Der frühere Feuilletonredakteur der „Zeit“ und renommierte Wissenschaftsautor Dieter E. Zimmer hat ein Buch vorgelegt, in dem er sich mit der Erblichkeit der Intelligenz auseinandersetzt:
Anlass seines Buchs war die Diskussion über Thilo Sarrazins Buch, „Deutschland schafft sich ab“, in deren Verlauf von manchen Teilnehmern, wie Zimmer meint, die Vererbbarkeit von Intelligenz geleugnet und die Behauptung einer solchen Erblichkeit als „Biologismus“ kritisiert wurde.
Da sich Zimmer in seinem Vorwort besonders Jörg Blech vom „Spiegel“ vornimmt, horchte ich auch. Denn ich hatte ja hier auf „Starke Meinungen“ ebenfalls Jörg Blech kritisiert:
Zwei Wochen später jedoch habe ich meine Ansichten korrigiert:
Um es für diejenigen, die keine Lust haben, das alles nachzulesen, kurz zu machen: Seit langem hat man beobachtet, dass sich angeborene Intelligenzunterschiede erst bei einer gleichen und guten Erziehung und einer entsprechenden sozialen Umgebung bemerkbar machen.
Die primär beobachteten Leistungsunterschiede etwa zwischen bürgerlichen Kindern und Kindern von Hartz-IV-Empfängern haben in erster Linie etwas zu tun mit Umwelteinflüssen, von der Familie über die Spielkameraden bis hin zu Kindergarten und Schule.
Ein wichtiger Mechanismus, der Einflüsse der Umwelt (zum Beispiel Ess- und Trinkgewohnheiten der Eltern, Stress, positive und negative Reize) sozusagen in messbare Intelligenz umsetzt, ist die Epigenetik – das, was der Wissenschaftsautor Peter Spork den „zweiten Code“ genannt hat.
Leider geht Dieter E. Zimmer auf dieses entscheidende Phänomen gar nicht ein. Das Wort „Epigenetik“ kommt bei ihm nur einmal vor, und zwar in einem Anhang, wo es kurz erklärt wird. Es wird aber nicht gesagt, was die Ergebnisse der Epigenetik für die Intelligenzforschung bedeuten.
Eigentlich ist es unverantwortlich, ein Buch zu veröffentlichen, das von sich behauptet, „eine Klarstellung“ zu sein, wenn man sich mit den Arbeiten von Blech und Spork zu diesem Thema nicht befasst hat.
Aber sei’s drum. Mit Sarrazin beschäftigt sich Zimmer hingegen eingehend, nämlich auf 14 Seiten. Da Zimmer eine gewisse Sympathie für Sarrazin hegt, jedenfalls Sarrazins Kritikern vorhält, sie wollten „missliebige Fakten mit einer Fatwa aus der Welt schaffen“, ist seine Kritik am Selfmade-Gen-Experten besonders interessant, der sich ja inzwischen auch als Theoretiker der Pferdezucht hervorgetan hat:
Zimmer stellt zunächst fest, dass Sarrazin in „Deutschland schafft sich ab“ zwei einander widersprechende Aussagen macht:
1. „Man könnte ja auf die Idee kommen, dass auch Erbfaktoren für das Versagen von Teilen der türkischen Bevölkerung im deutschen Schulwesen verantwortlich sind.“ (S.316) Auf dieser Linie liegen Sarrazins Ausführungen über das „Juden-Gen“ für Schlauheit und sein Vergleich von Pferderassen.
2. „Der Misserfolg (muslimischer Migranten in der Schule A.P.) kann auch wohl kaum auf angeborene Fähigkeiten und Begabungen zurückgeführt werden, denn er betrifft muslimische Migranten unterschiedlicher Herkunft gleichermaßen.“ (S.267)
Dies sind die Ausführungen, die gern von den Vertretern der „Islam-Kritik“ aufgegriffen werden: eine kulturelle Bildungsfeindlichkeit in muslimischen Familien, möglicherweise im gesamten islamischen Kulturkreis, führe zu einer Senkung des Niveaus.
Es versteht sich von selbst, dass Sarrazins Verteidiger sich nie an diesem Widerspruch stoßen. Aber egal.
Dieter E. Zimmer fragt nun nach den empirischen Befunden, auf die man die eine oder die andere Aussage gründen könnte. Er stellt fest, dass die Datenlage außerordentlich dünn sei. Eine einzige Studie (von Levels / Dronkers / Kraaykamp 2008) habe die PISA-Studie 2003 im Hinblick auf die „Kompetenzdomäne Mathematik“ nach den entsprechenden Kriterien ausgewertet. Sie dürfte Sarrazins „wichtigste, wenn nicht die einzige empirische Basis seiner Hauptthese bilden“. (Und, so sollte man hinzufügen: da die Studie 7403 15-Jährige aus 35 Staaten der Erde umfasst, bildet sie für Deutschland statistisch betrachtet eine recht schmale Basis.)
Die Ergebnisse:
1. Den Mittelwert bildeten 100 Punkte. Den erzielten die deutschen Schüler und Schülerinnen (Ss). Zum Vergleich: Chinesischstämmige Ss in Australien, Neuseeland und Schottland erzielten 110.
2. Türkische Schüler in Deutschland erzielten im Schnitt 87 Punkte. Das ist das viertschlechteste Ergebnis aller Schülergruppen.
3. In den überwiegend muslimischen Ländern Bosnien-Herzegowina, Libanon, Marokko, Pakistan und der Türkei kamen die Ss auf 94 Punkte, die Ss aus den 30 nichtmuslimischen Ländern auf 99 Punkte.
Also hat Sarrazin womöglich mit beiden Aussagen Recht?
Gemach.
1. Der Abstand zwischen den muslimischen und den nicht-muslimischen Kindern weltweit beträgt 5 Punkte – weniger als der zwischen chinesischen Zuwanderern in Kanada und „Biodeutschen“ hierzulande, und erheblich weniger als der Abstand von 26 Punkten zwischen bulgarischen und vietnamesischen Auswandererkindern. Außerdem beträgt der Abstand zwischen Ss aus den einzelnen muslimischen Ländern ebenfalls bis zu fünf Punkten.
2. In den Niederlanden erzielten türkische Ss 97 Punkte. Das ist eine statistisch kaum relevante Abweichung von der Norm deutscher Ss.
3. Mit einem Mittelwert von 90 Punkten lagen Albanien, Bulgarien, Griechenland, Rumänien und Serbien – und die Emigratenkinder aus diesen Ländern – gleichauf mit der Türkei und dem Schnitt der türkischen Emigrantenkinder. Dabei sind diese Länder – mit Ausnahme von Albanien – nicht muslimisch. Diese „Balkan-Senke“ ist (ich zitiere) „nur der tiefste Teil einer sehr viel weiteren Senke, die sich praktisch am ganzen Mittelmeer entlangzieht, von Marokko und Portugal bis zum Libanon. Die Kinder aus den vierzehn PISA-Herkunftsländern dieser Zone kamen auf einen Durchschnitt von 93 und lagen damit einen Punkt unter den muslimischen Ländern.“
Woher kommt diese „Senke“? Jedenfalls nicht vom Islam. Und wenn es dafür „ein Gen“ (oder eine Gruppe von Genen) geben sollte, dann ist das ein mediterranes Gen. (Oder vielleicht die epigenetische Folge des Kochens mit Olivenöl?) Und ein ansteckendes. Denn – und dies findet sich weder in Sarrazins Buch noch bei Zimmer – trotz Besitz eines „jüdischen Gens“ schnitten israelische Ss bei PISA 2009 sehr schlecht ab:
Hier die Tabelle. Israel ist insgesamt fast so schlecht wie das katholische Österreich, das aber in Mathematik immerhin den OECD-Durchschnitt erreicht und Israel und die Türkei als Länder der mathematisch unbegabten mediterranen Senke fast gleichauf hinter sich lässt:
Kurzum: Ob man Sarrazin als „Biologisten“ bezeichnet oder nicht: Er ist ein schrecklicher Vereinfacher. Sein Buch ist, wie es die Kanzlerin zu Recht formuliert: „nicht hilfreich“.
Was nun die mediterrane Senke betrifft, so wage ich eine Erklärung aufgrund eines Phänomens, das bei Zimmer gar nicht erst erwähnt wird: Die im Schnitt niedrigeren Ergebnisse sind ein Ergebnis der im Schnitt höheren Kinderzahl im Mittelmeerraum. Dass der Durchschnitts-IQ mit der Anzahl der Kinder sinkt, ist ein schon länger beobachtetes Phänomen:
Wenn daher Sarrazin, ausgehend von seinen Vorurteilen gegen Zuwanderer, Muslime, Hartz-IV-Empfänger usw. eine Lösung für die Selbstabschaffung Deutschlands darin sieht, dass Akademikerinnen mehr Kinder bekommen, irrt er. Das Ergebnis dürfte nur sein, dass es mehr frustrierte Akademikerkinder gibt, die eine Sozialhilfe-Karriere der aussichtslosen Konkurrenz mit ihren intelligenteren und kinderreichen Eltern vorziehen.
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@Robert: Der IQ-Test wurde ursprünglich entwickelt um – in der damaligen Terminologie – schwachsinnige Probanden zu ermitteln. In diesem Punkt ist er vermutlich auch erfolgreich. (Ihr Zitat)
Auch mit solchen Aussagen sollte man vorsichtig sein. Außerdem gibt es nicht „Den“ IQ-Test, sollten sie mal googeln. Aus persönlichen Gründen musste ich mich schon vor Sarrazins Buch mit IQ-Tests beschäftigen, d. h. ich hatte Zeit und zwei Kinder, die mich herausforderten. Mein Mann war der Meinung, dass sein Sohn schon mit 5 Jahren in die Schule gehen solle und ich gab zurück: Kennst du deutsche Schulen? Aber in England erwiderte er: Der Junge sollte etwas lernen, da konnte er schon addieren und subtrahieren, aber malen und basteln wollte er nicht. Dann gibt es diese Sätze: „Kinder sollen nicht schon lesen können, bevor sie in die Schule kommen.“ Eine Mutti (Westdeutsche) hat mir dann gesagt, dass es beim Gesundheitsamt Psychologen gibt, die bei solchen Fragen helfen. Die Psychologin hatte wenige Bedenken, es ging ums malen, und er ging dann wirklich ein Jahr früher in die Schule, es klappte gut, auch, weil wir eine Grundschullehrerin gefunden hatten, die ihn unterstützte. Gerade wurde an der Schule die optimierte Schuleingangsphase probiert, für ihn war es das Richtige. Den IQ unseres Sohnes haben wir nicht ermitteln lassen. Wozu?
Ganz anders sah die Sache beim Zweiten aus. Der erste Test IQ kleiner als 90 (5 Jahre), er konnte nicht sprechen. Sollten wir jetzt aufgeben? Nach einem sprachfreien Test, bei einer anderen Psychologin, sah der Wert dann besser aus, die Einzelwerte sehr heterogen. Wir haben uns bemüht ihn bei seinen Defiziten zu fördern und einzuwirken, das schafft man nicht alleine, da ist man abhängig. Leider muss man manchmal auch Lehrer davon überzeugen, dass es noch Hoffnung gibt, denn in diesem Land geht es in der Bildung für schlechte Schüler nur abwärts und dies im Allgemeinen ohne Rückkehr. Da hilft dann manchmal doch ein solcher Test.
Außerdem ist mir ein Rätsel, wie man die häufigen IQ-Test, die Herr Sarrazin fordert, durchführen soll. Und, was sagt uns dieser Wert, der sich nach dem was ich gelesen habe, erst mit etwa 12/13 Jahren stabilisiert.
Zur Klarstellung der wissenschaftlichen Frage:
Mit Studien an monozygotischen Zwillingen kann man nur eine Frage beantworten: ob Intelligenz (ggf. teilweise) genetisch bedingt ist – vererbt ist hier der falsche Begriff, denn dazu müßte ja der IQ der Eltern berücksichtigt werden (mit einer zu bestimmenden Formel).
Was mich aufregt: seit etlichen Generationen konnte zu dem Thema kein wissenschaftlich klares Ergebnis erzielt werden, daher gilt für mich der Grundsatz: allen Kindern möglichst gleiche schulische Chancen zu geben und diese Chancen zu maximieren.
Das Buch von Sarrazin verschleiert diese Wahrheit und schafft unbegründetes Elite-Denken, daß durch nichts belegt ist.
Man denke nur mal an die Terman-Studie: das eigentliche Ziel Nobelpreisträger zu „erschaffen“ funktionierte nicht – wie auch – wer kann einen Test erfinden, wie man potentielle Nobelpreisträger findet. Der IQ-Test wurde ursprünglich entwickelt um – in der damaligen Terminologie – schwachsinnige Probanden zu ermitteln. In diesem Punkt ist er vermutlich auch erfolgreich.
@Kerstin
Wieso es so viel dicke Kinder gibt?
Meiner Meinung nach ist die Antwort sehr einfach:
Keine Bewegung, couch-potatoes kids, burgers and coke
Schauen sie sich die Chinesen an: Vor 20 Jahren und heute !
Und dann NDD
http://en.wikipedia.org/wiki/N.....t_disorder
Was Mr. Sarrazin betrifft er waere ein ideales Mitglied unserer tea-party mouvements:
http://en.wikipedia.org/wiki/Tea_Party_movement
Es fehlt allerdings noch der homophobe und der anti-abortion touch !!
Ich lese gerade den berliner tagesspiegel:
Ich habe noch ein paar canadian survival sweaters. Vielleicht sollte ich sie ihm nach Berlin senden.??
http://www.tagesspiegel.de/med.....45990.html
@Kerstin
Ihre Frage ist berechtigt: Ich meine vor allem rückwärtsgewandte Bildungsideale, die Schüler und Studenten vor allem für die spätere Tätigkeit in einer Bürokratie in einer Industrie und/oder (hier gibt es keinen prinzipiellen Unterschied) einem Öffentlichen Dienst abrichten. Max Weber hat diese Form von „Rationalisierung“ bereits im 19 Jh. thematisiert. (Interessanter Podcast zum Thema hier .)
Ich meine vor allem den Etikettenschwindel in unserem Hochschulsystem:
Über Drittmittelförderung haben Industrieoligarchen einen erheblichen Einfluss auf die Inhalte von z.B. naturwissenschaftlichen Studiengängen, was zu zu früher Spezialisierung bei den Studenten führt und damit das Risiko der Studienentscheidung sehr einseitig auf diese abwälzt. Im Klartext: Etwa 2/3 meines Abschlussjahrgangs (Chemie, 1990) sind entweder in den USA, machen „was anderes“ oder sind arbeitslos. Bei einem der aufwändigsten Studiengängen mit sehr vielen Praktika und ca. 90 Prüfungen eine schlechte Bilanz und intellektuelle Vergewaltigung ganzer Jahrgänge. Dann doch lieber Gemüsehändler. Ich bin für Bildung, wenn sie das Individduum stärkt. Ein fehlgeleitete (subventionierte) Spezialisierung tut das definitiv nicht. Sprechen Sie das an geeigneter Stelle an, erhalten sie bräsiges Kopfschütteln oder taktische Relativierung. Die Industrie und der Staat sollen doch ihre Leute selber ausbilden, sollten sie mal welche brauchen.
Übrigens finde ich nicht, dass Thilo Sarrazin in die rechte Ecke gestellt wurde. Thilo Sarrazin hat sich vielmehr den gesellschaftlichen Raum angeguckt und überlegt, wo denn noch eine Ecke frei wäre, in die man sich stellen könnte, um bemerkt zu werden. Er sah die rechte Ecke, er stellte sich hinein, er wurde überproportional wahrgenommen und räumte entsprechend ab.
@Kerstin: Der Begriff „Elite“ ist tückisch. Zweifellos stellt er eine Auszeichnung, eine Wertung, dar. Mitglieder einer Elite bilden sich normalerweise etwas darauf ein, zur Elite zu gehören.
Allerdings ist er nur in Bezug auf die Gruppe zu verstehen: „…die Elite aus Arbeitern und Bauern…“, zitieren Sie. Die Elite des Staates, sagt man auch. Dies zeigt, dass die Elite für die Gruppe – für den Staat – besonders brauchbar ist. Eliten sind nützliche Willige; dass sie darüber hinaus noch besondere Fähigkeiten haben müssen, ist fraglich.
Anders ist es mit dem Begriff der Hochbegabung: Auch ein Verbrecher oder ein HartzIV-Empfänger kann hochbegabt sein; die Nützlichkeit oder Willigkeit spielt hier keine Rolle. Trotzdem wird eine spezielle Form von Leistung gemessen oder zumindest die grundsätzliche Leistungsfähigkeit eingeschätzt. Dafür muss es eigentlich auch eine kooperierende Leistungsbereitschaft geben; nur zur Not behilft man sich mit einem psychologischen Gutachten.
Wodurch wird Hochbegabung beeinflusst? Da gibt es sicherlich die unterschiedlichsten Einflüsse. Am Extembeispiel des Inselbegabten (Asperger) kann sich zeigen, dass sogar ein Defizit in der Hirnfunktion zu partieller Hochbegabung führen kann. Hier fehlen die segensreichen evoluitionären Errungenschaften des Vergessenkönnens bzw. des Übersehens.
@Roland Ziegler: Jetzt will ich doch noch einmal auf die Eliteförderung in der DDR eingehen. Hier ergibt sich für mich schon mal das Problem des Elitebegriffs, dieser wurde, wie von mir bereits geschrieben damals nicht verwendet. Was ist überhaupt Elite? Wie wird man Teil dieser Elite?
In dem Artikel „Wie die DDR wirklich funktioniert hat“ habe ich folgende Aussage gefunden:
Die Leitungskräfte in der DDR rekrutierten sich, je konsolidierter der sozialistische Staat wurde, immer stärker aus der Intelligenz, also aus sich selbst heraus. Der Anspruch der DDR, die Elite aus Arbeitern und Bauern zu gewinnen, wurde im Lauf der Zeit immer weniger verwirklicht. (Quelle: http://www2.uni-jena.de/journal/unifeb00/ddr.htm)
Für mich stellt sich die Frage: Wodurch wurde dies beeinflusst? Intelligenz, Bildungs- und Aufstiegswille, Erziehung usw.
In der DDR war es für manchen nicht lohnend zu studieren, da die Einkommenseinbußen durch das Studium hoch waren und man durch Schichtzuschläge in der Industrie gut Geld verdienen konnte.
Industriearbeiterschaft und SED ( Quelle: http://www.bpb.de/publikatione......html#art1)
@KJN: Jetzt muss ich doch mal fragen: Welches Bildungsideal sie meinen. Während meiner Ausbildungszeit war Bildung stark dem Zweck der Wirtschaft und dem Staat untergeordnet. Bei der beruflichen Ausbildung bestimmte der Staat die Anzahl der Plätze, alles geplant, das hat dieses System auch unflexibel gemacht. Heute hat man im Hochschulbereich fast die freie Wahl, kann sich aber nicht sicher sein eine berufliche Perspektive daraus zu machen. Dies war auch immer ein Argument in der DDR für die Einschränkungen der Berufswahl. Oder meinen Sie das Prinzip der Egalität?
Da ich hier geschrieben hatte, dass ich mich fragte: Warum wird Thilo Sarrazin so in die rechte Ecke gestellt?, will ich hier noch ein paar Anmerkungen machen. An anderer Stelle hatte ich schon einmal geschrieben, dass ich noch nie so viel über Genetik und Intelligenz gelesen hatte, wie nach dem Erscheinen des Buches „Deutschland schafft sich ab“. Während der ganzen Diskussion um das Buch fiel mir auf, wie stark eugenisch ich denken konnte, ohne den Begriff als solchen gekannt zu haben.
Dafür gibt es sicher verschiedene Ursachen. Ich stellte mir damals die Frage: Wie eugenisch war die DDR? Wie ging man in der DDR mit Behinderten um? In meiner Wahrnehmung war die DDR eugenisch. Aus meiner persönlichen Umgebung wusste ich, dass z. B. bei Erbkrankheiten eine entsprechende Beratung durchgeführt wurde und die Möglichkeiten der Adoption erleichtert wurden. Deshalb habe ich versucht entsprechende Belege dafür im Internet zu suchen.
Das heißt, ohne eugenische Sterilisationen zu legalisieren, waren sie als medizinisch indizierte legal durchführbar und wurden so begründet, dass nach einem eugenisch indizierten Schwangerschaftsabbruch eine medizinische Indikation im Interesse des Lebens und der Gesundheit der Frau gerechtfertigt war. Die Forderung nach Legalisierung der Sterilisation über die rechtlich abgesicherte medizinische Indikation im Interesse des Lebens und der Gesundheit der Frau gerechtfertigt war. (Quelle: Daphne Hahn: Eugenisch orientierte Regulierungen in BRD und DDR http://histsem.unibas.ch/forsc.....8;uid=2548)
PS.: Wer einmal ein Buch über den Umgang mit Behinderten in der Sowjetunion lesen möchte, dem empfehle ich Ruben Gonzalez Gallego „Weiß auf Schwarz“ http://www.perlentaucher.de/buch/17769.html
@ Roland Ziegler
Fortsetzung: Inzwischen rekrutiert die Wirtschaft „high potentials“, die nicht genügend Zeit zur Reifung hatten und dann mit den übertragenen Projekten und der Personalführung heillos überfordert sind. „Im Grunde ist der Personalmarkt da nur ein Spiegelbild des „Immer schneller, immer höher, immer weiter“ des gesamten Wirtschaftsgeschehens auf immer volatileren Märkten.“ (http://www.spiegel.de/karriere.....28,00.html).
Das ist offenbar ein kannibalischer Betrieb. Die Revolution frisst ihre Kinder. Ich hoffe mit Ihnen, dass das Knirschen unserer „Tretmühle“ zu Transformationsprozessen führt, die den Siegeszug des homo oeconomicus (Übersetzung aller Verhältnisse in Kaufkraft) stoppt.
@ Roland Ziegler
Es ist doch schön, wenn man sich auf der pragmatischen Ebene annähert. Sie schreiben:
„3. Woher habe ich die Marke von 20%? Ich weiß es nicht mehr. Ich habs irgendwo gelesen, möglicherweise in einem Interview. Es gibt bestimmt Untersuchungen zu dieser wichtigen Frage. Dass es irgendeine prozentuale Zahl gibt, die beschreibt, an welcher Stelle im Proporz der normale Unterricht kippt, ist jedenfalls plausibel. Dann kann der normale Lehrplan nicht mehr oder nur noch zum Schein durchgezogen werden, z.B. weil die meisten Schüler die Schulbücher nicht mehr verstehen und es zu wenig leistungstragende Schüler mit perfekten Sprachkenntnissen gibt, die die anderen “mitziehen”. Für solche Fälle benötigt man ein anderes Unterrichtskonzept.“
Dem kann ich nur zustimmen. Das zeigt aber auch, dass „wir“ (sagen wir mal Muttertsprachler und sehen wir von anderen Identifikationsmerkmalen ab) den Immigranten (Nicht-Muttersprachlern) keinen Gefallen tun, wenn „wir“ die kritische Masse von Schülern mit Muttersprachkompetenz unter 80% sinken lassen. Dann ist in der Tat ein ganz anderes Unterrichtskonzept fällig – der Schwerpunkt verlagert sich von der Wissensvermittlung (einschließlich Erwerb von Lernkompetenzen) auf sozialpädagogische und psychologische Betreuung. Meine Schwester, die an einer Schule in einer baden-württembergischen Mittelstadt Kinder außerhalb des Unterrichts sozialpädagogisch betreut, erzählt mir, dass durch die Änderung des Proporzes zwischen Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern der Betreuungsaufwand auch mit einem vergleichsweise hohen Betreuerschlüssel immer größer wird, die Probleme, die durch andere kulturelle Codes entstehen, nur sehr schwer zu kontrollieren sind, die Verhaltensmuster kaum beeinflußbar. Wenn, dann könnte dies nur durch eine wesentliche Aufstockung des Betreuungspersonals eingedämmt werden. Machen Sie eine Kosten-Nutzen-Rechnung.
Ich stimme auch Ihren Aussagen zum Braindrain zu. Wir können und sollten nicht erwarten, dass der Ausfall von gut ausgebildeten „Fachkräften“ durch Arbeitsimmigranten kompensiert wird. Ich habe vor