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„Wenn Gott schläft“ eine Filmkritik

Wenn Gott schläft.

Ein Dokumentarfilm von Till Schauder

(Kinostart am 12. Oktober 2017)

Till Schauders demnächst im Kino zu sehender Film „Wenn Gott schläft“ erzählt die Geschichte des iranischen Rappers Shahin Najafi, gegen den 2012 eine Todes-Fatwa erlassen wurde und ein Kopfgeld von 100.000$ ausgesetzt wurde.

Vorab zur Erinnerung die Solidaritätsbekundung von Schriftsteller und anderen Künstlern, die vor fünf Jahren zugunsten des „Rushdie des Rap“(The Times) veröffentlicht wurde.

Solidarität mit Shahin Najafi

Der iranische Musiker Shahin Najafi, der seit 2005 im Exil in Deutschland lebt, wird mit dem Tode bedroht, weil er in einem Lied den im Jahr 869 verstorbenen zehnten Imam anruft, auf die Erde zurückzukehren. Sein Text übt mit Satire Kritik an dem diktatorischen Regime. Iranische Großayatollahs erklärten ihn zum Ketzer, der den Tod verdiene. Auf Shahin Najafi wurde ein Kopfgeld von 100.000 Dollar ausgesetzt. Wir haben Respekt vor dem Mut von Shahin Najafi, sich nicht einschüchtern zu lassen und sich weiterhin künstlerisch einzumischen. Denn Kunst muss frei sein. Kunst muss sich entfalten können und provozieren dürfen. Die Freiheit der Kunst ist ein universelles Menschenrecht. Todesdrohungen gegen Künstler und Andersdenkende sind der Tod dieser Freiheit.

Wir solidarisieren uns mit Shahin Najafi und fordern Öffentlichkeit und Politiker dazu auf, unseren Kollegen in jeder Form zu unterstützen und sich für seine Sicherheit einzusetzen.

Frank-Markus Barwasser • Sibylle Berg • Horst Bosetzky • Volker Braun • Fred Breinersdorfer • Campino • Frank Castorf • Pepe Danquart • Friedrich Christian Delius • Doris Dörrie • Andreas Dresen • Egotronic • Valie Export • Harun Farocki • Jürgen Flimm • Hans W. Geißendörfer • Jochen Gerz • Günter Grass • Hans Haacke • Nele Hertling • Klaus Hoffmann • Elfriede Jelinek • Necla Kelek • Navid Kermani • Barbara Klemm • Kirsten Klöckner • Wolfgang Kohlhaase • Uwe Kolbe • Sebastian Krumbiegel • Helmut Lachenmann • Jaki Liebezeit • Jan Josef Liefers • Udo Lindenberg • Frank Lüdecke • Terézia Mora • Björn Peng • Moritz Rinke • Robert Schindel • Volker Schlöndorff • Gerhard Schmidt • Ingo Schulze • Bertold Seliger • Smudo • Mathias Spahlinger • Tilman Spengler • Klaus Staeck • Johano Strasser • Uwe Timm • Frederik „Torch“ Hahn • Rosemarie Trockel • Manos Tsangaris • Andres Veiel • Nike Wagner • Günter Wallraff • Hannes Wader • Konstantin Wecker • Marius Müller-Westernhagen

Der Name des Films ergab sich auf die Frage, ob Gott existiere, auf die Shahin Najafi antwortete: „Wenn Gott existiert, dann schläft er.“ Shahins Geschichte zu erzählen erschien dem Regisseur in einer Zeit, in der gewalttätige Konflikte über Religion, politische Repression, Flüchtlinge und Integration in aller Munde sind. Wer ist Shahin Najafi, der zum vorherigen Film „Der Iran Job“ des Regisseurs zwei Rap-Songs beigetragen hatte. Da ging es um den amerikanischen Basketballspieler Kevin Sheppard, der 2008 das Angebot annahm, in der Iranian Super League zu spielen und während die Spannungen zwischen dem Westen und dem Iran zunahmen, versuchte, zwischen Sport und Politik zu trennen, aber feststellen mußte, daß dies im Iran unmöglich ist und in dieser Zeit die Bekanntschaft dreier unabhängiger und selbstbewusster Iranerinnen machte, die seine Wohnung zu einem Ort offener Diskussionen über Politik, Religion und Geschlechterrollen machte. Kevins Saison im Iran gipfelt in der aufkommenden und anschließenden Unterdrückung der „grünen Revolution“ im Iran. Warum Najafi schon da für die Musik in Anspruch genommen wurde und nun ein Film über ihn ins Kino kommt, erklärt sich aus seiner eigenen Geschichte:

Najafi wurde 1980 in Bandar-e Anzali in der iranischen Provinz Gilan geboren. Im Film werden seine Selbstaussagen geschildert, als Jugendlicher fromm gewesen und regelmäßig in die Moschee gegangen zu sein bis er dann mit Religionen nichts mehr zu tun, da sie einen kontrollieren wollen. Sein Soziologie-Studium brach er ohne Abschluß ab und arbeitete zunächst als Dichter im Iran, nahm Unterricht in klassischer und Flamenco-Gitarre und begann die Zusammenarbeit mit verschiedenen Underground-Musik-Gruppen im Iran. Wegen des Drucks der iranischen Regierung, seine politischen Botschaften aus seiner Musik zu entfernen, wanderte er 2005 nach Deutschland aus. Hier trat er mit der Gruppe Tapesh 2012 auf., die er zu Beginn des Jahres 2009 verließ. Lieder wie „The Power Of Students in Iran“ behandelten die Schikanierung von protestierenden Studenten, andere „We are not Men“ waren eine Unterstützung der Frauenrechtsbewegung, insbesondere der Kampagne „eine Million Unterschriften“ im Iran. Ein entscheidender Bruch in seinem Leben war die Veröffentlichung des Liedes – zusammen mit Majid Kazemi – am 7. Mai 2012 „Naghi“, das zahlreiche Verweise auf den zehnten Imam ʿAlī al-Hādī an-Naqī enthält., das wohl von der seit 11. Mai 2011 bestehende satirische Facebook-Gruppe „Kampagne zur Erinnerung der Schiiten an Imam Naghi“ inspiriert war. Das Lied fleht Imam Naghi an „zurückzukehren“ und eine breite Palette iranischer sozialer, politischer und ökonomischer Übel zu beseitigen wie ökonomische Sanktionen, Korruption, politische Unterdrückung, Schönheits- und Sexwahn sowie die Ohnmacht der Intelligenz und Opposition im Ausland. Nach einem Bericht der iranischen Nachrichtenagentur Fars vom 9. Mai 2012 erkannte der Großajatollah Scheich Lotfollah Safi Golpayegani in dem Lied Blasphemie und eine Beleidigung des zehnten Imam und erließ eine Todes-Fatwa gegen Najafi. Dem persischsprachigen Dienst der BBC zufolge wurde die Fatwa bereits zwei Wochen vor der Veröffentlichung des Songs erlassen, ohne Shahin Najafi zu nennen. Dieser Mordaufruf war undatiert und zunächst gar nicht gegen ihn persönlich gerichtet war, bevor es von Gruppen aus dem Umfeld des Regimes konkretisiert wurde und sogar ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt wurde.

Zwar wird Najafi als „Rushdi des Rap“ betitelt, aber er selbst – und seine Musik bezeugt es – läßt sich auf diese Genre nicht festlegen.

Der Film dokumentiert einfühlsam die Gefühle, die einem Menschen überwältigen, der von einer Todes-Fatwa bedroht ist, etwas was ja notorisch in der deutschen mittlerweile als Lügenpresse titulierten Öffentlichkeit verharmlost wird, während Politiker iranischen Politikern und Wirtschaftsfachleuten die Hände schütteln. So sind auch die Folgen dieser Verharmlosung als Kontext der Schilderung eines Leben in Ungewißheit („Die Angst ist ein Teil von mir“[Shahin Najafi]) präsent, wie die antisemitischen Morde von Charly Hebdo und auf den Konzertsaal Bataclan.

Aussagen wie „ohne Gitarre bliebe ihm nur das Maschinengewehr“ sind aus solcher Situation und aus der Dauerangst, die, um zu überleben, verdrängt und sublimiert werden muß, durchaus verständlich. Abwechselnd wird Shahin als provozierend, mutig, rastlos geschildert, die Musiker der Band wechselten, weil diese aus Angst sich zurückzogen, ohne daß jener ihnen böse sein konnte, die Freunden und Familie wird einfühlsam registriert. Rührend wie die Freundin Leili Barzagan mutig gegen den Tod an Liebe und Leben festhält. Sie ist die Enkelin des ersen Primierministers nach der islamischen Revolution Mehdi Bazargan, der nach dem Geiseldram in Teheran sich mit Khomeni überworfen hatte, so daß die Familie nach Südkalifornien emigrieren mußte.

Törichte Vorwürfe wie antimuslimischer Rassismus oder Islamophobie wird nur jemand, der völlig blind und taub ist, nach dem Film gegen Islamkritik erheben können, angesichts des politischen und kulturell-religiösen Riß der westlichen und muslimischen Welt, so wenig wie man Ressentiments gegen Flüchtlinge mit Furcht vor Islamisierung des Abendlandes verwechseln darf. EInes der tückischsten Ideologeme wie „Mit Musik geht alles besser“ läßt sich genauso wenig mit der Geschichte des Musikers rechtfertigen. Eine Revolution, gar eine menschliche, wie sie bislang noch nicht stattfand, zu unterstellen, sie bräuchte Lieder, wäre ja auch nur die Antizipation ihres Scheiterns. Und das nicht nur in Hinsicht von Shahin, dessen Song-Texte die Mißbilligung iranischer Autoritäten einbrachte. Weniger benötigt die politischer Praxis der Musik als umgekehrt die Musik der sozialen Revolution. Die wird leider tatkräftig von Politikern auch in Deutschland verhindert, denen Geschäfte wichtiger sind als die Menschen.

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12 Gedanken zu “„Wenn Gott schläft“ eine Filmkritik;”

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    Die Kritik transportiert für meinen Geschmack zu viele nicht zu Ende gedachte „Wahrheiten“, also Halbwahrheiten, die dazu führen, dass die Kritik instrumentalisierbar ist für rechte wie linke Gruppen und für den seichten Feuilletonisten könnte auch noch was abfallen. Beispiel: Es ist legitim, wenn der Kritiker Verständnis bekundet, wenn der mit Todesdrohungen Verfolgte ohne Gitarre eine Maschinenpistole in die Hand nehmen würde, dennoch transportiert der Satz eine regressive Mentalität, um nicht zu sagen, er ist infantil. Es ist dies ein mentaler sozialer Sachverhalt, den der Kritiker mehr Beachtung hätte schenken können, um ein Stück weniger in alle Richtungen interpretierbar zu sein.

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      So mancher ist KÜnstler geworden, um nicht Massenmörder zu werden, bewußt oder unbewußt. Jedenfalls hörte ich dies von vielen KÜnstlern in mannigfacher Weise. So viel ist am Theorem von der Sublimation durchaus dran. Regimechange ist indes etwas, was sich nicht herbeisingen läßt, so als ob mit Musik alles besser ginge. Seit den Posaunen von Jericho weiß man – und das wurde ja auch in Kriegen des 20 Jh. praktiziert, daß auch Musikinstrumente eine Waffe sein können. Aber im Iran wäre es ja schon ein Fortschritt, wenn verhindert würde, daß Atomwaffen produziert werden. Aber da läßt sich der Wesen immer noch über den Tisch ziehen und im Hintern von Putin fühlt sich ja nicht nur ein Ex-Bundeskanzler wohl.
      Daß die Opposition des Iran – sei es die grüne Revolution sei es die Frauen, die schon mal eine Faust auf einem Auge plazieren, wenn man ihnen islamisch unkorrekte Kleidung vorwirft – zu unterstützen ist und nicht die nukleare Aufrüstung, dürfte allerdings klar und deutlich zum Ausdruck gekommen sein. Wenn Najafi garantiert nicht zu den Leuten gehört, die Parolen skandieren wie „Hamas Hamas, Juden ins Gast“, wie wir es 2014 auf Demonstrationen hören konnten, dann ist das unterstützenswert. Ich höre ja lieber Kunstmusik als Rap, Hip Hop, was nicht bloß Sache des Geschmacks ist, worauf jeder zwar ein Menschenrecht hat, aber der den Mangel hat, daß die Reflexion darin ausfällt.

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        Ich nehme aber an, dass es Männer waren, die da statt Massenmörder Künstler wurden, oder? Bei Frauen kann ich mir das nicht vorstellen. Manch einer wäre eben gern ein echter Kerl, vor dem alle Angst haben. Oder „Respekt“, als würde irgendein Hahn danach krähen, ob man Respekt hat oder nicht,
        Keineswegs geht mit Musik alles besser, in sehr vielen Situationen sollte absolut keine Musik zu hören sein, z.B. am See, am Strand, generell in der Natur, beim Sport (Joggen) oder in der U-Bahn und im Straßenverkeht . Wer sich dabei langweilt, sollte mal versuchen, seine Langeweile auszuhalten. Manches geht aber mit Musik besser, z.B. Haushaltsarbeiten.
        Ich höre Musik ohne Reflexion, ich würde sogar sagen, dass sie bei mir vor allem dann stattfindet, wenn die Reflexion eine Pause macht. Und bei mir macht sie sehr häufig Pause. Sie ähnelt viel mehr einem Tagtraum als z.B. dem Lesen.

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      Das war auch schon in der Arbeiterbewegung so, daß das eine Illusion war.
      „Metzger: 1968 stellte man sich die Frage, ob die Revolution Musik braucht. Die umgekehrte Frage, ob die Musik eine Revolution braucht, stellte man leider nicht. Die Frage, ob die Revolution Musik braucht, wurde irrtümlich mit ja beantwortet. Man exhumierte die Kampflieder der Arbeiterbewegung, man exhumierte den Eisler, gerade in Berlin – aber nicht seine Kunstmusik, sondern seine mißverständlich für politisch gehaltenen Werke, die eigentlich die unpolitischsten sind. Die Arbeiter waren da etwas klüger. Sie dachten nicht daran, diese Kampflieder zu singen. Aus der Revolution ist natürlich auch nichts geworden, mit oder ohne Musik. Es war schon eine Tragödie. Heute wissen wir, daß es für die internationale Arbeiterklasse die letzte Gelegenheit gewesen wäre, die Betriebe zu übernehmen, und damit sich nicht nur von der Lohnarbeit zu emanzipieren, sondern von der Arbeit überhaupt, die ja technologisch immer überflüssiger wird. Der Zeitpunkt ist verpaßt. Die Arbeiter werden abgeschafft. Sie können schon deshalb keine Revolution mehr machen, weil es sie nicht mehr gibt. Die Perspektiven sind ein für allemal vertan, und es zeigt sich, daß in dem politischen Dilemma, das da entstanden ist, alles sinnlos zu werden beginnt, einschließlich der Künste – einschließlich des Privatlebens ist alles nur noch just for fun.

      Daß die Musik eine Waffe im Klassenkampf sein könnte, das ist wohl einfach nicht wahr. Den Klassenkampf mit Musik führen zu wollen, ist die absurdeste Strategie, die man sich vorstellen konnte. Das ist politisch ebenso gescheitert wie musikalisch. Das gesellschaftliche Ergebnis war ja leider, daß die Unterhaltungsindustrie salonfähig gemacht wurde von den 68ern. Das ist schließlich dabei herausgekommen. Die Musik, mit der die Industrie das Volk verdummte, wurde fehlinterpretiert als die gärende Musik der revolutionären Unterklasse.“ http://www.scheinschlag.de/arc.....te/16.html

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        M.B.‚Daß die Musik eine Waffe im Klassenkampf sein könnte, das ist wohl einfach nicht wahr. Den Klassenkampf mit Musik führen zu wollen, ist die absurdeste Strategie, die man sich vorstellen konnte. Das ist politisch ebenso gescheitert wie musikalisch.‘

        … schön, dass die Sozialisten erkennen, das mit Kampf- und Marschliedern zwar Politik getan, aber kein Sieg errungen werden kann. Ein Nachweis das Gott nicht schläft?

        Wo man singt, da lasse dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder.

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        Daß böse Menschen keine Lieder hätten, ist auch so ein tückisches Ideologem, das wohl von Seume (17.Jh.) stammt. Das gemahnt ja an die Einsicht „Wer das Volk führen will, ist gezwungen, dem Pöbel zu folgen“ / „If you want to lead the people, you are forced to follow the mob“(Oscar Wilde) Führer hatten wir schon, die machen immer andere Schläge als Vorschläge.

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