avatar

151 Jahre „Das Kapital I.“ – 200 Jahre Karl Marx (6)

Der Akkumulationsprozeß des Kapitals

Bevor wir das eigentliche Thema betrachten, möchte ich doch noch einmal methodologische Reflexionen einschieben, die das Argument abweisen, dass die Wertkritik Marxens nur von historischer Bedeutung sei und die Arbeit sich doch gegenüber dem 19. Jh. verändert hätte. Woraus folgen würde, das mehr logische Werk als historisch zu reformulieren, was allerdings die Fehlinterpretation von Friedrich Engels gewesen ist, die auf der Schiene Lenin, Stalin, ML verheerende Wirkung auf die Kritik hatte, aber auch fatala Konsequenzen auf die Praxis.

Wichtig sind hierbei Begriffe konstantes Kapital (c), variables Kapital (v), also der sich nicht im Produktionsprozeß verändernde Durchschittswert c und die Summe der Werte, die in die Reproduktion der Arbeitskraft fließt: v, die dann in die Erscheinung tritt als Lohn, auf der anderen Seite des Tausches. Die naturale (Natur und bearbeitete Seite) Dimension, die dem Verhältnis c/v (Wertzusammensetzung des Kapitals) zugrunde liegt, ist die technische Zusammensetzung, die die Produktivkraft der Arbeit bestimmt, was man sich vorstellen kann als Arbeitsmittel bis hin zur Machinerie (heute sogar digitalisiert) im Verhältnis zu den Arbeitskräften. In der Wirklichkeit kommt diese, weil der Gegenstand der Kritik der Politischen Ökonomie ein historischer ist, der aber logisch betrachtet wird, historisch spezifisch vor. Weil die Veränderungen aber gerade dynamisch sind, bedurfte es einer dialektischen Logik, weil Veränderungen sonst nicht zu denken sind. Die Logik des Kapitals aber ist ja gerade eine dynamische und MÖGLICHE GESCHICHTE von Arbeitsmittel und Arbeit muß gedacht werden können, wenn die Logik sich auf geschichtliche Phänomene soll beziehen lassen. Dazu macht Marx eine Abstraktion, die nicht nur nominell, nominalistisch ist, sondern – und das macht den Unterschied der marxschen Kritik zu positivistischen Wissenschaft aus – eine Realabstraktion, d.h. die Abstraktion von der Qualität der Arbeit ist nichts, was eine bloß theoretische Zutat ist, sondern etwas, was sich im Gegenstandsbereich selber zuträgt. Sofern Marx bei der Analyse von den geschichtlichen Prozessen nicht genug abstrahiert hat und damit Möglichkeiten der Veränderung damit außen vorläßt, ist nicht zu kritisieren, dass er überholt sei oder die Wertheorie falsch sei, weil die Arbeit sich verändert hätte, sondern weil Historisches nicht genügend wegabstrahiert wurde. Das geschah bei der Formulierung des Gesetzes des tendenziellen Falls der Profitrate, das technische Zusammensetzung und Wertzusammensetzung und Mehrwertrate in einen mathematischen Konnex bringt. Hierbei denkt Marx, dass allgemein gilt, das die steigende technische Zusammensetzung (die kann ja niemand bestreiten, immer weniger Arbeit leistet, immer mehr durch verwissenschaftliche Technik bis hin zu Digitalisierung) sich in eine steigende Wertzusammensetzung auswirkt, was er „steigende organische Zusammensetzung des Kapitals“ nennt, die quantitativ identisch ist mit Wertzusammensetzung (C/V) aber zusätzlich einen qualitativen Unterschied ausmacht. Mehr Einsatz von Technologie führt zur erhöhten Wert-Zusammensetzung. Aber hier liegt gerade eine mangelnde Abtraktion vor und das hat Marx in Manuskripten selber gemerkt, so dass er noch keine endgültige Lösung für den tendenziellen Profitratenfall hatte, die das ableitet und nicht nur historisch konstatiert. Der neoliberale Theoretiker HW Sinn sieht den faktischen Fall der Profitrate, will ihn dann in typischer Manier, Steuern zu hoch, Löhne zu hoch usw. erklären, aber der Verweis auf die Empirie ist in keinem Fall zureichend.

Bei der technischen Zusammensetzung, dem Einsatz von Geld für Arbeitsmittel, Produktionmittel gibt es zwei Fälle oder auch Momente: das Arbeitssparende und das Kapitalsparende der Investition. Kapitalsparende Investionen verwohlfeilern, verbilligigen den Wert der Produktionsmittel oder der genauer Arbeitsmittel. Dann haben wir unter bestimmten Bedingungen eine Steigerung von Einsatz von Arbeitsmitteln, aber das schlägt sich nicht oder weniger nieder bei gleicher Arbeitsmenge, aber diese schlägt sich nicht nieder in eine höhere Wertzusammensetzung. Marx hat das zwar gewußt, aber zunächst einmal das als untypisch oder auf Dauer für nicht möglich gehalten. Dass bei der Digitalisierung z.B. höhere Profite herauskommen, war für Marx nicht systematisch durchdacht und er hätte noch die Notwendigkeit zeigen müssen, das das tendenziell nicht der Fall ist. Zwar sinken die Profitraten und auch der Anteil der Zinsrate am Gesamtprofit, also der Anteil von Fremdkapital ist davon betroffen, und die ZInsraten sind ja extrem niedrig heute, was nicht bloß äußerlich, politisch zu erklären ist, aber wir wollen das ja nicht bloß empirisch feststellen, sondern wissen, warum das so ist. „Der Kapitalismus bricht zusammen,aber keiner weiß warum“, ist keine Lösung.

c/v ist eines der Faktoren neben der Mehwertrate m/v in einer umgerechneten Profitratenformel.

p`= m/(c+v)

Wenn wir Zähler und Nenner durch v teilen bekomen im Zähler m/v = m‘ die Mehrwertrate und im Nenner bekommen wir c/v (Wertzusammensetzung + v/v =1 also haben wir eine Formulierung in der wir sehen können, das die Profitrate bestimmt ist durch die Mehrwertrate, je höher desto größer auch die Profitrate und durch die Wertzusammensetzung c/v, je größer diese desto kleiner die Profitrate.

p‘ = m/v (/ c/v + 1)

Bei konstantem Kapital (c) sparenden Investionen erhöht sich die Profitrate also, weil der Nenner kleiner wird. Marx hätte zeigen müssen, das mit Notwendigkeit die Senkung der Wertzusammensetzung Bedingungen erzeugt, die diese erhöhen. Dazu hatte er allerdings keine paradigmatischen Prozesse und wir wohl bislang auch noch nicht. Für die Kritik des Kapitals hängt da nicht viel dran, aber für Zusammenbruchstheoretiker, die die Notwendigkeit des Zusammenbruchs des Kapitals zeigen wollen schon. Dass die Entwicklung des Kapitals auch so schon fatal genug ist und der Kontrolle des Menschen sich entzieht, was tendenziell zur Exterminierung der Menschen führen kann, wenn nicht entgegengesetzte Bedingungen (globale Politik, die die Umweltbedingungen verbessert) eintreten, macht eine Prognose automatischen Zusammenbruchs allerdings überflüssig, eher neigt der Mensch zur Trägheit, wenn alles sowieso zusammebricht, warum dann handeln.

Dass die historische Spezifität der Produktionen wegabstrahiert wird, ist nicht ein Fehler Marxens, sondern ein Sachverhalt des Gegenstands, es wird ständig von diesen Unterschieden abstrahiert und nicht die konkrete Arbeit, sondern die abstrakte ist Substanz des Werts. Wobei wir es ja auch nicht mit der Positivität zu tun haben, sondern der Negativität des Werts, jenseits der Subjekt-Objekt-Relation gibt es keinen Wert, er entspringt negativ, indem wir etwas tun, ohne es aktuell zu begreifen. Diese Täuschung beim Tausch war ja auch Gegenstand der marxschen Analyse, nämlich des ökonomischen Fetischismus. DIe Entwicklung ist ja heute gerade so, dass niemand mehr auf die Idee Schelskys kommen kann, das wir eine nivellierte Mittelstandsgesellschaft haben. Es gibt eine gewisse Menge von Reichen, in der Mitte (die auch zweigespalten ist) nicht mehr viel und dann ein anderes Proletariat, mit entsprechenden Bewußtseinsformen, die nicht gerade linksradikal sind, eher zur rechten Weltanschauung neigen. Kälber, die ihre Schlächter wählen, kann man nicht mehr witzeln, das ist Normalzustand geworden.

Marx will aber nun zeigen, wie das abläuft, dass konkrete Arbeiten auf abstrakte reduziert wird. Wir hatten ja die Formen, die Marx bekannt waren (Kooperation, Manufaktur, Industrie) und heute eher noch mehr selbstverständlich sind als damals, schon betrachtet. Im ersten Band betrachtet Marx nun den Akkumulationsprozess erst einmal unabhängig von Aufspaltung des Mehrwerts in Profit (Zins und Unternehmergewinn) und Rente und andere Kategorien von Mehrwertempfängern (bis hin zum Staat und dem Sozialhiflfempfänger). Wir haben nun zwei Phasen der Darstellung einfache und erweiterte Reproduktion, Identität und Nichtidentität des Kapitalkreislaufes also.

„Welches immer die gesellschaftliche Form des Produktionsprozesses, er muß kontinuierlich sein oder periodisch stets von neuem dieselben Sta­dien durchlaufen. Sowenig eine Gesellschaft aufhören kann zu konsu­ mieren, so wenig kann sie aufhören zu produzieren.  In einem stetigen Zusammenhang und dem beständigen Fluß seiner Erneuerung betrachtet, ist jeder gesellschaftliche Produktionsprozeß daher zugleich Reproduktions­prozeß.“(MEW 23, 591)

Die einfache Reproduktion macht die Setzung, dass der ganze Mehrwert, also der ganze Neuwert abzüglich dem Teil, der für Lohn ausgeben wird, verzehrt wird. Dass der Stand von Anfang und Ende des Kreislaufes gleich ist, bedeutet aber auch, dass verschlissene Arbeitsmittel ersetzt worden sind und dem Kapitaleigentümer von der Wertgröße her weiterhin gehören. Das ist nicht selbstverständlich, der Arbeiter enteignet sich ja dabei selbst, denn er hat ja die neuen Maschinen produziert.

Aber dennoch wird der Gegenstand als Resultat methodischer Abstraktion analysiert. Der Produktionsprozeß geht los mit dem Kauf der Arbeitskraft, der ständig wiederholt wird (sei es tagesweise, wöchentlich, monatllch). Zwar wird oft das Geld erst hinterher gezahlt, aber Marx geht davon aus, dass das Geld vorgeschossen wird:

„Der Arbeitsfonds fließt· ihm nur beständig in Form von Zahlungsmitteln seiner Arbeit zu, weil sein eignes Produkt sich beständig in der Form des Kapitals von ihm entfernt. Aber diese Erscheinungsform des Arbeitsfonds ändert nichts daran, daß dem Arbeiter seine eigne vergegenständlichte Arbeit vom Kapitalisten vorgeschossen wird.“(MEW 23, 593)

Das ist natürlich Schein, was erst deutlich wird, wenn man der Kreislauf in der Erneuerung untersucht. Vorher suchten die Politischen Ökonomen nach einem Anfang, einer „ursprünglichen Akkumulation“ des Kapitals. Das behandelt Marx erst später und kritisiert die Mystifikation, die darin liegt. Bei der einfachen Reproduktion wird der Lohn von der Arbeit des letzten Kreislaufes bezahlt, ebenso die Reinvestion. Die Eigentumslosigkeit des Lohnarbeiters wird also reproduziert (ursprünglich war es ein Gewaltakt,wie Marx im letzten Kapital von Band I des Kapitals darstellt. Dazu später.

„Die Bedingungen der Produktion sind zugleich die Bedingungen der Reproduktion. Keine Gesellschaft kann fortwährend produzieren, d. h. re­produzieren, ohne fortwährend einen Teil ihrer Produkte in Produktions­mittel oder Elemente der Neuproduktion rückzuverwandeln. Unter sonst gleichbleibenden Umständen kann sie ihren Reichtum nur auf derselben Stufenleiter reproduzieren oder erhalten, indem sie die, während des Jahres z.B., verbrauchten Produktionsmittel, d.h. Arbeitsmittel, Roh­materiale und Hilfsstoffe, in natura durch ein gleiches Quantum. neuer Exemplare ersetzt, welches von der jährlichen Produktenmasse abgeschie­den und von neuem dem Produktionsprozeß einverleibt wird. Ein bestimm­tes Quantum des jährlichen Produkts gehört also der Produktion. Von Haus aus für die produktive Konsumtion bestimmt, existiert es großenteils in Naturalformen, die von selbst die individuelle Konsumtion ausschließen.
Hat die Produktion kapitalistische Form, so die Reproduktion. Wie in der kapitalistischen
Produktionsweise der Arbeitsprozeß nur als ein Mittel für den Verwertungsprozeß erscheint, so die
Reproduktion nur als ein Mittel, den vo;rgeschoßnen Wert als Kapital zu reproduzieren, d.h. als
sich verwertenden Wert. Die ökonomische Charaktermaske des Kapitalisten hängt nur dadurch an einem Menschen fest, daß sein Geld fortwährend als Kapital funktioniert.“(MEW 23, 591)

Einwände, dass sei in der Wirklichkeit anders, machen keinen Sinn. Es wird ja davon abstrahiert, dass erweitert reproduziert wird, wir haben also eine statische Dynamik. Hier diskutiert Marx den Umschlag der Eigentumsgesetze der Warenproduktion in die der kapitalistischen Aneignung, hier eben in identischer Form:

„Insofern der Mehrwert, woraus Zusatzkapital Nr. 1 besteht, das Resul­tat des Ankaufs der Arbeitskraft durch einen Teil des Originalkapitals war, ein Kauf, der den Gesetzen des Warenaustausches entsprach, und, furi­stisch betrachtet, nichts voraussetzt als
freie Verfügung auf seiten des Arbei­ters über seine eignen Fähigkeiten, auf seiten des Geld- .
oder Waren­ besitzers über ihm gehörige Werte; sofern Zusatzkapital Nr. II usw. bloß Resultat von
Zusatzkapital· Nr. I., also Konsequenz jenes ersten Verhälnisses; sofern jede einzelne
Transaktion ·fortwährend dem  Gesetz des Warenaustausches entspricht, der Kapitalist stets die
Arbeitskraft. kauft, der Arbeiter sie stets verkauft, und wir wollen annehmen selbst zu ihrem
wirklichen Wert, schlägt offenbar das auf Warenproduktion und Waren­zirkulation beruhende Gesetz
der Aneignung oder Gesetz des Privateigen­tums durch seine eigne, innere, unvermeidliche
Dialektik in sein direktes Gegenteil um. Der Austausch von Äquivalenten, der als die ursprüngliche
Operation erschien, hat sich so gedreht, daß nur zum Schein ausgetauscht wird, indem erstens der
gegen Arbeitskraft ausgetauschte Kapitalteil selbst nur ein Teil des ohne Äquivalent angeeigneten
fremden Arbeitsproduktes ist und zweitens von seinem Produzenten, dem Arbeiter, nicht nur ersetzt,
sondern mit neuem Surplus ersetzt werden muß. Das Verhältnis des Aus­tausches zwischen Kapitalist
und Arbeiter wird also nur ein dem Zirkula­tionsprozeß angehöriger Schein, bloße Form, die dem
lnhalt selbstfremd ist und ihn nur mystifiziert. Der beständige Kauf und Verkauf der Arbeits­kraft
ist die Form. Der lnhalt ist, daß der.Kapitalist einen Teil der bereits vergegenständlichten
fremden Arbeit, die er sich unaufhörlich ohne Äqui­valent aneignet, stets wieder gegen größeres
Quantum lebendiger fremder Arbeit umsetzt. Ursprünglich erschien uns das Eigentumsrecht gegründet auf eigne Arbeit. Wenigstens. mußte diese Annahme gelten, da sich nur gleichberechtigte
Warenbesitzer gegenüberstehn, das Mittel zur Aneignung fremder Ware aber nur die Veräußerung
der eignen Ware, und letztere nur durch Arbeit herstellbar ist. Eigentum erscheint jetzt auf Seite des
Kapitalisten als das Recht, fremde unbezahlte Arbeit oder ihr Produkt, auf Seite des Arbeiters
als Unmöglichkeit, sich sein eignes Produkt an­ zueignen. Die Scheidung zwischen Eigentum und
Arbeit wird zur not­wendigen Konsequenz eines Gesetzes, das scheinbar von ihrer Identität ausging.“ (ME23, 609f)

Durch Arbeit werden nicht die Arbeiter reich, sondern die Kapitaleigentümer. Bei der einfachen Reproduktion hat am Ende der Arbeiter die Arbeitskraft wieder und den Unterhalt seiner Familie, mehr aber nicht. Der „Kapitalist“ hat mehr, als was er vorher hatte und kann sich daher reproduzieren. Die Arbeitsmittel sind reproduziert, die Arbeitskraft ist reproduziert und er hat sein Leben reproduziert. Nun zum Wachstum oder erweiterter Reproduktion, da auch nach und nach eine Erweiterung von Faktoren stattfindet.

Die Akkumulation bei konstanter organischer Zusammensetzung ist zwar untypisch für den Kapitalismus, aber wird von Marx in abtracto behandelt, um dann die Annahme der Konstanz fallen zu lassen. Bei nur absoluter Mehrarbeitsproduktion kann nur der Umfang der Arbeit und Zunahme der Bevölkerung Akkumulation erbringen. Wachstum des variablen und konstanten Kapitals wären ja erst einmal proportional. Da kann es zu der Schranke an Arbeitskraft kommen. Gemeint ist nicht die Fiktion der Vollbeschäftigung (ohne Zwang ja gar nicht realisierbar, in der DDR könnte man spotten, fand die Arbeitslosigkeit während der Arbeitszeit statt), sondern der Bezug auf den Verwertungsgrad des Kapitals. Steigende Löhne und Fallen des Verwertungsgrades wird von Marx erst einmal thematisiert. Eine Möglichkeit: Der Verwertungsgrad wir nur unwesentlich durch Lohnsteigerung gesenkt. Zweite Möglichkeit der Verwertungsgrad sinkt aufgrund der Löhne. Da kann dann der Mehrwert nicht mehr so stark akkumuliert werden. Nachfrage nach konstanten Kapital fällt so wie die nach variablen, Lohnarbeit. Die Knappheit an Arbeitern wird aufgehoben“.

„Die Akkumulation nimmt ab. Aber mit ·ihrer Ab­nahme verschwindet die Ursache ihrer Abnahme, nämlich die Disproportion zwischen Kapital und exploitabler Arbeitskraft. Der Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses beseitigt also selbst die Hinder­nisse, die. er vorübergehend schafft. Der Arbeitspreis. fällt wieder auf ein den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals entsprechendes Niveau, ob dieses nun unter, über oder gleich· mit dem Niveau, welches vor Eintritt des Lohnzuwachses als normal galt. Man sieht: Im ersten Fall ist es nicht die Abnahme im absoluten oder proportionellen Wachstum der Arbeitskraft oder Arbeiterbevölkerung, welche das Kapital überschüssig, sondern umgekehrt die Zunahme des Kapitals, welche die exploitable Arbeitskraft unzureichend macht. Im zweiten Fall ist es nicht die Zunahme im absoluten oder proportionellen Wachstum der Arbeitskraft oder der Arbeiterbevölkerung, welche das Kapital unzureichend, sondern umgekehrt die Abnahme des Kapitals, welche die exploitable Arbeitskraft, oder vielmehr ihren Preis, überschüssig macht. Es sind diese absoluten Bewegungen in der Akkumulation des Kapitals welche sich als relative Bewegungen in der Masse der exploitablen Arbeitskraft widerspiegeln und daher der eignen Bewegung der letztren geschuldet scheinen.“ (MEW 23, S. 646)

Unter diesen Bedingungen ist die Arbeitsbevölkerung die Schranke der Akkumulation des Kapitals, das heißt aber nicht Systemzusammenbruch. Marx:

„Der Arbeitslohn, wie man gesehn, bedingt seiner Natur nach stets Lieferung eines bestimmten Quantums unbezahlter Arbeit auf seiten des Arbeiters. Ganz abgesehn vorn Steigen des Arbeitslohns mit sinkendem Preis der Arbeit usw„ besagt seine Zunahme im besten Fall nur quantita­tive Abnahme der unbezahlten Arbeit, die der Arbeiter leisten muß. Diese Abnahme kann nie bis zum Punkt fortgehn, wo sie das System selbst be­ drohen würde. Abgesehn von gewaltsamen Konflikten über die Rate des Arbeitslohns, und Adam Smith hat bereits gezeigt, daß im großen und ganzen in solchem Konflikt der Meister stets Meister bleibt, unterstellt ein aus Akkumulation des Kapitals entspringendes Steigen des Arbeits­preises folgende Alternative.“(MEW, 23, 647)

Worauf Marx hinauswill, ist, dass das Kapital neue Bedingungen erheischt, um die Schranke zu überschreiten. Das ist die „steigende organische Zusammensetzung“ des Kapitals, also eine technologische Entwicklung, die für den Kapitalismus typisch ist nach Marx. Das hat bislang noch empirische Komponenten, die oben schon erwähnt wurden, da Marx das Zwingende nicht bewiesen hat, die dauerhafte Möglichkeit kapitalsparender Investiontion, also steigende technische Zusammensetzung, die sich nicht in steigende Wertzusammensetzung auswirkt. Dazu wären Untersuchungen nötig, die zeigen, dass etwa Digitalsierung letzlich doch höhere Werteinheiten nach sich zieht und da kein qualitativer Sprung folgen kann, das mehr Technologie dann letztlich doch relativ mehr kostet als die Wertminderung durch Produktivität im Produktiionsmittelsektor möglich ist. Das erscheint sehr wahrscheinlich, aber fällt möglicherweise außerhalb der Möglichkeiten der Kapitallogik, das zwingend zu erklären.

Steigende organische Zusammensetzung aber bedeutet auch Produktion relativer Überbevölkerung:

„Mit der durch sie selbst produzierten Akkumulation des Kapitals produziert die Arbeiterbevölkerung also in wachsendem Umfang die Mittel ihrer eignen relativen Überzähligmachung. Es ist dies ein der kapitalistischen Produktionsweise eigentümliches Populationsgesetz, wie in der Tat jede besondre historische Produktionsweise ihre besondren, historisch gül­tigen Populationsgesetze hat. Ein abstraktes Populationsgesetz existiert nur für Pflanze und Tier, soweit der Mensch nicht geschichtlich eingreift.“(MEW 23, 660)

Die Arbeitslosen, wie man das heute nennt, erzeugen, ist nicht das einzige Mittel der Akkumulation, nicht nur der technische Fortschritt produziert die industrielle Reservearmee. Auch die extensive und intensive Nutzung der Arbeitskraft, also Ausdehnung der Arbeitszeit, Intensivierung der Arbeit, sind Beispiele. Aber wir haben ja hier schon Akkumulation, eine wachsende Stufenleiter. Dazu bedarf es dann ja wieder Arbeiter, disponibles „Menschenmaterial“. Alles in Band 1 und 2 des Kapitals wird unter Abstraktion von Krisen und Identität von Wert und Preis behandelt, Einwände dahingehend, also zurückstellen.

„Die plötzliche und ruckweise Expansion der Produktionsleiter ist die Voraussetzung ihrer plötzlichen Kontraktion; letztere ruft wieder die erstere hervor, aber die erstere ist unmöglich ohne disponibles Menschenmaterial, ohne eine vom absoluten Wachstum der Bevölkerung unabhängige Vermehrung von Arbeitern. Sie wird geschaffen durch den einfachen Prozeß, der einen Teil der Arbeiter beständig „frei­ setzt“, durch Methoden, welche die Anzahl der beschäftigten Arbeiter im Verhältnis zur vermehrten Produktion vermindern. Die ganze Bewegungs• form der modernen Industrie erwächst also aus der beständigen Verwand­lung eines Teils der Arbeiterbevölkerung in unbeschäftigte oder halb­ beschäftigte Hände.“(MEW 23,662)

Die Bewegung der Löhne ist dabei abhängig von der Expansion und Kontraktion der industriellen Reservearmee. Dass heute Arbeitslose als H.IV-Empfänger, benannt nach Hartz, einem kriminellen Berater, benannt, schikaniert und bürokratisch maltritiert werden, dient weniger der sadistischen Lust „Arbeitslose“ zuz quälen, als die Arbeitenden bei der Stange zu halten und Löhne zu drücken oder die Arbeitswilligkeit zu stärken. Das die Mehrheiten dann mitleidig oder spöttisch auf die „Prekären“ herabschauen ist vor allem eins, Dummheit. Sie nehmen sich selbst Machtmöglichkeiten im Klassenkampf und sie werden die nächsten sein, die man „freisetzt“.

Marx macht dann Differenzierungen im Begriff des Wachstums, die vom Wortgebrauch von heute abweichen, Konzentration und Zentralisation von Kapital. Konzentration ist mit dem Akkumulationsprozeß identisch, aber das Wachstum individueller Kapital geht auch mit der Bildung neuer einher, nicht nur der Spaltung alter. Das andere Moment ist die Zusammenfassung bestehender Kapitale: Zentralisation.

„Dieser Zersplitterung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals in viele individuelle Kapitale oder der Repulsion seiner Bruchteile voneinander wirkt entgegen ihre Attraktion. Es ist dies nicht mehr einfache, mit der Akkumulation identische Konzentration von Produktionsmitteln und Kom­ mando über Arbeit. Es ist Konzentration bereits gebildeter Kapitale, Aufhebung ihrer individuellen Selbständigkeit, Expropriation von Kapitalist durch Kapitalist, Verwandlung vieler kleineren in weniger größere Kapi­ tale. Dieser Prozeß unterscheidet sich von dem ersten dadurch, daß er nur veränderte Verteilung der bereits vorhandnen und funktionierenden Kapitale voraussetzt, sein Spieilaum also durch das absolute Wachstum des gesellschaftlichen Reichtums oder die absoluten Grenzen der Akkumulation nicht beschränkt ist. Das Kapital schwillt hier in einer Hand zu großen Massen, weil es dort in vielen Händen verlorengeht. Es ist die eigentliche Zentralisation im Unterschied zur Akkumulation und Konzentration.“(MEW654)

Diese Tendenz ständig steigender Konzentration und Zentralisation ist nach Marx notwendiges Resultat, Damals schwierig zu durchschauen, heute inbesondere mit dem Resultat von Monopolen und Oligopolen auch anschaulich vor Augen stehend. Unternehmenswachstum zuungunsten anderer Betriebe zentralisiert also. Wachstum selber ist Konzentration. Heute ist nur die Terminologie anders bezeichnet, die Sachverhalte kennen wir, ohne die Gründe dafür unbdingt erklären zu können, wie Marx das aus dem System selber tut.

Der Konkurrenzkampf wird durch Verbilligung der Wahren geführt, was anhängt von der Produktivität, was technisches Wachstum erfordert, das sich – unter den genannten Vorbehalten – in steigende Wertzusammensetzung niederschlägt. Dabei schlagen die größeren Betriebe die kleineren nach Marx. (Outsourcing ist da auch eine Alternative, ändern am Gesamtgesellschaftlichen wenig, weil das dann mehr kooperativ erfolgt, die auch eine andere Art von Konkurrenz ist). Es geht jedenfalls um Senkung der Produktionskosten pro Stück. In der Krise ist dann ja auch die Verteilung der Verluste wichtig. Die Krise wird ja hier schon grundgelegt, aber erst im Band 3 des Kapitals abgehandelt.

„Die Konkurrenz rast hier im direkten Verhältnis zur Anzahl und im umgekehrten Verhältnis zur Größe der rivalisierenden Kapitale. Sie endet stets mit Untergang vieler kleineren Kapitalisten, deren Kapitale teils in die Hand des Siegers übergehn, teils untergehn. Abgesehn hiervon bildet sich mit der kapitalistischen Produktion eine ganz neue Macht, das Kreditwesen, das in seinen Anfängen verstohlen, als bescheidne Beihilfe der Akkumulation, sich einschleicht, durch unsichtbare Fäden die über die Oberfläche der Gesellschaft in größern oder kleinem Massen zersplitterten Geldmittel in die Hände individueller oder assoziierter Kapitalisten zieht, aber bald eine neue und furchtbare Waffe im Konkurrenzkampf wird und sich schließlich in einen ungeheuren sozialen Mechanismus zur Zentrali• sation der Kapitale verwandelt.
Im Maß wie die kapitalistische Produktion und Akkumulation, im selben Maß entwickeln sich Konkurrenz und Kredit, die beiden mächtigsten Hebel der Zentralisation. Daneben vermehrt der Fortschritt der Akkumu­ lation den zentralisierbaren Stoff, d.h. die Einzelkapitale, während die Ausweitung der kapitalistischen Produktion, hier das gesellschaftliche Be­ dürfnis, dort die technischen Mittel jener gewaltigen industriellen Unter­nehmungen schafft, deren Durchführung an eine vorgängige Zentralisation des Kapitals gebunden ist. Heutzutage ist also die gegenseitige Attraktions­ kraft der Einzelkapitale und die Tendenz zur Zentralisation stärker als je zuvor.“(MEW23, S.655)

Die Zentralisation, etwa gewaltsame Annexion kleinerer Kapitale, Monopolisierung, alles das ist heute gängig und aus den Tageszeitungen zu entnehmen. Das sei der soziologischen Phantasie aller überlassen. Wenn Bayer amerikanische Firmen übernimmt wie Santos, die in Lateinamerika aktiv sind und sich da schon einen schlechten Ruf erworben hat, ist das nur ein Beispiel.

Ein wenig wird das nächste Mal auf den Zirkulationprozeß einzugehen sein (2.Bd.) und die Reproduktionsschemata, die das hier vertiefen, um dann noch den tedenziellen Fall der Profitrate zu diskutieren. Und dann wird noch zu zeigen sein, warum Band 3 nicht Band 1+2 widerspricht, sondern beweist, entgegen alten Diskussionen.

Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384

2 Gedanken zu “151 Jahre „Das Kapital I.“ – 200 Jahre Karl Marx (6);”

    1. avatar

      Dass Rechte sich auf marxistische – weniger marxsche – Traditionen beziehen ist nicht neu, da gab es ja schon Nationalbolschewiki, die SA-Fraktion, Strasserflügel der NSDAP usw. Heute machen die „neuen“ Rechten ebenso Anleihen bei Marx, den sie allerdings um den Wesenskern seiner Philosophie bringen. NPD-Mitglieder waren ja auch teilweise in der LInken gewesen, wenn man an Mahler, Oberlercher, Elsässer. Und die postmodernen Spielarten – also der „Links“heideggerismus – der Marx-Aneignung sind ebenso an sich schon weit rechts.
      Neuerdings will man ja Marx auch für Antisemtismus und Rassismus vereinnahmen, was allerdings durchgehend auf mehrfach Aufgüsse alter Artikel beruht, die schon zeigten, dass man nicht lessen kann, was von Marxisten ja oft genug auch gilt. 1968 war ja schon Massisceks Buch über Marx jüdischen Humanismus erschienen, das beweist, dass Marx trotz Verleugnung sines jüdischern Erbes – er entstammt einer Rabbinerfamilie, sein Vater war Opfer des Drucks der damaligen Gesellschaft – mehr Parallelen zu gläubigen Juden wie Rosenzweig aufweist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top