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Ein Hoch dem politischen Streit

Nach einer Woche heftiger Auseinandersetzungen haben die Grünen als bald Nicht-mehr-Regierungspartei mehr gegen die künftige schwarz-rote Koalition durchgesetzt als in drei Jahren Ampel-Gewürge. Was zeigt, dass sich demokratischer Disput lohnt, wenn er richtig geführt wird. Auch im Parlament

Angela Merkel hat die Republik 16 Jahren lang eingelullt mit ihrer großkoalitionären angeblich alternativlosen Politik. Offener Streit war ihr zuwider, alles sollte sich nach ihrer rationalen, niedergedimmten, vermeintlich überparteilichen Linie richten. Wer sich querstellte, wurde von ihr und ihren Verbündeten auch in den Medien ausgegrenzt. Das Ergebnis: eine Partei, die als populistische „Alternative“ zu dieser im Grunde anti-demokratischen Politik zur zweitstärksten Kraft geworden ist. Und ein öffentlicher Diskurs, der erst wieder lernen muss, dass Demokratie vom Ringen um die richtigen Ziele und Wege lebt.

Es folgten drei Jahre unproduktiver Streitereien eine heterogenen rot-grün-gelben Koalition, die sich ständig selbst im Weg stand. Unter Führung eines entscheidungslahmen Kanzlers. Nach ihrem vorzeitigen Ende und der Neuwahl fanden sich Union und SPD, obwohl im Wahlkampf spinnefeind, überraschend schnell und überraschend harmonisch zu einer aus äußerer und Wahlnot geborenen Zweckgemeinschaft zusammen. Ihre Rechnung, alle Konflikte mit einem gigantischen Schuldenberg zuzukleistern, hatten sie jedoch ohne den Wirt gemacht. Die Grünen, obwohl von den Wählern genauso wie SPD und FDP abgestraft, fanden sich auf einmal in einer kommoden Position: Obgleich sie schon bald nicht mehr mitregieren werden, konnten sie als benötigter Mehrheitsbeschaffer für die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat die Bedingungen diktieren.

Grüne Frauen gegen schwarz-rote Machos

Und nutzten das geschickt aus: Das am Ende vereinbarte Schuldenpaket atmet sehr deutlich ihren Geist: 100 Milliarden Euro für Klimaschutz aus dem Infrastrukturfonds, zudem ein erweiterter Sicherheitsbegriff bei den Verteidigungsausgaben auf Pump. Und die Zusage, dass die jenseits der Schuldenbremse aufgebrachten Mittel zusätzlich eingesetzt werden müssen und nicht dazu dienen dürfen, Wohltaten für das Union- und SPD-Klientel quer zu finanzieren. Friedrich Merz, der auf einmal handzahme Kanzler in spe, und Lars Klingbeil, der neue starke Mann der SPD, mussten sich dem Grünen Damen-Trio mit Quotenmann beugen.

Vorausgegangen war am Tag zuvor eine turbulente Bundestagsdebatte, in der die Grünen-Vorfrauen vor allem Merz nichts schenkten. Sie rieben ihm seine Ausfälle gegen ihre Partei im Wahlkampf und seine gebrochenen Wahlversprechen genüßlich unter die Nase, machten aber vor allem Punkte mit ihrem Beharren auf sinnvollen Korrekturen am schwarz-roten Schuldenprogramm. Womit sie sich schließlich fast auf ganzer Linie durchsetzten.

Mittel gegen die AfD

Schon vor der Wahl hatte der Bundestag in einer bewegten Sitzungswoche über die Asyl- und Migrationspolitik gestritten wie seit vielen Jahren nicht mehr. Auch wenn Merz und der Union daraufhin von vielen Seiten vorgeworfen wurde, die „Brandmauer“ durchbrochen zu haben, weil sie AfD-Stimmen in Kauf nahmen, waren es parlamentarische Sternstunden: Nicht mehr nur in Talkshows und in den sozialen Medien, sondern im Bundestag, dem eigentlichen Ort der Demokratie, wurde um den richtigen Kurs gerungen. Mit offenem Ausgang.

Was kann es besseres geben, um die Demokratiegegner von rechts und links einzudämmen? Denn nur wenn die Parteien der demokratischen Mitte stellvertretend für die Gesellschaft die notwendigen Auseinandersetzungen um Grundfragen der Zukunft führen, kann vielen Bürgern das gefährliche Gefühl genommen werden, nicht mehr gehört zu werden. Brauchen wir mehr oder weniger Asyl-Einwanderung? Muss sich Deutschland mit massiver Aufrüstung gegen die Bedrohung durch Putin und auch Trump schützen? Wie kann das Land wieder auf einen besseren wirtschaftlichen Kurs gebracht werden? Ist Klimaschutz weiterhin zentral? Darüber kann nicht nur, darüber muss gestritten werden, besonders im Parlament, dem Forum der Republik.

Für Merz und Klingbeil mag das Ergebnis nicht schön sein. Der mutmaßliche neue Kanzler und sein möglicher Vize sind schon arg gerupft, bevor sie ins Amt kommen. Aber die Demokratie ist gestärkt. Darauf kommt es an. Gerade in diesen Zeiten.

Ludwig Greven ist freier Journalist und Autor. Und freut sich als Bürger, dass nun wieder über Alternativen gestritten wird – nicht einer Partei, die sich nur so nennt.

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