagt, ich dachte, die Antideutschen wären längst ausgestorben.
    Schlafen Sie gut, Herr Posener, in Ihrer einheitlichen McNair-Siedlung. Hoffentlich hat da bis morgen keiner ’ne Kippe fallen lassen.

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