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Fürsorgliche Belagerung

Israel bietet wieder einmal  für die besorgten Freunde der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ Anlass, den moralischen Zeigefinger zu erheben und davor zu warnen, diese „kostbare“ Demokratie nicht aufs Spiel zu setzen. Was war geschehen? Das israelische Parlament, die Knesset, hat vor kurzem  ein Gesetz verabschiedet, das es ermöglicht, solchen Abgeordneten das Mandat zu entziehen, die durch ihr Verhalten terroristische Bestrebungen gegen Israel unterstützen. Hintergrund dieses Gesetzes war das Verhalten dreier arabischer Parlamentarier der „Vereinten Arabischen Liste“ gewesen. Sie hatten sich mit den Angehörigen palästinensischer Attentäter getroffen und mit ihnen eine Schweigeminute zum Gedenken an die Toten (sie waren beim Attentat von der Polizei erschossen worden) abgehalten. Als das Foto von dieser denkwürdigen Zeremonie im Internet zu sehen war, rief  es in Israel große Empörung hervor. Israelische Opferverbände konnten es nicht fassen, dass Abgeordnete des israelischen Parlaments die Familien von Terroristen trösten – nicht aber die Familien der ermordeten Israelis. Loyalität mit den Tätern – nicht mit den Opfern, so wurde das Verhalten der Parlamentarier interpretiert.

Auf deutsche Verhältnisse übertragen, könnte man sich folgendes ausmalen. Renate Künast (Grüne) hätte nach dem Beil-Attentat des jungen Afghanen in einem Regionalzug nicht nur   in einem Twitter-Beitrag  die Polizei dafür kritisiert, dass sie den Täter erschossen hat, nein: sie hätte sich auch mit Angehörigen des Terroristen in Afghanistan getroffen und hätte mit ihnen gemeinsam in einer Schweigeminute des Toten gedacht. Jeder, der mit dem Gepflogenheiten unserer politischen Kultur vertraut ist, kann sich vorstellen, dass dies das sofortige politische Aus für Renate Künast bedeutet hätte.

Unlängst hat noch ein anderes Gesetz der Knesset  unter den besorgten Israel-Freunden für Unmut gesorgt. Es verlangt, dass Nicht-Regierungsorganisationen, die von ausländischen Regierungen unterstützt werden, die Identität ihrer Geldgeber offenlegen müssen. Gerade in Deutschland war die Empörung groß. Kommentatoren und Politiker warnten Israel, nicht den Weg von Wladimir Putin einzuschlagen und die Demokratie nicht  weiter auszuhöhlen. Diese „wohlmeinenden“ Kritiker übersehen immer eines: Israel ist ein Land in einem nicht erklärten Krieg, einem täglich  stattfindenden Abwehrkampf gegen terroristische Angriffe. Sie erfolgen mit Raketen aus Gaza, mit Sprengstoffgürteln in Cafés,  mit Messerattacken an Bushaltestellen und mit Schusswechseln an Checkpoints. Die Attentäter sind oft  Jugendliche – auch Mädchen -, die in Abschiedsbriefen schreiben, sie wollten als Märtyrer sterben, weil sie in ihrem  Leben keine Perspektive mehr sehen. Das Motiv, das in solchen Worten anklingt, wird im Westen gerne unterschlagen, wenn über solche Attacken berichtet wird. Es ist aber wichtig, um die Gewalt  gegen Israel zu verstehen. Beide Palästinenserverwaltungen, in Gaza (Hamas) und im Westjordanland (Fatah),  sind völlig unfähig, ihrem Volk, das sich wegen der hohen Geburtenrate rasant vergrößert, auch nur annähernd normale Lebensumstände zu bieten. Beide Gebiete hängen seit Jahren am Tropf internationaler Geldgeber, vor allem  aus der EU und aus den Golfstaaten. Die Arbeitslosigkeit ist extrem hoch, weil niemand bereit ist, in Gebieten, die sich im permanenten  Kriegszustand befinden, zu investieren. Die Hamas ist so korrupt, dass sie die Hilfsgelder, die für die Bevölkerung bestimmt sind,  für die Produktion oder die Beschaffung von Waffen abzweigt. Aus zwei Kriegen gegen Israel mit ihren verheerenden  Folgen hat sie nichts gelernt. Sie bereitet gegenwärtig mit  Raketen neuester Bauart  aus iranischen Beständen einen dritten Krieg vor, der mit der kompletten Zerstörung Gazas enden könnte.

Ein  Teil der palästinensischen Bevölkerung arbeitet in Israel: auf Baustellen, auf Plantagen, in Fabriken oder in Krankenhäusern. Weil sie israelische Löhne bekommen,  haben sie einen höheren Lebensstandard als diejenigen, die sich  in den Palästinensergebieten nur von Job zu Job hangeln. Nach jeder schweren Terrorattacke wird die Grenze nach Israel abgeriegelt und den Arbeitskräften der Zugang nach Israel  verwehrt. Den radikalen Kräften in der Hamas und der Fatah ist dies gar nicht unlieb, weil sie zurecht  befürchten, dass die palästinensischen Gastarbeiter die Frage aufwerfen, warum es nur  Israel gelingt, seinen Bürgern ein Leben in Wohlstand zu garantieren, nicht aber ihren Regierungen. Die radikalen Palästinenser-Organisationen können sich nur im Kriegsmodus  an der Macht halten.  An der zivilen Verwaltung scheitern sie, weil sie nur ein Handwerk gelernt haben: Krieg zu führen. Deshalb sabotieren sie alle Versuche, mit Israel zumindest einen Modus vivendi auszuhandeln.

Es ist schon viel gemutmaßt worden, warum sich vor allem die Deutschen so besorgt über die   Demokratie in Israel  äußern. Was treibt sie dabei an? Ist es wirklich eine echte Sorge? Man könnte ja die Frage aufwerfen, warum es ihnen keine Kopfschmerzen  bereitet, dass die Hamas in Gaza seit ihrem Wahlsieg im Jahre 2007 keine Wahlen mehr hat abhalten lassen. Oder warum der Präsident der Autonomiebehörde in Westjordan, Mahmud Abbas,  immer noch im Amt ist, obwohl seine Amtszeit seit drei Jahren abgelaufen ist. Ich kenne keinen namhaften Israel-Kritiker, der die beiden Palästinenserverwaltungen jemals dafür kritisiert hätte, dass sie undemokratisch sind (es gibt keine freien Wahlen und keine Menschenrechte) und  dass sie ihr Volk verarmen lassen (sie sind unfähig, die Wirtschaft zu organisieren). Man hat auch noch nicht vernommen, dass  europäische  Menschenrechtsgruppen zum Boykott palästinensischer Produkte aufgerufen hätten, um  in Palästina die Demokratie durchzusetzen. Stattdessen gibt es Boykottaufrufe für israelische  Waren aus den „besetzten Gebieten“, „illegal gebauten Siedlungen“.  Ein eklatantes Beispiel für zweierlei Maß.

Unter den 193  Staaten, die den Vereinten Nationen angehören, sind 2/3 keine Demokratien in unserem Sinne. Viele sind reine Diktaturen (Nordkorea, Simbabwe) oder Scheindemokratien bzw. autokratische Regime (Russland, neuerdings die Türkei). Die besorgten Demokratie-Verehrer kümmern sich seit Jahren nur um ein Sorgenkind: I s r a e l.  Die Besessenheit, mit der sie ihrer  fürsorglichen Mission nachkommen, lässt vermuten, dass es jenseits der  Verehrung der  Staatsform Demokratie noch andere, untergründig wirksame Motive für ihr Handeln  gibt: einen heimlichen Antisemitismus. Es war immer ein Bestandteil des historischen Antisemitismus, von den Juden   m e h r   zu verlangen als von den nichtjüdischen Volksgenossen. Sie durften nicht normal sein, sondern mussten ihre Loyalität und ihre nationale Zugehörigkeit  durch eine Überanpassung unter Beweis stellen. Wer wissen möchte, wie eine solchermaßen erzwungene Anpassung funktionierte, betrachte das Leben und Wirken von Heinrich Heine, das bis zu seiner Emigration nach Frankreich ein einziger, freilich vergeblicher Schrei um Anerkennung gewesen ist. Vermutlich erfüllt  das Nanny-Gebaren, die hysterische Besorgnis um den Bestand der Demokratie in Israel, eine psychologische Funktion. Sie ist das, was Sigmund Freud als Rationalisierung beschrieben hat. Etwas Anstößiges (Antisemitismus) wird in etwas Akzeptiertes (Sorge um die Demokratie) gekleidet, um das Verwerfliche in öffentlich gebilligten Formen ausleben zu können. Man schlägt also zwei Fliegen mit einer Klappe: Man gilt als Freund der Demokratie (was immer schön ist) und man kann die Juden an den Pranger stellen: Seht mal, jetzt benehmen sich die Juden schon so wie die Nazis früher. Mit diesem  Gestus der Anklage kann man nebenbei auch noch für eine kleine Entlastung von der  Schuld sorgen, die die Deutschen zwischen 1933 und 1945 auf sich geladen haben.

Ich schlage den deutschen Israel-Freunden, die sich um die Demokratie in Israel so sehr  sorgen, vor: Kämpft künftig  dafür, dass in den Staaten, die Israel umgeben und die Israel bis heute nicht als Staat anerkennen, endlich demokratische und friedliche  Zustände geschaffen werden. Damit leistet ihr Israel den besten Dienst. Denn wenn Israel nicht mehr von seinen Nachbarn  militärisch oder terroristisch bedroht  wird, kann die Demokratie in einer Weise erblühen, dass es eine wahre Freude ist  – auch für die besorgten Freunde  in Deutschland.

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9 Gedanken zu “Fürsorgliche Belagerung;”

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    Eine Korrektur: Abbas wurde für eine 4-jährige Amtszeit von 2005-2009 gewählt. Die ist also schon nicht erst seit 3, sondern seit 7 Jahren vorbei. Allerdings hat er ja auch schon 2006 angegeben, dass er nicht noch einmal zur Wahl antreten würde: http://news.bbc.co.uk/2/hi/middle_east/4616144.stm Das ist dann ja mal ein Versprechen, dass ein pal. Führer gehalten hätte. Wenn’s keine Wahlen mehr gibt, braucht man ja auch nicht anzutreten.

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    @ Derblondehans

    Da haben die Staatsmedien ausnahmsweise mal recht, wie sagte schon George Bernhard Shaw:
    „Demokratie ist die beste Regierungsform, sie stellt sicher, daß niemand besser regiert wird als er es verdient.“

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      Shaw kannte aber Maas, Schwesig und Reschke nicht. Mit solchen Demokratie-Feinden sind Wahlergebnisse nicht das verdiente Elend, sondern das Ergebnis von Manipulation und Terror.

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    Da können die Israelis aber froh sein, dass sie nur eine Minderheit Verräter im Parlament haben. In den Parlamenten der BRD sind die Nicht-Verräter in der Minderheit. Deshalb nennt der Volksmund diese Figuren auch Volkszertreter.

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    Opa Krempel, Ihren rechtlichen Ausführungen kann ich voll beipflichten. Ich wollte mit meinem fiktiven Beispiel über Renate Künast nur ausdrücken, dass der politische Druck so stark sein würde – auch in ihrer eigenen Partei -, dass sie sich nicht länger als Bundestagsabgeordnete halten könnte. Sie müsste notgedrungen zurücktreten. Ich wollte klar machen, dass unsere Israelfreunde der israelischen Öffentlichkeit dieselbe Empörung nicht zubilligen, obwohl man doch annehmen muss, dass das israelische Volk inzwischen von Krieg und Terror völlig zermürbt ist. Warum haben wir gegenüber den Menschen in Israel so wenig Mitgefühl?

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      Ich fürchte, Herr Werner, die Frage, warum hierzulande so wenig Empathie für Israel und seine Bewohner gezeigt wird, ist nicht einfach zu klären; gäbe es eine monokausale Erklärung dafür, wäre seitens Politik und Publizistik längst gegengesteuert worden. Es dürfte vielmehr eine größere Gemengelage sein, die dort zusammenkommt und ein Verhältnis wie zu den Niederländern, Dänen oder Franzosen verhindert hat. Ein paar Punkte fallen mir sofort ein, die unterschiedlich sind:
      1. Israel liegt nicht in der direkten Nachbarschaft Deutschlands; eine Tour dorthin, sei es als Studienfahrt oder als Urlaubsreise, ist immer mit einem erheblich größeren Aufwand verbunden; einen Campingurlaub in Westfriesland oder der Bretagne können Sie spontan angehen, indem Sie ihre Sachen packen und hinfahren – Israel ist mit dem Auto nicht einfach zu erreichen.
      2. Der Schüleraustausch mit Israel ist ausbaufähig; einer der Gründe ist die Landessprache Hebräisch, ohne die man Schwierigkeiten hat, Schilder zu lesen. Kosten dürften weniger das Problem sein, da ein Schüleraustausch mit den USA von den Kosten her in der gleichen Größenordnung liegt.
      3. Wenn es Auseinandersetzungen gibt, liegen die Sympathien meist auf der Seite des Schwächeren, unabhängig davon, wer den Streit vom Zaun gebrochen hat. Es führt dazu, daß man dem Schwächeren gegenüber deutlich mehr Untaten zu tolerieren bereit ist. Und Israel ist eindeutig in der stärkeren Position, da es sich kein einziges Mal eine Schwäche erlauben kann.

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    Natürlich werden an Israel andere Maßstäbe angelegt als an Simbabwe oder die diversen islamischen Staaten, der Grund liegt aber nicht immer in Antisemitismus.
    Ganz im Gegenteil, der in Deutschland weitverbreitete Philosemitismus hat zumindest mich früher dazu gebracht, von Israel das gleiche zu erwarten wie von jedem zivilisierten mitteleuropäischen Land.
    Von den Herrschern in Afrika und dem islamischen Raum erwarte ich nichts anderes als Barbarei, Korruption und Willkür. Wer will kann mich deshalb einen Rassisten nennen, aber der Grund dafür liegt nicht in Vorurteilen, sondern in einer objektiven Bewertung der Fakten.
    Irgendwann – ich hoffe nicht zu spät – werden auch wir in Deutschland bereit sein müssen, unsere nicht integrierbaren „Gäste“ so zu behandeln, wie es Israel tut.

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    Lieber Herr Werner, Ihr Vergleich mit einer Situation in Deutschland hinkt: Ein Bundestagsmandat kann nur in folgenden Fällen entzogen werden: Parteiverbot, Feststellung des unrechtmäßigen Erwerbs, Neufeststellung des Wahlergebnisses (nach einer Wahlanfechtung) oder Wegfall der Wählbarkeitsvoraussetzungen (= Entzug des aktiven oder passiven Wahlrechts, etwa durch Wegzug aus dem Bundesgebiet – dies war einmal 1956 der Fall, als ein MdB in die DDR übersiedelte).
    Im Falle eines schweren Fehlverhaltens eines Abgeordneten ist ein Entzug des Mandats allenfalls aufgrund des letzteren Punktes möglich. Dazu muß
    a) der betreffende Abgeordnete von einem Gericht wegen eines Verbrechens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt werden (§ 45 StGB sieht dann den Entzug des passiven Wahlrechts für fünf Jahre vor) oder
    b) das Bundesverfassungsgericht die Verwirkung von Grundrechten beschlossen haben (was in der Geschichte der BRD bislang noch nicht der Fall war) oder
    c) das MdB das aktive Wahlrecht aberkannt bekommen. Diese Gründe finden sich in § 13 BWahlG.
    Ein Verbrechen im Sinne des StGB liegt vor, wenn die angedrohte Haftstrafe bei mindestens einem Jahr liegt. Dies ist bei dem allenfalls in Frage kommenden Tatbestand, den Sie aufgeworfen haben (Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, § 189) nicht der Fall.
    In allen Fällen muß eine richterliche Anordnung vorliegen. Der Bundestag kann zwar die Immunität eines seiner Mitglieder aufheben, aber nicht von sich aus den Entzug des Mandats beschließen. Denn sonst könnte eine parlamentarische Mehrheit, die die Regierung unterstützt, die parlamentarische Opposition ausschalten.

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