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Die CSU als Speerspitze der Konservativen Revolution – „Merkel muss weg!“

Ein Gastbeitrag von Bruno Heidlberger

Der Essay zeigt, wie die CSU unter Führung von Horst Seehofer, Alexander Dobrindt und Markus Söder als Speerspitze der Konservativen Revolution zu ihren beiden Etappensiegen beigetragen hat: 1. Zum Wechsel des CDU Fraktionsvorsitzes und 2. möglicherweise auch zum frühzeitigen Rücktritt Frau Merkels vom Parteivorsitz. Es wird deutlich gemacht, dass nicht allein von der CSU vertretenen Werte aus der Zeit gefallen sind – auch ihr undemokratischer Politikstiel. Beides knüpft an reaktionäre Ideen der Konservativen Revolution aus den 20er-Jahren an, wie sie teileweise auch von führenden Köpfen der Neuen Rechten vertreten werden. Der Autor zeigt wie die CSU bei ihrer „Jagd“ Merkels mittels permanenter Skandalisierung und Freund-Feind Denken die gesellschaftliche Spaltung in Kauf genommen hat; ein Grund für den Aufstieg der AfD, aber auch von Bündnis/90 Die Grünen. Zum Schluss wird die Zukunft der CDU als Volkspartei und die Perspektiven der Grünen thematisiert.Der »autoritäre Liberalismus« den Carl Schmitt und andere konservative Revolutionäre in den 1920er-Jahren entwickelte, wird heute durch die Neue Rechte in die Debatte zurückgebracht – befeuert von neuen „Krisen“- Narrativen, die „Staatsversagen“ angesichts einer „Massenmigration“, „islamistischen Terror“ und „wachsende Kriminalität“ beschwören. Das Bestreben, den Rechtsstaat im autoritären Sinne umzudeuten und seine vermeintliche 68er-Version abzuwickeln, hat längst auch Teile der bürgerlich illiberalen Mitte erfasst. Menschen mit sozialem Gewissen scheinen keine Stimme mehr zu haben.Erst wurde die AfD ignoriert, dann in den Medien hofiert, jetzt machen einige selbst Stimmung. Die von der „Konservativen Revolution“ emotionsgesteuerte Kommunikationsstrategie, wie wir sie von Trump und anderen Rechtsnationalisten kennen, ist Teil eines Kulturkampfes geworden, der sich gegen ein föderales liberales Europa sowie gegen Multilateralismus, Transnationalität und Pluralismus richtet und klassisch liberale Begriffe wie Rechtsstaat, Demokratie, Freiheit, im Sinne der eigenen Politik aushöhlt und umdeutet. Der jüdische Historiker Fritz Stern (1926-2016) charakterisiert in seiner immer noch hochaktuellen Studie über den „Kulturpessimismus als politische Gefahr. Ein Analyse nationaler Ideologie in Deutschland“ den unlogischen paradoxen Ausdruck „Konservative Revolution“ wie folgt: “Ihre Anhänge wollten die von ihnen verachtete Gegenwart zerstören, um in einer imaginären Zukunft eine idealisierte Vergangenheit wiederzufinden. Sie waren enterbte Konservative, die nichts mehr zu bewahren hatten, waren doch die geistigen Werte der Vergangenheit größtenteils versunken und vergessen. Der Ausdruck »Konservative Revolution«, so Stern weiter, „bezeichnet den ideologischen Angriff auf die Modernität, auf den ganzen Komplex von Ideen und Einrichtungen, in dem sich unsere liberale, weltliche, industrielle Zivilisation verkörpert.“[1]

Seehofers Feindpolitik und die Jagd auf Kanzlerin Merkel

Die Pegida-Forderung „Merkel muss weg!“ und der Zeitgeist aus dem Weißen Haus erreichten spätestens 2015 auch Bayern. Donald Trump diente der nationalistischen Internationale inzwischen als Erfolgsmodell und Vorbild. Dobrindt, Seehofer und Söder bildeten die Nachhut. Nach dem Einzug der AfD in den Bundestag mit einem zweistelligen Ergebnis kündigte der Spitzenkandidat Gauland einen harten Konfrontationskurs an und sagte: „Wir werden sie jagen, wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen – und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“[2]

Die CSU übernahm, wie angekündigt unter dem Applaus der AfD, die Führung der „Konservativen Revolution“. Als Bundesinnenminister führte Horst Seehofer die große Koalition bei dieser Jagd immer wieder vor den Abgrund. Statt Verantwortung für die bundesdeutsche Politik zu übernehmen, beschämte er mit seinem Macho-Verhalten mehrmals die Kanzlerin, befeuerte die Spaltung der Gesellschaft und nahm die Republik in Geiselhaft ganz seinem Chemnitzer-Motto folgend die „Mutter aller Probleme ist die Migration“. 2015/16 forderte Seehofer beharrlich eine „Obergrenze von 200 000 Personen“, was von Merkel abgelehnt wurde. Gleich nach Amtsantritt als Bundesinnenminister erklärte er, anders als Merkel, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, nachdem Söder bereits im Mai mit seinem Kreuzerlass die Gesellschaft gespaltet hatte und die christlichen Gemeinden und höchste kirchliche Würdenträger, wie Kardinal Reinhard Marx gegen sich aufbrachte. Im Juli 2018 kündigte Seehofer seinen Rücktritt an, den er wieder zurücknahm und setzte auf nationale Alleingänge, statt auf europäische Kooperation. Seehofer scheint in die Fußstapfens des Hauptakteurs eines Buches von Stefan Zweig, was er häufig liest und gern verschenkt, getreten zu sein: Joseph Fouché. Fouché gilt „als der vermutlich wandlungsfähigste und opportunistischste Politiker, den die Weltgeschichte kennt.“ […] Er habe „immer rechtzeitig einen Stimmungsumschwung“, gewittert, um dann die Fronten zu wechseln,“ notiert Adam Soboczynski. Wie Seehofer ging es Fouché vor allem um Macht. Ethische Normen galten für ihn als etwas „Lächerliches.“[3]

Markus Söder scheint aus dem gleichen Holz geschnitzt, wenn er, wie Horst Seehofer, die Bundesregierung und Europa aufs Spiel und auf nationalen Alleingang setzt. Söder verabschiedete sich Mitte Juni 2018 zunächst vom „geordneten Multilateralismus“, da „in Europa und der Welt“ die Zeit des geordneten Multikulturalismus“ abgelöst werde.[4] Germany first! vom Ende aus gedacht: „Merkel muss weg!“, ruderte aber bald wieder zurück. Das populistische Wort „Asyltourismus“, erst von Söder in die Welt gesetzt, versprach er bald darauf wieder zurückzunehmen, nachdem er feststellte, dass es bei seinen Wählern auf keine Gegenliebe stieß. Seehofer hat, angefeuert von Söder, im Sommer 2018 den unsinnigen Streit um die Abweisung von Asylbewerbern an der Grenze, die bereits in einem anderen europäischen Land einen Antrag gestellt hatten, auf die Spitze getrieben. Der allein in die Macht verliebte Söder wollte für seinen Wahlkampf den Bruch mit Merkels Flüchtlingspolitik und tauchte erneut ab, als sein Projekt scheiterte. Auf dem Höhepunkt des Streits über die Asylpolitik im Sommer erklärte Seehofer, dass er sich nicht von einer Kanzlerin verdrängen lasse, der er überhaupt erst ins Amt verholfen habe. Bis heute haben sich die meisten europäischen Länder seinen Aufnahmezentren für Flüchtlinge verweigert. Das von ihm mit Italien angekündigte Abkommen gibt es bis heute nicht. Bei der von Gauland ausgerufenen Jagd diente die CSU unter Führung von Horst Seehofer, Markus Söder und Alexander Dobrindt der AfD als Steigbügelhalter.

Alexander Gauland läutete schon die Todesglocke. Chemnitz wirkte dabei wie ein Brandbeschleuniger, vor allem im Osten. Auf dem Bundesparteitag der AfD vom 30. Juni 2018 fühlte sich Gauland an die letzten Monate der DDR erinnert und setzte die Bundeskanzlerin mit Erich Honecker gleich. Er erklärte, dass „ein ganzer Apparat, ein ganzes System“ weg müsse während sein Ko-Vorsitzender Jörg Meuthen die Gemeinsamkeit mit anderen rechten Parteien in Europa beschwor. Gebraucht werde „eine Festung Europa, damit wir nicht untergehen.“[5] Im Ergebnis verlor die CSU bei ihrer Jagd im Oktober 2018 die absolute Mehrheit bei den bayrischen Landtagswahlen und erzielte das zweitschlechteste Resultat in ihrer Geschichte. Sehr viele Stimmen gingen an Bündnis 90/Die Grünen.

Bündnis 90/ Die Grünen – die Partei, die zeitgemäße Antworten gibt

Der auf das vorgeblich illiberale Bürgertum orientierte Freund-Feind Wahlkampf der CSU schreckte viele christlich eingestellte Bürgerinnen und Bürger ab. Je mehr Seehofer, Dobrindt und Söder polterten, je mehr Seehofer die Konfrontation mit Merkel suchte und zuließ, dass der Chef einer nachgeordneten Bundesbehörde, Hans-Georg Maaßen, die Kanzlerin bloßstellte, desto mehr Einfluss verschafften sie den auf die Werte einer offenen Gesellschaft pochenden Grünen. Im Gegensatz zur CSU und der SPD verfügten die Grünen über ein zeitgemäßes Profil: Stärkung Europas, Pflege der Umwelt, humaner Umgang mit Flüchtlingen, Minderheitenrechte und Bewahrung der offenen Gesellschaft.

Dieses zeitgemäße Profil findet seinen Niederschlag in der aktuellen Studie „Werteorientierungen und Werteerziehung von Lehrkräften in Deutschland“, die vom Verband Bildung und Erziehung (VBE) 2018 in Auftrag gegeben wurde. [6] „Achtung der Menschenrechte, Konfliktfähigkeit, soziale Kompetenzen, eigenverantwortliches Handeln, selbstständiges Lernen: Solche Fähigkeiten werden Kindern und Jugendlichen viel zu wenig in der Schule vermittelt,“, beklagten Eltern und Lehrer. Weniger wichtig waren Themen wie Heimatverbundenheit oder Leistungsorientierung. Dies macht den kulturellen Wertewandel in Hinblick auf mehr Liberalität, Umwelt und Weltoffenheit deutlich, der sich weltweit seit den letzten Jahrzehnten im Zuge von Globalisierung und Liberalisierung vollzieht. In den meisten Ländern ist heute eine stärkere Betonung des Einzelmenschen und seiner Rechte zu erkennen, während früher die Religion, die Familie, die Sippe oder das Volk vor den Einzelnen kamen. Bräuche und Traditionen werden nicht mehr so stark befolgt. Kulturen anderer Länder werden weltweit bekannt. Fernsehen und Internet verbreiten neue Vorbilder, Meinungen und Lebensweisen. Anders als früher interessieren sich die Menschen für Ereignisse in der ganzen Welt und spüren eine wachsende Verantwortung. Menschenrechtsgruppen engagieren sich weltweit. Die Welt ist ein Dorf geworden, alles ist verflochten. Umweltschutz und Bildung haben eine viel größere Bedeutung als früher. Die UNO und die UNO-Menschenrechtserklärung, die Charta der Grundrechte der EU und die Grund- und Menschenrechte unserer Verfassung, bilden die Grundlage unseres Wertesystems, was in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr universell geworden ist, weil sich sein praktischer Nutzen für die Menschen erwiesen hat. Freiheitliches Denken und Kritik an den Verhältnissen wird als natürliches Recht in der ganzen Welt verlangt. Es ist dieser kulturelle Wertewandel, dem sich die Neue Rechte durch eine „Entsiffung des Kulturbetriebs“ (Marc Jongen) und aktuell durch die Einrichtung eines Beschwerde-Portal Lehrer-SOS mit Macht entgegen stellen will.

Die liberal konservativen Kritiker aus der CSU

 Theo Waigel, Ehrenvorsitzender der CSU, blies den Anführern der Konservativen Revolution in der CSU nach dem Wahldesaster in Bayern den Marsch. Er forderte personelle und strategische Konsequenzen. Die Konfrontation mit der Kanzlerin und die „Wiederbelebung“ der Flüchtlingsdebatte hätten viele Menschen „abgestoßen“. Die von Dobrindt ausgerufene „konservative Revolution“ hält er für einen schweren Fehler. „Ein Großteil der Wähler, die wir verloren haben“, erklärt Waigel in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung, wolle „keine konservative Revolution.“ Die „Forderung“ sei insofern „verfehlt und nehme nur in missglückter Form Anleihe an einem Kampfbegriff gegen die Demokratie in der Weimarer Republik“ auf. „Man sollte auch wissen“, mahnt Waigel, „dass ein Vertreter dieser Theorie, nämlich Armin Mohler, später bei Republikaner-Chef Franz Schönhuber gelandet“ sei. Waigel wirft Dobrindt und seinen konservativrevolutionären Freunden nicht nur Geschichtsvergessenheit, sondern auch noch philosophische Unkenntnis vor, wenn er schreibt: “Wir sollten uns auch mit Fragen der politischen Philosophie wieder stärker beschäftigen. Der Grundthese von Carl Schmitt, dass Politik dem Freund-Feind-Bild entspreche, kann ich nicht folgen. Unsere Ziel muss ein vernünftiges Miteinander und das Gemeinwohl für alle sein.“[7]

Es macht sicher einen Unterschied, ob jemand zur Rettung seiner Karriere meint, die Rechtsnationalen mit ihren eigenen Waffen schlagen zu müssen, oder ob diese die Möglichkeiten der Demokratie nutzen, um diese zu zerstören. Wer aber der rechtsnationalistischen Versuchung erliegt, bereitet den wirklichen Feinden der liberalen Demokratie den Boden. Die Demokratie lebt vom Kompromiss und nicht von der gnadenlosen Polarisierung. Darauf haben auch die „liberal-konservative Mitgliederinitiative „Union der Mitte“, die sich gegen einen Rechtsruck der Union wendete, und ihr CSU Gründer Stephan Bloch im Sommer 2018 hingewiesen. Bei Facebook hat die Initiative, die aus Hunderten CDU/CSU Mitgliedern bestand, mehr als 3000 Unterstützer. Im Spiegel kritisierte Bloch die „panische Haltung einer aus Angst regierenden Partei die zur Spaltung leider massiv beigetragen hat, statt die aufgeheizte bayrische Stimmung zu besänftigen.“ CDU/CSU hätten sich „vom Sog der Rechtspopulisten anziehen lassen und uns von den Bürgern und unseren Inhalten entfernt“,sagte der 29-jähirgen Bloch. Dagegen wollte die Initiative kämpfen, um die CSU wieder sprachlich und inhaltlich von der AfD „unterscheidbarer“ zu machen. CSU Generalsekretär Markus Blume erklärte, die „Union der Mitte“ sei ein grober Verstoß gegen die Parteienstatuten und müsse unverzüglich seine Aktivitäten einstellen.[8]

Das Ende von Merkels Macht und die Zukunft der CDU als Volkspartei

Die völlig überraschende Niederlage von Volker Kauder bei der Wahl zum Vorsitz der CDU/CSU Bundestagsfraktion zeigte den dramatischen Machtverfall Merkels. Sofort reagierten alle, die Merkel nicht mehr haben wollen. Eine liberale CDU-Kanzlerin passt nicht in ihr konservatives Weltbild. Merkel hatte die Kontrolle über ihre eigene Partei verloren. Sogar Seehofer und Dobrindt hatten sich noch für Kauder ausgesprochen. Gleichwohl kennen sich Dobrindt und Brinkhaus gut und hätten „engste“ gemeinsame Vorstellungen „in den meisten Politikbereichen“. Merkel und ihre Regierung sind damit an ein Ende gekommen. Ein erster Etappensieg, der von der Neuen Rechten unter Führung der CSU ausgerufenen Konservativen Revolution. „Die Jagd, die mein Kollege Gauland angekündigt hatte, ist erfolgreich“[9] und „bei uns knallen die Sektkorken“, sagte Alice Weidel, die Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag. Mit einer konservativen Revolution der Unionsfraktion gegen Merkel rechnet Gauland aber nicht. „Diese Revolution möchte ich mal sehen. Herr Brinkhaus ist doch nicht der konservative Revolutionär. Er ist der Versuch der Fraktion, sich vom Steigbügelhalter Merkels zu trennen und trotzdem die Regierung zu stützen.“[10]

Spätestens seit der verlorenen Bundestagswahl 2017 wollen konservative Teile der CDU diese weiter nach rechts rücken, in etwa dahin, wo sie sich vor Merkels Kanzlerschaft befand. Ob dieser Schritt zurück nach rechts der Partei helfen würde, daran haben Demoskopen ihre Zweifel. „Wahlforscher Matthias Jung glaubt,“ wie die Journalisten Ferdinand Otto und Katharina Schuler zeigen, „die Union wäre in den Umfragen noch schlechter dran, wenn sie inhaltlich in der Kohl-Ära steckengeblieben wäre.“ Jung gilt als wichtiger Berater von Merkel, der ihr mit seinen Studien die Argumente für die Mitte-Verschiebung der Partei geliefert hat. Da der CDU von Bundestagswahl zu Bundestagswahl  über eine Million Wähler wegsterben, müsse man diese durch jüngere ersetzen. Das gehe aber nicht mit politischen Positionen aus den 1980er- und 1990er-Jahren. Bei den unter 30-Jährigen, den Kindern von »68«, lässt sich in Umfragen kein Trend zum Konservativismus erkennen, ganz im Gegenteil. „Der Modernisierungsprozess der Union sei“, so die mahnenden Worte des Demoskopen Jung, „der Versuch gewesen, die gesellschaftliche Entfremdung der späten Kohl-Jahre zu überwinden.“ Forsa-Chef Manfred Güllner prophezeit, wenn sich „in der Union Leute wie Gesundheitsminister Jens Spahn oder CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt durchsetzten, die die Partei nach rechts rücken wollten, gäbe es für CDU und CSU in Umfragen und bei Wahlergebnissen keine Grenze nach unten.“[11]

Immer beliebter werden hingegen Bündnis 90/Die Grünen, die Erben von 68, die enttäuschte Mitte-Wähler der CDU/CSU absorbieren. Laut einer Umfrage des Spiegel im Oktober 2018 sagen 47 Prozent der Deutschen, sie könnten sich vorstellen, bei der nächsten Bundestagswahl grün zu wählen. Während Friedrich Merz der „Anti-Merkel“, wie der Spiegel titelte, die CDU vom Erbe der ersten Frau im Kanzleramt erlösen soll, erscheint Robert Habeck in vielem als ihr Nachfolger. Ihm fliegen die Herzen des links-liberalen Milieus zu, das sich hinter der Politik der Bundeskanzlerin versammelte und spätestens seit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 eine politisch emotionale Heimat fand.

Güllner und Jung sehen „die Union als Opfer eines Trends, der zunächst die SPD traf, längst aber auch der Union“ zusetze: „das Schrumpfen der Volksparteien.“ Früher hätten sich Wähler „über ideologische Werte wie den Antikommunismus oder die Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse an Parteien“ gebunden, heute hingegen gebe es „eine Vielzahl von Lebensstilen und Lebensentwürfen,“ wie dies der Kultursoziologe Andreas Reckwitz in seiner wegweisenden Studie „Die Gesellschaft der Sigularitäten“ zeigt. „Wahlergebnisse über 40 Prozent“ seien „in einer solchen Gesellschaft kaum noch erreichbar.“ Weitgehend unabhängig von ihrer tatsächlichen ökonomischen Situation, schauten die Wähler der AfD „eher pessimistisch in die Zukunft“. Norbert Lammert meint, weil das so sei, könne man diese Wähler nur schwer zurückgewinnen, »indem man nur von Konservatismus« spreche. Ähnlich sehen das die Wissenschaftler Jung und Güllner. Mit der Existenz der rechtsnationalistischen AfD müsse „man sich wohl auf Dauer abfinden.“[12]

Die rechtskonservativen und neurechten Akteure, allen voran die AfD, wollen einen politischen Richtungswechsel mit weitreichenden Folgen nicht nur für Deutschland. Friedrich Merz und Jens Spahn haben sich auch in Stellung gebracht. Die rechtsnationale Versuchung ist groß. Ob es den beiden neuen Konservativen um die Vertiefung der europäischen Integration und um die Modernisierung Deutschlands sowie um sozialen Ausgleich geht, und nicht um Macht und Machterhalt, wird sich zeigen. Die „rechtskonservative Drift“ hat jetzt auch die CDU voll erfasst. Zu nennen sind 70 Vertreter des konservativen Flügels der Union, wie Alexander Mitsch, Manuel Hagel, die auf ein „konservatives Profil“ von CDU und CSU drängen. Sie verlangen in dem sogenannten Konservativen Manifest eine Abkehr des Kurses der Union in die politische Mitte. Das Grußwort von Jens Spahn (CDU) wurde mit viel Beifall aufgenommen. Wie weit nach rechts Merkels-CDU rückt und liberalkonservative zugunsten rechtskonservativer Werte geopfert werden, bleibt noch offen. Wohin das „Bündnis“ des illiberalen Bürgertums mit dem Mob führen kann, wissen wir aus der Geschichte. Europa ist unser Vermächtnis und unser Schicksal. Das wusste der Konservative Josef Strauß, der die Vereinigte Staaten von Europa forderte. Gerade deshalb sollten alle Demokraten das liberale Erbe von »68« nicht kleinreden, sondern bewahren und gegen alle erklärten Gegner der offenen menschenrechtlich verfassten Gesellschaft verteidigen.

[1] Fritz Stern: a. a. O., S. 6f.

[2] Spiegel Online: „Wir werden Frau Merkel jagen“, 24.09.2017, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-alexander-gauland-wir-werden-frau-merkel-jagen-a-1169598.html

[3] Adam Soboczynski: Comback als Lebensprinzip, Die Zeit Nr. 39, 20.09.2018, S. 39.

[4] Stefan Ulrich: Allianz der Zerstörer, SZ 16./17. Juni 2018, S. 4.

[5] Jens Schneider: Anders sein, aber lieber später, SZ 02.0718, S. 5.

[6] Spiegel Online: Lehrer-Eltern-Umfrage. Kinder sollen mehr Werte in der Schule lernen, 09.11.2018, http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/eltern-und-lehrer-fordern-bessere-wertevermittlung-a-1237565.html

[7] Theo Waigel: Den Menschen die Angst nehmen, SZ, 09.10.2018, S.2.

[8] DPA, Otth: „Abspaltung und Sektierertum“, SZ 30.09.2018, S. 5.

[9] Jens Schneider: Halali von rechts, SZ 30.10.2018, S. 5.

[10] P. Dausend, M. Klingst, M. Lau, C. Lobenstein, R. Pausch: Die große Konfusion, Die Zeit Nr. 40, 27.09.2018, S. 2.

[11] Ferdinand Otto/Katharina Schuler: Muss die Union konservativer werden, Die Zeit, 07.10.2018, https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-10/cdu-strategie-nachfolger-angela-merkel

[12] Ebd.

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch des Autors, das voraussichtlich unter dem Titel: „Die 68er und ihre Erben – Bündnis 90/Die Grünen – Hauptfeind der AfD und der Konservativen Revolution. Wohin geht unsere offene Gesellschaft?“ Anfang 2019 im Logos Verlag Berlin erscheinen wird.

Dr. phil. Bruno Heidlberger, *1951, Studium der Soziologie, Politologie, Germanistik, Arbeitslehre und Philosophie an den Universitäten Frankfurt am Main und Berlin, 1980 Staatsexamen, 1987 Promotion zum Dr. phil. bei Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr und Prof. Dr. Ulrich Albrecht (Berlin), bis 2016 als Lehrer für Mathematik, Geschichte, Politik und Philosophie tätig. Lehraufträge an der TU Berlin Fachbereich Erziehungswissenschaften von 1990 bis 92, Dozent an der MHB Brandenburg und Mitarbeiter am Institut für Tiefenpsychologie Berlin. Veröffentlichungen: Jugoslawiens Auseinandersetzung mit dem Stalinismus. Historische Voraussetzungen und Konsequenzen, Frankfurt am Main 1987, Verfasser von Essays und Rezensionen in philosophischen und politischen Fachzeitschriften (u.a. Widerspruch (München), Aufklärung & Kritik (Nürnberg), ZfP Zeitschrift für Politik  (München), Philosophischer Literaturanzeiger, socialnet).

 

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3 Gedanken zu “Die CSU als Speerspitze der Konservativen Revolution – „Merkel muss weg!“;”

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    Die Grünen sind so erfolgreich bei den WählerInnen, weil Ihnen die Fernsehsender gehören, obwohl sie in Wahrheit überhaupt keine zeitgemäßen Antworten haben. Der Konflikt lautet doch – Medienmärchen gegen Wirklichkeit. Die normative Macht des Faktischen wird sich natürlich durchsetzen, bei den naiven Deutschen später als bei anderen, aber dann doch am End.

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    Die „Jagd auf Merkel“ war offenkundig. Aber das bedeutet nicht, dass es einen „dramatischen Machtverfall Merkels“ gegeben hat, sondern eine weitere Veränderung der Union. Die CSU hat eben gezündelt. Geschadet hat es ihr selbst. Warten wir ab. Politischen Erfolg hat nur, wer internationale agieren kann. Söder ist eine provinzielle Figur. Das kann nicht lange funktionieren.

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