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Kritik im Selbstschongang

Der Beitrag meines Freunds und Ex-Genossen Rainer Werner kann nicht unwiderprochen bleiben.

Lieber Rainer,
du wirfst vielen ehemaligen 68ern zu Recht vor, Ihre Jugend zu verklären.
Genau dagegen richtet sich Jaspers Buch. Erstaunlich, dass du das nicht erkennst. Jasper macht klar, dass 68 mitnichten eine frohes antiautoritäres Fest der Fantasie war, sondern eben schon voller Gewalt steckte; dass Mao lange vor Gründung der K-Gruppen Säulenheiliger des 68er Establishments war.


Du hingegen wiederholst in deinem Beitrag für „Starke Meinungen“ die ausgelutschten und längst widerlegten Behauptungen, 68 sei eine primär „hedonistische Bewegung“ gewesen, und findest es „schwer erklärbar“, dass „Studenten, deren Losung ‚Die Phantasie an die Macht!‘ lautete“, später „die Diktatur des Proletariats propagierten.“ du redest von einem „krassen Mentalitätsbruch“.
Genau da setzt Jasper an, genau diese Lebenslüge entlarvt er, und genau deshalb ist sein Buch radikal, wo du nur Ideologeme der arrivierten 68er wiederholst. Zu denen du gehörst, denn als Beamter auf Lebenszeit hattest du allen Grund, deine Zeit bei der KPD/AO klein zu reden und als „Bruch“ zu deinen Aktivitäten davor – etwa bei der Agitation von Schülern in Öhringen – und danach – etwa beim Oberbaum-Verlag – hinzustellen.

Die Hölle, das sind die Anderen (Jean-Paul Sartre)

Du forderst von Jasper eine „schonungslose“ Selbstkritik (der Duktus kommt mir sehr bekannt vor), aber wie beschreibst du deine eigenen Aktivitäten?
„1973 war ich Chefredakteur des „Schulkampfs“, einer Zeitung, mit der die KPD Einfluss unter Oberschülern gewinnen wollte. Die Chefredakteure aller Zeitungen, die zum „KPD-Konzern“ gehörten – immerhin sechs an der Zahl -, trafen sich jeden Montag in der Frühe zur Befehlsausgabe für die neue Woche. Dabei gab (…) der leitende Redakteur der „Roten Fahne“ den Ton an: Willi Jasper. Das Vokabular des Rituals war eingespielt: Es ging um rechte und linke Abweichungen von der Parteilinie, um Sektierertum, Abenteurertum, Spontaneismus, Opportunismus, Subjektivismus und Versöhnlertum. (…) Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie über mich nicht selten der Daumen gesenkt wurde (meine Hervorhebung: AP):  Rechter Opportunismus und Versöhnlertum lautete der Vorwurf. Ich hatte nicht einsehen wollen, dass sich Oberschüler mehr für den Tarifkonflikt der IG-Metall in NRW und für die Unterstützung von Pol Pot interessieren sollten als für prügelnde Lehrer. Ich hätte schon gerne gelesen, wie der ehemalige Chefredakteur der KPD-Zeitung seine damalige Rolle als ideologischer Frontmann heute sieht.“
Und ich hätte schon gern gern gelesen, wie du zu deiner Rolle bei der Verführung von Schülern – in Öhringen etwa, bevor du nach Berlin und zur KPD kamst – zum Marxismus-Leninismus heute stehst. Damals warst du mächtig stolz darauf. Dass du die dortige Schülergruppe fast geschlossen für die  KPD gewonnen hast, sehr zum Ärger des in der Gegend tonangebenden Rivalen KBW, machte dich in deinen Augen – zu Recht – zu jemandem, der für Leitungsaufgaben prädestiniert war. Darum haben wir von der Zentralen Leitung des Kommunistischen Studentenverbands dich nach Kräften gefördert.

Ich bin’s nicht, Willi Jasper ist’s gewesen

Du bist auch nicht zufällig Chefredakteur beim „Schulkampf“ geworden, den ich zusammen mit dem Kommunistischen Oberschülerverband, dessen Zentralorgan der „Schulkampf“ war, gegründet habe, Sondern weil du ein ideologisch stahlharter Kader warst – keineswegs jemand, über den, wie du larmoyant schreibst, „nicht selten der Daumen gesenkt“ wurde. Den Daumen konntest du ganz gut selber senken, wenn’s darauf ankam.
Wenn du lieber im „Schulkampf“ über „prügelnde Lehrer“ geschrieben hättest als über den Tarifkonflikt in der Metallindustrie, so deshalb, weil du glaubtest (wahrscheinlich völlig zu Recht), dass damit mehr Schüler für die Sache Maos zu gewinnen waren. Du fandest auch (vermutlich auch zu Recht), wir sollten die Rolling Stones nicht als „bürgerlich“ und „dekadent“ bekämpfen, sondern in unsere Agitation miteinbeziehen. (Ich selbst habe in Dortmund eine Kulturtruppe aufgestellt, die den Beatles-Song „Dr. Robert“ umdichtete auf den Betriebsarzt bei Hoesch, Doktor Sommer.) Aber immer ging es dir wie mir wie Jasper darum, junge Leute für die Diktatur des Proletariats zu gewinnen.
„Selbstkritik“ heißt doch nicht, über Leute herzuziehen, die deiner Meinung nach nicht so ideologisch gefestigt sind in Sachen nachträglicher Antikommunismus wie du selbst: sondern eben SELBSTkritik. Und auch nicht im Sinne der KPD, die sich nie mit persönlichen Erklärungen oder sachlichen Begründungen zufrieden gab, sondern nur Bekenntnisse haben wollte: „Ich bin ein bürgerliches Element, weil ich nicht ideologisch gefestigt bin. Oder vielmetr: ich bin nicht ideologisch gefestigt, weil ich ein bürgerliches Element bin. Und darum gelingt es der Zelle nicht, ihr soll an roten Fahnen zu vekaufen.“

Wieso warst DU damals dabei? Was hat DIR die KPD gebracht? Warst du wirklich nur Opfer, oder auch Täter? Das Buch „Wir war’n die Stärksten der Parteien“ haben wir alle schon damals gelesen. Es war unwirksam, weil die Ex-Genossen, die es schreiben, immer nur den Span im Auge der anderen sahen, nicht den Balken vorm eigenen Kopf. Wir sind aber heute alle keine Maoisten mehr. wir wissen ja, dass unser Projekt  „eine geistige  und moralische Verirrung  war“, wie du zu Recht schreibst. Aber warum schreibst du  „ihr Projekt“, als habe es mit dir nichts zu tun? Der Wunsch, die Verantwortung nach oben zu delegieren: „Willi Jasper gab die Linie vor, über mich wurde oft der Daumen gesenkt“, ist verständlich und hat Tradition, aber: Niemand wurde gezwungen, mitzumachen, Rainer. Auch du nicht. Warum warst du dabei?

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13 Gedanken zu “Kritik im Selbstschongang;”

  1. avatar

    Toleranz wird zum Verbrechen , wenn sie dem Bösen (Totaltären ) gilt
    Thomas Mann
    Geehrter Herr Poesner durch ihre ganzen Schriften sind durchzogen von linker
    Doppelmoral und ihren perversen abgedroschen Kampfbegriffen
    1) Nazikeule die schwingt selbst der Sultan Erdogan ,dessen Ermächtigungsgesetz
    und Terror sehr an 33 erinnert. Mein jüdischer Großvater und Urgroßmuutter
    , die wie die meisten bürgerlichen Reformjuden nationaliberal waren ,- Nazi,
    wie geisteskrank ist dass
    2 ) Rassismus , was für eine Rasse ist de Scharia , ich lehne den Schariamob ab
    nicht aber EXmuslime wenn sie wirklichen Rassismus erleben wollen beim
    Sultan und seinen AKP Jjüngern werden sie fündig.
    3 )Antisemitismus Mein Großsvater hat durch Bestechung eines hohen Nazis überlebt,
    aber die Linke darf wie die Nazis vom Finanzjudentum schwafeln , habe ich als EXlinker
    selbst bei Schweizer ,Linken erlebt, wo dann noch zwei Linke von den Protokollen schwafelten,war ich entgültig fertig mit den Linken.
    4 ) Sexismus und Genderwahn Dekadente linke Luxusweibchen sehen sich überall
    verletzt , aber die Menschenwüde armer Frauen ist ihnen egal, da darf sich ruhig
    der Schariamob vergreifen., Den armen frauen dürfte besserer Lohn- Rente
    wichtiger sein als hirnloses linkes Gendergewäsch.
    An Ihrer Stelle Herr Poesner würde ich nicht den Hofjuden dieser Spinner spielen
    Mein seliger Großvater hat Stalin kaum weniger gehasst wie Hitler

    1. avatar

      Sie können nicht einmal meinen Namen richtig schreiben, aber meinen, alles zu durchschauen. sie behaupten, Sie wären ein Ex-Linker, haben aber alle Unsitten eines Ex-Linken behalten, allen voran die Unfähigkeit, zusammenhängend und ruhig zu argumentieren, und der Hass auf Andersdenkende. Bleiben Sie bei AchGut, da sind Sie unter Ihresgleichen.

  2. avatar

    Vielleicht fehlt mir dank der Gnade der späten Geburt das Verständnis für die Befindlichkeiten der 68er, aber mich erinnert das alles an die Erzählungen meines Opas aus dem Krieg.

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      Und? Hat Ihr Opa erzählt von der Beteiligung der Wehrmacht an den Judenerschießungen? Oder hatte er von der Völkervernichtung im Osten nichts gemerkt?

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        Sie sollten sich mal von Ihrer Fixierung auf ein einziges Thema lösen, hier ging es doch um die Veteranenseligkeit der Alt-68er.
        Und um Ihre Frage zu beantworten, als 1944 erstmals an der Westfront eingesetzter Soldat hat er mehr von amerikanischen als von deutschen Kriegsverbrechen mitbekommen.

      2. avatar

        Sagte er. Ich bin nicht „fixiert auf ein einziges Thema“. Ich kenne nur zu gut dieses „Opa erzählt vom Krieg“. In der Tat haben fast alle, wenn sie überhaupt davon erzählt haben, einen ähnlichen Ton verwendet wie manche zu Unrecht erinnerungsseligen 68er. Dabei ist bei aller Kritik an 68 ff (und ich hoffe, dass ich in der Hinsicht oft genug deutlich genug geworden bin) ein Unterschied in der Sache festzuhalten. Dass der nicht unserer moralischen Überlegenheit anzurechnen ist, sondern der Gnade der späten Geburt, steht auf einem anderen Blatt.

  3. avatar

    Lieber APO, Rainer Werners Wunsch, die Verantwortung nach oben zu delegieren, ist die Kehrseite – Sie erinnern sich? – seiner früheren Klagen darüber, dass die führenden 68er bürgerlicher und großbürgerlicher Herkunft waren und die Kleinen klein zu bleiben hatten. In diesem Sinne war er zwar dabei, so verstehe ich ihn, hat er aber seinem Verständnis nach nicht dazugehört.

    —————————-

    Klar, dass Sie beide aus biographischen Gründen in erster Linie an den K-Gruppen interessiert sind, wenn es um 68 geht. Tatsächlich waren die K-Gruppen 68ff aber nur ein kleiner Haufen untereinander zerstrittener Sektierer, die von dem allergrößten Teil ihrer Generationsgenossen als ziemliche Spinner und [zensiert] betrachtet wurden, die Büchertische betrieben, ihre Frauen eifersüchtigst bewachten und auf ärgerlichste Weise Vorlesungen und Seminare störten. Mag aber dennoch sein, dass es für die nachfolgenden Generationen und für die Zeitgenossen, die damals nicht involviert waren, nicht uninteressant ist, nachträglich etwas über die Motivationslage und moralische Verfassung der „Spinner“ von damals zu erfahren.

    Viel interessanter und wichtiger ist aber doch, die Frage zu stellen, was eigentlich die Nicht-68er-Generationen, seien sie älter, gleichaltrig oder jünger, dazu bewogen hat, den „Spinnern“ von damals nicht nur in großem, sondern geradezu beliebigen Umfang den Zutritt ins Establishment zu gewähren. Sehr verkürzend gesagt: Warum wurde der Radikalenerlass, soweit er überhaupt durchgesetzt wurde, wieder kassiert? Wie kann es sein, dass „Geschädigte“ heute (mit Aussicht auf Erfolg) Schadensersatz verlangen können und der Staat sich für den Erlass zu schämen hat? Vor allem aber: Warum gab es keinen gesellschaftlichen, gesamtgesellschaftlichen Radikalenerlass? Warum haben die Gleichaltrigen den 68ern beim Marsch durch die Institutionen regelrecht den Vortritt gelassen? Warum haben die Älteren die 68er geradezu zu ihren bevorzugten Erben gemacht? Usw. usf.

    Nach Lage der Dinge passt das Gleichnis vom verlorenen Sohn (und der (soziale) Beweischarakter der Konversion) darauf nur, sofern Vater und sogar Bruder während der Abwesenheit des Sohns und Bruders Toleranz gegen die verschwenderische Saufer- und Hurerei des Sohns und Bruders (Lk 15,11–32) zu üben gelernt haben. Auch für sie ist Saufer- und Hurerei eine zumindest mögliche, wenn nicht förderungswürdige Lebensform geworden. Sie beschädigt den Sohn- und Bruder-Status nicht.

    Ich denke, die Betrachtung der Studentenbewegung im engeren Sinne, des Sammelsurium diverser eher post-68er K-Gruppen, auch etwa des ebenfalls eher post-68er Terrorismus‘ erklärt wenig bis nichts, die Betrachtung der „toleranten“ Reaktion der Nicht-68er auf die 68er aber beinahe alles. Die älteren, gleichalten, jüngeren „toleranten“ Nicht-68er sind die eigentlichen 68er. Sie sind das „versiffte links-grüne-68er-Deutschland“, das jetzt seine „Toleranz“ auf den Prüfstand zu stellen hat. Stärker als obskure K-Gruppen sollte das Thema sein, meine ich.

  4. avatar

    http://www.taz.de/!t5238098/
    Jan Federten hat in der TAZ sehr klug über Fritz Bauer, den besseren 68er geschrieben. Die jungen Menschen der 1960er Jahre nahmen Fritz Bauer zwar zur Kenntnis, aber es fehlte der Schub, um die Alt-Nazis und seine Feinde zu bremsen. Auch die presse war damals noch zu sehr auf Krawall-Geschichten fixiert, um über leise Töne zu berichten. Das gibt einen Verstärker-Lreislauf, der die falschen Aspekte überbetont.

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    Lieber Alan,
    an der Stelle, an der ich Verantwortung für linksradikale Verirrungen trug, habe ich meinen Beitrag zur SELBSTkritik geleistet. Im Jahre 1996 feierte das Hohenlohe-Gymnasium Öhringen sein 450-jähriges Bestehen. Am Rande des Festaktes hatte ich ein längeres Gespräch mit dem Schulleiter. Er kannte mich noch aus der radikalen Zeit, weil er bei Gründung der Roten Zelle Referendar an der Schule war. Ich überreichte ihm eine längere Abhandlung, meine SELBSTkritik in Bezug auf die Radikalismen der Roten Zelle Öhringen. Er legte sie im Lehrerzimmer aus. Ich übernahm die Verantwortung für alle Grenzüberschreitungen, z.B. für Beleidigungen oder Nötigungen von Lehrern. Und ich entschuldigte mich dafür. Zwei Jahre später (1998) schrieb ich zum 30-jährigen Jubiläum von „68“ einen Artikel in der „Hohenloher Zeitung“, in der ich in gekürzter Form meine SELBSTkritik für die Fehler der „Rotzöhr“ wiederholte. Es gab zahlreiche Leserbriefe und auch persönliche Schreiben an mich. Ehemalige Gegner, die uns damals zur Hölle gewünscht hatten, äußerten ihren Respekt für meine offene Selbstkritik. Bei allen Podiumsdiskussionen und Diskussionsrunden, an denen ich als Zeitzeuge beteiligt war, wiederholte ich diese Selbstkritik. Ich bezeichnete mein Engagement in den maoistischen Organisationen als geistige Verirrung und Weg ins moralische Abseits. Meine selbstkritische Haltung hat nichts mit meinem Status als Beamter zu tun. Ich wäre auch gut mit der Einstellung „Habt euch nicht so! Es war doch alles nicht so schlimm…“ zurecht gekommen, mit der sich viele Ehemalige bequem im bürgerlichen Leben eingerichtet haben. Vielleicht erinnerte ich mich an meine evangelische Sozialisation auf dem Dorfe, die mir Redlichkeit und Wahrhaftigkeit als zu beherzigende Tugenden mit auf den Weg gegeben hat. Der schwäbische Pietismus hat eben auch etwas Positives.
    Du schreibst in deinem ersten Kommentar zu meinem Beitrag, „68“ sei „mitnichten ein frohes antiautoritäres Fest der Fantasie“ gewesen, sondern steckte „eben schon voller Gewalt“. Diese These von der Kontinuität, die Willi Jasper in seinem Buch dezidiert vertritt, wird von vielen Ehemaligen heftig bestritten, unter anderem von Detlef Michel in seiner bislang unveröffentlichten Kritik an Jaspers Buch. Dass diese These nicht stimmt, verdeutlichen schon die Zahlen. An der Demonstration zum Internationalen Vietnam-Kongress nahmen 12.000 Menschen teil, an der Demo zum 1. Mai 30.000 Menschen, bei der Demonstration in Bonn gegen die Notstandsgesetze waren es 60.000 Menschen. An der „Schlacht am Tegeler Weg“ waren 1.000 SDSler beteiligt. Neben den K-Gruppen gab es eine Vielzahl linker Gruppen und Initiativen, die den selbstgewählten Avantgarde-Anspruch der K-Parteien verabscheuten und keinesfalls bereit waren, zur Durchsetzung ihrer Ziele Gewalt anzuwenden. Sie hielten an einem Sozialismus fest, der den Menschen einleuchten muss und von ihnen freiwillig angestrebt werden sollte. Die meisten liberalen Beobachter der 68er Zeit, die der Studentenbewegung wohl gesonnen waren, bezeichneten den Weg in die Gewalt als den eigentlichen Sündenfall und als die Entgleisung schlechthin (Klaus Hartung, Helmut Gollwitzer, Hannes Schwenger, Hajo Funke). Dass ehemalige maoistische Führungskader – Gerd Koenen gehört auch dazu – den Mythos von der Kontinuität der Gewalt vom ersten Go in ins bürgerliche Seminar über die Rathausbesetzung in Bonn bis zur Vorbereitung des bewaffneten Kampfes aufrechterhalten, kann man psychologisch verstehen. Wenn letztlich alle linken Studenten gewaltaffin waren, bleibt der eigene Anteil am Sündenfall gering. Es ist moralisch fragwürdig, „Genossen“ für etwas in Mithaftung zu nehmen, mit dem sie absolut nichts zu tun hatten. Der entscheidende Mentalitätsbruch der Studentenbewegung war das Abgleiten seines maoistischen Teils ins Totalitäre. Und den haben alle linke Gruppen außerhalb von KPD, KBW, KPD/ML und KB-Nord nicht mitgemacht. Der selbstironische Slogan des SDS „Wir sind eine kleine, radikale Minderheit“ hat in Bezug auf die Maoisten eine tiefere Wahrheit – Betonung durchaus auf „klein“.
    Fehlgeschlagene linke Projekte können im Grunde nur von Menschen, die nicht (mehr) links sind, adäquat kritisiert werden. Das war schon beim Stalinismus der Fall, der am hellsichtigsten von Dissidenten wie Arthur Koestler und Manès Sperber kritisiert wurde. Nur Nicht-Linke haben einen unbefangenen und von Beschönigung freien Blick auf die Verirrungen linker Politik. Man wird ja auch die Kritik an der DDR nicht Sahra Wagenknecht überlassen, sondern sie lieber Reiner Kunze anvertrauen. Menschen, die ihr Links-Sein bis ins Alter bewahrt haben, sind allzu gerne bereit, die Fehler der Vergangenheit als fehlgeschlagene Versuche am Werk des Guten zu verharmlosen, so wie Willi Jasper den Kritikern des Maoismus vorhält, dass sie dessen „emanzipatorisches Interesse an einer Umwälzung der Gesellschaft“ ausklammerten. Aus dieser Haltung des „Im Grunde wollten wir doch das Richtige“ erklärt sich auch die bemerkenswerte Kälte und das Fehlen jeglicher Empathie mit den Opfern (auch in den eigenen Reihen), die das Buch von Willi Jasper kennzeichnen. Bertolt Brecht hat freimütig eingestanden, wie linke Selbstkritik funktioniert. Auf die Frage, was er gerade tue, lässt er sein Alter Ego Herrn Keuner antworten: „Ich bereite meinen nächsten Irrtum vor.“

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      Lieber Rainer,
      1. Herr Keuner ist ein Weiser. Er weiß, dass nicht nur Linke sich irren, sondern dass Irren menschlich ist. Vielleicht kann man die Welt sogar einteilen in solche, die demütig wie Herr Keuner sind und solche, die glauben, ihre politische Position – links, rechts, grün, liberal, feministisch, antiimperialistisch – mache sie für Fehler immun.
      2. Ich vernehme gern, dass du in Öhringen öffentlich für deine dortige Arbeit im Dienst der Weltrevolution Selbstkritik geleistet hast. Aber darum geht es mir nicht. Ich unterstelle dir nicht charakterliche Fehler. ich unterstelle deinen hier veröffentlichten Texten inhaltliche Fehler.
      3. So wiederholst du in deiner Erwiderung die Behauptung, die 68er Studentenbewegung sei mehrheitlich gegen die Gewalt gewesen. Diejenigen aber, wie Jasper, Koenen, und auch ich, die eine Gewaltkontinuität behaupten, wollten damit nur „ihren eigenen Anteil am Sündenfall“ kleinreden. Die religiöse Sprache ist bezeichnend, nebenbei. Auch als Stalinist neigtest du zum Pietistischen. Aber darum geht es mir nicht. Lies doch – erstens- die Einleitung zu deinem Beitrag. Dort zitierst du Gretchen Dutschke, Peter Schneider, Joschka Fischer, Jürgen Trittin und Antje Vollmer als Beispiele für Leute, die ihre Vergangenheit schönreden. Trittin (KB Nord) und Vollmer (Liga gegen den Imperialismus) waren in K-Gruppen oder deren Umfeld tätig, die anderen aber nicht. Und neben Schneider hättest du – zweitens – zig andere mehr oder weniger bedeutsame Schriftsteller und Intellektuelle nennen können, von Hans-Magnus Enzensberger über Peter Weiss bis Heinrich Böll, die – ohne je etwas mit den K-Gruppen zu tun gehabt zu haben – Gewalt verherrlicht oder gerechtfertigt haben. Jasper nennt auch viele „bürgerliche“ Publizisten und Politiker, die Maos China bewunderten. Drittens aber entbehrt deine Behauptung jeglicher Grundlage, dass die meisten 68er „keinesfalls bereit waren, zur Durchsetzung ihrer Ziele Gewalt anzuwenden. Sie hielten an einem Sozialismus fest, der den Menschen einleuchten muss und von ihnen freiwillig angestrebt werden sollte“. Es gab keinen Gandhi der Studentenbewegung. Niemand trug bei 68er Demos Bilder des 1968 ermordeten Martin Luther King mit sich. Die Helden der Bewegung waren der Stalinist Che Guevara, die Massenmörder Mao TseTung und „Onkel Ho“ Tschi-Minh, die Black Panther und die PLO. Und das ging nach 68 weiter. Ich kann mich gut an die Demonstration gegen das AKW in Brokdorf erinnern, anno 76, glaube ich, wo es die KPD-Kader – darunter ich selbst – waren, die eine wilde Demonstrantenmeute davon abhalten mussten, das AKW-Gelände zu stürmen und eine wilde Schlacht mit der Polizei anzufangen. Dafür steckten wir nicht nur verbale Prügel der Umweltfreunde ein. Noch einmal: Es gab 68 keinen Gandhi. Als ich freilich das erste Mal in Polizeigewahrsam saß, 1966, nach einer verbotenen Vietnam-Demo, sagte einer, das nächste Mal müssten wir alle Blumen mitbringen und sie der Polizei schenken. Das war Dieter Kunzelmnann, später Terrorist der „Bewegung 2. Juni“ und immer noch in Nachrufen als „Politclown“ verharmlost.
      4. Geradezu absurd ist deine Behauptung: „Der entscheidende Mentalitätsbruch der Studentenbewegung war das Abgleiten seines maoistischen Teils ins Totalitäre. Und den haben alle linke Gruppen außerhalb von KPD, KBW, KPD/ML und KB-Nord nicht mitgemacht.“ Nicht zufällig, denke ich, „vergisst“ du hier die große RAF-Sympathisantenszene („Rote Hilfe“, „Patientenkollektive“, „Spontis“ aller Couleur, „Haschrebellen“, Hausbesetzer, Anwälte, aber auch bürgerliche Kreise bis hin zu jenen Leuten, die beim gepflegten Abendessen diskutierten, ob man einen RAF-Terroristen, wenn er um ein Nachtlager bitten würde, der Polizei ausliefern würde, meistens mit dem Ergebnis: nein. Der Lehrer, der Ulrike Meinhof dann doch „verriet“, wurde in seinem Kollegium und Freundeskreis mit Verachtung bestraft und isoliert).
      Noch bezeichnender ist, dass du die DKP/SEW „vergisst“. Ja, sie taten verfassungstreu und antitotalitär. Übten freilich in der DDR mit Waffen. Dass es ihr Auftrag war, die Linke in der Bundesrepublik zu unterwandern, die ursprünglich antisowjetisch und anti-DDR war, Dubcek und Biermann und Kuron bewunderte, und – ein Missverständnis! – Mao gut fand, weil sie ihn für antiautoritär hielt; dass der große Umschwung in der 68er Bewegung doch nicht das Abwandern von ein paar tausend Verbissenen und Verirrten in die K-Gruppen war, sondern die Erberschleichung durch diese „Agenten des sowjetischen Sozialimperialismus“, wie wir sie nicht ganz zu Unrecht nannten: das unterschlägst du und hast die Chuzpe zu behaupten, „Linke“ könnten – anders als du – den Kommunismus nicht kritisieren!
      5. Du erwähnst eine bisher unveröffentlichte Kritik von Detlev Michel an Jaspers Buch. Er ist herzlich eingeladen, sie hier auf „SM“ zu veröffentlichen. Freilich ist der Autor des Verklärungs- und Verharmlosungsstücks „Eine linke Geschichte“, das vor allem eine Wohlfühlatmosphäre hinsichtlich der früheren Verirrungen des bürgerlichen Publikums im GRIPS-Theater verbreiten sollte und mit großem Erfolg verbreitet hat, nicht gerade der verlässlichste Zeuge, wenn es um eine radikale Selbstkritik der Studentenbewegung geht.
      6. Es geht aber, wie gesagt, nicht um charakterliche Fehler, sondern um textliche. Kern und Ursache deiner Fehler verrät folgende Textstelle: „Fehlgeschlagene linke Projekte können im Grunde nur von Menschen, die nicht (mehr) links sind, adäquat kritisiert werden. Das war schon beim Stalinismus der Fall, der am hellsichtigsten von Dissidenten wie Arthur Koestler und Manès Sperber kritisiert wurde. Nur Nicht-Linke haben einen unbefangenen und von Beschönigung freien Blick auf die Verirrungen linker Politik. Man wird ja auch die Kritik an der DDR nicht Sahra Wagenknecht überlassen, sondern sie lieber Reiner Kunze anvertrauen.“
      Jasper kann also das „fehlgeschlagene linke Projekt“ KPD nicht „adäquat kritisieren“, weil er noch ein Linker ist. Du kannst es aber, weil du nicht (mehr) ein Linker bist. Du bereitest ja nicht deinen nächsten Irrtum vor, wie Herr Keuner. du bist im Recht, du bist gerechtfertigt.
      Das ist nicht nur intellektuelle überheblich, sondern schlicht hanebüchener Unsinn. Was die Kritik an der DDR angeht, so will ich nichts gegen den im Grunde genommen unpolitischen Reiner Kunze sagen; „Die wunderbaren Jahre“ ist ein wunderbares Buch. Zweifellos aber war die Kritik des damals linken Wolf Biermann treffender und wirkmächtiger. Seine Ausweisung läutete das Ende des DDR-Regimes ein. Auch Rudolf Bahro, der von einer linksgrünen Postion aus die DDR kritisierte, trug mehr zum Sturz des Regimes (und zu seiner Delegitimierung in der westlichen Linken) bei als Kunze. Es waren auch nicht Rechte, sondern Linke, darunter an vorderster Stelle Ex-KPDler wie Christian Semler, Ruth Haase, Elisabeth Weber, Helga Hirsch und Karl Schlögel, die in der CSSR Dissidenten wie Vaclav Havel und und in Polen die Arbeiter der Solidarnosc unterstützten. Dazu schwieg die gesamte „nicht-totalitäre“ Linke schallend, die Rechte sowieso.
      Ob Koestler noch links oder nicht mehr links war, als er „Sonnenfinsternis“ schreib, weiß ich nicht. Er war ideologisch immer ein Chamäleon. Fraglos aber waren es gerade linke Intellektuelle und Renegaten, die wesentlich zur Kritik des Kommunismus beitrugen. Allen voran George Orwell. In der Schlüsselszene von „Animal Farm“ werden die Schafe dressiert, die Kernlehre der Revolution zu blöken: „Four legs GOOD! Two legs BAAAAD!“ DAS. mein lieber, ist die Essenz des totalitären Denkens: Linke DOOF! Nicht-Linke KLUUUUG!
      Du glaubst, dich von deinen Irrtümern entfernt zu haben, weil du sie laut niederschreist. Dabei endest du genau dort, wo diese Irrtümer ihren Anfang nahmen: bei der selbstgerechten Intoleranz.

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    Tja – Selbstgerechtigkeit war eben ein Kennzeichen dieses Teils „der 68er“ und sie setzt sich fort!. Aber – es gab sie auch und sie waren in der Mehrheit, die Gewaltlosen, die an einer langsamen Veränderung der Gesellschaft von unten interessiert waren, die Kinderladenbewegung, die frühen Feministinnen, die Kritiker und die Leser und Leserinnen der vielen neuen (Taschen)Bücher, die damals auf den Markt kamen. Uwe Wesel hat das unter dem doppelsinnigen Titel „die verspielte Revolution“ für Berlin beschrieben, in einer Stadt wie München, die ich damals erlebt habe, war das ganz deutlich: die K-Gruppen waren ziemlich spießig, Maulhelden. Die Szenen waren schon früh bunt.

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