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Füssen, Bad Tölz und der Chiemsee. Eine frühlingshafte Kulturreise durch das Voralpenland

 

 

 

 

 

Wir starten in Füssen. Die Allgäuer, Lechtaler und Ammergauer Alpen, der türkisfarbene Lech, der Forggensee – Mitte Mai noch nicht in voller Wasserhöhe –, eine romantische Altstadt, die Königschlösser und die barocke Wieskirche in der Nähe, all das: weltbekannte kulturelle und landschaftliche Glanzlichter. Wir finden hier im Ostallgäu an der Grenze zu Oberbayern Traumrouten für Wanderer und Radler, genauso wie Museen und historische Orte, die zum Allerfeinsten gehören, was das Urlaubsland Deutschland zu bieten hat. Die Gegend ist kein Geheimtipp, sicher nicht, sondern ein Reise-Klassiker mit Traumkulisse vor fantastischem Bergpanorama …

 

Wir kommen im Seehotel Hartung im zu Füssen gehörenden Ort Hopfen am See unter. Mit Seeblick, direkt an der „Allgäuer Riviera“, der bekannten Uferpromenade mit vielen Hotels, Gästehäusern und Restaurants und der großartigen Aussicht auf die Gipfelwelt. Das Seehotel ist ein sympathisches Traditionshaus mit Wellness-Bereich, das nicht nur Zimmer, sondern auch Ferienwohnungen anbietet (https://seehotel-hartung.de/).

 

Füssen, das direkt an der Grenze zu Österreich am Lech liegt, ist eine Alpenstadt, umstanden von Bergen, ein Drehkreuz der alten Handels- und modernen Ferienstraßen: Die Romantische Straße, an deren südlichem Ende wir uns hier befinden, die Deutsche Alpenstraße und die Römerstraße Via Claudia Augusta zwischen Norditalien und der Donau treffen sich hier. Verwinkelt, kleinteilig zeigt sich die Stadt. Gotische Bürgerhäuser, barocke Kirchen, alles in pastelligen Farben. Die Dichte italienischer Restaurants und Eiscafés ist legendär. Das hat Tradition, die Nähe zu Italien – nach Sterzing in Südtirol sind es nur 160 Kilometer – hat die Stadt geprägt. Ein kostenfreier Audio-Stadtrundgang wird via App angeboten, die „Lauschtour“ (https://www.fuessen.de/kultur/altstadt/lauschtour/).

 

Die ehemalige Benediktinerabtei St. Mang wurde im 9. Jahrhundert gegründet. Die barocke Klosteranlage liegt malerisch über dem Ufer des Lechs. Hier befinden sich heute die Stadtverwaltung und das Museum der Stadt unter der Leitung von Dr. Isabelle Schwarz. Zu sehen gibt es unter anderem den Kaisersaal und die feine barocke Bibliothek – und derzeit noch bis zum 6. Juli die vom Stadtarchiv Füssen konzipierte Schau „Bauernkrieg in Füssen 1525“, die das Jubiläumsjahr des Bauernkriegs und seine lokale Geschichte darstellt (https://www.stadt-fuessen.de/Kultur/Museen-und-Kunst/Museum-der-Stadt/Bauernkrieg-in-Fuessen-1525). Die barocke Annakapelle beherbergt den „Füssener Totentanz“ – ein eindrucksvoller Gemäldezyklus aus dem frühen 17. Jahrhundert, der die Macht des Todes über die Menschen eindringlich versinnbildlicht.

 

Hoch über der Stadt thront auf einem Bergsporn das „Hohe Schloss“. Schon im 13. Jahrhundert wurde der Bau begonnen. Einst Sommerresidenz der Fürstbischöfe von Augsburg, heute Filialgalerie der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und Städtische Galerie. Der spätgotische Bau ist schon durch seine Lage spektakulär. Vor allem aber ist der Bau bekannt für seine grandiose, illusionistische Malerei mit Schein-Erkern und Schein-Fenstern im Innenhof.

 

Abends dann Besuch eines echten kulinarischen Klassiker in Füssen, nämlich in der Bierstube des Vier-Sterne-Hotels Hirsch, die auch die Einheimischen überaus schätzen und wo sie sich zum Stammtisch treffen – wunderbare Melange aus Gemütlichkeit, Tradition und bester Kochkunst. Unsere Empfehlung! https://hotelhirsch.de/restaurant/bierstube

 

Von der Stadt führen die Wege schnell in die Allgäuer Bergwelt. Und natürlich – auf Schwangauer Gemarkung – auch zum berühmten „Märchenschloss“ Neuschwanstein und zu dem vis-à-vis gelblich leuchtenden neugotischen Schloss Hohenschwangau, von König Maximilian II. im 19. Jahrhundert zum Sommersitz umgebaut, wo König Ludwig II. viele Kindheits- und Jugendtage verbrachte.

 

Wir begeben uns auf Wittelsbacher Wanderwege, mit einer echten Spezialistin, nämlich Vanessa Richter von Füssen Tourismus, die zuvor im „Museum der bayerischen Könige“ in Hohenschwangau wirkte und seit Jahren auch wissenschaftlich zum Thema arbeitet (https://www.hohenschwangau.de/museum-der-bayerischen-koenige).

 

Viele der heutigen Bergwanderwege hat die bayerische Königsfamilie um König Max II., seine Ehefrau Königin Marie und deren ältesten Sohn, den späteren König Ludwig II., begründet. Wir wandern mit Vanessa Richter auf die „Achsel“ oberhalb von Musau in Tirol – und sie berichtet uns von der avancierten Alpinistin Königin Marie von Bayern.

 

Die 1825 in Berlin geborene Prinzessin von Preußen, die am 15. Oktober ihren 200. Geburtstag feiern würde, war fasziniert von den Alpen und unternahm – ein Skandal damals – ihre Wandertouren in Hosen und einem speziell für sie angefertigtem Wanderkostüm mit „Stopselhut“. Marie war eine der ersten Bergsteigerinnen überhaupt und bestieg immer wieder den Säuling – oder auch den Watzmann und viele weitere Berge der Region.

 

Und genau hier, wo wir jetzt stehen, am Aussichtspunkt der Achsel, gründete die Königin am 18. Juni 1844 den Alpenrosenorden. Denjenigen, mit denen sie diesen Berg erwandert hatte, wurde eine Alpenrosenblüte an einem lachsrosa Seidenband überreicht. Die Geschichte dieser Frau ist ungemein spannend – und tragisch. Sie wird mit nur 39 Jahren mit dem plötzlichen Tod ihres Mannes zur Witwe. Die psychische Erkrankung ihres jüngeren Sohnes Otto sowie die Entmündigung und der frühe Tod ihres Sohnes Ludwigs 1886 führten dazu, dass sich Marie immer mehr aus der Öffentlichkeit zurückzog. Sie starb 1889, doch ihre Liebe zu den Bergen ist immer noch an vielen Orten dieser Gegend lebendig – wie im Schweizerhaus in der Bleckenau, dem Wander- und Jagdstützpunkt der königlichen Familie fernab höfischer Konventionen.

 

Ihr Sohn Ludwig, der spätere „Märchenkönig“, teilte ihre Liebe zur Natur. Schon als Kind begleitete er seine Mutter auf ihren Touren, zum Teil auch mit seinem jüngeren Bruder Otto. München, die Stadt seiner Regierungsgeschäfte, war ihm verhasst und schon kurz nach seiner Thronbesteigung begann er, Schloss Neuschwanstein als Fluchtpunkt errichten zu lassen. Noch heute kann man seine Rückzugsorte, seine Berghütten auf von ihm erschaffenen Wegen und Brücken erwandern, wie etwa das Tegelberghaus oder die Kenzenhütte. „Nichts ist stärker für Geist und Körper als viel in Gottes freier Natur sich zu bewegen; dort oben auf freier Bergeshöhe ist die Seele dem Schöpfer näher, schöner und erhabener ist es da als im Qualm der Städte …“ So sprach er, der König.

 

Weitere empfehlenswerte Wandertouren auf den Spuren der Wittelsbacher führen rund um den traumhaften Alpsee oder von Füssen über den Kalvarienberg nach Hohenschwangau. Ein Klassiker ist auch die kleine Königsrunde auf dem Tegelberg. Eine weitere Rundwanderung führt vom tosenden Lechfall über den lauschigen Ländeweg und St. Anna zur historischen Hammerschmiede in Vils und über die Vilser Scharte und das Faulenbacher Tal zurück. In der Hammerschmiede war Königin Marie immer wieder ganz privat zu Gast und ging voller Freude solch banalen Tätigkeiten wie Holz hacken, „ackern“ und „buttern“ nach, wie sie stolz im Gästebuch vermerkte. Verschiedene Exponate erinnern an ihre Besuche (https://hammerschmiede-vils.at/hammerschmiede).

 

Szenenwechsel: Die Geschichte ihres berühmten Sohnes erzählt, seit vielen Jahren schon, das Musical „Ludwig²“. Buch und Liedtexte stammen von Rolf Rettberg, die Musik von Konstantin Wecker, Christopher Franke und Nic Raine. Es begeistert Ludwig-Fans aus aller Welt schon seit 2005 an einem ganz ungewöhnlichen Ort, nämlich dem im Jahr 2000 erbauten Festspielhaus Neuschwanstein (www.das-festspielhaus.de) direkt am Forggensee – in Sichtweite des Schlosses. Auch andere Musicals stehen auf dem Programm, doch „Ludwig²“ ist der Klassiker, der nun also 20. Jubiläum feiert. Das Stück selbst ist ständig in Bewegung, es wird immer wieder verändert und erweitert. Es gibt eingefleischte Fans, wir lernen sie persönlich kennen, die es sich bereits Hunderte Male angesehen haben!

 

Und nun sitzen wir im Festspielhaus und dürfen der festlichen Jubiläumspremiere der diesjährigen Sommerspielzeit beiwohnen. Das Stück läuft in vielen Vorstellungen bis Anfang Oktober und wird an vielen Abenden ausverkauft sein. Und die „Rückkehr des Königs“ ist ein echtes Ereignis: Prächtig, opulent, tragisch, mystisch ist dieses Stück, das den Grundkonflikt des Königs als große Inszenierung zeigt.

 

Es versucht, Antworten zu geben auf die vielen Fragen. Was ließ Ludwig II. hier seit 1869 seinen mittelalterlich anmutenden, von der Eisenacher Wartburg inspirierten Bau Neuschwanstein errichten? Diese von außen mehr noch als von innen faszinierende, ja erschreckende Architekturfantasie? Diesen so herrlichen wie überspannten, scheinbar aus einer anderen Welt in die Schwangauer Landschaft gefallenen Architekturtraum? Das berühmteste Bauwerk des Historismus?

 

Und das in den vergangen Jahren sehr erfolgreich laufende Stück erzählt auch davon: Die Architektur Ludwigs II. war eine Gegenarchitektur, eine Theaterwelt, eine gebaute Flucht aus der Moderne, aus den politischen Verpflichtungen des Regenten. Hier – in dieser Traumkulisse – wollte sich Ludwig wie ein mittelalterlicher Herrscher fühlen, wie ein barocker Absolutist. Das Ende, seine Entmündigung, all das ist bekannt. 1886 fand Ludwig im Starnberger See auf mysteriöse Weise den Tod. Doch sein Ruf überdauert die Zeiten, sein Schloss wurde zu einer Ikone der Weltarchitektur.

 

Ludwig war müde von seinem Amt, von den repräsentativen Pflichten als König von Bayern. Er sah sich als Monarch von Gottes Gnaden, sehnte sich nach einer absolutistischen Macht, die es im Deutschen Reich unter Kaiser Wilhelm I. für ihn nicht mehr gab. Bei der Ausrufung des von Preußen dominierten Kaiserreichs im Spiegelsaal von Versailles 1871 war er nicht anwesend. Er trat nicht zurück, doch flüchtete sich in seine vielfältigen Bauprojekte.

 

Das Stück zeigt auf der riesigen Drehbühne des Theaters mit großem Wasserbecken all das, fokussiert, in großen und kleinen intimen Szenen auf das Innenleben des Königs und beschwört den Wunsch nach einem künstlerischen Leben – und setzt auch gerade die enge Beziehung Ludwigs zu Richard Wagner in Szene. Ganz großartig und nur kurz genannt seien Martin Markert als „Schattenmann“ und der Baritenor Matthias Stockinger in seiner Rolle als König Ludwig – er ist einer von mehreren Ludwig-Darstellern.

 

Nach der Vorstellung treten wir ins Freie und blicken über den Forggensee auf das Schloss Neuschwanstein. Was war das jetzt? Das Stück lässt Fragen offen, und so soll es sein: Wer ist dieser Schattenmann? Markert formuliert es in einem Interview so: „Der Schattenmann hat keinen Namen, ist kein konkreter Charakter. Er symbolisiert die namenlose, immerwährende Bedrohung.“ Unbedingt kann man dieses Stück, muss man es in dieser Zeit politisch deuten. Das Zaudern des Königs, den Preußen im Deutsch-Französischen Krieg gegen Frankreich beizustehen – das Stück deutet ihn als Pazifisten, umringt von einer Riege finsterer Minister und Waffenhändler. Und ja: Sein Tod. Es war Mord. So deutet das Stück das Ende des Märchenkönigs. Wenn der Schattenmann am Ende sagt, „Ich verkaufe Unschuld – ihr habt sie bestellt“, dann meint er damit alle, im Saal und draußen in der Welt.

 

Schon sieben Wochen nach Ludwigs Tod wurde Schloss Neuschwanstein gegen seinen zu Lebzeiten geäußerten Willen für den Fremdenverkehr freigegeben. Menschen aus aller Herren Länder wollen dieses Bauwerk sehen, das Königsschloss in der Traumlandschaft. Spleen eines realitätsfernen Fantasten? In jedem Fall große, ganz große europäische Kunst- und Kulturgeschichte.

 

Unsere zweite Station: Tölzer Land

 

Weiter geht es auf unserer Frühlingsreise durch Südbayern: Von Schwaben fahren wir ins oberbayerische Bad Tölz. Vor uns steigen die Berge an, wir blicken gen Karwendel, dort oben ist Schnee, hier unten Frühling. Hinter uns, nur eine Stunde entfernt, liegt München, vor uns die Alpen, Tirol und dahinter Italien. Neben uns rauscht die Isar, hier noch ganz ein Gebirgsfluss. Isarwinkel nennt sich die Gegend bis zur Landesgrenze im Süden.

 

Bad Tölz ist eine kleine, alpine, überaus lebendige Kreis- und Kurstadt, die als Moorheilbad und heilklimatischer Kurort ausgezeichnet ist: sehr charmant beidseitig des Flusses gelegen mit einer historischen, romantischen Altstadt, dem Kurviertel mit Kurhaus und Kurpark, schönen Sakralbauten, einem Kalvarienberg mit Kreuzweg – und der langen, berühmten Marktstraße, die sich mit ihren farbenfrohen Häuserfassaden bergan zieht. Die höchste Erhebung im Landkreis ist der Schafreuter im Karwendel – und der ist immerhin 2.102 Meter hoch. Wer auf die Berge will, kann hier einiges tun: Der Heimgarten ruft, der Herzogstand, Jochberg, Blomberg, Benediktenwand und Brauneck.

 

Aber wir sind hier diesmal wegen der Kunst und Kultur. Das Tölzer Stadtmuseum ist die erste Adresse dafür. Auf drei Etagen wird die Geschichte des Tölzer Landes präsentiert (www.bad-toelz.de/de/entdecken/toelzer-stadtmuseum.html). Wir stehen vor dem prächtigen Gebäude in der Marktstraße 48, dem ehemaligen Rathaus.

 

Auf über 800 qm kann man hier ganz tief eintauchen in die Kulturgeschichte der Region. Elisabeth Hinterstocker, die Direktorin, zeigt uns das Haus, wo ab dem 31. Juli bis zum 28. September eine Sonderausstellung an die legendäre „Pionier“-Faltboot-Werft aus Bad Tölz erinnert, die in diesem Jahr 100 Jahre alt wird. Die Schau wird die Entwicklung der eleganten, ehemals überaus populären Faltboote erzählen: eine nostalgische Reise in eine Abenteuerwelt – die Anfang August von einem reichhaltigen Programm inklusive Vortragsreihe, „Fluss-Film-Festival“, einem Faltboot-Camp und einer Faltboot-Regatta auf der Isar begleitet wird: https://www.bad-toelz.de/de/wissen-und-tradition/100-jahre-pionier-faltboot-werft.html#programm. Anfang der 1970er-Jahre wurde die Produktion eingestellt, doch die Träume von Freiheit, sie werden jetzt wiederbelebt. Das erste August-Wochenende wird zum Treffpunkt für alle Faltboot-Nostalgiker!

 

Wer mehr erfahren will, der lese zu dem Thema unbedingt „Der Flussregenpfeifer“ von Tobias Friedrich. Dieses literarisches Debüt erzählt die tollkühne Reise von Oskar Speck, der im Mai 1932 in Ulm sein Faltboot zu Wasser lässt, um nach Zypern zu paddeln, wo, wie er gehört hatte, Arbeiter in einer Kupfermine gesucht werden. Nach sechs Monaten will der Einzelgänger, der zudem Nichtschwimmer ist, zurück sein, doch es kommt alles anders: Insgesamt sieben Jahre ist er unterwegs. 50.000 Kilometer wird er zurücklegen, wird in Australien als Spion verhaftet und in einem Kriegsgefangenenlager interniert. Und das alles, natürlich, in einem Bad Tölzer Faltboot von „Pionier“.

 

Erstaunlich ist: Diese Reise hat wirklich stattgefunden. Sie ist wahr. Sie führte über Zypern, Syrien, Iran, Indien, Thailand, Indonesien, Papua-Neuguinea bis nach Australien: eine Abenteuerreise, ein humorvoll-spannender Abenteuerroman, wie ihn Mark-Twain-Fans lieben könnten und wie es ihn heute eigentlich gar nicht mehr gibt. „Eine wahre Geschichte, wie man sie sich nie ausdenken würde“, so der Autor. Es ein Buch über die Macht der Zufälle. Über die Suche eines schweigsamen Mannes nach grenzenloser Freiheit, der es auch noch schaffte, sich den Nazis zu verweigern, die den Faltbootfahrer als „deutschen Helden“ feiern wollten. Ein solcher Held wollte er aber nicht sein.

 

Zurück ins Stadtmuseum: Das vor wenigen Jahren neu konzipierte und fein gestaltete Haus verfügt im Erdgeschoss über eine Galerie für zeitgenössische Kunst, wo immer wieder Ausstellungen zu sehen sind. „Land und Bewohner“ ist das Leitthema im ersten Obergeschoss mit Themen wie dem Floßhandel bis ans Schwarze Meer und der Bierbrautradition in Tölz, wo es einmal 22 Brauereien gab. Das zweite Stockwerk ist „Adel und Bürgertum“ gewidmet. Hier wird unter anderem die Geschichte der adeligen Hochwildjagd im Isarwinkel erzählt und auch das traditionsreiche Tölzer Marionettentheater sowie die städtische Musikgeschichte werden vorgestellt. Das dritte Stockwerk gibt Einblick in Themen wie Volksglaube und Traditionen wie die berühmte Tölzer Leonhardifahrt am 6. November – eine Galerie für sakrale Skulptur hat hier ihren Platz und auch die Literatur- und Architekturgeschichte wird in den Fokus genommen. Und, ja, auch König Ludwig II. begegnen wir hier wieder: Aus dem königlichen Jagdschloss in Vorderriß ganz in der Nähe, direkt an der Grenze zu Tirol, wo der König zweimal jährlich weilte, stammt seine Badewanne, die im Museum zu sehen ist.

 

Ein eigener Raum ist dem Münchner Architekten und Heimatpfleger Gabriel von Seidl gewidmet, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder als „Sommerfrischler“ in Bad Tölz weilte. Ihm ist die hervorragende Umgestaltung der Fassaden mit Lüftlmalerei in der Tölzer Marktstraße zu verdanken. Er war auch der Architekt des Tölzer Kurhauses, des Prinzregent Luitpold Genesungsheims und einiger Villen. Auch die Fassade des neoklassizistischen Museumsbaus wurde unter seiner Ägide saniert.

 

Aber es gibt noch mehr Kunst und Kultur in Bad Tölz: Der Kulturverein Lust (https://kulturverein-lust.de/) veranstaltet im historischen Gebäude der Alten Madlschule Konzerte, Theater, Kabarett und Ausstellungen – und das schon seit über 40 Jahren. Der Kunstverein Tölzer Land ist noch älter (https://kunstverein-toelzerland.de/): Seit 45 Jahren fördert er Kunst und Kultur in der Region. Vom 7. bis 13. Juli wird er das „Berg Kunst Festival“ präsentieren, ein Open-Air-Festival auf dem und am Blomberg, dem Tölzer Hausberg, wo neue Skulpturen für den dortigen Kunst-Wanderweg geschaffen werden. Zudem gibt es Lesungen und Konzerte. Am 26. Juli lädt man dann zur „Tölz Kunst 9“, einer Open-Air-Kunstausstellung an der Isarpromenade.

 

Kulturstadt Bad Tölz: Schon Thomas Mann liebte die Gegend. 1903 machte der spätere Literaturnobelpreisträger erstmals mit seiner Familie Urlaub hier – und ließ sich, seiner Frau und seinen Kindern alsbald ein Landhaus bauen, das er selbst „Herrensitzchen“ nannte. Die Villa in der Heißstraße 31 kann nur von außen beschaut werden, dieser Rückzugsort vom Stadtleben in München, das die Manns bis 1917 bewohnten. Der drei Kilometer lange „Thomas-Mann-Weg“ startet an der Stadtbibliothek und spürt der engen Beziehung der Manns zu Bad Tölz nach (https://www.bad-toelz.de/de/veranstaltungen-kultur-und-literatur/von-mann-bis-seidl/thomas-mann-weg.html).

 

Die Stadt ehrt Thomas Mann immer wieder mit Veranstaltungen – wie alle zwei Jahre mit dem „Thomas-Mann-Festival“, das verschiedene Aspekte seines Werks und die Beziehung zu Bad Tölz und der Region vorstellt. Werke wie „Der Zauberberg“, „Tod in Venedig“ oder die „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ entstanden unter anderem hier in Bad Tölz, das Mann so beschrieben hat: „Zu unserer Rechten liegt das Sommer-Städtchen, Tölz mit seinen bemalten Häusern, seinem holprigen Pflaster, seinen Biergärten und Madonnenbildern.“

 

Ein Tipp noch: Bitte unbedingt die kleine, 1880 eingeweihte evangelische Johanneskirche im Kurbezirk besuchen! Hier lohnt nämlich ein phänomenales Altarbild von Lovis Corinth. Die Kreuzigungsszene von 1897 verbindet den frühen Traditionalismus des Künstlers mit dem erstarkenden Expressionismus – ein enorm berührendes Werk, das 1901 als Stiftung des Münchner Fabrikanten Ernst Heckert nach Bad Tölz kam. Wir würden gerne noch bleiben, im Frühlings-Städtchen, aber weiter geht es auf unserer Reise nach Osten an den Chiemsee.

 

Unsere dritte Station: Chiemgau

 

Wir kommen am Rande des kleinen See-Orts Seebruck auf dem Moier-Hof Lex unter – ein Landhof mitten im Grünen mit mehreren Ferienwohnungen und Zimmern. Auch hier ist die Alpenkette ganz nah – wir haben einen schönen Blick darauf von unserer Terrasse, doch uns zieht es diesmal nicht in die Berge, sondern in Museen und Galerien.

 

Schon gleich in Seebruck kann man damit beginnen, nämlich in der 2024 frisch eröffneten Heinrich Kirchner Galerie (https://www.seeon-seebruck.de/heinrich-kirchner-skulpturen), die Plastiken, Porträt-Büsten, Kleinmodelle, Zeichnungen und Grafiken des 1984 im nahen Pavolding verstorbenen Künstlers, documenta II-Teilnehmers und Münchener Akademieprofessors zeigt. Das Werk des in Erlangen geborenen Künstlers, vor allem seine Bronzeplastiken, ist an verschiedenen Standorten in der Gemeinde Seeon-Seebruck zu finden – sie berühren uns in ihrem archaischen Gestus. Seine Vorbilder sind in der frühmittelalterlichen Kunst zu suchen, im Schaffen fremder Kulturen der Welt und des Expressionismus. Es sind freundliche, meist überlebensgroße Wesen, die er uns zeigt, dickbäuchig und mit dünnen Armen und Beinen. Im Wunderhorn-Verlag ist noch ein schönes Buch über den Künstler erhältlich: https://www.wunderhorn.de/?buecher=heinrich-kirchner

 

Zeit für eine Stärkung! Auf dem Weg zwischen Seebruck und Gstadt – wunderbar am Fahrradweg rund um den Chiemsee gelegen – empfehlen wir am Strandbad von Gollenshausen das Café Seehäusl. Hier sitzt man sonnig, direkt am Wasser – mit einem einzigartigen Blick über den Chiemsee auf die Alpenkette. Perfekt für ein nachmittägliches Helles! (https://www.chiemsee-alpenland.de/entdecken/essen-trinken/gastronomie/cafe-seehaeusl-be34821354). Und Ende Mai ist es nun auch endlich warm genug, um im See zu baden!

 

Ein Höhepunkt jeder Chiemgau-Reise ist das wunderbar an einem kleinen See gelegene, 994 gegründete Kloster Seeon mit seinen kulturellen Veranstaltungen und Ausstellungen. In Seeon speist man zudem sehr gut: Im historischen Gasthaus „Zum alten Wirt“ probiert man bitte unbedingt das Rehragout mit Serviettenknödel (www.zum-alten-wirt-seeon.de) und im Tagescafé „Waltenbergstüberl“ die Kaspressknödelsuppe (www.waltenbergstueberl-seeon.de).

 

Unbedingt sehenswert ist die Salinenstadt Rosenheim ganz in der Nähe: Die Gewinnung und der Transport von Salz beeinflussten seit dem Mittelalter die Entwicklung der Chiemgauer Kulturlandschaft. Rosenheim mit seinem prächtigen Max-Josefs-Platz, dem historischen Marktplatz mit seinen Bürgerhäusern im in der ganzen Region typischen Inn-Salzach-Stil mit Arkadengängen, Schein-Fassaden und Erkern zieht mit seiner Städtischen Galerie auch viele Kunstliebhaber an (https://galerie.rosenheim.de/). Bis zum 22. Juni zeigt der Kunstverein Rosenheim hier wie jedes Jahr seine jurierte Jahresausstellung unter dem Titel „KUNST AKTUELL“. 125 Arbeiten von 78 Künstlern und Künstlerinnen sind zu sehen – medienübergreifend. Die Ausstellung lohnt in ihrer Gegenwärtigkeit und Vielfalt, aber auch der Blick auf die Architektur des renommierten südbayerischen Kunsthauses ist spannend: 1935 errichtet, ist der Entwurf des von Hitler überaus geschätzten nationalsozialistischen Architekten, Hochschullehrers und SS-Mitglieds German Bestelmeyer ein klassisches Beispiel des NS-Neoklassizismus – der Bau ist etwa zeitgleich mit dem Haus der Kunst in München entstanden.

 

Heute ist das Haus unter der Leitung von Monika Hauser-Mair vielfältig aktiv und pochendes Herz der Rosenheimer Kunstszene. Man kuratiert hier hervorragende Themenausstellungen und stellt immer wieder auch Flächen für Streetart bereit. Vom 4. bis 13. Juli veranstaltet die Städtische Galerie so auch die große Streetart-Show „*transit art“ mit vielen Wandgemälden im Stadtraum. Ein „Art Walk“ lädt ein, die Kreationen der Urban Art-Künstler kennenzulernen: https://www.chiemsee-alpenland.de/entdecken/tourenportal/transit-art-walk-rosenheim-3910c049bc

 

Das 1988 eröffnete Ausstellungszentrum Lokschuppen Rosenheim zeigt derzeit die Schau „TITANIC. Ihre Zeit. Ihr Schicksal. Ihr Mythos“ – eine immersive Multimedia-Installation mit Originalartefakten, in der man tief eintauchen kann in die Geschichte des mythischen Schiffes (https://www.lokschuppen.de/titanic).

 

Am nächsten Tag geht es nach Wasserburg mit seiner großen historischen Altstadt, die heimelig von einer Schleife des Inns umschlossen ist. Wasserburg gilt als eines der schönsten Städtchen der ganzen Region. Es ist eine Kulturstadt, in der der Verein AK68 (Arbeitskreis 68 – Künstlergemeinschaft Wasserburg am Inn) seit den turbulenten Tagen der Studentenbewegung ein vitales Forum für zeitgenössische Kunst bietet (https://www.ak68.org/).

 

Aktuell zeigt der Verein (sonst seit 1975 in der eigenen Galerie im „Ganserhaus“ beheimatet, das allerdings gerade renoviert wird) in der ehemaligen Polizeiinspektion am Kaspar-Aiblinger-Platz eine Ausstellung des Münchner Fotografen Ingolf Hatz: „what´s cookin´?“. Seit Jahren besucht Hatz die Künstlerinnen und Künstler des Vereins mit seiner Kamera in ihren Ateliers. Die Polizeiinspektion ist ein schräger, aber stimmiger Ort für Kunst – auch Werke der Porträtierten und Videodokumentationen über ihre Arbeit sind zu sehen.

 

Ab dem 27. Juli bis zum 24. August wird hier und an einigen anderen Orten der Stadt dann die „Große Kunstausstellung“ des Vereins präsentiert. 200 Künstler und Künstlerinnen, die ganz große Kunst-Sause im kleinen Städtchen. Wir finden auch hier in Wasserburg die so typische Inn-Salzach-Bauweise der Bürgerhäuser mit ihren Schein-Fassaden vor dem von vorne unsichtbaren Dach wieder. Die ganze Inn-Region bis nach Österreich ist geprägt von diesen eindrucksvollen Häusern, die mit hellen, freundlichen Farben verputzt sind.

 

Viel Kunst und Kultur gibt es in der ganzen Gegend zu entdecken, wie etwa auch die Fraueninsel mit der Inselgalerie und der Torhalle sowie die Herreninsel mit dem weltberühmten Landschaftspark, dem Alten Schloss und dem Neuen Schloss Herrenchiemsee (erreichbar ganzjährig mit der Chiemsee-Schifffahrt), das – wieder einmal begegnen wir ihm – Ludwig II dort ab 1878 erbauen ließ und das wegen seines Todes 1886 unvollendet blieb, wie so viele seiner Pläne (www.herrenchiemsee.de). Mehr als 300.000 Gäste aus aller Welt besuchen das Prunkschloss und den weitläufigen Schlosspark jährlich. Und das zu Recht: Das Schloss vor der Kulisse der Chiemgauer Alpen an einem sonnigen Frühlingstag – das ist einer der schönsten Landschaftseindrücke, die man in Deutschland haben kann.

 

Und immer wieder zieht auch die Gegenwartskunst hier ein. Die von der Münchener Pinakothek der Moderne initiierte Ausstellungsreihe „Königsklasse IV. Gegenwartskunst in Schloss Herrenchiemsee“ beschäftigt sich noch bis zum 12. Oktober mit dem Thema „Kunst und Demokratie“ und zitiert im Titel den Deichkind-Song „Könnt Ihr noch?“: https://www.pinakothek.de/de/kunst-und-demokratie. Fragile Arbeiten wie Inge Mahns „Balancierende Türme“ aus dem Jahr 1989, aber auch Werke und Installationen von Pablo Picasso, Max Beckmann, Francis Bacon, Joseph Beuys, Gerhard Richter, Rosemarie Trockel, Sheila Hicks und Thomas Schütte machen in den unvollendeten Rohbauräumen im Nordflügel mächtig Eindruck.

 

Oft und manchmal übertrieben wird von einem besonderen Dialog zwischen Raum und Kunst gesprochen, doch hier ist es wirklich so. Ausgestellt sind 50 Hauptwerke der Sammlung Moderne Kunst der Pinakothek, die daran erinnern, dass genau hier, auf Herrenchiemsee, im August 1948 die Grundlage für die deutsche Verfassung erschaffen wurde. Es sind ganz ikonische Arbeiten in der Schau, wie etwa die „Rose für direkte Demokratie“ von Joseph Beuys.

 

Marc Peschke

 

www.fuessen.de

www.das-festspielhaus.de

www.ludwigland.de

www.toelzer-land.de

www.bad-toelz.de

www.chiemsee-alpenland.de

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Über Marc Peschke

Marc Peschke, 1970 geboren, lebt in Wertheim am Main, Wiesbaden und Hamburg. Er hat in Mainz Kunstgeschichte, Komparatistik und Ethnologie studiert, arbeitet als Kunsthistoriker, Journalist und Texter, auch als Kurator und Kunstberater für Print- und Online-Medien, PR- und Werbeagenturen, Künstler und Künstlerinnen, Museen, Galerien und Büros. Seine Themen sind Kunst, Kultur, Pop, Reise, Tourismus, Design, Architektur, Literatur, Film und Fotografie. Er wirkt auch als freier Kurator, war Mitinhaber und Mitbegründer der Fotokunst-Galerie KUNSTADAPTER in Wiesbaden und Frankfurt am Main – sowie der Kultur-Bar WAKKER in Wiesbaden. In Wertheim am Main war er Mitkurator des Kunstraum ATELIER SCHWAB. Seit 2008 zahlreiche eigene Ausstellungen im In- und Ausland. Marc Peschkes künstlerische Arbeiten entstehen zumeist auf seinen zahlreichen Reisen und sind in verschiedenen nationalen und internationalen Sammlungen vertreten. Von 2020 bis 2022 realisierte Marc Peschke unter dem Namen MASCHERA zusammen mit anderen Künstlern und Künstlerinnen ein vielbeachtetes Musik-Video-Projekt. Seit 2022 ist er Mitkurator der Wiesbadener Fototage – Festival für aktuelle Fotokunst und Dokumentarfotografie. Seit 2022 Mitarbeit bei der Aufarbeitung des Nachlasses des Künstlers Leo Leonhard. Seit 2024 Mitarbeit bei der Aufarbeitung des Nachlasses der Künstlerin Edith Hultzsch.

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