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Sogar Engel brauchen Glück – Das Bode-Museum erinnert an das Kriegsende 1945

Foto: Paul Klee, Angelus Novus, 1920, Oil transfer and watercolor on paper, 318 x 242 mm, Gift of Fania and Gershom Scholem, Jerusalem; John Herring, Marlene and Paul Herring, Jo Carole and Ronald Lauder, New York, Photo © The Israel Museum, Jerusalem, Elie Posner

Glauben Sie an Engel? Ja, ganz sicher? Nein: Alles Hokuspokus? Hier einige Fakten: Engel umgeben uns, die göttlichen Botinnen sind in unserer Kultur allgegenwärtig! Nicht nur sprechen wir von unserem „Schutzengel“ oder dem Weihnachtsschmuck in Form der „Jahresendflügelfigur“. Nein: Von Ella Fitzgerald bis Madonna, von Elvis über Bob Dylan bis zu Robbie Williams, und von Udo Jürgens bis Helene Fischer: All diese – und viele mehr – besungen Engel als wahlweise geliebte, schöne oder tugendhafte Menschen oder alternativ – als „devil in disguise“.

Bei dieser Sachlage hat der Potsdamer Theologe Johann Hafner mit einiger Dringlichkeit im Jahr 2010 eine umfassende Geschichte der Engel vorgelegt. Diese beginnt mit den in hohen Auflagen gedruckten Bestsellern der Lebenskunst-Influencerin Sabrina Fox wie auch des Paters Anselm Grün – und bewegt sich chronologisch zurück bis zu den Seraphim und Cherubim der hebräischen Bibel. Spannend: Selbst im ketzerischen Zeitalter der Aufklärung beschäftigten Engel nicht allein den „Geisterseher“ Emanuel Swedenborg. Auch Immanuel Kant sprach von „Menschen und anderen vernünftigen Wesen“ – und meinte damit die himmlischen Boten, wie der Kieler Theologe Hendrik Kling jüngst in einer Arbeit über „die himmlische Stufenleiter“ dargelegt hat.

Hoch aktuell daher eine Ausstellung der Staatlichen Museen Berlin (SMB), mit der im Bode Museum erinnert wird an das Kriegsende von 08. Mai 1945. Jener Tag war ein Tag der Befreiung, auch für uns Deutsche selbst, worauf vor 40 Jahren Richard von Weizsäcker zum Unmut der Vertreter der politischen Rechten, mithin der Vertreter des Fliegenschisses, hinwies.

In seiner Kabinett-Ausstellung „Der Engel der Geschichte“ kreiert Kurator Neville Rowley einen berührenden Mikrokosmos Berliner Engel, die die Kunstgeschichte mit dem katastrophischen Verlauf des 20. Jahrhunderts in Bezug setzt. Denn was lässt Wim Wenders seinen Engel in „Der Himmel über Berlin“ (1987) sagen? „Die Zeit wird alles heilen – doch was, wenn die Zeit selbst die Krankheit ist?“ Damit variiert Wenders einen Gedanken aus den Thesen Walter Benjamins „Über den Begriff der Geschichte“, in denen wiederum ein Engel Paul Klees die Hauptrolle spielt. Paul Klee hat einen Zyklus von rund 60 Engeln geschaffen: Skizzen, Zeichnungen, Bilder im eigens entwickelten Öldruckverfahren. Einen solchen Öldruck erwarb Benjamin im Jahr 1921 in einer Münchner Galerie – und der „Angelus novus“ sollte ihn über zwei Jahrzehnte bis in die Zeit des Paris Exils begleiten.

Angesichts eines in ganz Europa siegreichen Faschismus erkennt Benjamin den unheiligen Zusammenhang von technologischem Fortschritt und gesellschaftspolitischer Reaktion und folgert: „Der Begriff des Fortschritts ist in der Idee der Katastrophe zu fundieren. Daß es ‚so weiter‘ geht, ist die Katastrophe.“ In diesen Kontext gehört seine berühmte Deutung von Klees Arbeit „Angelus Novus“, die er mit knappen Worten skizziert:

Der „Angelus Novus“ sei der „Engel der Geschichte“, der von einem vom Paradies her wehenden Sturm in die Zukunft getrieben werde, und zwar so zwingend, dass er seine Flügel nicht zu schließen vermag. Mit schreckstarren Augen und offenem Mund blicke der Engel in Richtung Vergangenheit, die sich ihm als eine Folge von Katastrophen zeige und in rasendem Stillstand einen Trümmerhaufen auftürmt, der bis zum Himmel wächst. Der Sturm jedoch treibe ihn weiter und weiter und verwehre ihm, in dieses „Fließband der Zerstörung“ (Horst Bredekamp) einzugreifen: „Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“

Dem Berner Klee-Experte Reto Sorg zufolge ist die Diskussion müßig geworden, ob Klees Bild diese sehr weitgehende Interpretation zulasse: „Benjamins Deutung des Angelus novus als ‚Engel der Geschichte‘ ist ein geflügeltes Wort und kann nicht mehr vom Werk selbst getrennt werden“. Nun ist der „Angelus Novus“ als Leihgabe des Israel Museums in Berlin zu sehen, übrigens erst zum zweiten Mal, seit Walter Benjamin die Stadt im Jahr 1933 verließ, und kann für die Dauer der Ausstellung im Bode-Museum bewundert werden.

Neville Rowley rekonstruiert in seiner Ausstellung Bezüge, die uns aufzeigen: Benjamins Deutung bildet eine Symbiose mit Klees Engel. Eben diese Symbiose macht Wim Wenders zum Ausgangspunkt seiner Geschichtserzählung in „Der Himmel über Berlin.“ Mit der Geschichte des Films verknüpft wiederum erscheint ein Werk Caravaggios, das aufgrund des Bombenhagels des 2. Weltkriegs nur als Schwarz-weiß-Fotografie erhalten ist. Früh begann man im einstigen Kaiser-Friedrich-Museum mit einer fotografischen Dokumentation der Bestände, sodass man von Glück sagen kann, dass uns Caravaggios Gemälde „Der Evangelist Matthäus mit dem Engel“ (1600) immerhin als Fotografie erhalten ist.

Die Wiederentdeckung Caravaggios nach langer Vergessenheit wiederum hängt, so Rowley, ausgerechnet mit der Erfolgsgeschichte des Films im 20. Jahrhundert zusammen. Im Jahr 1951 wird im Mailänder Palazzo Reale eine große Caravaggio-Retro gezeigt – ein Zeitpunkt, zu dem das Kino des „Neorealismo“ seinen Siegeszug antritt. Herold der neuen cineastischen Bewegung Roberto Rossellini, der Regisseur von „Deutschland im Jahre Null“, ein Film, der wie kein zweiter die Kriegsschäden Berlins dokumentiere und auf seine Weise auf Caravaggios Spuren mit der Wirkung starker Licht-Schatten-Kontraste spiele.

Hingehen!

Der Engel der Geschichte, Bode-Museum 08.05. – 13.07.2025. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Texten von Neville Rowley, Horst Bredekamp, Erdmut Wizisla, Jörg Völlnagel und Paul Hoffmann (ca. 74 Seiten).

 

Hans von Seggern ist promovierter Literaturwissenschaftler und zunächst mit einer umfangreichen Studie zum Thema „Nietzsche und die Weimarer Klassik“ hervorgetreten. Zahlreiche Arbeiten zur Geschichte des Unbewußten – zu Spinoza, Nietzsche, Freud und Benjamin. Sein Engagement für die innovative Wissensvermittlung in einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft führt ihn regelmäßig in (fast) alle Museen dieser Welt.

 

 

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