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Besteht der „globale Süden“ nur aus Judenhassern?

Dieser Tage bekam ich eine Mail vom Goethe-Institut Hamburg, in der ein Kongress angekündigt wurde. Es geht um den 30. Jahrestag des Brandanschlags in Mölln und des „größten und fast vergessenen rassistischen Pogroms der deutschen Nachkriegsgeschichte in Rostock-Lichtenhagen“.

Ich lasse beiseite, ob es angebracht ist, den Begriff „Pogrom“, der – etwa in der Wendung „Reichspogromnacht“ – die staatlich initiierte und gebilligte Gewalt gegen Juden beschreiben soll, auf das widerliche Verhalten des Mobs in Rostock anzuwenden. Mein Kollege Henryk Broder hat den Begriff auch auf das ebenso widerliche Verhalten eines Mobs in der Kölner Silvesternacht 2015 angewendet, also mag es angehen.

Was hat Sihame Assbaque auf einer Veranstaltung des Goethe-Instituts zu suchen?

Was aber nicht angeht, das ist die Einladung von Sihame Assbague zu einer Diskussion im Rahmen eines Kongresses, bei dem es darum geht, gruppenspezifische Unmenschlichkeit zu bekämpfen. Denn die französische „militante“ schrickt selbst vor Unmenschlichkeit nicht zurück, wenn es um eine Gruppe geht: Juden. Dass sie auf Twitter den jüdischen Staat des Kolonialismus, der Massaker und der Apartheid zeiht und auch West-Jerusalem, das gemäß UN-Teilungsbeschluss zu Israel gehört, für „besetzt“ erklärt, mag man mit Unkenntnis erklären.

Dass sie aber – ebenfalls auf Twitter – neben einem GIF, das eine Gestalt aus „Game of Thrones“ zeigt, die über die Ermordung ihrer Feinde nachsinnt, eine Liste mit den Namen von acht prominenten Juden oder Freunden Israels veröffentlicht hat: Das geht zu weit. Keinem Rechten – der Kongress in Hamburg richtet sich gegen „Dynamiken der globalen Rechten“ – hätte man ihre Behauptung abgenommen, sie habe das als „Witz“ gemeint.

Gelten für Linke im Hinblick auf Hate Speech andere Maßstäbe als für Rechte? Oder gelten für Assbague andere Maßstäbe, weil sie marokkanische Wurzeln hat? Dass ein Teil der linken Szene – ich sage: ein Teil, weil ich viele Linke kenne, die nicht so ticken, etwa die bewundernswerte Petra Pau – bereit ist, in Bezug auf den israelbezogenen Antisemitismus mehr als ein Auge zuzudrücken, hat mit dankenswerter Klarheit Saba-Nur Cheema auf Zeitonline klargestellt.

Saba-Nur Cheema über die antiisraelische „Obsession“ vieler Muslime

Cheema, selbst Muslima, sprach von „der verfestigten Feindschaft gegen Israel, die in diversen Gesellschaften des globalen Südens – darunter auch vielen muslimischen – besteht“. In der Heimat ihrer Eltern, Pakistan, aber nicht nur da, sei es „common sense“, dass Israel keine Existenzberechtigung habe. Cheema kritisierte eine „Obsession mit Israel“ und eine „Überidentifikation mit Palästina“ und meinte, „andere unterdrückte muslimische Minderheiten wie die Uiguren in China oder die Rohingya in Burma können von so viel Unterstützung und Sympathie ihrer Glaubensgenossen wohl nur träumen.“

Warum aber ist man in Deutschland gegenüber dieser „Obsession“, die zu einer Dämonisierung und Delegitimierung Israels – nach der Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Association IHRA zwei Merkmale des modernen Antisemitismus – so nachsichtig?

wo bleibt die deutsche Staatsräson? Wo das Schamgefühl?

Wenn Menschen aus dem „globalen Süden“ wie der Philosoph Achille Mbembe – oder, wie Assbague, mit entsprechenden „Wurzeln“ – antisemitischen Unsinn von sich geben oder sich für eine Organisation wie BDS einsetzen, die alles „besetzte arabische Land“ von den Zionisten befreien will, also auch Tel Aviv und Haifa, Beersheba und Safed, dann gelten weder die deutsche Staatsräson noch die geschichtliche Scham. Dann fragt auch niemand danach, wie es deutschen Juden gehen muss, wenn eine Jasmin Puar zum Vortrag in die Städelschule eingeladen wird, die nicht nur für einen akademischen und künstlerischen Boykott von Juden aus Israel eintritt, sondern – in Wiederbelebung des alten christlich-antijüdischen Mythos von den blutdürstigen Juden – behauptet, die Israelis würden Palästinenser gezielt verstümmeln und verletzen, um sie kolonial zu unterwerfen.

Die Postkolonialen und das Ressentiment

Auf Zeitonline gab Cheema eine partielle Antwort auf die Frage der Nachsicht gegenüber dem aggressiven Antizionismus: „Anschlussfähig für dieses Ressentiment ist schließlich der Mainstream in der postkolonialen Schule, in denen der israelische Staat vor allem als koloniales Projekt begriffen – und die Bedeutung des Staates Israel für die Sicherheit der Juden weltweit vor dem Erfahrungshintergrund der Shoah weitestgehend ausgeblendet wird.“

Richtig. Aber viele Intellektuelle und Kunstschaffende, die jeden Vorwurf des Antisemitismus empört von sich weisen und sich nicht zur „postkolonialen Schule“ zählen würden, sind dennoch bereit, die antiisraelische „Obsession“ von Aktivisten aus dem „globalen Süden“ zu dulden. So haben sich die Leiter von zwanzig öffentlichen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland zur „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit” zusammengeschlossen, um den Beschluss des Bundestags zu bekämpfen, in dem die BDS als antisemitisch bezeichnet und eine öffentliche Förderung solcher Positionen abgelehnt wird. Die Kulturfunktionärinnen schreiben: „Weltoffenheit, wie wir sie verstehen, setzt eine politische Ästhetik der Differenz voraus, die Anderssein als demokratische Qualität versteht und Kunst und Bildung als Räume, in denen es darum geht, Ambivalenzen zu ertragen und abweichende Positionen zuzulassen. Dazu gehört es auch, einer Vielstimmigkeit Freiräume zu garantieren, die die eigene privilegierte Position als implizite Norm kritisch zur Disposition stellt.“

Selbstkasteiung und Kniefall statt Einstehen für westliche Werte

Dass „Anderssein“ an sich schon eine „demokratische Qualität“ wäre, würde ich bezweifeln. Sicher ist, dass nicht jede, die eine andere Meinung hat als die Mehrheit hierzulande, auch demokratische Qualitäten besitzt, Björn Höcke etwa oder Wladimir Putin. Gewiss muss man nicht nur in Kunst und Bildung „Ambivalenzen ertragen“. Aber die Vertreterinnen des Antizionismus sind in Ihrem Israelhass nicht ambivalent. Allenfalls lassen sie in demagogischer Absicht zuweilen unklar, ob sie mit der „Besatzung“ die Besatzung des Westjordanlands meinen oder, wie BDS-Gründer Omar Bargouti, die Besatzung ganz Palästina. Gegen die Besatzung der Westbank sind viele Israelis und Juden. Für die Beendigung Israels fast kein Jude. Solche Ambivalenz muss man gerade nicht ertragen, sondern muss Klarheit verlangen.

Und was die „eigene privilegierte Position“ angeht, die nicht zur „Norm“ erklärt werden dürfe: Die Ablehnung einer Position, die den Juden einen Nationalstaat verwehrt, was, sollte sie je diplomatisch oder kriegerisch verwirklicht werden, zu einem Pogrom – und hier wäre das Wort angebracht – gegen Millionen Juden in Palästina führen würde, hat mit Privilegierung nichts zu tun. Sondern mit Einsicht und Anstand, Moral und Vernunft. Wenn im Namen der „Vielstimmigkeit“ die historische Wahrheit „kritisch zur Disposition“ gestellt werden soll, dann kann man auch Faschisten und Rassisten „Freiräume“ bieten. Mit welchem Recht lehnt man Wladimir Putins Nichtanerkennung der Ukraine ab, hält aber die Nichtanerkennung Israels durch die BDS-Aktivisten und andere Akteure aus dem „globalen Süden“ für akzeptabel?

Weil Israel ein jüdischer Staat ist?

Wer ist eigentlich der „globale Süden“?

Nein, natürlich nicht, kommt die empörte Antwort, sondern weil wir mit dem „globalen Süden“ solidarisch sein wollen. Doch merkwürdigerweise wird mit dem „globalen Süden“ nie jener Teil der Welt gemeint, der gute Beziehungen zu Israel unterhält: Ganz Lateinamerika etwa, außer Venezuela und Kuba; ein Großteil der Länder Afrikas inklusive der islamischen Staaten Marokko, Sudan und Ägypten; die volkreichsten Staaten der Erde Indien und China; die Staaten Indochinas, Süd-Korea, Japan und viele andere.

Der „globale Süden“ ist ein ideologischer Begriff, der selbsternannte Vertreter jener Länder und Völker meint, die von linkem Kongress zu linkem Kongress oder wie die indonesische Gruppe ruangrupa, die zurzeit die Documenta – selbstverständlich ohne israelische Künstlerinnen – kuratiert, von Kunstschau zu Kunstschau jetten und aus dem schlechten Gewissen der Privilegierten ein Geschäft machen.

Mit der realen Welt hat der imaginierte „globale Süden“ so viel zu tun wie Israel mit einem kolonialen Apartheidstaat, nämlich nichts. Gewiss, es gibt die „untere Milliarde“, wie der britische Ökonom Paul Collier die von der gewaltigen Aufwärtsentwicklung der früheren „Dritten Welt“ in den letzten 50 Jahren abgehängten Menschen in Staaten wie der Demokratischen Republik Kongo nennt. Doch diejenigen, die sich als Vertreter des „globalen Südens“ ausgeben und denen zuliebe wir unsere Werte, Erfahrungen und Normen „kritisch zur Disposition stellen“ sollen, haben keine Vorschläge anzubieten, wie diesen Menschen zu helfen wäre.

Keine.

Denn das Problem ist nicht etwa, dass unser Reichtum von der Armut dieser Menschen bedingt wäre. Das Problem ist, dass unser Reichtum völlig unabhängig von ihnen im Handel etwa mit Ländern wie China, Korea, Vietnam, Indien oder Bangladesch generiert wird, die nicht zuletzt durch den Welthandel einen Weg aus der Armut gefunden haben. Schon gar nicht aber ist das Problem der „unteren Milliarde“ der jüdische Staat mit seinen 6 Millionen Juden; schon gar nicht werden von den Juden in Israel, wie etwa Mbembe behauptet, die Techniken entwickelt, die bald überall im imaginierten globalen Süden zur Unterdrückung des Widerstands angewendet werden.

Wenn es eine Ideologie gibt, die der Emanzipation der unteren Milliarde im Wege steht, dann ist es die Ideologie des Antizionismus, so wie der Antisemitismus in den 1920er und 1930er Jahren der Emanzipation der Arbeiterklasse im Weg stand. Auch deshalb muss sie zusammen mit dem Postkolonialismus endlich kritisiert statt hofiert werden.

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33 Gedanken zu “Besteht der „globale Süden“ nur aus Judenhassern?;”

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    https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-08/touristenvisum-russen-eu-sanktionen-ukraine-krieg

    Wer mehr zur Logik von Kollektivstrafen wissen möchte, kann sich gerne bei jeder beliebigen antisemitischen BDS Seite informieren, da steht es ausformuliert. Ob touristische Visa zum Verlassen des Landes wichtig sind, kann man in der iranischen Exilgemeinde erfahren. Wer wissen will, ob Sanktionen ein Regime zu Fall bringen, kann bei der Hamas in Gaza nachfragen und, wo er schon mal da ist, auch gleich in der israelischen Grenzregion, wie effektiv sie die Bewaffnung des Sanktionierten verhindert haben. Alternativ dazu kann man sich einen Raketentest Irans auf Youtube anschauen. Wenn die brutalsten Sanktionen der Geschichte gegen den russischen Staat und Putin nichts ausrichten können, muss man sich erreichbare Ziele suchen. Die russischen Bürger blöcken zwar auch nur mit der ganzen Herde, wie, nun ja, alle Menschen auf dieser Erde, aber an irgendwem muss man sich sein Gemüt ja kühlen, wenn man den gerechten Schmerz und Zorn empfindet. Das ist keinem Lynch Mob fremd. Nun ist die Forderung nach der Streichung des Touristenvisums noch lange kein Lynch-Aufruf, aber es ist ja auch erst 6 Monate Krieg. Wenn das durchgeführt wird und erwartbar keine Ergebnisse bringt, bin ich auf den nächsten Schritt gespannt. Und das nächste Massaker, der nächste Zorn, werden passieren. Die meisten Toten gibt es am Ende und nicht am Anfang der Kriege, dieser wird nicht anders sein.

    Sanktionen gegen Moskau, aber bitte kein Hass auf alles Russische – WELT

    Das ist eben die Wirkung von Krieg, es fällt schwer die Contenance zu wahren. Ich hätte nur nicht gedacht, dass das im zivilisierten Westen so schnell gehen würde. Wer intellektuelle Klosprüche mag, wird den hier schätzen: Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.

    PS: Wenn die hunderte Artikel, die sich mit den Rekrutierungsproblemen Putins beschäftigen, tatsächlich journalistische Artikel und nicht nur Durchhaltefabeln politischer Aktivisten sind, dann tun russische Bürger bereits etwas gegen diesen Krieg: Sie gehen nicht hin.

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    Ja Herr Posener, woher kommt der Hass? Zunächst scheint mir, dass religiös oder politisch (oder beides) verbrämte Menschenverachtung kein islamisches Alleinstellungsmerkmal zu sein scheint. Gerade kann man in weitgehend demokratischen Ländern wie den USA oder GB (Asyl in Ruanda?!) beobachten, wie sehr die Achtung vor den Menschenrechten verankert ist… Aber warum Israel? Stellen wir uns mal vor, die UNO würde heute feststellen, dass die Welt zu lange das Leiden diverser Völker ignoriert hat – teils aus Ignoranz, diplomatischer Rücksichtnahme oder auch aus handfesten wirtschaftlichen Interessen, u.a. am Beispiel China und dem Umgang mit den Uiguren. Und stellen wir uns vor, dass sich die verschiedenen (westlichen) Regierungen mit ihrem schlechten Gewissen plagen (ähnlich wie nach dem 2. Weltkrieg, als klar wurde, dass man viele Juden hätte retten können, wenn man denn gewollt hätte). Die Lösung? Wir suchen einen dünn besiedelten Landstrich irgendwo, z.B. im Mecklenburg-Vorpommern und siedeln die Überlebenden Uiguren dort an. Ach was, da wohnen ja noch andere Menschen? Na und? Manche werden verkaufen wollen, andere werden sich irgendwie arrangieren, bis ihnen der Lebensraum teilweise streitig gemacht wird, ihre Rechte auf Grundbesitz eingeschränkt werden, der Zugang zu Wasser oder Gesundheitsversorgung schwieriger wird usw. usf. Kommt Ihnen das bekannt vor? So ähnlich wird in der islamischen Welt die Gründung des Staates Israel gesehen. Und auch moderate Muslime können nur schwer begreifen, dass vor vielen Jahren irgendwelche Politiker ihr schlechtes Gewissen auf Kosten der Palästinenser beruhigen wollten. Nein, ich möchte nicht, dass Israel von der Landkarte verschwindet, denn Juden in aller Welt empfinden Israel nach dem Holocaust als sichere Zuflucht. Und nein, ich finde nicht, dass diese, von vielen Muslimen als Kränkung, oder Raub empfundene Staatsgründung Kriege oder Terrorismus rechtfertigen. Und ja, manche Kritik am Staat Israel und seiner Politik ist antisemitisch, manchmal schaffen es antisemitische Stereotype (wie auf der Documenta) in die Kunst – lösen aber immerhin Debatten und manchmal auch Rücktritte aus. Aber wenn wir alle, egal in welchem Land und mit welchem Glauben, irgendwann mal aus dieser ewigen Spirale aus Hass, Gewalt und Missverständnissen ausbrechen wollen, dann sollten wir diese Zusammenhänge begreifen. Und wir sollten einsehen, dass die Bibel (und der Koran) kein Grundbuch ist, es also keinen natürlichen oder gar göttlichen Anspruch auf ein bestimmtes Fleckchen Erde gibt. Und jetzt müssen wir „nur“ noch einen Weg finden, wie die Rechte aller, die in und um Israel leben, angemessen berücksichtigt werden. Also Wasser, Boden, Siedlungen, Staatsbürgerschaften usw für alle. Kompliziert? Ja, aber machbar. Wenn die Beteiligten wollen.

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      Lieber Herr Buchenau, Ihre Geschichtskenntnisse lassen zu wünschen übrig. Und darum sitzen Sie einer antisemitischen Erzählung auf. Israel entstand 1948 nicht, weil die Alliierten des 2. WK ein schlechtes Gewissen gegenüber den Juden hatten. Im Gegenteil. Es entstand, weil Großbritannien nach dem Krieg weder die Kräfte noch den Willen besaß, das Empire aufrechtzuerhalten und sich Knall auf Fall aus dem Mandatsgebiet zurückzog. Es bestand in der damaligen antisemitischen Labour-Regierung durchaus die Erwartung, dass die von britischen Offizieren ausgebildete und teilweise geführte jordanische Armee zusammen mit der von Franzosen ausgebildeten syrischen Armee und den Ägyptern dem neuen Staat schnell den Garaus machen und die Juden zwingen würde, eine Existenz als allenfalls geduldete Minderheit in einem arabisch dominierten Staat zu akzeptieren. Womit die Briten nicht rechneten, war die Unterstützung durch die Sowjetunion und die Kampfkraft der Haganah. Und so verloren die Araber den geplanten Vernichtungs- oder Unterwerfungskrieg, eine Niederlege, die sie „Nakba“ – Katastrophe“ – nennen.
      Im übrigen behauptet kein Zionist – das ist ein von Helmut Schmidt verbreitete antisemitische Mär -, die Bibel sei ein „Grundbuch“. Tel Aviv entstand dort, wo es zu biblischen Zeiten gar keine Siedlung gab. Ähnliches gilt für fast alle jüdischen Siedlungen der ersten Einwanderungswellen seit Ende des 19. Jahrhunderts. Die biblischen Stätten – Bethlehem, Nazareth, Hebron usw. – blieben arabisch. Aus Hebron wurden die wenigen Juden, die dort seit Abrahams Zeiten lebten, 1929 vertrieben. Jerusalem blieb eine Ausnahme, weil es seit jeher eine sehr große jüdische Bevölkerung hatte, aber West-Jerusalem wurde auf Land errichtet, das nicht zur historischen Stadt gehört. „Wasser, Boden, Siedlungen, Staatsbürgerschaften usw. für alle“ ist Ihre Lösung. Aber was heißt das? Warum betonen Sie „Wasser und Boden“, als ob es sich um ein primär landwirtschaftliches Gebiet handele? Längst ist die Wasserversorgung in Israel von Meeresentsalzung in großem Stil abhängig. Längst ist die Hightech-Industrie in Israel der wichtigste Wirtschaftszweig. Und was die Staatsbürgerschaft betrifft: Längst – seit 1948 – besitzen alle Araber in Israel die Staatsbürgerschaft mit allen Rechten. Und die „Palästinenser“? Besitzen mehr Rechte als Zuwanderer bei uns. Haben in Gaza einen eigenen Staat. Kontrollieren 95% der Westbank. Und dennoch – wen wundert’s? – geht es ihnen in der Westbank nicht wesentlich besser als den Arabern in Jordanien, Ägypten, Algerien, Tunesien, Libyen, dem Suda, dem Irak. Viel besser allerdings als den Arabern in Syrien. Aber besser. Nicht trotz, sondern wegen Israel.

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        Lieber Herr Posener, es wäre vielleicht besser, wenn sie Menschen, die anderer Meinung sind, nicht sofort mangelnde Geschichtskenntnisse unterstellen würden. Ich kenne die Geschichte des „Mandatsgebietes“ ganz gut auch die Vorgeschichte dessen, was ich „schlechtes Gewissen“ nannte. Ich zitiere mal aus einem Artikel, den ich vor einigen Jahren geschrieben habe: „Der amerikanische Präsident möchte jährlich 33000 Flüchtlinge aufnehmen, wenn andere Staaten, z.B. England ähnlich agieren. Leider bekommt er eine Absage: „Würden sich die westlichen Führungsmächte zu weich verhalten, dann könne das eine Bevölkerungsbewegung von möglicherweise einigen Millionen Menschen auslösen.“ Klingt bekannt? Ja, ist aber lange her: So sprach der britische Außenminister Lord Halifax vor 80 Jahren, im Juli 1938 auf der Flüchtlingskonferenz von Évian am schönen Genfer See. Es ging um Juden aus Deutschland und Österreich.(…) Ungarn nahm erst gar nicht teil, Italien lehnte jüdische Flüchtlinge ab, Rumänien, Polen und Griechenland waren nur dabei, um bei der Gelegenheit die eigene jüdische Bevölkerung elegant zu „entsorgen“. Übrigens war damit das humanitärer Angebot der USA auch erledigt.
        (Der Artikel war seiner Zeit eine Reaktion auf den Beitrag von Mariam Lau in der Zeit über Seenotrettung im Mittelmeer, überschrieben „Oder sollten wir es lassen?“)
        So gut wie alle Länder hatten nach dem Krieg allen Grund, für ein schlechtes Gewissen, finden Sie nicht? Und ja, die Briten konnten und wollten ihr „Mandatsgebiet“ nicht mehr kontrollieren, aber wie kommen tatsächliche, oder eingebildete Weltmächte dazu, einfach mal die Überlebenen einer Katastrophe irgendwo anzusiedeln? Mit welchem Recht, mit welcher Absicht? War da, abgesehen vom schlechten Gewissen, vielleicht auch noch etwas geostrategisches Kalkül dabei, etwa nach der Melodie: Entweder die umgebenden Staaten erledigen den traurigen Rest der Juden, oder, falls sie überleben, haben wir einen Fuß in der Tür dieser ölreichen Region? Ich weiß dass nicht, aber was ich versucht habe, zu erklären war, wie dieser Gründungsakt eines Staates auf fremdem Territorium auf die damaligen Einwohner und ihre Glaubensbrüder und Schwestern bis heute wirkt. Und daher kommt, meiner Meinung nach, der tatsächlich oft unreflektierte Hass auf „die Juden“. Über die aktuelle Situation in und um Israel wäre noch viel zu sagen. Z. B. ist „Wasser und Boden“ für palästinensische Bauern bis heute nicht ganz unwichtig, nur leider werden bis heute immer wieder Siedlungen auf ihren Feldern, in ihre Olivenhaine geklotzt. Palästinenser haben tatsächlich „mehr Rechte als Zuwanderer bei uns“ (was nebenbei nicht „für uns“ spricht). Aber wenn sie, z.B. für ein Studium oder eine Arbeit länger als 6 Monate das Land verlassen, dürfen sie enteignet werden. Zitat aus der Unabhängigkeitserklärung Israels: Der Staat „wird all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht, soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen. Er wird Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit der Sprache, Erziehung und Kultur gewährleisten.“ Schaun sie sich doch mal „Konzert für Ramallah“ an, Daniel Bahrenboim und sein „West Eastern Divan Orchestra“ und deren Versuch, zu ihrem Auftrittsort zu gelangen. Lesen Sie „Who the Fuck is Kafka“ von Lizzie Doron, erschienen 2016. Vielleicht fällt Ihnen dann auf, dass zwischen verbrieften Rechten und der Wirklichkeit manhmal Unterschiede bestehen. Und so lange das so ist, wird eine Versöhnung, eine zwei Staaten Lösung oder welches Friedensmodell auch immer, schwierig bleiben.

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        Lieber Herr Buchenau, ich gebe das Kompliment zurück. Ich habe zwei Biographien über FDR geschrieben, und Évian ist mir ein Begriff. Dass die Briten nach dem 2. WK „Überlebenen einer Katastrophe irgendwo anzusiedeln“ wollten, ist richtig, aber sie wollten sie ganz bestimmt nicht in Palästina ansiedeln, wie Ihnen jede damalige Bewohnerin eines DP-Lagers berichten kann. Israel entstand nicht deshalb, und deshalb werfe ich Ihnen mangelnde Geschichtskenntnisse vor. Israel entstand aus der zionistischen Bewegung. Aus der Arbeit von Jahrzehnten. Die Holocaust-Überlebenden haben zwar einen wichtigen Beitrag zum Aufbau geleistet, stellten jedoch 1948 weder die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung Palästinas noch gar der zionistischen Elite.
        https://networks.h-net.org/node/28655/reviews/30636/hoch-yablonka-survivors-holocaust-israel-after-war

        „Was ich versucht habe, zu erklären war, wie dieser Gründungsakt eines Staates auf fremdem Territorium auf die damaligen Einwohner und ihre Glaubensbrüder und Schwestern bis heute wirkt. Und daher kommt, meiner Meinung nach, der tatsächlich oft unreflektierte Hass auf „die Juden“.“ Das ist, mit Verlaub, Unsinn. Es gab schon 1929 Pogrome in ganz Palästina gegen die Juden ohne Anführungszeichen. Als Folge wurde etwa Hebron judenrein – die Briten haben die Überlebenden evakuiert.
        Was Boden und Wasser betrifft, so sind hiesige Sozialromantiker immer zu Tränen gerührt, wenn es um palästinensische Olivenhaine geht. Tatsächlich trägt die Landwirtschaft nur 5,6% zum BSP der Westbank bei und beschäftigt nur 13 Prozent der Bevölkerung. Und nun sagen Sie mir, warum hierzulande nie die Rede ist von Fabriken und Gewerkschaften, von Schulen und Unis, von Entwicklung und Städten. Passt nicht ins Narrativ. Siehe Documenta.
        Und schließlich: „Zitat aus der Unabhängigkeitserklärung Israels: Der Staat „wird all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht, soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen. Er wird Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit der Sprache, Erziehung und Kultur gewährleisten.“ Schaun sie sich doch mal „Konzert für Ramallah“ an, Daniel Bahrenboim und sein „West Eastern Divan Orchestra“ und deren Versuch, zu ihrem Auftrittsort zu gelangen. Lesen Sie „Who the Fuck is Kafka“ von Lizzie Doron, erschienen 2016. Vielleicht fällt Ihnen dann auf, dass zwischen verbrieften Rechten und der Wirklichkeit manhmal Unterschiede bestehen. Und so lange das so ist, wird eine Versöhnung, eine zwei Staaten Lösung oder welches Friedensmodell auch immer, schwierig bleiben.“
        Sie bringen alles durcheinander. Araber in Israel haben alle jene Rechte, von denen die Verfassung spricht. Sie sind sogar in der Regierung, obwohl niemand hierzulande darüber schreibt. Araber in der Westbank sind nicht Bürger Israels und haben daher nicht diese Rechte. 95% der Westbank werden von der PA regiert. Fragen Sie die PA, warum es keine Wahlen gibt. Warum gefoltert wird. Warum es keine freie Presse gibt. Warum es, Kurz und knapp, dort so aussieht wie in jedem anderen arabischen Staat der Erde.
        Und dann wissen Sie auch, warum die Araber die Juden hassen: Weil die Juden ein ständiger Vorwurf sind: Sie haben geschafft, was die Araber mit all ihrem Ölreichtum, mit all ihrem Reichtum an intelligenten und kultivierten Menschen nicht geschafft haben. Und darum werden die Araber den Juden Israel nie verzeihen.

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        Na gut Herr Posener, ich bringe alles durcheinander. Vielleicht, weil dieser Konflikt nicht nur eine Ursache hat (der „Globale Süden besteht aus Judenhassern“)? Und das Antisemitismus samt Pogromen und Vertreibungen älter ist, als der Konflikt in und um Israel- Donnerwetter, wer hätte das gedacht. Man könnte über viele Ihrer und meiner Punkte diskutieren, aber nur bis ich las: „Was Boden und Wasser betrifft, so sind hiesige Sozialromantiker immer zu Tränen gerührt, wenn es um palästinensische Olivenhaine geht. Tatsächlich trägt die Landwirtschaft nur 5,6% zum BSP der Westbank bei und beschäftigt nur 13 Prozent der Bevölkerung.“ Nennen Sie mich Sozialromantiker, wenn Sie mögen. Zumindest für mich sind „nur 13 % der Bevölkerung“ in und um Gazah und Israel keine zu vernachlässigende Größe. Und die koloniale Attitüde, mit der Israel sich gelegentlich anmaßt Familien oder ganze Dörfer zu enteignen, um darauf Siedlungen oder eine Mauer zu errichten stößt nicht nur Sozialromantikern wie mir unangenehm auf. Dass die Führungseliten der Palästinenser zwischen Korrupt und unfähig agieren weiß ich. Dass die sog. Brudervölker den Konflikt gerne auch mal für eigene Zwecke instrumentalisieren auch. Abner ich nehme zur Kenntnis, dass in Ihrer Welt die Fehler, Dummheiten und Verbrechen nur auf einer Seite des Zaunes zu liegen scheinen. Einen schönen Tag noch.

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        „Für mich sind „nur 13 % der Bevölkerung“ in und um Gazah und Israel keine zu vernachlässigende Größe.“ Au weia. Zählen Sie jetzt die Westbank zu Israel? Es geht nicht um Araber in Israel, sondern in der Westbank und Gaza. Und bekanntlich befindet sich kein einziger israelischer Soldat, kein einziger israelischer Siedler in Gaza. Ihre Unwissenheit wird nur durch Ihre moralisierende Larmoyanz übertroffen.
        Dass Sie ausgerechnet Israel, das sich die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Großbritannien erkämpft hat, eine „koloniale Attitüde“ vorwerfen, zeigt, woher bei Ihnen der Wind weht. Israel besetzt die früher jordanische Westbank nicht aus Lust und Laune, und schon gar nicht, um die dort lebenden Araber „kolonial“ auszubeuten. Das ist absurd. Maßgebend sind allein Sicherheitsüberlegungen. Und das könnten Sie wissen, ginge es Ihnen um Fakten.

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        Keine koloniale Ausbeutung?
        Was ist mit den Öltankern durch die 3 Olivenbäume?
        Und den Käsepalästen durch die 2 Ziegen?
        Das bringt die guten BRD-Linken ja wohl zurecht um den gerechten Schlaf.

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    … und man sollte auch nicht übersehen, dass ein erklecklicher Teil dieser hierzulande so geehrten, und sakrosankt ihren Vernichtungsfantasien überlassenen Künstler und Wissenschaftler aus dem „globalen Süden“ seit Jahrzehnten im globalen Westen leb(t)en und studierten, dort hofiert werden, gross gejubelt und vor allem: sozialisiert wurden. Mbembe lebt in Europa, Teile von Ruangrupa ebenso. Diese Leute jetzt zum „globalen Süden“ zu stilisieren, ihnen aber nicht vorzuwerfen, dass sie genau nix über die tatsächliche Ausbeutung zu sagen haben, unter der der globale Süden leidet, nichts über die Nähsklavinnen in Bangladesh, nichts über die türkische Besatzung Zyperns, nichts über Westsahara, Kurden, Boko Haram oder irgendwelche andere Baustellen des globalen Südens zeigt – die Unterschiede sind viel kleiner, als man uns glauben machen will: Es geht hüben wie drüben nur darum, Juden für die eigenen Unfähigkeiten verantwortlich machen zu können.

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    „Hallo,
    ich bin ein Leser von Ihrem Blog und habe Ihren Blog (#starke-meinungen.de#) schon seit lange. Der Inhalt drin ist wirklich attraktiv und erfüllt die Bedürfnisse der Leser.

    Ich kontaktiere Sie, um zu wissen, ob ich die Möglichkeit haben könnte, gesponserte Beiträge in Ihrem Blog zu veröffentlichen. Ich habe festgestellt, dass die Themen dieser Artikel bei Ihren Lesern sehr beliebt werden. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir Details für diese Art von Geschäft und Zusammenarbeit mitteilen könnten. Vielen Dank und ich freue mich auf Ihre baldige Antwort.

    Mit freundlichen Grüßen“

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      Ich will auch Geld kriegen.
      Meine Zeit für mein Geschreibsel ist auch wertvoll.
      Hab Ihnen meine Kontonummer per PN gesandt.
      Danke im Voraus.

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    Guten Tag
    Woran liegt es eigentlich, dass ich seit einiger Zeit hier keine Kommentare mehr lesen kann? Die Debatte fand ich oft interessanter, als den eigenlichen Artikel.
    Stefan Buchenau

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    … werter APo, liegt ’s an der asymmetrischen Verteidigungslinie meines Rechners oder hat sich ’starke-meinungen‘ hinter der ‚KKR/Döpfner/Linie‘ – für Demokraten nicht einsehbar – verschanzt? Geben Sie doch mal einen Hinweis! 😉

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        @APo

        … hi, hi. Danke für den Hinweis. Es gibt auch absichtliche ‚Serverprobleme‘ (Seit Putins Einmarsch in die Ukraine, z.B.,?). 😉

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    … zunächst widerspreche ich den Hamburger Klaukschietern; mitnichten gab es ein rassistisches Pogrom, wann auch immer, in der deutschen Nachkriegsgeschichte in Rostock-Lichtenhagen. Das hatten wir am 28. August 2012 schon geklärt.

    … und zu Mölln? … der Verurteilte Lars C. hat die Vorwürfe stets bestritten, Michael P. widerrief sein Geständnis. Das ‚riecht‘ alles nach NSU und Akten die 30 Jahre unter Verschluss bleiben.

    … tja, soviel Lüge ‚Ungereimtheiten‘ im Staate ‚BRD‘. Wer glaubt, dass die ‚offene Gesellschaft‘ der Mohammed/Sozialisten ausgerechnet Israel nicht mit ihrer Ideologie beglücken will?

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    Danke, lieber Herr Posener. Mir aus dem Verstand und dem Herzen geschrieben. Alt genug, um zu resignieren, bin ich eher inzwischen verzweifelt. Ihr Artikel gibt mir Mut, weiter gegenzuhalten.

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