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Bella Italia

Seit der Renaissance gilt Italien als das gelobte Land der Deutschen, deren Sehnsucht ein prominenter Italienreisender einst in berühmte Verse gefasst hat: „Kennst du das Land wo die Zitronen blühen? … Dahin, dahin / Möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!“ (Johann Wolfgang von Goethe). Fast alle Kavaliers- und Bildungsreisen führten nach Italien, wo sich Maler, Musiker und Dichter Anregungen aus dem historischen  Fundus der Antike und aus dem Flair malerischer Landschaften holten. Unzählige Schlager haben den Weg über die Alpen zu uns gefunden oder wurden im italienischen Stil komponiert („Wenn in Capri die rote Sonne im Meer versinkt…“). In der Politik gab es die Toskana-Fraktion (Fischer, Schily), die das harte Geschäft der Realpolitik mit mediterraner Lebensfreude würzen wollte.

Heute blicken viele Deutsche mit Sorge auf das Italien, das sie einst liebten. Zu düster steht es um Ökonomie und Politik, als dass man sich eine sorglose Zukunft für dieses schöne Land erhoffen könnte. Seit Jahren hat Italien ein Wirtschaftswachstum, das hinter dem ohnehin niedrigen Durchschnitt aller Staaten der Europäischen Union zurückbleibt. Die Industrieproduktion ist  schon im dritten Quartal hintereinander rückläufig. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Von den unter 35-Jährigen hat ein Drittel keinen Job. Das Bruttoindustrieprodukt des Landes ist 2015 immer noch auf dem Stand von 2000, so tief war der Wirtschafteinbruch während der Staatsschuldenkrise 2009 gewesen. Zum Vergleich die deutsche Entwicklung: Von 2000 bis 2015 ist das deutsche Bruttoinlandsprodukt trotz der Krise um 20% gestiegen, was zu einem breiten Wohlstandsgewinn in der Bevölkerung geführt hat. Der Schuldenstand Italiens ist gigantisch. Die Staatsschulden betragen 2,25 Billionen Euro. Das sind 135% des BIP. Mit diesem Schuldenstand ist Italien dabei, Griechenland den Rang abzulaufen. Und es ist keine Besserung in Sicht.

Woran das Land krankt, ist seit langem bekannt. Immer wieder werden die Defizite in Berichten der OECD und der Weltbank, aber auch in renommierten Wirtschaftszeitungen beschrieben. Die Wirtschaft Italiens weist eine notorisch niedrige Produktivität auf, was am geringen technischem Knowhow bei gleichzeitig hohen Löhnen liegt. Tiefere Ursache dafür ist ein mangelhaftes Bildungssystem. Im PISA-Vergleich der Industrienationen der Welt belegte Italien 2012 nur  den 28. Rang. In allen drei Disziplinen (Mathematik, Lesekompetenz, Naturwissenschaften) lagen die Leistungen italienischer Schüler weit unter dem Durchschnitt aller  OECD-Staaten.

Die Bürokratie Italiens gilt als schwerfällig und selbstverliebt. Anstatt private Investitionen freudig anzuschieben, werden sie hinausgezögert und behindert, weil sie in den Augen der Staatsangestellten die Dominanz des staatlichen Sektors – also ihre eigenen Pfründe – schmälern. Ähnlich schwerfällig und undurchsichtig arbeitet die Justiz. Es kann durchaus passieren, dass Zivilprozesse zwischen Unternehmen zehn Jahre dauern, bis sie ein Urteil zeitigen.  Die politische Klasse Italiens gilt als egoistisch und anfällig für Korruption, ja sogar für mafiose Verstrickungen.

Das schlimme Erdbeben vom August 2016  in den Abruzzen  brachte etwas zutage, was an Schändlichkeit kaum zu überbieten ist. Lokale Politiker und Baufirmen hatten Gelder, die für die Erbeben-Sicherung der Häuser bestimmt waren, veruntreut und Häuser minderer Qualität gebaut. Die vor 7 Jahren nahezu vollkommen zerstörte Stadt L ´ Aquila wartet  heute noch auf den versprochenen Wiederaufbau. Auch hier ist das von der Regierung bewilligte Geld versickert. Das zerstörte L ´Aquila steht wie ein Denkmal der Schande in der schönen Landschaft Mittelitaliens.

Der junge Ministerpräsident Mateo Renzi hat die Misere, an der sein Land krankt,  durchaus erkannt, schlägt aber zur Gesundung völlig falsche, rückwärtsgewandte Rezepte vor. Anstatt bei den nötigen Strukturreformen und bei der Korruptionsbekämpfung mutig voranzuschreiten und sich dabei auch mit den Beharrungskräften (Gewerkschaften, Öffentlicher Dienst) anzulegen, polemisiert er ständig gegen die „Austeritätspolitik“ von Angela Merkel. Er fordert mehr Flexibilität bei der Auslegung der Maastrichtkriterien für die Staatsverschuldung, die er ohnehin längst nicht mehr einhält. Wenn die Europäische Kommission dem Ansinnen nachgäbe, würde Italien weiter in den Schuldensumpf abrutschen, ohne dass auch nur ein strukturelles Problem gelöst wäre. Renzi schreckt nicht davor zurück, Angela Merkel dadurch unter Druck zu setzen, dass er bei den Treffen des Europäischen Rats ständig Pro-Putin-Positionen vertritt. Nach den verheerenden Luftangriffen der russischen Luftwaffen auf Krankenhäuser in Aleppo hat Renzi durchgesetzt, dass in der Stellungnahme des Rats das Wort Sanktionen gestrichen wurde.

Experten der Weltbank stellen inzwischen die Frage, ob Italien auf Dauer fit genug für die Eurozone sein wird. Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz hält Italien für den ersten Ausstiegskandidaten. Vor der Einführung des Euro konnte Italien seine wirtschaftlichen Defizite, die bis in die Nachkriegszeit zurückreichen, zumindest vorübergehend  dadurch kompensieren, dass es die Lira immer wieder abwertete. Dadurch wurden Exporte billiger, was dem Land eine kurzfristige Ruhepause bescherte. Deutschen Italienreisenden sind diese  Abwertungen in guter Erinnerung, weil die Kaufkraft der Deutschen Mark bei jeder Abwertung stieg. Und an den Umgang mit  den 10.000 – Lira-Scheinen hat man sich im Laufe des Urlaubs schnell gewöhnt. Mit dem Euro ist die äußere Abwertung nicht mehr möglich. Da alle Regierungen vor Renzi vor Strukturreformen zur Ertüchtigung der italienischen Wirtschaft zurückschreckten, blieb nur ein Ausweg, um den Lebensstandard der Bürger zu bewahren: die Staatsverschuldung. Seit der Euro-Krise 2009 hat die Europäische Kommission alle Augen zugedrückt, wenn es um die Billigung der Nettokreditaufnahme der italienischen Regierungen ging. Man hoffte, dass das Land schon an den richtigen Stellschrauben drehen würde, wenn erst einmal die Folgen des Wirtschaftseinbruchs beseitigt seien. Diese Hoffnung schlug fehl, weil keine Regierung bisher daran dachte, vom süßen Gift der Neuverschuldung zu lassen. Die wenigen Reformen, die Renzi anschob, z.B.  zur Lockerung der Arbeitsmärkte, blieben halbherzig und inkonsequent. Die Blockademacht der Gewerkschaften und des linken Flügels in Renzis eigener Partei, des „Partito Democratico“ (vergleichbar mit unserer SPD), erwies sich als zu stark. Warum die Wirtschaft nicht anspringt, kann man an folgenden  Regulierungsbeispielen ablesen.

„Der Kündigungsschutz für Festangestellte ist so ausgeprägt und rigide, dass Arbeitgeber schon seit langem vor Neueinstellungen zurückschrecken. Unternehmer, die Angestellte vor die Tür setzen, sei es, weil diese den Arbeitsanforderungen nicht genügen oder weil die Firma finanziell unter Druck geraten ist, laufen Gefahr, vor Gericht gezerrt zu werden. Und die Richter kommen oft zum dem Urteil, dass die Entlassungen nicht gerechtfertigt waren. Arbeitsstreitigkeiten beizulegen, kann nicht selten Jahre in Anspruch nehmen.“ (The Wall Street Journal, 10. 10. 2014)

Renzi versucht seit geraumer Zeit, die wichtigsten Verbündeten Italiens in der EU –  Deutschland und Frankreich – zu einem „Neustart“ in der Europäischen Union zu bewegen. Dabei greift er gerne auch zu Wortgirlanden wie dem „Europa der Werte und der Kultur“ oder  „Europa der Ideale,  des Sozialen und der Schönheit“,  das es gerade angesichts der Fliehkräfte zu verteidigen gelte, die durch die Brexit-Entscheidung der Briten deutlich geworden seien. Vor einem Jahr beschwor er den europäischen Geist im Beisein  Angela Merkels symbolträchtig vor der David-Statue von Michelangelo in Florenz. Ende August diesen Jahres tat er dasselbe an ähnlich geschichtsträchtiger Stätte: auf der Insel Ventotene, wo einer der Begründer der europäischen Idee Altiero Spinelli begraben liegt. Schiebt man Renzis Wolkenvorhang der schönen Worte beiseite, kommt das zutage, was er tatsächlich anstrebt: eine weitere „Flexibilität“ bei der Einhaltung der Verschuldungsgrenze und einen Schritt in Richtung Vergemeinschaftung der Staatsschulden. Vermutlich hat Renzi erkannt, dass er die Reformblockaden in seinem Land nicht aufbrechen kann, dass Italien nur über die Verwirklichung der Transferunion in der Eurozone bleiben kann.

Am 4. Dezember  2016 hat Renzi ein Verfassungsreferendum zu überstehen, das die beiden Parlamentskammern nach deutschem Vorbild (Bundestag / Bundesrat) ordnen soll. Populisten jeglicher Couleur, aber auch die politische Opposition wittern die Chance, dem forschen Jungpolitiker eine empfindliche Niederlage zu bereiten. Die Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo erhofft sich durch eine Ablehnung des Regierungsvorhabens  Rückenwind für die Parlamentswahlen, die 2018 stattfinden sollen. Die Populisten wollen diese Wahlen zur Abstimmung über den Verbleib Italiens in der Eurozone, vielleicht sogar in der Europäischen Union machen (Italexit).

Dass es sich bei den Grillo-Jüngern um ökonomische Dilettanten handelt, kann man daran erkennen, dass sie sich über die Perspektiven nach dem Euro-Austritt abwegigen Illusionen hingeben. Der Austritt aus dem Euro würde dem Land nämlich nur vorübergehend Entlastung schaffen, weil dann die lästigen Verschuldungskriterien von Maastricht nicht mehr gelten. Auf mittlere  Sicht wären aber  auch außerhalb des Euros Strukturreformen unumgänglich. Wer etwas anderes erzählt, belügt das Volk.  Denn  wenn Italien darauf angewiesen wäre, sich die Kredite auf dem Kapitalmarkt zu beschaffen, ohne von der 1-A-Bonität der Eurozone profitieren zu können, würden die Zinsen kräftig steigen. Vor dem Beitritt zum Euro lagen die Kreditzinsen bei über 10%. Bei solchen Zinsen wäre eine weitere Verschuldung reiner Irrsinn. Die Märkte und die Rating-Agenturen bestrafen Stagnation und Reformverweigerung gnadenlos. Das ist ja auch der Grund, weshalb wirtschaftlich schwache Staaten (Portugal, Griechenland) unbedingt unter dem Dach des Euro bleiben wollen. Er garantiert ihnen Kredite zu Traumzinsen. Und bei einer Schieflage greift immer noch die Europäische Kommission rettend ein, indem sie lukrative Rettungspakete schnürt. Komfortabler kann man es nicht haben.

So oder so: Italien muss sich reformieren, ökonomisch und politisch. Die politische Klasse muss sich entscheiden, ob das Land auf ewig zum Kostgänger der reichen Euroländer werden soll  oder ob es wieder auf eigenen Beinen stehen will. Den Kraftakt, dabei über den eigenen egoistischen Schatten zu springen, kann man den italienischen Politikern nicht ersparen.  Für  Bella Italia wäre ein solcher Gesundungsprozess wünschenswert.

 

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2 Gedanken zu “Bella Italia;”

  1. avatar

    Immer diese obstruktiven Gewerkschaften! Wollen einfach nicht begreifen, was gut ist fürs Kapital! Man gut, dass es da „die Märkte“ gibt, mit solch seriösen Institutionen wie der Deutschen Bank, die sich ihre Gaunereien von willfährigen Ratingagenturen testieren lassen. Die kümmern sich schon adäquat um die „Reform“verweigerer!

  2. avatar

    nicht zu vergessen die FTT Finanztransaktionssteuer, die den FTSE MIB Italien hinter dem DAX seit Einführung 2013 herhinken lässt.

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