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Die Philosophie der Songs von Bob Dylan (30/31): Isis / Oh Sister

Die ägyptische Göttin Isis ist Gattin ihres Bruders Osiris und Mutter des Horus, mit dem sie die Wächter der vier Himmelsrichtungen zeugte. Solche fließenden, ineinander übergehenden Geschlechterrollen, die natürlich – und zu Recht – einen Sigmund Freud faszinierten, finden sich auch im Kult der christlichen Maria wieder, die Dante in der Göttlichen Komödie (Paradies, 33. Gesang) wie folgt anruft: „Vergine Madre, figlia del tuo figlio …“ Jungfräuliche Mutter, Tochter deines Sohnes …“ Im Grunde genommen ist Maria aber auch, wie Isis, die Braut ihres Sohnes, denn sie empfängt durch den Heiligen Geist – „In deinem Schoß entflammte neu die Liebe“ – und gebiert Jesus, der nach christlichem Verständnis „eines Wesens mit dem Vater“ und Teil oder Aspekt des dreifaltigen Gottes ist.

Wer also, wie Bob Dylan, Isis anruft, beschwört zugleich himmlisch-höllische Verhältnisse: Der Bruder-Gatte Osiris wurde von seinem Bruder Seth – wie Abel von Kain – erschlagen und zerstückelt, von Isis wieder zusammengesetzt und wieder zum Leben erweckt. In der christlichen Vorstellungswelt beweint Maria am Kreuz den ermordeten Vater-Gatten-Sohn und will seinen Leichnam zusammen mit Maria Magdalena und Salome – auch eine Art weibliche Dreifaltigkeit – einbalsamieren, als sie im Grab nicht Jesus, sondern einen schönen Jüngling entdecken, vielleicht der Engel, der in Gestalt eines schönen Jünglings 30 Jahre zuvor Maria die Empfängnis verkündet hatte.

Die himmlisch-höllischen Verhältnisse ziehen sich durch den ganzen Song Isis, die für den Sänger Gattin und zugleich „mystisches Kind“ ist; wohl auch Schwester, denn wie heißt es in „Oh, Sister“:, dem Zwillingslied zu „Isis“: Wenn ich komme, um bei dir zu liegen, darfst du mich nicht als Fremden behandeln. Das würde unserem Vater nicht gefallen. Hier sterben Isis und Osiris, Bruder und Schwester, Gatte und Gattin gemeinsam, werden wiedergeboren und auf mystische Weise erlöst:

Oh, sister, when I come to lie in your arms
You should not treat me like a stranger
Our Father would not like the way that you act
And you must realize the danger

Oh, sister, am I not a brother to you
And one deserving of affection?
And is our purpose not the same on this earth
To love and follow His direction?

We grew up together
From the cradle to the grave
We died and were reborn
And then mysteriously saved

Oh, sister, when I come to knock on your door
Don’t turn away, you’ll create sorrow
Time is an ocean but it ends at the shore
You may not see me tomorrow

„Oh Sister“ ist wie eine Kurzfassung von „Isis“. Der Sänger heiratet sie, kann sie aber nicht halten, muss weggehen, kehrt aber nach Abenteuern im „unbekannten Land“ zurück, wo er sie schlaftrunken in der Wiese findet; man erinnert sich, dass die geheimnisvolle Frau aus „Changing Of The Guard“, auch sie, wie Maria, die Gattin eines alten Mannes, aber die Geliebte eines Anderen, „süß riecht wie die Wiese, wo sie geboren wurde, in der Mittsommernacht, beim Turm.“

Der Topos des Mannes, der weggeht, Abenteuer erlebt und wiederkehrt, um die Frau wartend vorzufinden, als wäre nichts gewesen, kennen wir aus der Odyssee; es ist ein irrealer Männerwunschtraum, den James Joyce in „Ulysses“ unbarmherzig zerstört; während sich Leopold Bloom in Dublin herumtreibt, vergnügt sich Molly mit ihrem Geliebten. Aber auch Molly nennt sich „Bergblume“ und zieht Bloom herunter, damit er ihre Brüste riechen kann, „alles Duft“.

I married Isis on the fifth day of May
But I could not hold on to her very long
So I cut off my hair and I rode straight away
For the wild unknown country where I could not go wrong

I came to a high place of darkness and light
The dividing line ran through the center of town
I hitched up my pony to a post on the right
Went in to a laundry to wash my clothes down

A man in the corner approached me for a match
I knew right away he was not ordinary
He said, “Are you lookin’ for somethin’ easy to catch?”
I said, “I got no money.” He said, “That ain’t necessary”

We set out that night for the cold in the North
I gave him my blanket, he gave me his word
I said, “Where are we goin’?” He said we’d be back by the fourth
I said, “That’s the best news that I’ve ever heard”

I was thinkin’ about turquoise, I was thinkin’ about gold
I was thinkin’ about diamonds and the world’s biggest necklace
As we rode through the canyons, through the devilish cold
I was thinkin’ about Isis, how she thought I was so reckless

How she told me that one day we would meet up again
And things would be different the next time we wed
If I only could hang on and just be her friend
I still can’t remember all the best things she said

We came to the pyramids all embedded in ice
He said, “There’s a body I’m tryin’ to find
If I carry it out it’ll bring a good price”
’Twas then that I knew what he had on his mind

The wind it was howlin’ and the snow was outrageous
We chopped through the night and we chopped through the dawn
When he died I was hopin’ that it wasn’t contagious
But I made up my mind that I had to go on

I broke into the tomb, but the casket was empty
There was no jewels, no nothin’, I felt I’d been had
When I saw that my partner was just bein’ friendly
When I took up his offer I must-a been mad

I picked up his body and I dragged him inside
Threw him down in the hole and I put back the cover
I said a quick prayer and I felt satisfied
Then I rode back to find Isis just to tell her I love her

She was there in the meadow where the creek used to rise
Blinded by sleep and in need of a bed
I came in from the East with the sun in my eyes
I cursed her one time then I rode on ahead

She said, “Where ya been?” I said, “No place special”
She said, “You look different.” I said, “Well, not quite”
She said, “You been gone.” I said, “That’s only natural”
She said, “You gonna stay?” I said, “Yeah, I jes might”

Isis, oh, Isis, you mystical child
What drives me to you is what drives me insane
I still can remember the way that you smiled
On the fifth day of May in the drizzlin’ rain

Das Abenteuer selbst ist nicht sehr interessant, wie etwas, das man aus einem Film kennt, Indiana Jones etwa; eine Schatzsuche, vielleicht in den Anden, denn es geht einerseits um Pyramiden, andererseits sind sie ganz von Eis überzogen. Der Sänger wird in einem himmlisch-höllischen, dunkel-lichten Ort von einem Fremden angesprochen, der angeblich eine Leiche – eine Mumie – sucht und Hilfe braucht. Sie gehen los, der Fremde weiß den Weg. Man denkt an Dylans Song „Senor“, der auch von einer Odyssee durch die Landschaft eines  Filmes erzählt – dort wohl eines Italo-Westerns. Doch am Ziel ist – natürlich – das Grab so leer wie das Grab Jesu am dritten Tag, nicht einmal ein schöner Jüngling ist da, um eine frohe Botschaft zu verkünden: „I felt I’d been had“ – ich fühlte mich betrogen. Der Partner ist aber – an Kälte, Erschöpfung, Krankheit? – schon gestorben; bleibt nur, wie Odysseus, wie Bloom, mit leeren Händen zurückzureiten, wo die schlafende Gattin, Schwester, Mutter wartet. Das ewig-weibliche Blabla zieht uns hinab.

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