avatar

Der italienische Patient

Dass Parteien vor einer Parlamentswahl den Wählern das Blaue vom Himmel versprechen, gilt in Demokratien inzwischen als normal. In Italien schlagen die Parteien, die fast alle populistisch infiziert sind,  vor der Wahl am 4. März 2018 bei ihren Versprechen alle Rekorde. Was haben sie im Angebot? Die in der Krise abgeschaffte Frühverrentung soll wieder  eingeführt, die Mindestrente soll auf 1.000 Euro angehoben werden; das erste Auto soll wie das erste Haus steuerfrei sein; die Einkommens- und Unternehmenssteuern sollen auf einen linearen Tarif von 15 Prozent abgesenkt,  der Mindestlohn soll auf 10 Euro angehoben werden; die Fernsehgebühren sollen abgeschafft werden. Italienische Zeitungen haben die Kosten für diese Orgie an Wohltaten addiert und eine Summe von über 100 Milliarden Euro veranschlagt.

Diese Versprechen sind makaber, wenn man die gegenwärtige Wirtschaftslage Italiens bedenkt. Während das Wachstum in der Eurozone auf durchschnittlich  1,8 Prozent angestiegen ist, verharrt Italien noch hinter Griechenland mit einem Wachstum von nur einem Prozent auf dem letzten Platz. Für 2018 werden sogar nur 0,8 Prozent vorhergesagt. Die Arbeitslosigkeit ist mit 11 Prozent unverändert hoch, bei jungen Italienern beträgt sie sogar 40 Prozent, was den Exodus junger, gut ausgebildeter Italiener in die wirtschaftlich florierenden Länder des Nordens verstärkt. 8,4 Millionen Italiener leben in Armut. Die Staatsverschuldung ist mit 2,29 Billionen Euro auf 132 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angestiegen, nicht zuletzt deshalb, weil die EU-Kommission bei der Bewertung von Italiens  Neuverschuldung in den letzten Jahren  immer wieder beide  Augen zugedrückt hat. Das Zauberwort von der „Flexibilität“ hat die Maastricht-Kriterien inzwischen weitgehend außer Kraft gesetzt.

Ursache für die „italienische Krankheit“ ist  die mangelnde Produktivität der Volkswirtschaft, die dem internationalen Wettbewerb  seit längerem nicht mehr  gewachsen ist. Der Arbeitsmarkt ist trotz einiger kosmetischer Reformen immer noch zu unflexibel, die Lohnsteigerungen liegen  beständig über der Steigerung der Produktivität. Gerade  wegen dieser Schwächen wurde das Land  von der Euroschuldenkrise besonders hart gebeutelt. Es verlor seit 2009 neun Prozent des Volkseinkommens und 25 Prozent der Industrieproduktion. Eine Million Arbeitsplätze fielen der Krise zum Opfer. Anstatt nun das Land für den internationalen Konkurrenzkampf fit zu machen, überbieten sich die Parteien im Vorwahlkampf in Versprechungen sozialer staatlicher Wohltaten, die das Übel nur noch verschlimmern würden.

Den italienischen Parteien ist eigen, dass sie das Spiel „Brüssel ist schuld!“ blendend beherrschen. Sie überbieten sich in Schuldzuweisungen an die EU, vornehmlich an den „Zuchtmeister Deutschland“, mit dem Vorwurf,  Italien komme deshalb nicht auf die Beine, weil Deutschland der Eurozone seine „Austeritätsmanie“ aufgezwungen habe. Die „Lega“ (vormals „Lega Nord“) möchte bei einem Wahlsieg sofort aus dem Euro aussteigen und zur segensreichen Lira zurückkehren, den Euro hält sie für eine Währung, die nur den deutschen Banken nütze.  Berlusconi von der „Forza Italia“ will neben dem Euro die Lira als Zweitwährung für den inneritalienischen Zahlungsverkehr einführen. Renzi von den Sozialisten will Europa zwingen, künftig nach südeuropäischem Muster zu wirtschaften, also die Regeln für Verschuldung weiter aufzuweichen. Der italienische Präsident der Europäischen Zentralbank Mario   Draghi wird solche Ambitionen, solange er noch im Amt ist, nach Kräften unterstützen. Wie man sieht, kann es  sich, ähnlich wie bei Menschen, auch bei einem Staat lohnen, sich  in der komfortablen Transferzone wohnlich einzurichten. Mit Großbritannien verliert die Europäische Union leider einen wichtigen Fürsprecher für eine solide Wirtschafts- und Finanzpolitik. Der Verlust der Sperrminorität von 35 Prozent der EU-Bevölkerung im Ministerrat wird für die auf ökonomische Stabilität bedachten Nord-Länder künftig bedeuten, dass sie  von der Majorität der Süd-Länder   überstimmt werden können.

Das italienische Problem verdeutlicht wie in einem Brennglas die Probleme der Europäischen Union und der Eurozone insgesamt. Wenn ein Land die „Kopenhagener Kriterien“ erfüllt, kann es Mitglied der Europäischen Union werden.  Dies  verbürgt jedoch keinesfalls, dass ein Land den eingegangenen Verpflichtungen auch auf Dauer treu bleibt. Ungarn und Polen haben inzwischen  die Unabhängigkeit der Justiz aufgehoben und die Gerichtsbarkeit dem Willen der Regierung unterworfen. In Bulgarien und Rumänien blüht die Korruption bis in höchste Regierungsämter. Durch Amnestiegesetze verschaffen sich verurteilte Straftäter selbst  Straffreiheit. Manchmal weigert sich die Parlamentsmehrheit, für angeklagte Mitglieder ihrer Fraktionen die Immunität aufzuheben, weshalb die Strafverfolgung unterbleibt. Die Europäische Kommission hat außer hilflosen Ermahnungen keinerlei Handhabe, diese Rückabwicklung der Demokratie zu unterbinden. Der Entzug des Stimmrechts in den europäischen Gremien würde scheitern, weil sich die Sünder-Länder gegenseitig decken. Die Verpflichtung zur Einstimmigkeit dieser Entscheidung macht es möglich. Der Entzug von Fördermitteln für die Länder, wie es Angela Merkel angedeutet hat, wäre zwar ein wirksames Disziplinierungsinstrument. Es würde aber den populistischen Parteien in den anstößigen Ländern   die Möglichkeit geben, sich bei ihren Völkern als Opfer Brüsseler Willkür  darzustellen. Das wäre kontraproduktiv, weil die Zustimmung der Völker zur EU, die noch relativ hoch ist,  ein schützenswertes Gut darstellt.

Auch in der Eurozone ist man Ländern, die die Regeln einer soliden Wirtschafts- und Finanzpolitik  nicht einhalten wollen, mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. Die Eurozone ist ein fragiles Konstrukt. Wenn die Ratingagenturen  über einem Land den Daumen senken, droht dem Währungsverbund insgesamt der Absturz. Dies bietet den Sünder-Ländern ein hohes Erpressungspotential, das sie auch weidlich nutzen. Solange Angela Merkels Diktum, keines der Euro-Länder dürfe aus der Euro-Zone ausscheiden, gilt,  muss man die Laissez-faire-Wirtschaft der Südländer ertragen und notfalls immer neue Rettungsschirme aufspannen.

Es rächt sich bitter, dass man weder im Vertrag von Maastricht noch im Lissaboner Vertrag ein Prozedere für den Ausschluss eines Landes aus dem Verbund festgeschrieben hat. Ein erzwungener Austritt eines Landes ist deshalb so gut wie unmöglich.  Für mich gibt es nur einen Weg aus dem Dilemma. Wenn man ein Land de facto nicht mehr aus der EU und aus der Euro-Zone ausschließen kann (es sei denn, es ginge freiwillig), muss man es in die zweite Reihe verbannen. Die Bundesregierung sollte deshalb den Vorschlag von Emmanuel Macron aufgreifen, ein Europa der zwei Geschwindigkeiten ins Leben zu rufen. Die Länder, die unverbrüchlich an der Demokratie und an einem stabilen Euro festhalten wollen, sollten eine Art „Europa Plus“ bilden, sich regelmäßig gesondert vom Rest der Staaten treffen und eine eigene Agenda beschließen und abarbeiten. Eine solche „Champions League“ ist zwar in den europäischen Dokumenten nicht vorgesehen. Warum sollten die Regeltreuen nicht auch einmal das Vertragswerk „flexibel“ auslegen?  Den Aufschrei, den dieses Vorhaben beim Rest der EU-Staaten hervorriefe, müsste dieses Kerneuropa ertragen. Das Angebot steht ja ohnehin: Wer zu „Europa Plus“ gehören will, kann dazustoßen. Er muss sich der Mitgliedschaft im erlauchten Club nur als würdig erweisen – und zwar dauerhaft. Es wäre interessant zu sehen, wie die Regierungen Polens, Ungarns und Rumäniens  reagieren würden, wenn sie nur noch in der zweiten Liga spielen.

 

Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384

2 Gedanken zu “Der italienische Patient;”

  1. avatar

    na ja – Italien ist Kern-Europa. Dass es auf keinen grünen Zweig kommt, ist tragisch (zerrissen zwischen sog. „Linken“ und völlig wahnsinnig gewordenen Rechten)

  2. avatar

    Es kann sich rächen, wenn man Länder nur aus strategischen Erwägungen in die EU lässt. Viel Spaß mit den nächsten Beitrittskandidaten! Vorschlag zur Haushaltskonsolidierung: Reduzierung der Verteidigungshaushalte um 70 Prozent!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top